Für Bolsonaro auf der Straße

(Berlin, 8. September 2021, taz).- Am Ende hatte es Jair Bolsonaro wieder einmal geschafft: Empörung auf der einen Seite, Begeisterung auf der anderen. Von einem Lautsprecherwagen aus brüllte Brasiliens Präsident am Dienstagnachmittag einer Menschenmenge zu, er werde nicht länger die Entscheidungen von Verfassungsrichter Alexandre de Moraes befolgen. Seine Geduld sei am Ende. Und dann rief er noch: „Ihr Penner, ich werde niemals eingesperrt werden!“

Zehnttausende waren am Dienstag 7. September, dem Unabhängigkeitstag Brasiliens, für „ihren Präsidenten“ auf die Straße gegangen. Viele Städte hatten sich seit den Morgenstunden in ein Meer aus Gelb und Grün gefärbt, den Nationalfarben Brasiliens. Auftakt des ultrarechten Protesttages machte ein Aufmarsch im Regierungsviertel der Hauptstadt Brasília. Seit Wochen hatten Bolsonaro-Anhänger*innen dahin mobilisiert. Viele Demonstrierende waren mit Buskolonnen aus anderen Bundesstaaten angereist.

Der zweite große Auflauf fand am Nachmittag in São Paulo statt, wo laut Polizeiangaben 125.000 Bolsonaro-Fans zusammengekommen sein sollen. Re­gie­rungs­ver­tre­te­r*in­nen feierten das als „historisch“, doch die Teilnehmerzahlen blieben hinter den Erwartungen zurück.

Das sieht auch der Geschichtsprofessor und Rechtsextremismusexperte Odilon Caldeira Neto so. „Bolsonaro präsentiert die alternative Realität, dass die Mehrheit der Bevölkerung ihn unterstützt“, sagt Neto der taz. „Aber heute haben wir gesehen, dass dieses Narrativ nicht mit den Bildern der Straße zusammenpasst.“

Schilder auch auf Deutsch – Verbindung zur AfD?

Brasilien taumelt von einer Krise zur nächsten. Immer mehr Menschen machen Präsident Bolsonaro für das Chaos im Land verantwortlich. In den Umfragen für die Wahl 2022 liegt er abgeschlagen hinter Ex-Präsident Lula. Doch der Politrowdy gibt sich kämpferisch und geht in die Offensive.

Mit den demokratischen Institutionen befindet er sich im Dauerkonflikt. Insbesondere mit dem Obersten Gerichtshof hatte sich der Pöbel-Präsident in den letzten Wochen heftige Schlagabtausche geliefert. Viele Demonstrierende trugen am Dienstag Schilder bei sich, die eine Schließung des Gerichtshofes und die Haft von Rich­te­r*in­nen forderten. Andere forderten ganz ungeniert eine Militärintervention.

Was zudem auffiel: Viele Slogans auf Schildern waren in anderen Sprachen verfasst, etliche auch in deutsch. Es ist davon auszugehen, dass das mit den Treffen zwischen AfD-Politiker*innen und brasilianischen Rechtsradikalen zusammenhängt.

Bolsonaro ließ sich in Brasília und São Paulo feiern wie ein Popstar. Während die Anfeindungen gegen einzelne Richter bei seinen fanatischen Fans gut ankamen, werten viele seine Ankündigung, nicht länger die Entscheidungen von Richter Moreas zu befolgen, als offenen Bruch mit dem Rechtsstaat.

Stete Destabilisierung der Demokratie

„Die Aussage war eine Ansage an seine treusten Anhänger“, meint der Historiker Neto. „Bolsonaro betreibt eine konstante Radikalisierung. Immer, wenn es politisch eng für ihn wird, muss er den Ton erhöhen. Das klappt besonders gut mit solchen antidemokratischen Aussagen.“

Nicht nur Linke äußerten scharfe Kritik an Bolsonaros Rede. Die Mitte-Rechts-Partei PSDB will nun diskutieren, ein mögliches Amtsenthebungsverfahren zu unterstützen. Doch es ist unwahrscheinlich, dass es soweit kommt. Bolsonaro hat immer noch genug Rückendeckung im Kongress, um solch ein Verfahren abzuwenden.

Vor den Protesten wurde wild über mögliche Gewaltakte spekuliert. Nicht wenige vermuteten Bilder wie am 6. Januar in Washington, als Unterstützer von Ex-Präsident Donald Trump den Kongress stürmten. Zwar gab es zu vereinzelten Auseinandersetzungen, doch insgesamt blieb es friedlich.

Im Vorfeld war zudem angeregt über einen von Bolsonaro orchestrierten Staatsstreich debattiert worden. Der Experte für Rechtsextremismus, Neto, meint, dass man nicht damit rechnen sollte, dass an einem Tag „der Putsch“ passiere. Bolsonaros Destabilisierung der Demokratie sei ein Prozess. „Er zweifelt konstant die Durchführbarkeit der Wahlen an, bedroht die Sicherheit der Institutionen und radikalisiert den Diskurs.“

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