Der Pakt der Korrupten schlägt zurück

(Berlin, 13. Oktober 2022, npla).- Wenn es in Zentralamerika um autoritäre Regierungen, willkürliche Verhaftungen und systematisches Beschneiden demokratischer Räume geht, stehen vor allem Nicaragua und El Salvador am Pranger. Was sich aber seit Jahren in Guatemala abspielt, ist ähnlich besorgniserregend: Ein sogenannter Pakt der Korrupten hat ein System von Straflosigkeit etabliert, bereichert sich und geht rabiat gegen Kritiker*innen und Feindbilder vor. Aktivist*innen vor Ort fordern Sanktionen und ein Bewusstsein für die Mitschuld von Akteur*innen aus dem Globalen Norden.

Die Soziologin Alba Patricia Hernández Soc lebt und arbeitet in Mexiko, geboren ist sie allerdings in Guatemala. Als Kind musste sie in den 1980er Jahren vor der Militärdiktatur ins nördliche Nachbarland fliehen. Die Situation Guatemala beschreibt sie heute so: „Wir haben einen Staat, in dem die großen, vor allem transnationalen Unternehmen, Bergbau-, Agrar-, Wasser- und Energiekonzerne, das Land in Beschlag genommen haben. Sie haben hier ein Labor geschaffen, in dem sie mit dem organisierten Verbrechen und der Regierung das Land ausplündern, indigene Gemeinschaften vertreiben, Oppositionelle kriminalisieren. Alles unter dem Schein angeblicher Legalität, um diese Großprojekte voranzutreiben.“

Kommission gegen Straflosigkeit wurde aus dem Land geworfen

Dabei war Guatemala auf einem guten Weg. 2006 wurde mit Unterstützung der UNO eine Internationale Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala gegründet. Die CICIG deckte Korruptionsfälle auf und brachte mächtige Politiker*innen, Beamte und Geschäftsleute vor Gericht. Die Verhaftung des damaligen Präsidenten Otto Pérez Molina und seiner Vizepräsidentin Roxana Baldetti im Jahr 2015 sorgte für Fassungslosigkeit und Jubel.

Aber dieser Höhepunkt war auch ein Wendepunkt: Mächtige Gruppen, die an der Korruption gut verdient hatten, schlossen einen Pakt der Korrupten, von dem heute so viel die Rede ist: Politiker*innen, Beamte, Ex-Militärs, Kriminelle, im reaktionären Unternehmerverband CACIF organisierte Geschäftsleute, die alten, schwerreichen und vor allem weißen Eliten des Landes. Der Plan: Die Untersuchungskommision CICIG aus dem Land zu werfen. Das gelang 2019 unter Ex-Präsident Jimmy Morales, den die CICIG selbst der Korruption bezichtigte. Seither blüht die Korruption wieder ungefährdet.

Besonders die Corona-Pandemie habe das Niveau von Korruption und Amtsmissbrauch nach Ansicht von Claudia Méndez Arriaz allen vor Augen geführt. Méndez ist Chefredakteurin der Multimedia-Plattform ConCriterio. Die Regierung habe über Hilfsgelder zwar alle Mittel zur Hand gehabt, um den Schutz der Bevölkerung zu organisieren. Stattdessen seien aber Unsummen versickert, berichtet sie. Die Regierung habe unter absolut undurchsichtigen Umständen den Impfstoff Sputnik-V aus Russland bezogen, obwohl Fachleute des Gesundheitsministeriums sich für die Impfstoffe der Firmen Moderna und Pfizer ausgesprochen hätten. Unabhängige Medien haben außerdem aufgedeckt, wie Vertreter*innen der Regierungsallianz hohe Geldsummen aus dem Corona-Budget geraubt haben. Der an Covid erkrankte Kongressvorsitzende Allan Rodríguez ließ sich in einem eigens für ihn abgesperrten Teil des Militärhospitals behandeln, während die Krankenhäuser überfüllt waren und viele Menschen keine Hilfe bekamen.

Belange der indigenen Gemeinschaften werden bei Wirtschaftsvorhaben übergangen

Gleichzeitig drückt auch die Regierung Giammattei Megaprojekte gegen den Protest der betroffenen Bevölkerung und unter Missachtung der ILO-Konvention 169. Das auch von Guatemala im Jahr 1996 ratifizierte Übereinkommen garantiert indigenen Communities das Recht, über „Consultas“ genannte Befragungen über solche Projekte mitzuentscheiden und an der Nutzung, Bewirtschaftung und Erhaltung von Ressourcen beteiligt zu werden. Stattdessen gingen Sicherheitskräfte mehrfach gegen Anwohner*innen der Nickelmine des russisch-schweizerischen Solway-Konzerns am Izalbal-See vor, die gegen die massiven Umweltauswirkungen protestierten, mehrere Aktivist*innen, aber auch der Journalist Carlos Choc wurden bedroht und strafrechtlich verfolgt. Das Verfassungsgericht annullierte erst im September das negative Votum indigener Gemeinschaften gegen das Goldbergbauprojekt Cerro Blanco in der Provinz Jutiapa. Auch das Gericht selbst gilt als „kooptiert“ und von oligarchischen Interessen dominiert. Angesichts der geringen Förderabgaben, die transnationale Unternehmen für Bergbauaktivitäten an den guatemaltekischen Staat zahlen, steht immer wieder der Verdacht massiver Korruption im Raum. Die Missachtung indigener Belange durch den guatemaltekischen Staat und die guatemaltekische Oligarchie hat außerdem jahrzehntelange Tradition.

Mit dem Ende der CICIG begann die Verfolgung von Justizmitarbeiter*innen, die sich gegen die Korruption engagiert hatten. Juan Francisco Sandoval, der entlassene ehemaligen Leiter der Sonderstaatsanwaltschaft gegen Straflosigkeit, floh ins Exil, ebenso Thelma Aldana, die ehemaligen Generalstaatsanwältin. Die heutige Generalstaatsanwältin Consuelo Porras gilt als wichtiger Baustein im Pakt der Korrupten. Alba Hernández Soc erregt sich darüber, dass Porras ist im Mai dieses Jahres sogar wiedergewählt worden sei, obwohl gegen sie in vielen Fällen von Korruption ermittelt wurde und obwohl ihre Master- oder Doktorarbeiten Plagiate waren. Porras habe ihre Amtszeit genutzt, um Ermittlungen in Korruptionsfällen zu behindern und habe ihre Machtposition zur Verfolgung von Regierungskritikern missbraucht.

Massive Angriffe auf Kritiker*innen in sozialen Netzwerken

Ein System der Einschüchterung sei in Guatemala wiederauferstanden, sagt Ben Kei Chin, Journalist, Satiriker und LGBTIQ+-Aktivist. Es sei kaum noch möglich, gegen Amtsträger zu recherchieren und ermitteln, oder sich auch nur positiv über die Arbeit der ehemaligen CICIG zu äußern: „Wenn Du das trotzdem tust, dann wirst Du mit Tausenden Bots und Trolls überschwemmt, Du wirst in sozialen Netzwerken massiv attackiert, es wird begonnen, deine Integrität in Zweifel zu ziehen. Und die Justiz ist nicht auf der Seite derer, die den Rechtsstaat verteidigen.“

Ende Juli 2022 konnten die Menschen live im Fernsehen die Razzia im Haus von José Rubén Zamora miterleben, dem Herausgeber der Tageszeitung El Periódico. Porras‘ Staatsanwaltschaft beschuldigt ihn der Geldwäsche. Zamora beteuert seine Unschuld. Er würde politisch verfolgt, weil seine Zeitung über Korruptionsvorwürfe gegen Präsident Alejandro Giammattei berichtete. Der soll sich unter anderem internationale Hilfsgelder zur Pandemiebekämpfung unter den Nagel gerissen haben. Das war vielleicht ein Schritt zu weit: Nach der Verhaftung des Journalisten gab es landesweit wütende Demonstrationen und auch aus Europa Protest.

Queerfeindlichkeit als neue Ausprägung eines korrupten Autoritarismus

Der Pakt der Korrupten verfolgt nicht nur kritische Menschen. Er suche sich auch neue Sündenböcke, warnt Ben Kei Chin: In den letzten Jahren habe der korrupte Autoritarismus einen Verbündeten im politischen Moralismus gefunden. Er benutze die Religion, um Gefühle zu manipulieren: „Wie früher mit den Kommunisten wird wieder ein interner Feind ausgemacht. Heute sind es queere Menschen und Menschen, die nicht den klassischen Familienbegriff repräsentieren. Das dient dazu, die Plünderung zu verschleiern, die die korrupte politische Klasse am Staat betreibt“. Zur Freude evangelikaler Kirchen und reaktionärer Kreise beschloss der Kongress im Frühjahr ein polemisches Gesetzesvorhaben: Es soll Abtreibung unter extreme Strafen stellen und die Öffnung der Ehe und die Erwähnung sexueller Vielfalt im Schulunterricht verbieten. Auch unter dem lauten, von Frauen- und LGBTIQ+ geführten Protest legte Präsident Giammattei am Ende sein Veto gegen das Gesetz ein, aber es kann jederzeit vom Kongress neu aufgelegt werden. Die Polemik war über Monate so groß, dass die Aushöhlung der Demokratie, die politische Verfolgung und das Ausplündern der Staatsfinanzen darüber in den Hintergrund traten. Ben Kei Chin sieht da durchaus Parallelen zu den Entwicklungen in Ungarn, Polen oder Russland.

Ohne Druck aus dem Ausland wird sich in Guatemala wenig ändern

Seit dem Ende der CICIG fühlen sich Guatemalas Politikerklasse, Beamte und die Elite wieder sicher, plündern wieder zunehmend schamlos öffentliche Finanzen, verscherbeln die Rohstoffe des Landes an transnationale Konzerne und beuten Arbeiter*innen aus. Strafverfolgung haben sie kaum zu befürchten. Das liegt auch am wenig ernstzunehmen Druck aus Europa und den USA, die sich für das Ende des jahrzehntelangen Konflikts und für eine rechtsstaatliche Zukunft Guatemalas lange eingesetzt haben. Wie die Journalistin Claudia Méndez fordern viele in Guatemala von Europa und den USA schärfere Maßnahmen. Nur der gemeinsame Druck aktivistischer Gruppen vor Ort und Sanktionen aus dem Globalen Norden könne dem Pakt der Korrupten in Guatemalas noch Einhalt gebieten.

Noch ist allerdings Widerstand möglich: Seit Monaten streiken die Student*innen der San Carlos, der wichtigsten Universität Guatemalas. Sie protestieren gegen den mutmaßlichen Betrug bei der Wahl der Universitätsleitung, mit der die Regierung einen mit ihr verbündeten Rektor durchsetzen wollte. Damit wolle die Regierung einen der wichtigsten Orte des freien Denkens und der Kritik unter ihre Kontrolle bringen. Viele Menschen sehen die Vorgänge an der Universität San Carlos als ein Abbild der gesellschaftlichen Lage an sich. Vorbeifahrende Autos hupen, um die Studierenden zu unterstützen. Demonstrationen gegen die Regierung, gegen Korruption und für indigene oder LGBTIQ+-Rechte und die Pressefreiheit sind trotz der zunehmenden Verfolgung weiterhin an der Tagesordnung. Ohne Druck aus dem Ausland, explizit aus den USA, Kanada und Europa, wird sich an dem System Guatemala wenig ändern. Alba Patricia Hernández Soc zweifelt da am Willen des Globalen Nordens. Denn der Hunger des Nordens nach billigen Rohstoffen sei ungebremst und komme einer zweiten Kolonisierung Guatemalas und vieler anderer Länder der Region gleich.

Hier findet ihr den Audiobeitrag zum Thema bei Radio onda

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