Bolsonaro droht weiter

(Montevideo, 7. September 2021, la diaria).- Trotz anhaltender Proteste gegen ihn hat Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro seine Drohungen gegenüber dem Obersten Gerichtshof (STF) wiederholt. Er betonte, dass er das Wahlergebnis im kommenden Jahr nicht akzeptieren und das Präsidentenamt ausschließlich tot verlassen werde. Unterdessen fanden die von der Regierung angekündigten Proteste zum brasilianischen Unabhängigkeitstag sowie die prophezeiten gewaltvollen Ausschreitungen nicht im erwarteten Ausmaß statt.

Die Militärpolizei São Paulos schätzte, dass vergangene Woche etwa 125.000 Menschen an der von Bolsonaro zuvor angekündigten Zusammenkunft im Gedenken an den 199. Jahrestag des sogenannten „Grito do Ipiranga“, welcher die Unabhängigkeit Brasiliens vom portugiesischen Königreich markiert, teilnahmen.

Weder zwei Millionen Menschen noch Ausschreitungen

Obwohl die Versammlung in der Avenida Paulista zahlreich besucht war, lag die Zahl der Teilnehmenden jedoch weit unter der von der rechtsextremistischen Regierung angekündigten Beteiligung von etwa „zwei Millionen Menschen“. Außerdem mangelte es der Gedenkfeier an dem gewaltsamen Charakter, der als eine Art Auftakt für einen möglichen Putschversuch im Vorhinein prophezeit wurde.

Dennoch holte Bolsonaro während der Festlichkeiten am Morgen in Brasilia sowie am Nachmittag in São Paulo erneut zum Angriff gegen das Oberste Bundesgericht (STF) aus. Noch einmal stellte Brasiliens derzeitiger Präsident klar, dass er die Wahlergebnisse im kommenden Jahr nicht anerkennen oder akzeptieren werde.

Bolsonaros Drohungen erreichen ein neues Level

Ausschließlich Gott könne ihm die Präsidentschaft entziehen, er werde diese nur tot oder gefangen niederlegen, versicherte Bolsonaro seinen Anhänger*innen, die zahlreiche antidemokratische Statements auf Schildern mit sich trugen. Schon am Morgen auf der Plaza de los Tres Poderes in Brasilia hatte der Präsident unmissverständlich, wenn auch ohne konkrete Verfahrensvorschläge, der höchsten Justiz gedroht. In São Pablo wurde diese Drohung dann spezifischer.

So bezeichnete Bolsonaro Alexandre de Moraes, einen der Richter des STF, als canalla – als „Mistkerl“, als „Heuchler“ – und fügte hinzu, dass dieser nicht mehr länger die Bestimmungen des Obersten Gerichtshofs erfülle: „Schmeißt Alexandre de Moraes raus. Du Mistkerl, du Heuchler. Hört auf das brasilianische Volk kleinzuhalten, hört auf eure eigenen Mitbürger zu verurteilen“, so Bolsonaro. „Ich habe den ‘Mistkerlen’ klargemacht, dass sie mich niemals in Gewahrsam nehmen werden“, garantiert er weiterhin. „Wir müssen – und nun spreche ich in ihrem Sinne – festsetzen, dass alle politisch motivierten Häftlinge ihre Freiheit zurückbekommen. Der vorsitzende Richter Alexandre de Moraes missachtet seinen Auftrag. Die Geduld unserer Leute ist nun vollends ausgeschöpft“, betonte Bolsonaro.

De Moraes hatte Ermittlungen gegen Bolsonaro eröffnet

De Moraes ist zu einem der Lieblingsangriffsziele des Präsidenten geworden, nachdem er die vom STF eingeleitete Ermittlung gegen Bolsonaro wegen der vermeintlichen Beteiligung an manipulierten Nachrichten im Netz eröffnet hatte. Richter Moraes hatte außerdem die Inhaftierung zweier Bolsonaro nahestehender Politiker angeordnet; die des Bundesabgeordneten Daniel Silveira vom rechtsgerichteten Partido Social Liberal und die von Robert Jefferson, Vorsitzender des kommunistischen Partido Trabalhista Brasileiro, wie das brasilianische Nachrichtenmagazin Carta Capital berichtete.

Darüber hinaus demonstrierten vergangene Woche zahlreiche Menschen in vielen brasilianischen Städten gegen den Präsidenten. Auch nachts waren insbesondere in Viertelen der Stadt São Paulo starke Aufmärsche gegen die rechtsradikale Regierung, welche politisch immer weiter in eine alleinige Isolation rückt, zu vernehmen.

Die politische Mitte beginnt, sich gegen Bolsonaro zu positionieren

Ein Indiz für diese wachsende Isolation ist die Entscheidung mehrerer Parteien aus der sogenannten centrão, der politischen Mitte, also die Basis für Bolsonaros Regentschaftsstellung, ihre Abgeordneten zu konsultieren. So soll ein möglicher politischer Prozess gegen den aktuellen Präsidenten in Angriff genommen werden – ein Prozess, der seitens der linken Parteien bereits seit vergangenem Jahr gefordert wurde.

Laut Informationen des Nachrichtensenders CNN hat Bolsonaro diese Maßnahme der politischen Mitte durch seine beharrlichen Anfeindungen gegen das STF während seiner Ansprache auf der Avenida Paulista provoziert. „Der leitende Abgeordnete der Partei Solidariedade (SD), Paulo da Silva, spricht sich für eine Versammlung mit seinen Parteiabgeordneten für nächste Woche aus, um die Position der Partei abzuwägen. Auch Baleia Rossi, oberster Abgeordneter der Partei ‘Movimento Democrático Brasileiro’, bekräftigt, dass er sich mit seinen wichtigsten Parteimitgliedern beratschlagen werde“, bestätigt der Sender.

Eine ähnliche Stellungnahme bezog das inzwischen zur Mitte-rechts tendierende Partido da Social Democracia Brasileira (PSDB) via Twitter. Der Parteivorsitzende Bruno Araújo informierte dort über eine außerplanmäßige Tagung, um über ein Impeachment gegen Bolsonaro zu beraten, wie die unabhängige Pressestelle Brasil 247 informierte. Ziel sei es, die Position der Partei sowie damit einhergehende mögliche legale Maßnahmen zu überdenken und zu diskutieren, so die Twitter-Meldung.

Lula: „Bolsonaro hat die Demokratie nie respektiert“

Derweil beteiligte sich der ehemalige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva an keinem der öffentlichen Proteste. Dennoch holte er zum Gegenschlag aus und betonte abermals, Bolsonaro hätte mit seinen Äußerungen zum Putsch aufgerufen: „Anstatt an möglichen Konfliktlösungen für Brasilien zu arbeiten, ruft Bolsonaro die Menschen in diesen Tagen zur Konfrontation auf, zum Aufruhr gegen die unterschiedlichen Kräfte der Republik, gegen die Demokratie – die er nie respektiert hat“, stellt Lula deutlich klar.

„Stattdessen schürt er die Spaltung des Landes, den Hass und die Gewalt. Das ist nicht das, was Brasilien von einem Präsidenten erwartet“, fügt der Vorsitzende der Arbeiterpartei (PT) hinzu. Zusätzlich stellte Lula heraus, dass das Land durch steigende Arbeitslosenzahlen und Hunger momentan eine „Zerstörung“ erlebe. Dennoch hinterließ Lula eine Nachricht der Hoffnung: „Hunger, Armut, Arbeitslosigkeit und Ungleichheit sind nicht von Gott gegeben. Wir werden weiterkämpfen, um diese schwere Zeit zu überstehen. Lasst uns dieses Land wieder aufbauen.“

Übersetzung: Amelie Stettner

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