Von Darius Ossami
(Berlin, 9. Januar 2017, npl).- El Salvador ist das kleinste Land Mittelamerikas – und das gefährlichste. Die Mordrate dort gehört zu den höchsten in der Welt. 2016 wurden über 5.200 Menschen ermordet – bei einer Bevölkerung von sechs bis sieben Millionen. Mitverantwortlich dafür sind die als „Maras“ oder „Pandillas“ bezeichneten Straßengangs, die sein den 1990er Jahren in vor allem in El Salvador , aber auch in den Nachbarländern Honduras und Guatemala ihr Unwesen treiben. Die beiden wichtigsten sind die „Mara Salvatrucha“ und „Barrio 18“. Sie wurden Ende der 1980er Jahre in den USA gegründet, wo viele junge Salvadorianer im Exil aufwuchsen. Nach dem Ende des Bürgerkrieges in El Salvador kehrten sie wieder zurück oder wurden von den USA abgeschoben – und importierten die Gangkultur in das kleine zentralamerikanische Land. Heute sind zehntausende Jugendliche und junge Männer – sowie einige Frauen – Mitglieder der Pandillas.
Alejandro Ocampo ist Psychologe aus San Salvador und hat in der Gewaltprävention, sowie mit Pandilleros und Mareros gearbeitet. „Man geht davon aus, dass es etwa 60.000 aktive Pandilleros in El Salvador gibt, davon sitzen 13.000 in den Gefängnissen“, sagt Ocampo. „Außerhalb der Knäste gibt es wahrscheinlich bis zu 45.000 aktive Bandenmitglieder. Rechnet man zu den aktiven Bandenmitgliedern noch Freunde, Helfer und Familienangehörige dazu, kommt man auf über 400.000 Menschen, die von dem Phänomen profitieren. Denn viele von ihnen leben von der Schutzgelderpressung und bezahlen damit ihre Lebensmittel, Kleidung und anderes, was sie von diesem illegal erworbenen Geld kaufen können.“
„Plan der superharten Hand“
Gemeinschaftsgefühl und bedingungslose Treue halten die Pandillas zusammen; aber untereinander bekriegen sie sich auf Leben und Tod. Allein 2015 sind 6.600 meist junge Männer erschossen worden. Für Jose Santos Guevara, dem Vorsitzenden der Entwicklungsorganisation ACUDESBAL in der Region Bajo Lempa, ist die Gewalt ein Produkt der Wirtschaftskrise, der Armut und der fehlenden Gerechtigkeit. Die Armen hätten kaum Möglichkeiten zu studieren oder zu arbeiten; und solange, wie diese strukturellen Probleme nicht angegangen würden, seien sie deshalb anfällig für das organisierte Verbrechen. Santos zeichnet ein düsteres Bild: „Die Gewalt verschlimmert sich jeden Tag, obwohl die Regierung einiges versucht hat, mit dem „Plan der harten Hand“, dem „Plan der superharten Hand“ und jetzt dem „Plan sicheres El Salvador“. Aber das Alles hat sich hauptsächlich auf Repression konzentriert; um die Gewaltprävention und die Wiedereingliederung in die Gesellschaft hat man sich kaum gekümmert. Jetzt haben wir Sicherheitskräfte der Polizei und auch der Armee, die die Bandenmitglieder verfolgen und verhaften. Aber es gibt keine Pläne um zu verhindern, dass Jugendliche zu neuen Bandenmitgliedern werden.“
Tatsächlich hat die harte Repression der rechten ARENA-Regierung unter Ex-Präsident Tony Saca nichts gebracht. Erst 2012 wurde unter dem ersten linken Präsidenten Mauricio Funes heimlich eine Art Waffenstillstand zwischen dem Staat und den beiden wichtigsten Banden, der Mara Salvatrucha und Barrio 18 ausgehandelt: „La Tregua“ sorgte tatsächlich für einen deutlichen Rückgang der Mordrate. Doch die Schutzgelderpressungen fanden weiterhin statt und die Banden breiteten sich über das ganze Land aus. Schließlich wurde „La Tregua“ aufgekündigt, die Hafterleichterungen für Bandenchefs wurden aufgehoben, und die Mordrate schnellte wieder nach oben. Im Januar 2015 verkündete die aktuelle Linksregierung unter Salvador Sánchez Cerén dann den „Plan sicheres El Salvador“. In der Theorie verbindet dieser Plan harte repressive Maßnahmen mit fortschrittlichen Ansätzen wie Gewaltprävention und Ideen zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Das hat es so vorher nicht gegeben. Der Plan bestehe aus vier Säulen, erklärt Ocampo: „Die Prävention; zweitens Repression; drittens die Wiedereingliederung der Bandenmitglieder; und viertens die Betreuung der Opfer. Um die Opfer hat sich der Staat vorher noch nie gekümmert. Pro Jahr werden zehntausende Menschen Opfer dieser Gewalt; eigentlich ist das ganze Land Opfer der Gewalt. Denn unter dem Tod leiden nicht die, die sterben, sondern diejenigen, die überleben. Dieser Plan hat also auch gute Absichten, aber auch enorme Kosten; und dieses Geld hat der Staat nicht. Deswegen bleibt praktisch nur noch die Repression übrig. Und das Ergebnis ist: noch mehr Gewalt.“
Das Misstrauen sitzt tief. Gegen gleich drei Ex-Präsidenten ermittelt die Staatsanwaltschaft. Vertreter sowohl der rechten ARENA-Partei als auch auch der regierenden linken FMLN haben mit Führern der Pandillas verhandelt; dabei soll es um Wählerstimmen gehen. Denn die Pandillas sind, spätestens seit der „Tregua“, auch zu einem politischen Akteur geworden. Sie können Wählerstimmen und Einfluss liefern und haben Waffen, die gut genug sind, um es mit Armee und Polizei aufzunehmen.
Verlorene Generation
Statt eines Waffenstillstandes und eines „sicheren El Salvadors“ hat sich also der Konflikt seit 2015 wieder erheblich verschärft. An manchen Tagen wurden über 30 Menschen ermordet. Angesichts dessen greift die Regierung seit April 2016zu „außergewöhnlichen Maßnahmen“. Dazu gehören verschärfte Haftbedingungen, Grundrechtseingriffe und Spezialeinheiten von Armee und Polizei. Die Macht der Pandillas konnte damit zunächst eingedämmt werden. Doch allein mit Repression könne man das Problem nicht in den Griff kriegen, sagt Santos. Der Staat schaffe nicht die Bedingungen um zu verhindern, dass sich wieder Kinder, Jugendliche, Generationen den Pandillas anschließen. Für Santos ist klar: „Diese Generation in El Salvador ist praktisch verloren! Sie sterben jeden Tag. Die meisten sind zwischen 15 und 25 Jahre alt. Das sind diejenigen, die studieren könnten, oder arbeiten – aber nein, viele sehen ihre Zukunft bei den Pandillas. Aber wer Pandillero ist, ist für sein ganzes Leben verdammt. Selbst wenn einer aussteigen will, ist es sehr schwer, sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern.“
Nicht nur José Santos und Alejandro Ocampo sehen ihr Land wieder im Krieg. Auch hunderte Sicherheitskräfte sind schon getötet worden. Polizisten haben bereits angekündigt, ihre eigenen Todesschwadronen gründen zu wollen. Von Januar 2015 bis zum August 2016 haben Armee und Polizei bereits 700 Verdächtige erschossen. Im Kampf, wie es heißt. Die Gefängnisse sind überfüllt, die Menschenrechtsbeauftragte fühlte sich mit den dortigen Zuständen an Konzentrationslager erinnert. Fürs Erste allerdings hat die harte Repression und das kriegsähnliche Vorgehen für einenRückgang der Mordrate und des Einflusses der Maras gesorgt. Doch das Problem ist damit bei weitem nicht gelöst. Es wird El Salvador wohl noch lange begleiten.
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Die Spirale der Gewalt dreht sich weiter von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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