Wir dokumentieren: Colonia Dignidad – Urteil wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung

(Santiago de Chile 30. Dezember 2016, fdcl).- Siebzehn Jahre nach dem Einreichen einer Strafanzeige wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung hat der chilenische Oberste Gerichtshof am 29.12. das letztinstanzliche Urteil verkündet: Drei ehemalige Führungsmitglieder der Colonia Dignidad und zwei Mitglieder des chilenischen Geheimdienstes DINA wurden zu jeweils fünf Jahren und einem Tag Haft verurteilt. Vier weitere Mitglieder der deutschen Sekte wurden freigesprochen. Diese hatten den Anführer Paul Schäfer von 1997-2005 in seinem Leben im Untergrund in Argentinien begleitet und unterstützt.

Der Oberste Gerichtshof erhöhte in seinem Urteil die in erster und zweiter Instanz verhängten Haftstrafen von vier Jahren um eines auf fünf Jahre. Daher wird Karl van den Berg – ehemaliges Führungsmitglied der Colonia Dignidad und holländischer Staatsbürger – seine Haftstrafe im Gefängnis von Cauquenes antreten müssen. Dort befinden sich die nun mit ihm verurteilten Kurt Schnellenkamp und Gerhard Mücke bereits in Haft, aufgrund einer Verurteilung aus dem Jahr 2013 wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch. Auch die nun verurteilten DINA-Agenten Pedro Espinoza Bravo und Fernando Gomez Segovia befinden sich bereits in Haft. Sie sitzen im Sondergefängnis für Militärs Punta Peuco in Santiago ein.

Ursprünglich hatte Richter Jorge Zepeda im April 2006 achtzehn Personen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Darunter waren 14 Bewohner*innen der Colonia Dignidad und vier Führungsmitglieder der DINA. Während der langen Verfahrensdauer verstarben sechs der Angeklagten. Drei entzogen sich dem Verfahren durch Flucht nach Deutschland (Hartmut Hopp, Hans Jürgen Riesland und Albert Schreiber, letzterer inzwischen verstorben). Der ehemalige DINA-Agent Armando Fernández Larios lebt heute in einem Zeugenschutzprogramm in den USA.

Die kriminelle Vereinigung beging jahrzehntelang systematisch Verbrechen

Das letztinstanzliche Urteil belegt eindeutig und juristisch unanfechtbar, was schon seit vielen Jahren bekannt ist: Führungsmitglieder der Colonia Dignidad bildeten gemeinsam mit Agenten des chilenischen Geheimdienstes DINA sowie weiteren Personen eine kriminelle Vereinigung, die hierarchisch organisiert war und jahrzehntelang systematisch geplante Verbrechen beging. Zu diesen Verbrechen gehörten das Entführen, Foltern und Ermorden von Gegner*innen der chilenischen Militärdiktatur, die Herstellung von und der Handel mit Kriegswaffen, das Ruhigstellen von Sektenmitgliedern durch Psychopharmaka und Elektroschocks (schwere Körperverletzung) und der sexuelle Missbrauch. Die Colonia Dignidad und die DINA kooperierten eng. Beispielsweise installierten Sektenmitglieder die Funkanlagen in verschiedenen DINA-Dependancen. Auf dem Gelände der Siedlung wurden Folter- und Sprengstoffkurse für chilenische Agenten abgehalten. Die Colonia betrieb zudem ein umfangreiches geheimdienstliches Archiv, das 2005 bei Ausgrabungen gefunden wurde.

Opfervertreter*innen und Menschenrechtsanwält*innen zogen nach der Verkündung des Urteils eine gemischte Bilanz. Myrna Troncoso von der Angehörigenorganisation der Verschwundenen (AFDD) sagte: „Dies ist ein immens wichtiges Urteil, das leider sehr spät kommt. Die chilenische Justiz hat bislang nur die Spitze des Eisbergs der Verbrechen der Colonia Dignidad untersucht und bis heute kennen wir noch nicht einmal die Namen derjenigen, die in der Colonia Dignidad ermordet wurden. Wir wissen noch immer nicht, welche unserer Angehörigen dort ermordet wurden und wer sie umgebracht hat.“ Rechtsanwalt Hernán Fernández, der seit zwanzig Jahren Opfer der Colonia Dignidad vertritt äußerte: „Dutzende Verbrechen der Colonia Dignidad wurden bis heute nicht untersucht. Alle Taten müssen von der chilenischen und deutschen Justiz aufgeklärt und die Verantwortlichen bestraft werden. Dass Täter der Colonia Dignidad wie Hartmut Hopp heute in Deutschland straflos leben ist ein Skandal. Wir erwarten, dass auch die deutsche Justiz endlich ernsthaft ermittelt.“

Führungsmitglieder wurden in Deutschland bisher nicht strafrechtlich verfolgt

Hartmut Hopp war im Jahr 2011 vor der chilenischen Justiz nach Deutschland geflohen. Seitdem ermittelt die Staatsanwaltschaft Krefeld gegen Hopp wegen seiner möglichen Beteiligung an der Ermordung von chilenischen Diktatur-Gegner*innen, der Beihilfe zum sexuellen Missbrauch von Kindern und der schweren Körperverletzung durch medizinisch nicht indizierte Verabreichung von Psychopharmaka zur Ruhigstellung von Bewohner*innen der Colonia Dignidad. Eine Anklage wurde bislang nicht erhoben.

Parallel dazu hatte die chilenische Justiz 2014 beantragt, eine in Chile rechtskräftig gegen Hopp verhängte fünfjährige Freiheitsstrafe in Deutschland zu vollstrecken. Gegenwärtig prüft das Krefelder Landgericht diesen Antrag. Die überfällige Entscheidung wird in Chile und Deutschland mit Spannung erwartet. Sie könnte das Ende der in Deutschland herrschenden faktischen Straflosigkeit führender Mitglieder der Colonia Dignidad einläuten.

Das Urteil im Überblick

Verurteilt zu fünf Jahren und einem Tag Haft wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung wurden am 29.12.2016 von der zweiten Kammer des Obersten Gerichtshofs Chiles:

Karl van den Berg (Colonia Dignidad)

Gerhard Mücke (Colonia Dignidad)

Kurt Schnellenkamp (Colonia Dignidad)

Pedro Espinoza Bravo (DINA)

Fernando Gómez Segovia (DINA)

Freigesprochen wurden:

Rebecca Schäfer

Peter Schmidt

Friedhelm Zeitner

Matthias Gerlach (alle Colonia Dignidad)

Weitere im April 2006 Angeklagte waren:

Hartmut Hopp (2011 nach Deutschland geflüchtet)

Hans Jürgen Riesland (2003 nach Deutschland geflüchtet)

Albert Schreiber (2004 nach Deutschland geflüchtet, 2008 verstorben)

Paul Schäfer (2010 verstorben)

Gisela Seewald (2013 verstorben)

Gerd Seewald (2014 verstorben)

Renate Freitag (2015 verstorben) (alle Colonia Dignidad)

Manuel Contreras Sepúlveda (ehem. Chef der DINA, 2015 verstorben)

Armando Fernández Larios (DINA, lebt in den USA in einem Zeugenschutzprogramm)

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