Präsident Funes – Ernüchterung statt Wandel

von Edgardo Ayala

(Lima, 19. August 2011, noticias aliadas).- Als Mauricio Funes am 1. Juni 2009 das Amt als Präsident El Salvadors antrat, löste dies landesweit ein aufgeregtes Stimmengewirr aus. Denn mit seinem Amtsamtritt endeten nicht nur zwei Jahrzehnte neoliberaler Regierungen. Funes ist der erste linke Präsident überhaupt in der Geschichte des mittelamerikanischen Landes ‒ ein Triumph, den breite Schichten der Bevölkerung lange herbeigesehnt hatten.

 

Enttäuschte Erwartungen

Zwei Jahre danach scheint die Realität die Losungen des Wahlkampfes niederzuringen, die Funes als Hoffnungsträger eines Wandlungsprozesses ins Präsidentenamt katapultiert hatten. Die versprochenen Veränderungen kommen weder in dem Tempo noch in der Intensität, wie sie die Salvadorianer*innen erhofft hatten. Im Gegenteil, politische Analyst*innen sprechen bereits von Ernüchterung ‒ sogar unter jenen linken Kräften, die am entschiedensten für den „Wandel“ gekämpft hatten.

Omar Serrano, Vizerektor für Sozialforschung an der Zentralamerikanischen Universität José Simeón Cañas UCA (Universidad Centroamericana José Simeón Cañas UCA) in San Salvador sieht Erwartungen enttäuscht, welche die Regierung Funes bei ihren Wählern geweckt hatte.

Der Präsident hatte ökonomische und soziale Programme versprochen, mit denen die Armut gelindert werden sollte, in der rund 40 Prozent der 5,7 Mio. Salvadorianer*innen leben. Laut einer im Juni veröffentlichten Umfrage des zur UCA gehörenden Meinungsforschungsinstituts IUDOP (Instituto Universitario de Opinión Pública) sind die Lebenshaltungskosten in den vergangenen beiden Jahren jedoch für 83 Prozent der Befragten deutlich gestiegen.

Kriminalität hält El Salvador im Griff

Funes war außerdem mit dem Versprechen angetreten, die hohe Kriminalitätsrate deutlich zu senken. El Salvador zählt zu den gewalttätigsten Ländern der Welt: Statistiken zufolge entfallen auf 100.000 Einwohner 67 Morde. Am Ausmaß der Kriminalität hat sich nichts Grundlegendes geändert. Die Regierung griff auf Maßnahmen zurück, mit denen die Vorgängerregierung begonnen hatte und die als gescheitert angesehen werden müssen. Hier ist vor allem der Einsatz des Militärs zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit zu nennen.

Der ehemalige Journalist Mauricio Funes übernahm das Präsidentenamt El Salvadors drei Monate nach seinem Wahlsieg als Kandidat der ehemaligen Guerillabewegung Front Farabundo Martí für die Nationale Befreiung FMLN (Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional). Diese hatte sich nach den Friedensverträgen von 1992, die einen zwölf Jahre tobenden Bürgerkrieg offiziell beendeten, in eine politische Partei umgewandelt.

Mit dem Triumph von Funes und der FMLN war die 20 Jahre währende Herrschaft der rechten ARENA-Partei (Republikanische Nationalistische Allianz – Alianza Republicana Nacionalista) gebrochen. Diese hatte seit 1989 gemäß einem neoliberalen Gesellschaftsmodell regiert, das den wohlhabenden Sektoren des Landes das Manipulieren der Staatsstrukturen ermöglichte, um nach Belieben Geschäfte tätigen zu können, während gleichzeitig die unteren und mittleren Gesellschaftsschichten immer mehr verarmten.

Schreckgespenst Venezuela

Mit der neuen Regierung verband sich für sehr viele Salvadorianer*innen daher die Hoffnung, dass die Dinge sich für sie zum Besseren wenden würden. Doch schnell wurden die erbitterten Auseinandersetzungen zwischen der FMLN, die einem „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ anhing, wie ihn Venezuelas Präsident Hugo Chávez vertritt, und Präsident Funes offensichtlich. Funes bewegte sich lediglich innerhalb des Rahmens des ökonomischen Modells, das die rechten Regierungen vorgegeben hatten, um gar nicht erst den Eindruck einer Orientierung an Venezuela aufkommen zu lassen. Größere Veränderungen blieben zwangsläufig aus. „Es ist schwierig, große Veränderungen vornehmen zu wollen, wenn die Grundlagen des neoliberalen Modells nicht angetastet werden”, erklärt dazu der Ökonom Roberto Góchez. Funes sei zwar mit besten Absichten angetreten, doch auf wirtschaftlichem Gebiet sei er träge.

Während die Regierung Funes die Unternehmer*innen mit Glacéhandschuhen anfasste, also jenen Sektor schonte, der sich strukturellen Veränderungen in El Salvador zugunsten der Bevölkerungsmehrheit stets widersetzte, ging der Präsident immer stärker auf Distanz zu den Gewerkschaften und jenen Organisationen der Zivilgesellschaft, die historisch immer eng mit der salvadorianischen Linken verbunden waren. In einer Rede vor dem Kongress anlässlich des zweiten Jahrestages seines Amtsantritts hob Funes die Früchte hervor, die seiner Ansicht nach die Arbeit seiner Regierung zu tragen beginnt. Hierbei verwies er vor allem auf die Anstrengungen im sozialen Bereich.

460 Mio. US-Dollar für Sozialprogramme

Umgerechnet 460 Mio. US-Dollar habe seine Regierung in Sozialprogramme investiert. In diesem Jahr werde der Betrag auf 800 Mio. US-Dollar steigen, um mit dem Programm Comunidades Solidarias Rurales (Solidarische ländliche Gemeinden) mehr Kleinbauernfamilien in extremer Armut leben sowie arbeitslosen Frauen zu helfen. Bisher gibt es dieses Programm in den 25 ärmsten Regierungsbezirken des Landes. Weitere 104 Mio. US-Dollar investiere der Staat in ein Schulprogramm. Daraus werden kostenlose Schuluniformen, Hefte und Lehrmittel für Grundschüler*innen finanziert ‒ etwas, das es in El Salvador zuvor nie gegeben habe.

Beobachter*innen bemängeln jedoch, dass die Regierung trotz dieser Hilfsprogramme, Straßenbaumaßnahmen und dem Bau von Wohnungen für die ärmeren Bevölkerungsschichten, keinen eigenen Weg der Bekämpfung von Armut und Kriminalität gefunden habe. Dies seien allerdings die beiden Themen, die der Bevölkerung die größten Sorgen bereiteten.

Zugesagte Gehaltserhöhungen blieben aus

Wie in einem Anfall von Ehrlichkeit gestand Funes ein, dass die Bevölkerung von ihm enttäuscht sein könnte. Sie habe an ihn und seine Regierung geglaubt und daran, dass er die Dinge anders machen würde. In einem Interview mit der mexikanischen Zeitung „La Jornada“ räumte der Präsident im Juni ein, er könne die Enttäuschung der Gewerkschaften verstehen, ebenso wie die Frustration der Lehrer*innen und der Beschäftigten in El Salvadors Krankenhäusern über zu geringe Gehälter.

Bereits vereinbarte Lohnsteigerungen könnten nicht eingehalten werden. „Ich habe kein Geld, um die Situation in den Krankenhäusern zu verbessern, um das Leben von vielen Menschen zu verbessern. Aber trotz alledem hat El Salvador sich verändert“, unterstrich der Präsident. Harte Kritik musste sich der Präsident auch wegen des so genannten Dekretes 743 anhören, das Funes im Juni erlassen hatte.

Umstrittenes Dekret 743*

Die rechten Parteien hatten dem Gesetz im Kongress zugestimmt ‒ es neutralisiert die Arbiet des salvadorianischen Verfassungsgerichtes am Obersten Gerichtshof des Landes. Dieses hatte in jüngster Vergangenheit Urteile gesprochen, die Beobachter*innen als historisch einstuften, und die sich der traditionellen Einflussnahme aus Politik und Wirtschaft entzogen.

Es stand in der Macht von Mauricio Funes, das umstrittene Dekret 743 zu annullieren, wie es Organisationen der salvadorianischen Zivilgesellschaft – aber auch Teile der Rechten – forderten, die der Unabhängigkeit des Verfassungsgerichtes höchsten Rang einräumen. Funes machte von seinem Veto jedoch keinen Gebrauch und stimmte dem das Dekret zu – wodurch es zum Gesetz werden konnte, was zahlreichen Widerstand, zuletzt von Jurist*innen, hervorrief. “Wir lehnen den gegenwärtigen Präsidenten ab. Wir hätten ein Veto von ihm erwartet“, so die Anwältin Loida Robles von der Stiftung für Studien zur Rechtsfindung (Fundación de Estudios para la Aplicación del Derecho).

Ausländische Investor*innen umgarnt

Auf starke Ablehnung stößt auch die bevorzugte Behandlung internationaler Konzerne durch den Präsidenten. Unter anderem zugunsten des Unternehmens CTE Telecom, das zum Firmenimperium des mexikanischen Milliardärs Carlos Slim gehört, nahm der Präsident Einfluss auf ein Dekret, das eigentlich hätte dafür sorgen sollte, den Salvadorianer*innen die hohen Festnetzgebühren von monatlich umgerechnet 9,42 US-Dollar vom Hals zu schaffen. Funes hatte argumentiert, dass ausländische Investoren nicht verschreckt werden dürften. Die Gebühren hatten den Telefongesellschaften immerhin Umsätze von jährlich rund 120 Mio. US-Dollar gesichert.

Am 18. Juli diese Jahres legte der Präsident sein Veto gegen ein Gesetz ein, welches das Rauchen auf öffentlichen Plätzen eingeschränkt hätte. Das Parlament hatte am 23. Juni zugestimmt, was Organisationen der Zivilgesellschaft mit Wohlwollen, Tabak-Konzerne wie British American Tobacco jedoch mit Kritik kommentierten. „Die exzessive Kontrolle der mit dem Tabak verbundenen Märkte ist unangebracht, dann sie behindert die Kerngeschäfte dieser Unternehmen mehr als dies vertretbar ist“, schrieb Funes in einem seiner Plädoyers an das Parlament.

 

* Anm. der Redaktion: Das Dekret 743 ist am 27. Juli 2011 aufgehoben worden vgl. http://www.elsalvador-info.org/?p=1785, http://www.washingtonhispanic.com/ und http://www.adital.com.br/site/noticia.asp?lang=ES&cat=7&cod=59014.

 

Weiterlesen:

Schlaglichter einer Dreiecksbeziehung: El Salvador: der Präsident, die FMLN und die sozialen Bewegungen | von Helene Kapolnek |  | Juli 2011

 

 

 

CC BY-SA 4.0 Präsident Funes – Ernüchterung statt Wandel von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert