50.000 Küstenbewohner*innen wehren sich gegen Vertreibung

von Torge Löding

(San José, 04. August 2009, voces nuestras).- „Wir in Ostional leben in Einklang mit der Natur und haben ein weltweit einzigartiges Modell entwickelt. Das steht nun auf dem Spiel!“, sagte Gilberth Rojas Araya, Vorsitzender des kommunalen Entwicklungskomitees von Playa Ostional, einem Ort an der Pazifikküste des zentralamerikanischen Costa Rica. Auf Anordnung des Umweltministeriums MINAET (Ministerio de Ambiente, Energía y Telecomunicaciones) droht den mehreren hundert Bewohner*innen des seit drei Generationen bestehenden Ortes die Vertreibung, ohne dass ihnen ein Ersatzort zur Besiedlung angeboten wird.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat es das kleine Fischerdorf zu bescheidenem Wohlstand gebracht. Diesen verdankt es den Bastardschildkröten, die das ganze Jahr über einmal pro Monat zu zehntausenden an den Strand kommen, um ihre Eier im Sand zu vergraben. Schildkröteneier gelten in Mittelamerika als Delikatesse. In Playa Ostional kümmert sich die Gemeinschaft um deren Schutz und die kontrollierte Kommerzialisierung eines Bruchteils davon. „In einer Nacht vergraben die Schildkröten mehr als eine Million Eier. Die Gelege auf sieben Kilometern unseres Strandes rühren wir nicht an, nur auf dem achten Kilometer entnehmen wir einen Teil“, erläuterte Rojas. Rund 30 Prozent aus dem Erlös geht in das kommunale Projekt zur Bezahlung des Biologen und der Strandwächter, einer Rente für ältere Anwohner*innen, Stipendien für Schüler*innen und Sozialprojekte.

Das Problem von Ostional ist, dass sich der gesamte Ort in einer Zone von weniger als 200 Meter vom Strand entfernt befindet und sich laut der seit 30 Jahren bestehenden Umweltgesetzgebung nicht hier befinden darf. Die aktuelle Regierung des Friedensnobelpreisträgers Oscar Arias hat Durchgreifen angekündigt – in fünf dutzend Fischerdörfern mit mehr als 50.000 Einwohner*innen in ganz Costa Rica. „Das ist ein Skandal. Das Umweltministerium betreibt damit keinen Naturschutz, sondern eine Vertreibungspolitik zugunsten von touristischen Megaprojekten. Die Hügel hinter Ostional wurden von ausländischen Investoren aufgekauft, unser Dorf versperrt ihnen den direkten Weg zum Strand“, empört sich Rojas. Doch Ostional hat Verbündete, denn Wissenschaftler*innen der Universität von Costa Rica (UCR) begleiten das Schildkrötenprojekt und Gilberth Rojas hat bei mehreren Abgeordneten in der Hauptstadt San José vorgesprochen. Deshalb hat er auch Feinde. Bereits zweimal schoss ein Unbekannter aus dem Hinterhalt auf ihn, als er nachts als Schildkröteneier-Wächter am Strand patroullierte. Beim letzten Mal verletzte ihn eine Kugel am Bein, aber die Polizei schlug seine Anzeige wegen Nichtigkeit nieder.

Wer am Playa Pelada weniger Kilometer südlich spazieren geht oder in den natürlichen Pools an dem malerischen Pazifikstrand badet, ahnt nichts von der Verzweiflung der Fischergemeinde. Nur wenige Meter hinter einem Waldflecken leben sie hier seit über einem Jahrhundert. Die meisten Hütten sind heruntergekommen, denn das Umweltministerium verbietet ihnen, auch nur einen Nagel zur Reparatur einzuschlagen. „Für die Öffentlichkeit sind wir unsichtbar. Vielleicht haben wir uns bisher nicht laut genug beschwert“, sagte Harry Duarte Rojas, Sprecher der örtlichen Bürgerinitiative gegen die drohende Vertreibung. Auch ihnen wird kein Ausweichort zur Besiedlung angeboten.

Was für ein Kontrast: Während die Einheimischen um ihre Existenz fürchten, leben die wohlhabenden Bewohner*innen eines umzäunten Luxusdomizils gleich nebenan unbehelligt. Vor weniger als zwei Jahren erhielten die finanzstarken US-Investoren die Baugenehmigung für das Anwesen „Las Palmas“, neue Gebäude sollen entstehen, direkt neben den Hütten der Alteingesessenen. Das Beispiel belegt, dass in Costa Rica mit zweierlei Maß gemessen wird und das Umweltministerium bei Großinvestoren nicht nur beide Augen zudrückt, sondern ihnen auch bei der Vertreibung unliebsamer Nachbar*innen hilft. Fischer berichten, dass sie von Patroullen des Ministeriums mit vorgehaltener Flinte daran gehindert werden ein undichtes Dach zu reparieren, während nur fünf Meter weiter die Eigentümer*innen von „Las Palmas“ unbehelligt den gesamten Wald im gleichen Schutzgebiet roden konnten, damit die Residenzen Meeresblick haben.

„Die Vertreibung der Küstenbewohner*innen ist ein Beispiel für die politische Realität der Regierung Arias“, sagte Gabriel Rivas von der Umweltschutzorganisation „Amigos de la tierra“. Diese gebe sich einen ökologischen Anstrich, indem sie Projekte wie „Frieden mit der Natur“ initiiere. Für die Umweltschützer*innen ist das nicht mehr als eine Fassade für eine soziale und ökologische Kahlschlagpolitik im Interesse von Konzernen und Großinvestoren.

(vgl. auch den gleichnamigen Audiobeitrag im Rahmen der Kampagne “Knappe Ressourcen? Gemeinsame Verantwortung” des NPLA: http://www.npla.de/onda/content.php?id=912)

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