
(Buenos Aires, 9 Juni 2025, anred).- In den USA hat die Jagd auf Migrant*innen – der US-Einwanderungs- und Zollkontrolldienst (ICE) verfolgt buchstäblich Menschen auf offener Straße – eine Reaktion der betroffenen Bevölkerung ausgelöst und zugleich die Risse innerhalb staatlicher Institutionen offengelegt. So distanzierten sich die Polizeichef*innen von Los Angeles (Stadt und Bezirk) von den Maßnahmen und erklärten, dass ihre Beamt*innen nicht an den Festnahmen beteiligt gewesen seien. In manchen Fällen umzingelten Demonstrierende in Los Angeles staatliche Einrichtungen, von denen aus Migrant*innen in Bussen verlegt wurden. Während dies in Los Angeles geschah, entsandte US-Präsident Trump 2.000 Soldat*innen. Doch die Demonstrierenden stellten sich ICE-Beamt*innen und Einwanderungspolizei entgegen, was zu über 50 Festnahmen innerhalb von zwei Tagen führte – und zu einer politischen Krise, da die lokalen Behörden die Entscheidungen der Bundesregierung ablehnen.
Das Epizentrum der Migrant*innenproteste ist die Stadt Paramount mit 51.000 Einwohner*innen, von denen acht von zehn lateinamerikanischer Herkunft sind. Aus dem nah gelegenen Los Angeles sprachen wir mit Lucrecia, einer indigenen Migrantin aus Mexiko, die ihre Gedanken mit uns teilt.
„ICE raus aus Paramount“
Mit dem Megafon in der Hand ruft eine Frau: „Wir sehen euch als das, was ihr seid – eine terroristische Organisation. ICE raus aus Paramount. Ihr seid hier nicht willkommen.“ Neben ihr tragen andere Frauen US- und mexikanische Flaggen sowie Plakate, die die Razzien und Abschiebungen ablehnen. Dabei sind sie umgeben von Tränengas, das von der Nationalgarde aus gepanzerten Fahrzeugen abgefeuert wird.
Paramount ist das Zentrum der Proteste – eine Stadt mit 51.000 Einwohner*innen, von denen 80 Prozent lateinamerikanischer Herkunft sind. Die indigene mexikanische Migrantin Lucrecia berichtet:
„Was wir auf den Straßen sehen, ist der Unmut vieler Menschen gegenüber dieser faschistischen Regierung. In den letzten zwei Jahren war es wichtig zu sehen, wie sich die migrantische Community und andere Teile der Gesellschaft auf die Straße begeben haben. Alle Proteste im vergangenen Jahr gegen den Genozid in Palästina zeigen, dass die Leute die Nase voll haben. Was wir sehen, ist die Kraft und der Mut der jungen Leute, die zwar Papiere haben, sich aber trotzdem gegen die derzeitige Lage auflehnen.“
Große Solidarität
Über die Protestcamps des vergangenen Jahres sagt Lucrecia weiter: „Es hat mich beeindruckt, wie sie sich um die undokumentierten Menschen gekümmert haben – und diese sind die Menschen, die jetzt wieder auf die Straße gehen und sie werden geschützt, damit sie nicht abgeschoben werden. Diese Solidarität, die seit dem letzten Jahr entstanden ist, dieser Schutz der Schwächsten, ist etwas Bemerkenswertes. Diejenigen, die sich mit ihren Körpern auf die Straße stellen, sind Bürger*innen mit Papieren, die sich gegen Trumps Politik richten.“
Zur Rolle der verschiedenen Gruppen meint sie: „Die Frauen und die jungen Leute sind grundlegend in diesem Prozess. Es gibt eine Generation junger und erwachsener Menschen, deren Eltern migriert sind und die hier geboren wurden – sie sind die große Mehrheit auf den Straßen. Die jungen Menschen lernen gemeinsam mit 40- bis 60-Jährigen. Und es ist kein Zufall, dass dies in Los Angeles passiert, denn hier gibt es eine Geschichte des Widerstands, die es ihnen erlaubt, ihren Kampf in einen größeren Kontext zu stellen. Die jungen Leute lernen aus den Kämpfen der Vergangenheit. Jetzt sprechen sie über Faschismus, Rassismus, Kolonialismus – und sie sehen ihren eigenen Kampf nicht isoliert, sondern als Teil eines internationalen Zusammenhangs.“
„Die Menschen haben keine Angst“
Lucrecia ist überzeugt, dass das, was in Kalifornien geschieht, sehr den Szenarien in Lateinamerika ähnelt: „Die Menschen gehen weiter auf die Straße, stellen sich der Repression entgegen und haben keine Angst. Denn die Angst rührt von der massiven staatlichen Präsenz her, aber die Menschen wissen, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, sich zu organisieren und auf die Straße zu gehen. Die meisten Menschen auf der Straße haben ihren Aufenthaltsstatus geregelt. Das ist sehr wichtig, denn sie kämpfen nicht für sich selbst, sondern für die Würde der Arbeit und des Lebens.“
Wie wird es mit den Protesten weitergehen? Denn in der Vergangenheit hat es Protestwellen gegeben, die dann wieder verebbt sind. Lucrecia sagt: „Es ist sehr schwer, Proteste in diesem Land aufrechtzuerhalten. Nach den großen Demonstrationen für Palästina wird jetzt kaum noch darüber gesprochen und niemand erwähnt, wie brutal der Staat wirklich unterdrückt. Aber die Repression wird das, was nun entfesselt wurde, nicht aufhalten. Das lässt sich nicht mehr stoppen – so zerstörerisch die Repression auch ist. Nein, das lässt sich nicht mehr aufhalten. Die Leute kennen die Konsequenzen, aber sie machen trotzdem weiter.“
Übersetzung: Deborah Schmiedel
Massive Proteste von Migrant*innen und marginalisierter Bevölkerung von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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