Lula aus der Haft entlassen

(Río de Janeiro, 8. November 2019, La Jornada).- Nach 580 Tagen Haft hat der brasilianische Ex-Präsident Lula da Silva am 8. November das Gefängnis verlassen. Am Morgen hatten seine Anwält*innen die sofortige Aussetzung der Haft beantragt. Um 16:15 hatte das Gericht dem Antrag stattgegeben, um 17:52 trat der bekannteste politische Gefangene der Welt durch die Tür der Haftanstalt in Curitiba im Bundesstaat Paraná, zwar etwas dünner als bei seiner Verhaftung, aber elegant gekleidet und in guter physischer Verfassung. Vor der Tür erwarteten ihn neben seiner derzeitigen Partnerin Rosangela da Silva Hunderte seiner Anhänger*innen, darunter die Gruppe, die nach seiner Festnahme die Kampagne „Freiheit für Lula“ initiiert und sich jeden Tag getroffen hatte, um gemeinsam: „Guten Morgen, Präsident Lula“, „Guten Tag, Präsident Lula“ und „Guten Abend, Präsident Lula“ zu rufen.
Zunächst dankte Lula seinen Unterstützer*innen: „Ihr habt keine Ahnung, was es bedeutet, dass ich jetzt hier vor euch stehe. Ihr habt die Demokratie aufrechterhalten und mir die Kraft gegeben, diese Dämlichkeit und Gemeinheit auszuhalten, die ein zutiefst verdorbener Teil des brasilianischen Staates mir und auch der Demokratie zugemutet hat.“ Dann stellte der die Soziologin Rosangela da Silva vor: „Obwohl ich im Gefängnis saß, ist es mir gelungen, eine neue Freundin zu finden. Wir haben ausgemacht, dass wir heiraten, wenn ich freikomme“, erklärte er lachend.

Harsche Kritik an der Regierung Bolsonaros

Nicht nur Freude und Erleichterung fanden Platz in seiner Rede, sondern auch harsche Kritik gegenüber Sergio Moro, dem ehemaligen Richter und derzeitigen Justizminister der ultrarechen Regierung, dem Staatsanwalt Deltan Dallagnol und einigen Funktionären der Bundespolizei. „Die Bundespolizei, die Staatanwaltschaft und Richter Moro mit ihren Lügen waren nicht in erster Linie darauf aus, einen Mann ins Gefängnis zu bringen. Sie wollten eine Idee vernichten.“ Es war wie üblich eine improvisierte Rede, die nicht länger als fünfzehn Minuten dauerte. Eine größere Veranstaltung zu Ehren seiner Haftentlassung wird in Kürze in San Bernardo stattfinden. Dort ist der Sitz der Metallgewerkschaft, der Lula während der Diktatur vorstand, und auch die Arbeiter*innenpartei PT wurde in dem Ort neben San Pablo ins Leben gerufen.

Die Verteidigung erklärte, sie werde weiterhin für die Einstellung des Verfahrens kämpfen, das ohne Beweise, lediglich auf der Grundlage von „Überzeugungen“ des Richters Moro, seine Verhaftung entschieden hatte. Unterstützung erhält sie nun von dem US-amerikanischen Journalisten Glenn Greenwald. In dem Online-Magazin The Intercept Brasil hatte dieser offengelegt, wie Moro seine richterlichen Aufgaben deutlich überdehnt, die gesamte Anklage koordiniert und die Schritte der Staatsanwälte im Gefolge von Dallagnol gelenkt hatte. Wie lange sich die rechtliche Auseinandersetzung der Verteidigung hinziehen wird, ist unklar. Dass Lula die Politik in Kürze wieder aktiv mitgestalten wird, steht hingegen seit gestern fest.

Lulas politische Strategie

Zu der Frage, wie sich der Ex-Präsident nach seiner Freilassung in die Politik einbringen würde, gab es im Vorfeld zwei strategische Überlegungen. Die erste war, dass er versuchen könnte, eine breite Opposition gegen die Regierung Bolsonaro zu formieren, die zweite, eine intensive Kampagne gegen die ultrarechte Führung des Landes zu mobilisieren, die auf dessen Wirtschaftsprogramm und die nachteiligen Auswirkungen für die Arbeiterschaft fokussiert.

Die erste Möglichkeit war in den leitenden Gremien der PT breit diskutiert und von allen verworfen worden, einschließlich vom Ex-Präsidenten selbst. Lula selbst hatte immer betont, dass er, sobald er freikäme, die Opposition gegen den ultrarechten Präsidenten stärken und auf die Schäden hinweisen werde, die der kompromisslose Neoliberalismus des Wirtschaftsministeriums unter Paulo Guedes der Gesellschaft zufüge (Guedes war bereits während der Diktatur Augusto Pinochets in Chile als Beamter tätig gewesen). Er werde jedoch nicht die direkte Konfrontation mit Bolsonaro suchen; dafür sei es notwendig, sich auf dessen rüpelhaftes Niveau herabzulassen, und das sei keine Option.

Seine Strategie besteht nun also darin, jeden Schritt der Regierung zu kommentieren und darzulegen, was dieser für Folgen hat, insbesondere für die Arbeitslosenquote und die zunehmende Verarmung und Verelendung der Bevölkerung. Außerdem wird nun bei jedem öffentlichen Auftritt der Vergleich zwischen der Situation heute und dem seinerzeit von Lula regierten Brasilien gezogen. Heute beträgt die Zahl der Arbeitslosen zwölf Millionen; weitere 26 Millionen sind nur gering beschäftigt oder stehen in prekären Arbeitsverhältnissen, 13 Millionen leben in Armut, die Zahlen haben sich also im Verhältnis zur Situation unter seiner Regierung deutlich verändert.

Dazu wird er an die sozialen Programme erinnern, die er ins Leben gerufen hatte, darunter „Mein Zuhause, mein Leben“ zur Förderung und Vergabe von Sozialwohnungen, die Vergabe von Auslandsstipendien durch das Förderprogramm „Wissenschaft ohne Grenzen“ und Universitätsstipendien im Inland, die derzeit Bolsonaros Sparkurs zum Opfer fallen.

Lula kehrt mit voller Kraft auf die Straße zurück. Die politische Szenerie Brasiliens wird radikal auf den Kopf gestellt. Nun leidet die Bevölkerung nicht mehr nur unter den Folgen der von Bolsonaro und den seinen initiierten Katastrophen – nun wird man auch wieder Lulas Stimme hören.

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