Menschenrechtsorganisationen verurteilen Willkür der Justiz

(Managua, 17. Februar 2023, servindi) Am 15. Februar veröffentlichte ein Berufungsgericht in Managua einen Beschluss, der 94 Personen die Staatsbürgerschaft, ihre politischen Rechte und ihr Eigentum entzieht. Grund dafür ist, dass sie als politische Oppositionelle angesehen werden. Dem Urteil ging kein Prozess voraus. Die betroffenen Personen wurden zu „Justizflüchtlingen“ und „Landesverrätern“ erklärt und somit zum „zivilen Tod“ verurteilt. Für sie und ihre Familien hat dies verheerende Folgen. Zu den Verurteilten gehören auch Personen, die regelmäßig mit der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte (Comisión Interamericana de Derechos Humanos, CIDH) und dem Büro des Hohen Kommissars für Menschenrechte der UN für die Regionen Zentralamerika und die englischsprachige Karibik (Naciones Unidas para los Derechos Humanos para América Central y el Caribe Inglés, OACNUDH) zusammenarbeiten. Beide Organisationen betonen in einer Stellungnahme, dass die Kriminalisierung dieser Menschen in einer demokratischen Gesellschaft inakzeptabel ist. Daher fordern sie den Staat Nicaragua auf, die Entscheidung schnellstmöglich rückgängig zu machen.

Dem Urteil war die Entlassung von 222 politischen Häftlingen am 9. Februar vorangegangen. Nach der Entlassung entzog ihnen der Staat ebenfalls willkürlich die Staatsbürgerschaft und schickte sie in die USA. Dies geschah ohne gesetzliche Grundlage und entgegen des Prinzips, dass neu erlassene Gesetze für die Vergangenheit keine Gültigkeit haben. Denn erst am selben Tag hat die Nationalversammlung eine vorgezogene Reform des Artikels 21 der Verfassung verkündet. In diesem geht es um Fragen der Staatszugehörigkeit. Zeitgleich verabschiedete sie ein neues Gesetz, dass „den Verlust der nicaraguanischen Staatsbürgerschaft regelt“. Auf Grundlage dieser beiden Gesetze verloren die Menschen, die als Gegner der Regierung eingestuft und als „Landesverräter“ bezeichnet werden, ihre Staatsbürgerschaft. Dieses Vorgehen schürt ein Klima der Angst in der Bevölkerung. Der willkürliche Entzug der Staatsbürgerschaft ist durch die international geltenden Menschenrechte und das UN-Übereinkommen zur Reduzierung von Staatenlosigkeit, dem auch Nicaragua als Mitgliedsstaat zugestimmt hat, offiziell verboten.
In ihrer Erklärung weist die CIDH auch darauf hin, dass am 10. Februar ein Gericht Monsignore Rolando Álvarez, Bischof von Matagalpa, wegen „Landesverrats“ zu 26 Jahren Haft verurteilte. Seine Staatsbürgerschaft sowie seine politischen Rechte wurden ihm aberkannt. Alles weist daraufhin, dass die Verurteilung unter Missachtung sämtlicher Verfahrensgarantien erfolgte und Álvarez sich derzeit in Isolationshaft in einer Hochsicherheitszelle befindet. Die CIDH und das OACNUDH fordern die sofortige und bedingungslose Freilassung von Álvarez sowie von dreißig weiteren Personen, die willkürlich verhaftet wurden.

Die Ereignisse sind nur die aktuellsten in einer Reihe von Fällen, in denen die Regierung Nicaraguas die Arbeit von NGOs kriminalisiert. Mehr als 3000 nationale und internationale Organisationen mussten ihre Arbeit im Land bereits einstellen, ihr Eigentum wurde konfisziert. Unzähligen Menschen bleibt so der Zugang zu den Unterstützungsangeboten der Organisationen verwehrt.

Die CIDH und das OACNUDH verlangen von der Regierung auch, die fortwährende Unterdrückung und Verfolgung derer, die eine Rückkehr zur Demokratie fordern oder ihre freiheitlichen Rechte ausüben, zu beenden. Ebenso rufen sie die internationale Gemeinschaft dazu auf, die Anstrengungen zur Wahrung der Menschenrechte jener Nicaraguaner*innen, die sich zur Flucht aus ihrem Land gezwungen sahen, aufrecht zu erhalten und zu intensivieren. Die Kommission und das Büro drücken ihre absolute Solidarität und Verpflichtung aus gegenüber den Opfern der Rechtsverstöße, ihren Familien und allen Personen, die ihr eigenes Wohlergehen, ihre Zukunft und sogar ihr Leben aufs Spiel setzen, um die Menschenrechte in Nicaragua zu verteidigen.

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