Der ewige Kampf um die Ressource Boden

von Markus Plate, Mexiko-Stadt

(Berlin, 22. November 2009, npl).- Der Boden ist seit Anbeginn der Zivilisation neben Wasser die wichtigste Ressource der Menschheit gewesen und ist dies in weiten Teilen der Welt auch heute noch: vor allem für die land – und forstwirtschaftliche Produktion von Lebensmitteln, Futtermitteln, Holz und nachwachsenden Brennstoffen. Aber wem gehört die Ressource Boden? Warum ist Land so ungerecht verteilt? Und was kann man dagegen tun?

Brasilien ist das Land mit der weltweit ungerechtesten Landverteilung. 4,8 Millionen brasilianische Familien sind landlos, dafür kontrollieren 4.000 Großgrundbesitzer*innen fast die Hälfte des Agrarlandes. Der Großgrundbesitz schafft keine Arbeitsplätze, weniger als eine halbe Millionen Menschen arbeiten auf dieser riesigen Fläche. Kleinbetriebe und die kleinbäuerliche Landwirtschaft geben dagegen 14 Millionen Menschen Beschäftigung.

Kaum besser sieht es in Kolumbien aus: 5 Prozent der Bevölkerung besitzen 80 Prozent des bebaubaren, fruchtbaren Landes. Zwei Drittel besitzen umgekehrt nur 5 Prozent des Bodens. Das ist in den letzten zwanzig Jahren nicht besser, sondern schlimmer geworden. Zu Hunderttausenden sind Kleinbauern in diesem Zeitraum vertrieben worden, ganze Bauerndörfer wurden massakriert. Offiziell sind sie Opfer des Krieges des Staates gegen die FARC-Guerilla. Aber die Vertreibungen werden vor allem dort registriert, wo Infrastrukturprojekte geplant, wo Bodenschätze vermutet oder wo gewinnträchtige Pflanzen angebaut werden können.

Mit über 60 Prozent besitzt Guatemala den größten Anteil an ländlicher Bevölkerung in Zentralamerika. Große Teile des fruchtbaren Bodens sind für die Exportindustrie bestimmt. Der Export von Kaffee, Zucker, Bananen, Tabak, Kautschuk oder Kardamom erbringt mehr als 25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die Landverteilung ist fast so ungleich wie in Brasilien: Etwa zwei Prozent der Bevölkerung besitzen 70 Prozent des gesamten produktiven Farmlandes. In Guatemala offenbart sich auch der Zusammenhang zwischen ungerechter Landverteilung und Armut. Auch wenn die Städte des Landes keineswegs reich sind: Extreme Armut gibt es fast nur auf dem Land.

Aber, wo kommen so ungleiche Besitzverhältnisse her? Ist das Gott gegeben? Waren da Marktkräfte am Werk? Nun, in Lateinamerika hat die traditionell ungerechte Verteilung des Landes Ihre Wurzeln in der Kolonialzeit. Spanier*innen und Portugies*innen nahmen die besten Böden in Besitz, errichteten große Ländereien. Die ansässigen indigenen Bauern und Bäuerinnen wurden versklavt, vertrieben oder ermordet. Die Unabhängigkeit der Länder Lateinamerikas hat daran wenig geändert. Die neuen Herrschaften herrschten nicht großartig anders, als die Kolonialherren. Ende des 19. Jahrhunderts brach der Kaffeeboom los und die besten Lagen lagen dummerweise in den höher gelegenen und weniger fruchtbaren Teilen Kolumbiens oder Guatemalas, mit denen sich die kleinbäuerliche und indigene Bevölkerung zu begnügen hatte. Ein weiteres Mal wurden Menschen vertrieben, wieder wegen der Ressource Boden. Und so ist es auch heute noch. Wo Boden richtig viel Kohle abwerfen kann, weil man da Agrotreibstoffe produzieren oder Gold schürfen kann, da zählt der Landbesitz von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen bzw. von Indígenas herzlich wenig.

Ja, es gab und es gibt auch Bestrebungen, den Landbesitz gerechter zu gestalten, den Menschen auf dem Land eine Perspektive zu geben, die Armut und das Elend auf dem Land zu reduzieren. Bolivien, Peru, Kolumbien, Mexiko, Nicaragua, Guatemala – überall gab es Versuche einer Landreform. Aber Militärputsche, Konterrevolutionen oder einfach schwindendes Interesse haben die meisten Versuche einer Landreform scheitern lassen.

In Guatemala gab es Anfang der 50er Jahre eine Landreform. Großgrundbesitz wurde gegen Entschädigung gekappt und an landlose Bauern verteilt. Der Putsch 1954 drehte das Rad der Geschichte wieder zurück. Am Ende des folgenden, 35jährigen Bürgerkrieges und in den Friedensabkommen von 1996 war eine Landreform nicht durchsetzbar.

Auch die Landreform in Bolivien seit den fünfziger Jahren war nicht wirklich erfolgreich, weshalb unter Präsident Evo Morales nun die Landfrage ein weiteres Mal angegangen werden soll.

Das Dumme ist nur: In einer globalisierten Welt, in der die Marktwirtschaft oder der Kapitalismus gesiegt haben, sind Landumverteilungen unpopulär. Alles, was nicht den Namen “Markt-” trägt, ist des Teufels. Auch wenn seit der Finanzkrise auch wieder ein bisschen Mehr vom Staat geredet werden darf. Aber noch lange nicht wieder vom Umverteilen. Also muss eine Landreform “marktgestützte Landreform” heißen. Marktgestützt heißt: Land muss gekauft werden und kann nur gekauft werden, wenn Besitzer*innen verkaufen wollen, zu dem Preis, den sie für angemessen halten. Der Staat darf zwar Geld in die Hand nehmen und in einen Fonds tun, um darüber Land zu kaufen – von denen, die denn verkaufen wollen. Da kommt aber naturgemäß nicht viel zusammen. Wer soll da Geld reintun? Die Länder, die in Lateinamerika allenfalls eine marktgestützte Landreform toll finden, sind solche, die von alten Machteliten bestimmt werden. Die Unternehmer*innen, die Großgrundbesitzer*innen, das Militär. Die werden aber nicht bereit sein, groß viel Geld für einen Fonds zur Landumverteilung zu bezahlen, der am Ende noch ihre Privilegien angreift. Die Weltbank tut manchmal Geld rein, aber nicht geschenkt, sondern als Kredit. Aber dann müssen die Leute, die viel Land haben, ja auch noch verkaufen wollen… Aber warum sollten sie das tun? Also kommt meistens nicht viel rum bei der marktgestützten Landreform.

Dann kann der Staat aber auch enteignen und entschädigen. Buuuuh, das ist aber Sozialismus, wird dann geschrien! Das ist es natürlich nicht! Die französische Revolution läutete das Ende der Feudalherrschaft in Europa ein, Großgrundbesitz von Adligen und der Kirche wurde in den folgenden 150 Jahren fast überall in Europa enteignet. In Deutschland und in Osteuropa geschah dies vor allem nach dem ersten Weltkrieg.

Eigentum bedeutet in Deutschland wie in weiten Teilen Europas seither so etwas wie eine Pflicht zur “Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft”. Das ist in Lateinamerika höchstens auf dem Papier so. Und Landreformen durchzusetzen, die nicht auf der Freiwilligkeit der Großgrundbesitzer*innen beruhen, ist ein schwieriges Unterfangen. In Brasilien müht sich die Regierung Lula, ohne Enteignungen ihre Versprechen einzulösen, Hunderttausenden Landlosen eine Parzelle zukommen zu lassen. In Bolivien wollen sich gar Regionen, in denen der Großgrundbesitz vorherrscht, sogar abspalten.

Die Frage ist also: Wollen die Eliten Lateinamerikas überhaupt, dass sich die Menschen von der Fessel der Armut befreien? Die Ressource Boden: Solange in Lateinamerika ein Großteil der Bevölkerung auf dem Land und vom Lande lebt, solange der Landbesitz derart ungleich verteilt ist, solange wird eine große Bevölkerungsmehrheit das bleiben, was sie immer war: arm.

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