Menschenrechtsverletzungen inmitten der Pandemie

(Lima, 3. Juli 2020, Servindi).- Michelle Bachelet, Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, berichtet über anhaltende Menschenrechtsverletzungen gegenüber Regierungsgegner*innen in Nicaragua: Es gebe nur wenig Transparenz und kaum eindeutige offizielle Informationen. Gleichzeitig würden Personen, die die staatlichen Maßnahmen kritisieren oder andere Informationen als die der offiziellen Quellen verbreiten, stigmatisiert.

Regierungsgegner*innen, Menschenrechtverteidiger*innen, Journalist*innen, Aktivist*innen und ehemalige politische Gefangene leiden in Nicaragua unter der systematischen Verletzung ihrer Grundrechte, wie die Hohe Kommissarin Anfang Juli mitteilte. In einem mündlichen Bericht an den Menschenrechtsrat über die Lage im zentralamerikanischen Land informierte Michelle Bachelet über Polizeieinsätze, willkürliche Verhaftungen und Angriffe regierungsnaher Gruppen auf friedliche Versammlungen von Regierungskritiker*innen.

Das Risiko weiterer Menschenrechtsverletzungen und der Straflosigkeit verschärft sich

Bachelet habe insgesamt 43 Beschwerden über Hausdurchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl, willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen sowie Belästigungen und Einschüchterungen durch die Polizei oder regierungsnahe Gruppen gegen Oppositionelle erhalten. Diese Machtmissbräuche blieben weiterhin straflos: „Es sind mir immer noch keine Ermittlungen oder Strafverfahren bekannt, mit denen die Verantwortlichen der schweren Menschenrechtsverletzungen der letzten zwei Jahre identifiziert, verurteilt und bestraft werden – auch wegen des Amnestiegesetzes“, so Bachelet. „Diese andauernde Straflosigkeit erodiert das Vertrauen in die Behörden. Zusammen mit den ausbleibenden Reformen der Justiz und Institutionen verschärft sich dadurch das Risiko, dass weitere Menschenrechtsverletzungen begangen werden.“

Die Hohe Kommissarin für Menschenrechte zeigte sich angesichts der Vorfälle in der Region Tuahka an der karibischen Küste besonders besorgt. Dort waren am 26. und 27. März vier Indigene durch Schüsse ermordet und zwei weitere verletzt worden. Bachelet berichtete außerdem von den gewaltsamen Ereignissen am 19. und 20. April in Esquipulas auf der Insel Ometepe, bei denen mindestens zwei Bewohner*innen der Gemeinde umkamen und drei Polizist*innen verletzt wurden. Mehrere Bewohner*innen sollen sich der Polizei entgegengestellt haben, da diese Gewalt eingesetzt und willkürlich drei Personen verhaftet haben soll. Die Bewohner*innen nahmen einen Polizisten als Geisel, um so die Befreiung der Verhafteten zu fordern.

Zahlreiche politische Gefangene noch immer in Haft

Bachelet begrüßte zwar, dass jüngst 4.515 Gefängnisinsassen aus der Haft entlassen wurden und sagte, damit verringere man die Überfüllung der Gefängnisse. Sie gab jedoch zu bedenken, dass unter den  freigelassenen Personen keine der 86 „politischen Gefangenen“ waren, die von zivilgesellschaftlichen Gruppen am 4. Mai 2020 als solche benannt worden waren. Sie gab abermals die Empfehlung, alle Personen freizulassen, die während der letzten beiden Jahre im Umfeld der Proteste verhaftet wurden.

Gesundheitskrise verschärft auch die Gewalt gegen Frauen

Bachelet wies außerdem darauf hin, dass der gesundheitliche Notstand durch die Corona-Pandemie die Zivilgesellschaft und Demokratie im Land weiter unter Druck setzt. „Im offiziellen Diskurs werden Personen stigmatisiert, die die staatlichen Maßnahmen kritisieren oder Informationen verbreiten, die den offiziellen Quellen widersprechen. Durch die Pandemie ist zudem die Gewalt gegenüber Frauen gestiegen, vor allem die Zahl der Feminizide“, hob sie hervor. „Für die ersten fünf Monate des Jahres haben zivilgesellschaftliche Organisationen 32 Feminizide festgestellt, während es im gleichen Zeitraum letztes Jahr 27 Fälle waren.“

Sie bemängelte zudem die fehlende Transparenz und Eindeutigkeit öffentlicher Informationen in Bezug auf Corona-Fälle heraus. Zudem würden sich einige staatliche Maßnahmen nicht an den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation und der Mediziner*innen in Nicaragua orientieren – insbesondere, was Vorgaben zu physischem Abstand angehe. Bisher wurde mindestens 16 Ärzt*innen ohne Beachtung der geltenden rechtlichen Prozedere gekündigt, weil sie die Vorgehensweise der Regierung in der Pandemie kritisiert hatten.

Aufruf zum Dialog

Bachelet warnte davor, dass die Pandemie die wirtschaftliche Krise weiter verschärfen könnte, in der Nicaragua schon seit April 2018 steckt. Die Gesundheitskrise könne einen negativen Einfluss auf die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Situation der Nicaraguaner*innen haben, insbesondere auf das Leben der verwundbarsten unter ihnen.

Sie rief Nicaraguas Regierung auf, sich für den Dialog mit der Zivilgesellschaft zu öffnen sowie mit den Vereinten Nationen und den interamerikanischen Institutionen zusammenzuarbeiten: Auf diese Weise könnten die Maßnahmen gegen die Pandemie und gegen die politische und Menschenrechtskrise getroffen werden. Zudem forderte sie die Regierung auf, einen gerechten und transparenten Wahlprozess in die Wege zu leiten.

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