Bandenchef erpresst, Premier schweigt

(Port-au-Prince, 27./28./29. Oktober 2021, telesur/prensa latina/poonal).- Die größte kriminelle Organisation in Haiti hat den sofortigen Rücktritt des Interims-Premierministers Ariel Henry gefordert. Andernfalls drohte sie, die bestehende Treibstoffkrise im Land weiter zu verschärfen, die bereits mehrere Bereiche des Landes einschränkt, insbesondere den Gesundheitsbereich.

Jimmy “Barbacoa” Cherizier, Chef der Bandenkoalition „G9“ in Port-au-Prince, hatte in einem Interview mit Radio Mega erklärt: „Die Gebiete unter der Kontrolle der G9 sind nur aus einem Grund blockiert: Wir fordern den Rücktritt von Ariel Henry.“ Cherizier versprach, die Durchfahrt von Tankwagen zu garantieren, sollte Ariel Henry zurücktreten. „Wenn Ariel Henry um acht Uhr morgens zurücktritt, werden wir die Straßen freigeben und alle Lastwagen können durchfahren und Treibstoff besorgen.“

Auch Sematspräsident fordert Rücktritt

Gleichzeitig hat der Senatspräsident Joseph Lambert ebenfalls den Rücktritt Henrys gefordert und verurteilte das Schweigen der Regierung während dieser jüngsten Krise. Vom 25. bis 27. Oktober hatten vor allem Transportunternehmen einen Generalstreik ausgerufen und damit die Hauptstadt sowie Teile Haitis lahmgelegt. Lambert fordert eine internationale Übereinkunft, um die gegenwärtige Krise im Land zu überwinden. „Entweder die Banditen legen die Waffen nieder oder der Staat wird das Gesetz wiederherstellen und für Ordnung in den Vierteln sorgen“, sagte Lambert dem Radiosender Magik 7. Zugleich befürwortete er die Anwendung von Gewalt zur Wiederherstellung staatlicher Autorität.

Das Schweigen der Regierung

Joseph Lambert wurde zwei Wochen nach der Ermordung von Präsident Jovenel Moïse vom Senat zum Interimspräsidenten Haitis ernannt, seine Vereidigung wurde jedoch verschoben. Später erklärte er, er habe aufgrund des Drucks der Vereinigten Staaten von der Vereidigung Abstand nehmen müssen. Diese hatten zusammen mit der internationalen Gemeinschaft beschlossen, den Neurochirurgen Ariel Henry zu unterstützen.

Henry war noch von kurz vor der Ermordung Moïses von diesem zum neuen Premierminister ernannt worden. Henrys Vereidigung war nach dem Attentat aber ebenfalls ausgefallen. Momentan sieht er sich mit einer Gewaltwelle in Haiti konfrontiert, auf die er augenscheinlich keine Antwort hat. Er hat lediglich den Chef der Nationalpolizei, León Charles, entlassen und durch Frantz Elbé ersetzt, dem wiederum Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Nach tagelangem Schweigen äußerte er sich erst am 29. Oktober zu der Krise im Land. Seine Regierung verhandele nicht mit den Banden über finanzielle Unterstützung, dementierte er anderslautende Gerüchte. „Es werden viele Mittel ergriffen werden, um dieses Problem dauerhaft zu lösen“, versprach er wolkig. „Die Ergebnisse wird man in den kommenden Tagen sehen.“

Krise ohne Ende

Haiti befindet sich in einer schweren politischen und wirtschaftlichen Krise, die Sicherheitslage ist desolat. Bewaffnete Banden werden ein immer bedeutender Sicherheitsfaktor im Land und sollen mittlerweile 40 Prozent der Hauptstadt Port-au-Prince kontrollieren. In diesem Jahr sind bereits 800 Menschen entführt worden, etwa 100 Zivilist*innen starben im Kreuzfeuer der Banden, Tausende sind auf der Flucht.

Bereits seit Monaten blockieren bewaffnete Banden Treibstofflager und Tankwägen, was inzwischen zu einer schweren Treibstoffkrise geführt hat. Durch die strenge Rationierung von Treibstoff sind landesweit über 50 Krankenhäuser von Schließung bedroht. Gesundheitszentren, Sauerstofffirmen, Telefongeschäfte und Trinkwasser-Reinigungsstellen können bereits nur noch eingeschränkt arbeiten, wovon Millionen Menschen betroffen sind.

Gleichzeitig finden in der Hauptstadt immer wieder Streiks statt mit der Forderung, die Kriminalität zu stoppen. Die Interims-Regierung und oppositionelle Gruppen haben unterschiedliche Ansätze zur Lösung der gegenwärtigen Krise. Die Regierung strebt Neuwahlen im kommenden Jahr an, die Unterstützer*innen eines Übergangsrats fordern jedoch eine Übergangsregierung für die kommenden zwei Jahre. Mehrere zivilgesellschaftliche Gruppen fordern beide Seiten auf, eine Übereinkunft zu erzielen, um Haiti wieder zu stabilisieren und dem Land eine politische Zukunftsperspektive zu geben.

Unterdessen kündigten die USA an, die haitianische Polizei dabei zu unterstützen, die Hauptverkehrsstraßen zu sichern und die Treibstoffversorgung zu gewährleisten.

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