„Wir müssen wieder Vertrauen haben können“

(Tegucigalpa, 1. Dezember 2021, npla).- Nach den Präsidentschaftswahlen im mittelamerikanischen Honduras deutet sich ein historischer Machtwechsel an. Den bisherigen Ergebnissen nach zu urteilen liegt die Linkskandidatin Xiomara Castro deutlich vor ihrem schärfsten Konkurrenten, Nasry Asfura von der seit 12 Jahren regierenden, rechtskonservativen Nationalpartei. Damit würde zum ersten Mal eine Frau Präsidentin von Honduras und zum ersten Mal die Linke die Regierung anführen. Castro, Ehefrau des 2009 weggeputschten Ex-Präsidenten Manuel Zelaya, hatte im Wahlkampf versprochen, Honduras tiefgreifend zu reformieren. Noch am Wahlabend erklärte sie sich zur Gewinnerin der Präsidentschaftswahlen: „Schluss mit den Todesschwadronen, Schluss mit Machtmissbrauch, der Korruption, dem Narcotráfico, dem organisierten Verbrechen. Schluss mit der Armut und dem Elend in Honduras“, so Xiomara Castro.

Die Wahl galt auch als Abstimmung über die acht Regierungsjahre von noch-Präsident Juan Orlando Hernández. Von seinem wirtschaftsliberalen Kurs hat eine kleine Elite enorm profitiert, aber rund 70 Prozent der Menschen in Honduras leben unter der Armutsschwelle. Vor Bandengewalt und Perspektivlosigkeit fliehen vor allem junge Menschen in Scharen aus dem Land. Olivia Paz aus der Stadt Progreso im heißen, industrialisierten Nordosten des Landes, hat von hohen Preisen, Korruption und Kriminalität genug und deswegen die Opposition gewählt: „Die Situation ist sehr hart, die Preise der Grundlebensmittel sind in der letzten Zeit enorm gestiegen.“ Viele Leute könnten das einfach nicht mehr zahlen. Einer ihrer Söhne wolle fortgehen, in die USA oder nach Spanien, weil er hier keine Arbeit finde. Hinzu kämen die Überfälle: „Vor kurzem haben sie hier meine Tochter überfallen, am Tor zu unserem Haus. Die Situation ist total verkorkst!“.

Die Corona-Pandemie hatte den Ruf der seit 12 Jahren regierenden und nun abgewählten, rechtskonservativen Nationalpartei weiter beschädigt, Millionen internationale Hilfgelder versickerten, das öffentliche Gesundheitssystem war schon vor der Pandemie durch die grassierende Korruption ausgeblutet. Honduras hat lateinamerikaweit mit die geringste Impfquote (39%), nur Guatemala und Bolivien stehen schlechter da.

„Seit dem Staatsstreich 2009 wurden die Räume der Teilhabe immer weiter beschnitten.“

José Ramón Ávila, Leiter eines Bündnisses von 25 NGOs, hält die Jahre unter Juan Orlando Hernández für besonders schlimm, erinnert aber daran, dass der autoritäre Neoliberalismus Honduras schon deutlich länger im Griff hat. Nach dem verheerenden Hurricane Mitch im Jahr 1999 seien unter dem Vorwand des nationalen Wiederaufbaus Honduras dem internationalem Kapital quasi unreguliert geöffnet worden: „Das war der Beginn des ungezügelten Neoliberalismus. Seit dem Staatsstreich 2009 wurden die Räume der Teilhabe immer weiter beschnitten.“ In der Folge seien Indigene Gruppen aus ihren Territorien vertrieben worden, Frauen hätten immer weniger Möglichkeiten für Studium und Arbeit gehabt. Besonders fatal seien die ZEDES, die sogenannten Sonderentwicklungszonen, sagt Ávila: „Die Unternehmen, die sich dort ansiedeln, sind nicht nur von Steuern befreit, sie übernehmen auch die politische, polizeiliche und richterliche Kontrolle.“ Dieses Modell werde schon seit Jahren auch sicherheitspolitisch vorbereitet und abgesichert: „Da wurde über Jahre ein repressiver Apparat geschaffen, der gegen Proteste und Demonstrationen der Menschen vorgehen kann.“

Martha Dubón Acosta von der Nichtregierungsorganisation Jueces por la democrácia, Richter*innen für die Demokratie, zeichnet ebenfalls ein düsteres Bild von Honduras: Die Staatsgewalten seien nicht mehr unabhängig, alle Macht sei de facto beim Präsidenten konzentriert. Die einfache Bevölkerung habe fast keinen Zugang mehr zur Justiz, die Menschenrechtsverletzungen hätten zugenommen. Dazu gehörten Vertreibungen von Gemeinden, dort wo zum Beispiel Bergbaukonzerne aktiv sind. Das könne eine neue Regierung nicht von heute auf morgen reparieren, räumt die Aktivistin ein, „aber zumindest könnten wir Stück für Stück den Rechtsstaat wiederherstellen. Die Menschen müssen wieder Vertrauen in ihre Institutionen haben können. Wir müssen diese Narcodiktatur, die Honduras regiert, besiegen.“

Die Spielräume der neuen Regierung sind begrenzt

Mit dem Wahlsieg Xiomara Castros ist dafür ein erster Grundstein gelegt. Sie hatte unter anderem angekündigt, eine Neuauflage der MACCIH ins Land zu holen. Das Mandat dieser früheren UN-Sonderermittlungskommission gegen Korruption und Straffreiheit in Honduras hatte Juan Orlando Hernández im letzten Jahr auslaufen lassen – kein Wunder, stand sie doch seinen eigenen Interessen entgegen. Für die von der Linkspartei Libre versprochenen tiefgreifenden sozialen, Wirtschafts- und Justizreformen kommt es nun auf die Zusammensetzung des ebenfalls neugewählten Kongresses an.

Der Analyst Elvin Hernández gibt allerdings zu bedenken, dass die Spielräume der neuen Regierung begrenzt sind: „Das Problem ist, dass die Nationalpartei vollkommen zerrüttete Staatsfinanzen hinterlässt.“ Die öffentliche Hand sei mit 16 Milliarden US-Dollar verschuldet und die Korruptionsnetzwerke würden nach Kräften alle Reformen sabotieren.“Aber die Menschen wollen einen Wandel, sie brauchen Jobs und zu Essen – da muss die neue Regierung irgendwie liefern. Der große Unterschied ist: Es gibt endlich wieder Hoffnung.“ Die Regierung Xiomara Castro werde die Wasser- und Bergbaukonzessionen, sowie die Modellstädte überprüfen und scher auch mit den USA reden, um frisches Geld zu bekommen – auch mit dem Argument, dass dann die großen Flüchtlingskarawanen Richtung Norden weniger würden.

Die Hoffnung und der Mut, sich einzubringen, scheinen zurückgekehrt zu sein

Zunächst einmal aber ist die große Mehrheit in Honduras überglücklich, dass die Herrschaft der Nationalpartei vorbei ist. Auch die Hauptstadtregion wird zukünftig links regiert. Nataly Ventura freut sich über den Machtwechsel. Die 23-Jährige engagiert sich in ihrem Gemeindezentrum in der Jugendarbeit und sieht Honduras am Scheidepunkt: „Wir stecken in einer sozialen, ökologischen und politischen Krise. Wir werden von ausländischen Konzernen ausgebeutet, die Regierung kungelt mit ihnen und dem organisierten Verbrechen. Die Konflikte um die Territorien sind immer heftiger geworden. Mich begeistert, wie viel Mut die Menschen haben, wieviel sie auf sich nehmen, um Veränderungen zu erkämpfen. Vor allem wir Jungen spielen hier eine wichtige Rolle. Bisher haben viele junge Menschen nur die Alternative gesehen, das Land zu verlassen. Aber wir haben viel Kraft und Kreativität, wir müssen uns einbringen, uns organisieren und Mitgestaltung einfordern.“

Die enorm hohe Wahlbeteiligung von fast 70 Prozent zeigt, dass viele Menschen abgestimmt haben, die bei den letzten zwei oder noch mehr Wahlen desillusioniert zu Hause geblieben sind. Für noch-Präsident Juan Orlando Hernández könnte es nun ungemütlich werden. Seit sein Bruder im März dieses Jahres in den USA wegen Drogenschmuggels zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, steht auch Juan Orlando Hernández wegen möglicher Drogengeschäfte im Visier der US-Staatsanwaltschaft. Die meisten Honduraner*innen würden große Genugtuung verspüren, sollte es zur Strafverfolgung ihres baldigen Ex-Präsidenten kommen. Selbst Martha Dubón Acosta von den Richter*innen für die Demokratie kann ihre Vorfreude kaum verbergen: „Da gibt es mehrere Spekulationen: Dass er sich in ein arabisches Land absetzt, wo er viele Beziehungen unterhält. Zuletzt hat sein Besuch in Nicaragua für Spekulationen gesorgt. Aber klar, die Bevölkerung hofft wohl aus tiefem Herzen, dass er sich in einem Gefängnis in den Vereinigten Staaten wiederfindet.“

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