Indigene Bewegung bei Wahl in Schlüsselrolle

(Quito, 8. Februar 2021, Prensa Ecuménica).- Im offenen Schlagabtausch der Präsidentschaftswahlen in Ecuador will die indigene Bewegung auf den Schwung der Revolte von 2019 aufbauen, die zu einem Vertrauensverlust des aktuellen Präsidenten Lenín Moreno geführt hatte. Doch die internen Zerwürfnisse garantieren keine geschlossene Unterstützung der Indigenen für einen der drei Präsidentschaftsanwärter.

Die Stimmauszählung des Obersten Wahlrates (CNE) deutet inzwischen auf eine Stichwahl hin. Doch bis jetzt bleibt unklar, wer in dieser Instanz gegen den Ökonomen und Correisten Andrés Arauz antreten wird. Dabei konkurrieren der Geschäftsmann Guillermo Lasso und der Überraschungskandidat der Pachakutik, Yaku Pérez, Stimme für Stimme um den zweiten Platz. Fast kein Meinungsforscher hatte Pérez‘ Erfolg kommen sehen. Doch der ehemalige Gouverneur der Provinz Azuay warf sich in den Kampf um die Präsidentschaft Ecuadors, flirtete mit Umweltorganisationen und versuchte, den Spalt zwischen Arauz und Lasso für sich zu nutzen.

Starke Organisierung der indigenen Bewegung hat Einfluss auf die Wahl

Die 14 indigenen Gemeinschaften Ecuadors stellen laut dem Zensus von 2010 zwar nur 7,4 Prozent der Bevölkerung. „Die indigene Bewegung ist aber die am besten organisierte und die mächtigste der sozialen Bewegungen, da die Arbeiterbewegung noch immer in einer langen Krise steckt“, erklärte der Historiker Juan Paz y Miño in einem Interview mit Página 12. Auch Franklin Ramírez, Politikwissenschaftler an der Lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften (FLACSO), sagte, dass die indigene Bewegung „ein grundlegender Akteur in unserer Demokratie ist, der sich sowohl im institutionellen Raum als auch im sozialen Kampf bewegt“.

Die Verankerung des plurinationalen Staates in der Verfassung von 2008 unter der Regierung von Rafael Correa war ein wichtiges Etappenziel für die indigenen Bevölkerungsgruppen: Mit der Etablierung eines neuen Staatsmodells wurde die Rechtmäßigkeit ihrer Ansprüche bestätigt und eine Rechtspraxis etabliert, die eine echte Gleichberechtigung der verschiedenen Gruppen des Landes anstrebt. Doch die Genehmigung des ehemaligen ecuadorianischen Präsidenten für den Rohstoffabbau in indigenen Territorien führte zu einem Bruch in der Beziehung.

Die Jahre vergingen und im Oktober 2019 setzte sich die indigene Bewegung an die Spitze einer Demonstrationswelle, die die Regierung von Lenín Moreno unter Druck setzte und die Aussetzung der Abschaffung der Treibstoffsubventionen erreichte. Das Bündnis der Indigenen Völker Ecuadors (CONAIE), die größte indigene Organisation des Landes, spielte eine führende Rolle bei diesen politischen Demonstrationen. „Die Bewegung ging auf die Straße und zeigte dem Land, dass es einen Generationswechsel gibt. Sie gewann die radikale und plebejische Dimension zurück, welche sie während der zehn Jahre der Correa-Regierung nicht hatte“, so Ramírez. „Die beispiellose Repression und die strafrechtliche Verfolgung mehrerer ihrer Anführer waren für die Indigenen Schläge, die die Bewegung getroffen haben. Und dann kam im Jahr 2020 auch noch die Coronavirus-Pandemie“, ergänzt Paz y Miño.

Wette auf Yaku Pérez

Im CONAIE versammeln sich 14 indigene Gemeinschaften und ihre fast 15.000 Mitglieder. Seit seiner Gründung im Jahr 1986 hat das Bündnis eine zentrale Rolle in der ecuadorianischen Politik gespielt und war Teil von Bewegungen, die sogar Präsidenten gestürzt haben. Die Unidad-Plurinacional-Pachakutik-Bewegung wurde 1995 als der politische Arm der indigenen Institution gegründet. Die Partei wählte Yaku Pérez zu ihrem Präsidentschaftskandidaten, der die „beschleunigte Entwicklung eines vielleicht etwas zu liberalen Umweltschutzes, der stark mit den NGOs des Globalen Norden verbunden ist“ vertrete, so Ramírez.

Doch die Entscheidung für Pérez offenbarte auch die internen Brüche der Bewegung. „Die Indigenen standen weder geschlossen hinter einem einzigen Kandidaten, noch haben sie alle für indigene Kandidaten gestimmt. Wer Ecuador kennt, weiß, dass es sich um viele Volksgruppen handelt, die nicht dieselben Vorstellungen haben“, erklärt der politische Analyst Guillermo Holzmann.

Was passiert in der zweiten Wahlrunde?

Im Vorfeld der erwarteten Stichwahl am 11. April gibt es einige Mutmaßungen. „Ich glaube nicht, dass die Wahl für Yaku Pérez entscheidend sein wird“, meint Paz y Miño. Für den promovierten Historiker ist im Falle einer zweiten Wahlrunde zwischen Arauz und Lasso das wahrscheinlichste Szenario, dass der correistische Kandidat Arauz massive Unterstützung durch die indigene Basis erhält. „Aber wenn in der Stichwahl Pérez und Arauz gegeneinander antreten, ist ungewiss, was passieren wird. Ein guter Teil der Rechten im Lande würde Pérez unterstützen, um einen Sieg des Correismus zu verhindern“, fügt er hinzu.

Andererseits glaubt der ecuadorianische Soziologe und Forscher Ramírez, dass eine etwaige Stichwahl nicht gerade vorteilhaft für Arauz ausgehen würde. „Die große Schwierigkeit des Correísmus ist, dass er nicht viel politischen Spielraum hat, um seine Allianzen zu erweitern“. Gleichzeitig bemerkt Ramírez, dass die indigene Bewegung „in dieser Situation eine sehr wichtige Rolle spielen kann“.

Unterschiedliche politische Lager in der indigenen Bewegung

Holzmann hält es für wesentlich, die bereits erwähnte Spaltung der indigenen Bewegung zu bedenken. „Wir haben einen radikalen Flügel, der sich ideologisch mit linken Ideen identifiziert, bei denen Pluralität ein wesentliches Element ist“, so der Politologe. Hier stehe auch das CONAIE, das mit einer progressiven Regierung, vertreten durch Arauz, größere Chancen hätte, einen Teil der politischen Macht zu erlangen.

„Aber es gibt auch einen pragmatischen indigenen Flügel, der sich für die Rückgewinnung der natürlichen Ressourcen und bessere Lebensbedingungen einsetzt, aber meint, mit einer rechten Regierung mehr zu erreichen als mit einer linken. Sie glauben viel eher an dauerhafte politische Verhandlungen. Und wenn sie in einer hypothetischen zweiten Wahlrunde für die von Lasso vertretene Wirtschaftsvision stimmen, dann hätten sie größere Chancen“, so Holzmann weiter.

Übersetzung: Pia-Felicitas Hawle

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