Schmutzkampagne gegen die GIEI

Von Luis Hernández Navarro

(Mexiko-Stadt, 15. März 2016, La Jornada).- Die Schmutzkampagne gegen die Interdisziplinäre Gruppe Unabhängiger Expert*innen (GIEI) ist wie ein Kriminalroman, nur verkehrt herum. In den klassischen Werken des Genres findet ein Detektiv ein Verbrechen vor und muss den Täter ermitteln. Im „schmutzigen Krieg“ gegen die GIEI dagegen ist es umgekehrt. In diesem Krimi wurden zuerst die Verbrecher*innen ausgemacht und danach versucht, ihnen eine Tat anzuhängen.

Das Drehbuch ist eindeutig. Seit Wochen widmen sich die Organisatoren der Kampagne gegen die unabhängigen Expert*innen, die fachliche Hilfe bei der Suche nach den 43 verschwundenen Studenten von Ayotzinapa leisten, der Aufgabe, den GIEI-Mitgliedern alle möglichen Vergehen anzudichten. Sie benutzen eine „Schlamm-Maschine“, um in der Öffentlichkeit Falschinformationen und Halbwahrheiten über die Expert*innen und ihre Arbeit auszuwerfen.

Die Anschuldigen gegen diese prasseln tagtäglich wie ein Wasserfall. Ihre Professionalität wird genauso hinterfragt wie ihre Bezahlung. Sie werden als Kompliz*innen von Guerilleros dargestellt oder als Dauerreisende, die kaum Zeit in Mexiko verbringen. Sie werden als politische Aktivist*innen präsentiert, die die mexikanische Bundesregierung in Verruf bringen wollen. Beweise? Nicht nötig. Oder bei Bedarf erfunden.

GIEI demontierte die „historische Wahrheit“

Warum dieser Kreuzzug gegen die GIEI? Die Attacke begann am 6. September 2015. An diesem Tag legten die Expert*innen einen Bericht über ihre sechsmonatige Arbeit vor. Darin wurde die Lüge von der „historischen Wahrheit“ der Regierung aufgezeigt und belegt, dass die 43 Studenten von Ayotzinapa unmöglich auf der Müllhalde von Cocula verbrannt worden sein konnten. Die GIEI-Mitglieder zeigten den Behörden zudem neue Ermittlungslinien auf, deren Verfolgung die Geschehnisse aufklären könnten.

Vor dem GIEI-Bericht wurden kaum negative Meinungen über die Gruppe oder ihre Mitglieder in den Medien verbreitet. So gut wie niemand stellte ihre vorherige Arbeit oder ihre Berufserfahrung in Frage. Die erste Kritik kam in den letzten Augusttagen auf. Doch ab September wurde daraus eine wahre Schlammlawine. Kann der Zusammenhang deutlicher sein?

Das Epizentrum des Angriffs kam von Hardlinern des Staatsapparates. Die Kampagne griff aus den vulgärsten Patriotismus zurück. Sie versuchte, die ausländischen Expert*innen damit abzuqualifizieren, dass sie keine Mexikaner*innen sind. Die Kampagne bediente sich zudem der aus den tiefsten Kellern der mexikanischen Politik kommenden Figur von José Antonio Ortega Sánchez, Mitglied des ultrarechten Bundes El Yunque und Vorsitzender des Bürgerrates für Öffentliche Sicherheit und Strafjustiz e.V.

Hardliner wollen verhindern, dass das Militär befragt wird

Eine der Forderungen der GIEI, die die Hardliner des Staates besonders zur Weißglut brachte, war die, die Militärs des 27. Infanteriebataillons in ihrer Eigenschaft als direkte Zeugen der Vorgänge in Iguala am 26. und 27. September interviewen zu wollen. Die GIEI beabsichtigte keine gerichtliche Befragung, aber ein direktes Gespräch. Als der Staat vorschlug, dies solle die Generalbundesstaatsanwaltschaft übernehmen, stimmten die Expert*innen unter zwei Bedingungen zu: dabei anwesend sein zu können und die Möglichkeit zu Nachfragen oder erweiternden Fragen zu haben. Nach diesem Ersuchen intensivierten sich die Aggressionen und Verleumdungen gegen die Gruppe.

Interessanterweise hat José Antonio Ortega Sánchez, Erbe der Cristero-Bewegung und einer der offenkundigen Lenker des Kreuzzuges gegen die GIEI, häufig an Veranstaltungen teilgenommen, auf denen der Armee gehuldigt wird. Am 11. März 2015 war er in Militärkaserne Francisco Villa in der zehnten Militärzone bei einer Ehrung der mexikanischen Streitkräfte präsent. Am 28. Juni 2015 nahm er an einer Feierlichkeit teil, die die Sektion Nuevo León des Verbandes der Teilfertigungsindustrie (Index) für die Armee in deren Einrichtungen in der siebten Militärzone veranstaltete. Am 21. September desselben Jahres war es Ortega Sánchez selbst, der in der 25. Militärzone in Puebla die heroischen Taten der Militärs im Rahmen der Friedenskonstruktion in Mexiko würdigte. Tage später, am 30. Oktober, zählte er zu den Anwesenden eines Treffens zwischen dem kurz zuvor gewählten Bürgermeister von Cuernavaca, Cuauhtémoc Blanco, und dem geehrten Brigadegeneral des Generalstabs, Fausto Bautista Ramos, verantwortlich für die 24. Militärzone. Die Liste ließe sich fortführen.

Die GIEI befindet sich in einer entscheidenden Phase. Am 30. April endet ihr zweites Mandat. Alles deutet darauf hin, dass die Regierung trotz der Forderung der Eltern der Verschwundenen, die die Expert*innen weiter arbeiten sehen wollen, den Vertrag nicht erneuert.

Ayotzinapa: Örtlich begrenzte Aktion oder Staatsverbrechen?

Mit einer schnell ablaufenden Uhr wird sich in den kommenden sechs Wochen ein latentes Tauziehen entwickeln. Selbst wenn die „historische Wahrheit“ Schiffbruch erlitten hat, so versucht die Regierung dennoch, sie hochzuhalten. Bis jetzt haben die Expert*innen es geschafft, dieses Manöver zu verhindern. Gleichzeitig versuchen sie, den wirklichen Tathergang aufzuklären.

Aber abgesehen von der formelle Lösung dieser Episode um die Narration der Ereignisse: der weitere Fortgang der Ermittlungen bleibt umstritten. So wie die Fallakte angelegt wurde, laufen die Regierungsermittlungen darauf hinaus, die Nacht von Iguala als eine örtliche Aktion des organisierten Verbrechens zu präsentieren. Es gibt jedoch solide Elemente, die die juristische Schlussfolgerung erlauben, dass es sich um ein Staatsverbrechen handelt.

Das Festklammern der Regierung an ihrer Narration und die Schmutzkampagne gegen die GIEI werden für erstere weit höhere politische Kosten bedeuten als bisher schon entstanden sind. Auf internationaler Ebene wird die Eile, den Fall auf Teufel komm raus zu schließen und die Wahrheit nicht hervortreten zu lassen, nur die Zweifel bezüglich der Regierungsverantwortung bei dem Verbrechen vermehren. Wenn die Regierung die Aufklärung der Geschehnisse verweigert, wird Ayotzinapa die Funktionär*innen dieser Exekutive noch Jahre nach ihrer Ämteraufgabe verfolgen.

 

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