Fotostrecke: Gelände bei Guernica geräumt

(Buenos Aires, 30. Oktober 2020, ANRed).- Ich weiß immer noch nicht genau, was ich schreiben soll über das, was ich gestern erlebt habe. Die Regierung hatte ihre gesamte Kriegsmaschinerie aufgefahren, um zu zeigen, was sie drauf hat. Ich bin immer noch nicht in der Lage, die Hilflosigkeit, den Ekel, den Hass in Worte zu fassen, der bei diesem Anblick von meinem Körper Besitz ergriff. Die Hauptaufgabe von Sicherheitsminister Sergio Berni bestand offensichtlich darin zu demonstrieren, dass kein Zweifel besteht, auf wessen Seite die Sicherheitskräfte stehen, wenn es hart auf hart kommt und diejenigen, denen ohnehin schon alles gehört, ihre Interessen gefährdet sehen. Von einem Hügel aus beobachtete ich die Räumung, neben mir eine Nachbarin. „Sehen Sie sich das an“, sagt sie zu mir mit unverhohlener Traurigkeit in der Stimme, „das Räumungskommando benutzt die Häuser als Toilette, und sie schmeißen sich dabei weg vor Lachen. Mein Sohn hat hier gewohnt. Es hat ihn viel Mühe gekostet, sein Haus zu bauen.“ Ich weiß genau, was sie meint. Auch das Gesundheitszentrum im Barrio La Unión wurde mit viel Mühe, Hingabe und Liebe aufgebaut und betrieben. Gestern musste ich dann mit ansehen, wie eine Horde unterprivilegierter Deppen alles kurz und klein schlug. Tags zuvor hatte ein Kinderarzt hier noch ein Kind versorgt, um das der Staat sich niemals gekümmert hätte, und nun ging alles in Flammen auf. Auf diesem Stück Land, auf dem es nichts gab und das bis heute niemand mit einem gültigen Eigentumstitel für sich beansprucht, hatte sich das Experiment eines selbstgegründeten Wohnbezirk entwickelt, das über die bloße Nutzung eines Grundstücks hinausging. Solidarität und gemeinschaftliche Verbindungen entstanden; die Leute begannen, das Schicksal des Viertels in die eigenen Hände zu nehmen.

Und heute? Diese Menschen, die bis gestern auf diesem Stück Land gelebt haben, wo werden sie heute schlafen? Ich könnte an dieser Stelle Hunderte von Namen nennen, aber um mich kurz zu fassen und auf die Gefahr hin, dass es distanziert klingt, begnüge ich mich mit dem Begriff „Menschen“. Was zum Teufel unternimmt der Staat, um die Wohnungskrise zu lösen? Kann er noch irgendetwas anderes außer das Militär zur Hilfe rufen?“

Was da gestern abgestraft wurde, war nicht die unrechtmäßige Inbesitznahme, sondern die Tatsache, dass die Armen die Unverschämtheit besitzen, die Spielregeln in Frage zu stellen. Aber es gab auch zahlreiche Gesten der Solidarität, etliche, die vorbeikamen, um den Familien von Guernica auf die eine oder andere Weise den Rücken zu stärken und nicht bloß, um Selfies zu schießen. Das hat mich tief berührt, und ich könnte gleich wieder anfangen zu heulen, wenn ich an all‘ die Menschen denke, Fremde sozusagen, die spontan den Verwundeten halfen, die Presse über das Geschehen informierten, Steine auf das Belagerungsheer der Polizei warfen und überhaupt alles taten, um die Familien zu unterstützen.

Anders als die offizielle Version glauben machen will, war die gestrige entfesselte Gewalt gegen wehrlose Menschen sicher nicht die letzte Option. Vielmehr wird angesichts der vollendeten Tatsachen deutlich, dass hier ein vor langer Zeit gefasster Beschluss umgesetzt wurde. Wie schon bei der Vertreibung des Volkes der Qom brillierte der berühmte „Cuervo“ Larroque, seines Zeichens Minister für Stadtentwicklung und aufrechter Regierungsvertreter, in seiner berüchtigten Rolle als Lügner, der Verhandlungsbereitschaft vortäuscht und nur darauf wartet, das Militär einzusetzen.

Lasst uns nachdenken und handeln. Ich hoffe, dass Guernica nicht nur eine Modeerscheinung ist, die ebenso schnell aus den Medien verschwindet, wie sie dort aufgetaucht war. Denn es gibt etliche Geschichten, auf die wir unser Augenmerk richten und berichten müssen, wie es dort weitergeht.

Germán Romeo Pena ist ANRed-Fotograf. Die vollständige Galerie mit Bildern der Repression und Vertreibung findet ihr in seinem Facebook-Profil.

 

 

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