Neue Ideen oder alter Autoritarismus?

(Mexiko-Stadt, 6. März 2021, npla).- Jahrzehntelang war das zentralamerikanische El Salvador von einer rechts-links Polarisierung geprägt: Zunächst ein 13-Jähriger blutiger Bürgerkrieg zwischen Militärdiktatur und FMLN-Guerilla, mit zahllosen Menschenrechtsverletzungen. 1992 Friedensschluss und demokratischer Neuanfang: Die stramm rechte ARENA-Partei für die Eliten, Militärs und Konservative, die dem Land neoliberale Konzepte verordnete. Und die zur Partei gewandelte FMLN für Linke und Progressive, für viele Arme. Sie regierte ab 2009 zehn Jahre lang.

Vor zwei Jahren dann die politische Zeitenwende: Da hatte der damals erst 37-Jährige Nayib Bukele die Präsidentschaft gewonnen, Bukele war zuvor Bürgermeister der Hauptstadt San Salvador, für die FMLN. Weil die ihn aber nicht als Präsidentschaftskandidat aufstellen wollte, ging er als Unabhängiger ins Rennen und gewann gleich im ersten Wahlgang. Das Problem: Zwei Jahre hatte Bukele im Parlament kaum Unterstützung.

Politische Zeitenwende mit Bukele

Seine neu gegründete Partei Nuevas Ideas hat nun bei den Parlaments und Kommunalwahlen am 28. Februar abgeräumt. Die Gruppierung errang eine historische Zweidrittelmehrheit – sowohl bei Wahlstimmen als auch bei den Abgeordneten. Von den 14 Departments El Salvadors gewann Nuevas Ideas 13! Nur auf kommunaler Ebene sieht es ein bisschen vielfältiger aus, hier konnte auch die auf einstellige Werte zusammengeschrumpfte FMLN einige Rathäuser halten.

Am Wahltag war es vor allem das Bukele-Lager, das sich lautstark über Unregelmäßigkeiten beschwerte. Bukeles Finanzminister Alejandro Zelaya erklärte zum Beispiel: „Es ist doch nicht die Schuld der Leute hier, dass die Wahlbehörde diese Wahlen nicht vernünftig organisiert hat und am helllichten Tag Wahlbetrug organisiert.“

Keine Hinweise auf Wahlbetrug

Massiver Wahlbetrug gegen Nuevas Ideas, bei diesem Endergebnis? Wahlbeobachtungs-Organisationen hatten jedenfalls am Wahlabend keine besonderen Vorkommnisse gemeldet. Das Auftreten von Parteianhänger*innen folgt eher der antisystemischen Logik, die der Präsident selbst seit zwei Jahren pflegt und mit der er rechtfertigt, sich nach Gusto über Gesetze, Gerichtsentscheide und demokratische Spielregeln hinwegzusetzen: Noch am Wahltag hatte Bukele ziemlich direkt zur Entmachtung der Altparteien und zur Wahl seiner Partei aufgerufen – obwohl Wahlkampf in den Tagen vor der Wahl verboten ist: „Geht wählen. Wir haben 40 Jahre unter Kriminalität, Ausplünderung und Korruption gelitten. Und jetzt können wir das alles ändern!“

Sein antisystemischer Populismus und sein unorthodoxer, aber erfolgreicher Kampf gegen die überbordende Gewalt kommen bei den meisten Salvadorianer*innen gut an. Die noch vor fünf Jahren extremen Mordraten hat er auf historisch niedrige Werte gedrückt. Kritiker*innen sagen: Durch illegale Geheimverhandlungen mit den hier Maras genannten Gangs.

Covid in El Salvador: Internierungslager und Hilfsgelder

Auch in der Pandemie sprechen die Zahlen für ihn: Pro hunderttausend Einwohner*innen hat El Salvador mit die wenigsten Covid-Toten Lateinamerikas, offiziell gerade mal ein Viertel der Sterberate von Brasilien oder Mexiko. Dafür schloss er über Monate die Grenzen, Tausende Salvadorianer*innen wurden über Wochen in Covid-Internierungslagern festgehalten. Es gab aber auch Bargeld für die wirtschaftlich schwer getroffenen Familien. Beim Durchsetzen seiner Ziele ist Bukele allerdings nicht zimperlich: Immer wieder fährt er, gern per Twitter und Facebook, Angriffe auf die Altparteien, Richter*innen, die Wahlbehörde, die Presse, gerade auch auf alternative, investigative Medien – Trump lässt grüßen. Vor einem Jahr war er sogar mit Hilfe des Militärs in das Parlament eingedrungen, um die Zustimmung für einen höheren Kredit für seine Sicherheitsstrategie zu erzwingen.

Bukele kann nun durchregieren

Loyda Robles, von der schon seit Bürgerkriegszeiten renommierten Rechtsstaats-NGO FESPAD (Fundación de Estudios para la Aplicación del Derecho), macht all das große Sorgen: „Wir haben gesehen, wie Urteile des Verfassungsgerichts und des Obersten Gerichtshofes ignoriert wurden. Das gilt auch für vom Parlament angeforderte Rechenschaftsberichte, zum Beispiel über die Mittelverwendung aus dem Covid-Fonds. Ab dem 1. Mai, wenn sich das neue Parlament zusammensetzt, hat der Präsident quasi einen Blankoscheck. In den nächsten Monaten müssen fünf Richter*innen am Obersten Gerichtshof bestimmt werden, der Menschenrechtsbeauftragte und der Oberstaatsanwalt müssen neu gewählt werden. Die drei Staatsorgane werden also unter der Kontrolle des Präsidenten sein“, so Robles.

Bukele kann durchregieren. Das klingt gut, wenn tiefgreifende Reformen zum Wohle der Bevölkerung durchgeführt werden sollen. Diese fast absolute Macht, verbunden mit Bukeles oft autoritärer und egozentrischer Art, gibt jedoch Anlass zur Sorge. Außerdem scheint Bukeles Revolution eine mit alten Köpfen zu werden. 80 Kandidat*innen seiner Partei waren zuvor bei anderen Parteien quer durch das politische Spektrum unterwegs. Seine Partei, Nuevas Ideas, wird dazu quasi als Familienunternehmen geführt. Zweifel am politisch-moralischen Neuanfang sind also angebracht.

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