200 tödliche Arbeitsunfälle unter der Bachelet–Regierung und brutale Repression gegen Bau– und Holzarbeitergewerkschaft

von Andrés Figueroa Cornejo

(Fortaleza, 02. Oktober 2009, adital).- Interview mit Alexis González (Präsident des Verbandes der Holz– und Bauarbeiter*innen)

Ein Faktum, über das die chilenische Presse schweigt. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass sie zu fast 100 Prozent von den Reichen und Mächtigen kontrolliert wird. Wer jedoch am Mittwoch den 30. September gegen 18 Uhr durch die Avenida Vicuña Mackenna zwei Blocks entfernt von der Plaza Alameda kam, konnte eine spektakuläre Aktion beobachten: Mit Klettergurten hatten sich Delegierte und führende Mitglieder des Bundes der Bau– und Holzarbeiter Fetracoma (Federación Nacional de Trabajadores de la Construcción y la Madera) an einer Leuchtreklame befestigt, um auf die skandalöse Sicherheitslage im Bau– und Holzverarbeitungssektor aufmerksam zu machen.

Alexis González, der 32–jährige Präsident der Fetracoma, ist mit der aktuellen Situation des Sektors bestens vertraut. Von den etwa 600.000 Werktätigen im Bereich Bau und Holzverarbeitung haben über 10 Prozent aufgrund der weltweiten ökonomischen Krise ihre Arbeit verloren. Der Monatslohn liegt bei etwa 300.000 Pesos (ca. 362 Euro), etwa 70 Prozent der Beschäftigten arbeiten jedoch als Tagelöhner*innen, und deren Verdienst ist mit 160.000 Pesos (ca. 194 Euro) noch deutlich niedriger.

Adital: Wie sind die Arbeitsbedingungen in Chile? Gonzáles: In den letzten sechs Jahren haben wir etliche Beschwerdebriefe an Ministerien, Regierungsbehörden und sogar an den Unternehmerverband in der Chilenischen Kammer für das Baugewerbe geschickt, um auf die absolut prekäre Sicherheitslage in unserem Sektor aufmerksam zu machen, aber wir haben nicht eine einzige Antwort erhalten. Hier werden nicht mal die grundlegendsten Sicherheits– und Hygienebestimmungen eingehalten. Wir bekommen auch keinerlei Sicherheitsausrüstung gestellt. Unter der Regierung Bachelet gab es bisher 200 tödliche Arbeitsunfälle. Das sind viel mehr als in Argentinien, Uruguay oder Brasilien. In den letzten vier Jahren wurden 2.000 Arbeitsunfälle gemeldet. Die Opfer sind immer zwischen 30 und 40 Jahre alt. Und das sind nur die offiziellen Angaben des Arbeitsministeriums. Stell dir mal vor, wie hoch die Zahl dann in Wirklichkeit ist.

F: Was meinst du damit? A: Wenn du einen Arbeitsunfall hast, sorgt der Chef in der Regel dafür, dass sich die Krankenhäuser oder die öffentlichen oder privaten Gesundheitszentren darum kümmern, dass du nicht in der Statistik erscheinst. So spart er nämlich Geld. Wenn jemand während der Arbeit einen Unfall hat, muss die Produktion bzw. der Betrieb eigentlich gestoppt werden. Das passiert aber nicht. Der Kollege oder die Kollegin hatte einen Unfall, ist vielleicht sogar tot, und der Rest arbeitet weiter. So sieht die Realität aus. Eigentlich müssten sich an dieser Stelle die Kolleginnen und Kollegen von der Arbeitssicherheit einschalten. Aber die Unternehmensleitung lässt sie nicht, und wer sich darüber hinwegsetzt, gefährdet unmittelbar seinen Job.

F: Was passiert, wenn jemand einen schweren oder sogar tödlichen Arbeitsunfall hat? A: Da sollten die Rentenfonds und Versicherungen eingeschaltet werden. Denn was die Unternehmen nach einem tödlichen Arbeitsunfall an die Familien zahlen, ist ein lächerlich geringer Betrag. Nehmen die Familien aber mit uns Kontakt auf, können unsere Anwälte in der Regel eine angemessene Entschädigung gerichtlich durchsetzen. Einen tödlichen Arbeitsunfall betrachten wir als eine Ermordung des Arbeiters oder der Arbeiterin, für die der Unternehmer die Verantwortung trägt, weil er sich nicht ausreichend um die nötigen Sicherheitsvorkehrungen gekümmert hat.

F: Die Unfälle mit Todesfolge, welche sind das in der Regel? A: Zerquetschungen, Stürze und Stromschläge.

F: Welche Vorkehrungen müssen gegen diese Unfälle getroffen werden? A: Wir glauben, dass die Zahl der Unfälle sinken würde, wenn man die paritätischen Ausschüsse und die Präventionsexpertinnen und –experten einbeziehen würde. Was die Arbeitsinspektion macht, reicht nicht aus, viele der Prüferinnen und Prüfer haben einfach nicht genug Erfahrung. Manche machen ihren Job auch nicht ordentlich. Sie sehen nicht, unter was für gefährlichen Bedingungen wir zum Teil arbeiten, und manchmal übersehen sie es auch absichtlich, um nicht mit der Unternehmensleitung aneinander zu geraten, und manchmal sind sie einfach nachlässig.

F: Wenn ihr euch organisiert: Was sind die größten Schwierigkeiten, mit denen ihr zu kämpfen habt? A: Angriffe gegen Gewerkschaftsmitglieder und die so genannten „schwarzen Listen“. Wer sich gewerkschaftlich organisiert, muss mit physischen und psychischen Angriffen rechnen. Er oder sie wird versetzt, seine oder ihre vertraglichen Rechte werden untergraben. Sogar mit behördlicher, manchmal auch mit polizeilicher Unterstützung. Sogar bei legalen Streiks gehen sie brutal gegen uns vor.

F: Offiziell redet die Regierung aber doch von Arbeitsreformen, der Verbesserung kollektiver Verhandlungen und davon, dass es angeblich immer leichter wird, sich gewerkschaftlich zu organisieren. A: Der offizielle Diskurs der regierenden Concertación unterscheidet sich komplett von dem, was wirklich passiert. Als Frau Bachelet noch für das Präsidentschaftsamt kandidierte, hat sie uns versprochen, alles dafür zu tun, dass unsere Rechte unangetastet bleiben. Sie selbst hat behauptet, dass sie tief greifende Veränderungen einleiten würde, damit sich unsere Situation verbessert. Dessen ungeachtet werden wir Gewerkschaftsmitglieder weiterhin verfolgt und bedroht.

F: Am 30. September habt ihr im Zentrum von Santiago eine Aktion durchgeführt … A: Ja, nachdem wir sechs Jahre lang keine Antwort auf unsere Protestschreiben erhalten haben, hat die Leitung unseres Verbands beschlossen, dass wir nun zur Mobilisierung übergehen. Deshalb haben wir, ich und drei andere Gewerkschaftsanführer, uns mit unseren Klettergurten an einer Leuchtreklame befestigt, die in der Avenida Vicuña Mackenna in sechs Meter Höhe hängt. Da haben wir dann ein Transparent mit unseren Forderungen aufgehängt. Unten auf der Straße wurde die Aktion von weiteren Aktivisten, von Studenten und Unterstützerinnen und Unterstützern unseres Verbands begleitet. Das Ganze fand um achtzehn Uhr statt.

F: Was geschah dann? A: Nach 20 Minuten kam die Polizei, hat die Vicuña Mackenna abgeriegelt und schon mal 16 Personen gleich so auf der Straße festgenommen. Wir sind oben geblieben. Nach zwei Stunden kam die GOPE, die Spezialeinheit zur Sprengkörperentschärfung. Die haben dann unsere Sicherheitsleinen gekappt und gebrüllt, wir sollten uns auf die Straße fallen lassen. Und wie ich mich da so mit meinen Händen festhielt, meinte ein GOPE–Beamter zu mir, er würde mir mit einem Messer die Finger abschneiden. Keiner der Beamten hatte eine Plakette oder ein Namensschild. Währenddessen haben sie unsere Genossen in der Wanne zusammengeschlagen. Kaum war ich wieder am Boden, bekam ich gleich den ersten Schlag ab. Sie legten mir Handschellen an und schlugen weiter auf mich ein. Wir haben ihnen gesagt, dass wir Gewerkschaftsanführer sind und erklärten ihnen den Hintergrund unserer Aktion. Sie haben uns in ihre Wanne gezerrt und weiter auf uns eingedroschen, am meisten der Fahrer, mit einem Stock und mit Fäusten. Dabei haben sie uns immer wieder als „dreckige Arbeiter“ beschimpft und uns angebrüllt, wir hätten auch gar nichts anderes verdient als einen Minilohn, der gerade zum Überleben reicht. „Aber wir, wir sind das Recht und das Gesetz, und dieses wenden wir jetzt an“. Dabei haben sie uns weiter gefoltert. Vielen haben sie die Beine auseinander gerissen, um ihnen besser in die Eier treten zu können.

F: Haben sie euch auf die Polizeiwache gebracht? A: Ja, in das 19. Kommissariat in Providencia, da haben sie weiter auf uns eingeprügelt und immer wieder gerufen: „Ihr Scheiß–Indios! Zu mehr als Arbeitern werdet ihr es eh nie bringen“. Um drei Uhr morgens haben sie uns dann gehen lassen, mit einer Anzeige wegen schwerwiegender Erregung öffentlichen Ärgernisses.

F: Und was macht ihr jetzt? A: Unsere Anwälte prüfen die Klagen, die wir einreichen werden. Wir lassen uns jedoch nicht einzuschüchtern. Wir werden weiter mobilisieren und weiter protestieren, auch wenn die Regierung uns ignoriert und die, die die Medien kontrollieren, unser Anliegen totschweigen wollen. Unsere Geduld ist definitiv am Ende. Wir wissen, dass diese Regierung die Unternehmer schützt und die Arbeiter sterben lässt. Wir werden erst Ruhe geben, wenn sich hier ganz gehörig was verändert und wir nicht mehr unter ihrer Ungerechtigkeit leiden müssen. Ein besseres Leben können wir nur erreichen, wenn wir eine starke Organisation haben. Wir müssen die Angst überwinden und für unsere Rechte kämpfen, für die Rechte, die uns vorenthalten werden.

(Der Autor ist im Verband der Arbeiter*innen für den Sozialismus)

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