Die finstere Seite der Kohle

Von Darius Ossami

(Berlin, 13. Oktober 2016, npl).- Protest vor dem Kohlekraftwerk Klingenberg in Berlin. Umweltaktivist*innen demonstrieren auf dutzenden Booten und Flößen in der Rummelsburger Bucht gegen die umweltschädliche Verwendung von Kohle als Brennstoff. Ein Großteil der Kohle, die der Betreiber Vattenfall in dem Kraftwerk zu Energie macht, wird aus Kolumbien importiert. Dort wird die Kohle vor allem in der nordöstlichen Bergbauregion Cesar abgebaut. Was viele nicht wissen: der Abbau der Kohle geht nicht nur zu Lasten der Umwelt und des Arbeitsrechts; für den reibungslosen Kohleabbau wurden – und werden – tausende Menschen vertrieben, bedroht und umgebracht.

Zu den Gruppen, die vor dem Kraftwerk in Berlin demonstrieren, gehört die Umweltorganisation Urgewald. Ihr Sprecher Sebastian Rötters erklärt: „Jeder weiß, dass die Kohle ein Problem ist fürs Klima“, erklärt Sebastian Rötters von der Umweltorganisation Urgewald. „Aber im Fall der Steinkohleimporte aus Kolumbien kommt dazu, dass es schon beim Abbau dieser Kohle in Kolumbien massive Menschenrechtsverletzungen gibt. So stehen die dortigen Unternehmen seit vielen Jahren im Verdacht, paramilitärische Einheiten zum Schutz ihrer Installationen finanziert zu haben. Das heißt, die dortigen Bergbauunternehmen haben Gelder an illegale bewaffnete Gruppen transferiert, denen wiederum zu Last gelegt wird, tausende Menschen umgebracht und vertrieben zu haben.“

3.100 Ermordete, 55.000 Vertriebene

Ähnlich sieht das Rodrigo Rojas, der kolumbianische Vertreter der niederländischen Organisation PAX. Vor zwei Jahren hat PAX eine aufsehenerregende Studie veröffentlicht: Die finstere Seite der Kohle („El lado oscuro del carbón„). In der Studie kommen die Opfer von Mord und Vertreibung im Namen des Kohlebergbaus zu Wort – aber nicht nur das: Auch Täter sagen aus, ehemalige Paramilitärs sowie Mitarbeiter der beiden Bergbauunternehmen Drummond und Glencore-Prodeco, die bis heute die Abbaugebiete im Cesar betreiben. Mit der Studie hat PAX herausgefunden, dass es eine paramilitärische Gruppe gab, die 1996 aus 30 Leuten bestand; bei ihrer Demobilisierung 2006 waren es bereits 600 Männern. Diese Gruppe wurde von zwei multinationalen Konzernen gebildet, finanziert und unterstützt: Vom US-Unternehmen Drummond und von Glencore mit Sitz in der Schweiz. Rojas zählt auf: „Diese paramilitärische Gruppe hat 3.100 Menschen ermordet, davon 2.500 gezielt und weitere 600 in Massakern. Außerdem wurden über 55.000 Bauern vertrieben, um ihnen ihr Land wegzunehmen.“

PAX setzt sich dafür ein, dass sich die Konzerne Glencore und Drummond ihrer Verantwortung stellen und die Opfer dieser paramilitärischen Gruppe entschädigen. Dabei

geht es nicht nur um Geld, sondern auch um eine symbolische Wiedergutmachung sowie eine Garantie, dass so etwas nie wieder passiert. Im Sommer war Rojas mit seinem Kollegen Wouter Kolk und der Aktivistin Maira Méndez auf Lobby-Tour in verschiedenen europäischen Parlamenten, Konzernzentralen und sogar im Vatikan. Der Vater von Maira Méndez war Arbeiter und Gewerkschafter bei Drummond und wurde 2001 vor ihren Augen von den Paramilitärs erschossen.

Gewerkschafter vor den Augen seiner Familie erschossen

„Mein Vater hatte mir erzählt, dass es bei Drummond paramilitärische Gruppen gibt und das mit denselben LKWs rumfahren, die im Bergwerk waren“, erzählt Maira Méndez. „Alle wussten, dass diese LKWs für Drummond tätig waren. Am 19. Februar 2001 kam eine Gruppe Paramilitärs zu unserem Haus, etwa 40 oder 50 Männer. Es waren Uniformierte, mit Gewehren und Abzeichen der AUC und sie kamen mit den LKWs von Drummond. Sie nahmen unsere Wertsachen weg und sagten, mein Vater sei ein Verräter. Nach 40 Minuten erschossen sie ihn mit sieben Kugeln in den Kopf, direkt vor unserem Haus.“

Zwar sind die Mörder von Méndez und zwei weiteren Gewerkschaftern inzwischen verurteilt worden. Doch die Konzernmanager sind noch immer nicht vor Gericht gestellt worden und weisen weiterhin jede Verantwortung von sich. Und auch heute noch sind Paramilitärs weiterhin in dem Gebiet aktiv – sie heißen jetzt nur anders: „kriminelle Banden“. Doch sie tun dasselbe: Sie bedrohen, sie töten, sie lassen verschwinden. Und sie schicken den Gewerkschaftern wieder Drohbriefe.

„Gewalt ist im Cesar alltäglich“

„Die Gewalt ist in Kolumbien, im Cesar, in der Kohle-Bergbauregion kein Phänomen der Vergangenheit“, weiß Sebastian Rötters“, „sondern nach wie vor alltäglich.“ PAX hat

errechnet, dass im Cesar in den letzten vier Jahren 200 Menschen Opfer von Morddrohungen und Mordversuchen geworden sind. Und Mitte September ist der afrokolumbianischer Gemeindeführer Néstor Martínez, der sich gegen die Minenexpansionspläne von Drummond gewehrt hat, im Haus seines Bruders erschossen worden.

Aber praktisch zeitgleich mit dem Mord an Nestor Martínez wurde im Auftrag der kolumbianischen Regierung ein Bericht mit neuen Zeugenaussagen veröffentlicht, die Drummond und Glencore-Prodeco weiter unter Druck setzen. Zudem Die Organisation PAX hofft nun, dass das im Friedensvertrag geplante Tribunal auch die Manager von Unternehmen anklagt, die mit Paramilitärs zusammen gearbeitet haben – wie im Fall von Drummond und Glencore-Prodeco. Bis das passiert, will Rojas weiter Druck erzeugen, damit die europäischen Stromanbieter keine Kohle aus Kolumbien mehr einkaufen – solange, bis sich die Umwelt-, Arbeits- und Menschenrechte dort entscheidend verbessert haben. Denn „in der kapitalistischen Logik verstehen die Unternehmen nur dann etwas, wenn sich ihre Profite verringern. Wenn sie also sehen, dass ihre Einnahmen betroffen sind, weil niemand mehr ihre Kohle kauft, dann werden sie verstehen, dass sie ihre Verantwortung übernehmen müssen.“

Eine Verringerung ihrer Profite könnte die Konzerne zum Einlenken bewegen

Eine Strategie, die erste Früchte trägt. Europa-Abgeordnete haben die betroffenen Menschen im Cesar besucht. Der dänische Stromversorger Dong hat beschlossen, keine Kohle mehr von Prodeco zu kaufen, solange die Firma nicht bestimmte Maßnahmen umsetzt. „Das ist aus unserer Sicht der Weg, mit dem man den eigenen Einfluss maximal vergrößern kann und eigentlich auch der Weg, der als einziger Erfolg verspricht“, findet auch Rötters.

Doch auch der Umweltaktivist weiß, dass eine nachhaltige Entwicklung in der Bergbauregion Cesar zur Zeit nicht auf der Agenda steht. Die Gewerkschaften kämpfen für ihre Arbeits- und Menschenrechte, wollen aber kein Ende der Kohleproduktion. Würde man diese sofort stoppen, sagt Rötters, dann würde man die Opfer im Regen stehen lassen. Deshalb rufen die Organisationen Urgewald und PAX die deutschen Stromkonzerne dazu auf, keine sogenannte „Blutkohle“ mehr zu kaufen; solange, bis die in Kolumbien tätigen Unternehmen ihre Mitschuld an den Verbrechen anerkannt und die Opfer entschädigt haben – und bis sicher gestellt ist, dass so etwas nicht wieder passiert. Doch das kann dauern.

Den Audio-Beitrag zu diesem Artikel findet ihr hier.

CC BY-SA 4.0 Die finstere Seite der Kohle von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

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Die finstere Seite der Kohle

Die Provinz Cesar im Nordosten Kolumbiens ist die wichtigste Bergbauregion des Landes. Von hier wird Kohle auch nach Deutschland exportiert. Doch zu welchem Preis? Paramilitärs haben auch dort tausende Menschen ermordet und Zehntausende vertrieben – nach Aussagen zahlreicher Zeug*innen im Auftrag der Bergbauunternehmen Drummond und Glencore-Prodeco. Doch die weisen bis heute jede Verantwortung von sich. Organisationen kämpfen auf beiden Seiten des Atlantiks für einen Importstopp sogenannter „Blutkohle“, denn bisher wurden die Opfer nicht entschädigt , und noch immer werden dort Menschen erpresst, mit dem Tod bedroht oder umgebracht.


 Den poonal-Artikel zu diesem Beitrag findet ihr hier.


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