Poonal Nr. 728

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 01. August 2006

Inhalt


MEXIKO

GUATEMALA

HONDURAS

EL SALVADOR

COSTA RICA

PARAGUAY

BRASILIEN

ANDENLÄNDER


MEXIKO

Radiostation in Oaxaca beschossen

(Buenos Aires, 27. Juli 2006, púlsar).- Diemexikanische Gruppe des Weltverbands der Basisradios AMARC (Asociación Mundial de Radios Comunitarias en México) verurteilte den Angriff auf die Radiostation der Autonomen Universität Benito Juárez in Oaxaca in der Nacht des 22. Juli. Studenten der Universität und Mitglieder einer „Volksversammlung von Oaxaca“, die den Radiosender zur Unterstützung der seit Wochen in Oaxaca demonstrierenden Lehrer betreiben, zeigten an, dass etwa 20 Unbekannte die Einrichtungen des Radios beschossen hätten. Nach ihren Angaben könnten die Angreifer Verbindung zur Regierung des Bundesstaates Oaxaca von Ulises Ruiz Ortiz haben.

Der Angriff reiht sich ein in die gewalttätigen Übergriffe gegen Lehrer in Oaxaca Anfang Juni. AMARC-Mexiko erklärte gemeinsam mit Menschenrechtsorganisationen, dass sich das Universitätsradio zur wichtigsten Stimme der sozialen Bewegung in Oaxaca entwickelt habe, nachdem am 14. Juni während der Zwangsräumung der streikenden Lehrerschaft vom zentralen Platz der Stadt die Ausrüstung vom alternativen Radio Plantón zerstört worden war. Die Basisradio-Organisation ruft deshalb die Behörden in Oaxaca und auf Bundesebene auf, den Angriff gegen Radio Universität sowie die bisher ungestraften Vorkommnisse gegen die kämpfenden Lehrer unverzüglich und unparteiisch zu untersuchen.

Proteste für die Neuauszählung halten an

Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 31. Juli 2006, npl).- Menschenmassen weit und breit. Der Anfang Juli von der Wahlbehörde im mexikanischen Präsidentschaftsrennen mit nur 0,58 Prozent Rückstand zum zweiten Sieger erklärte Andrés Manuel López Obrador kann sich zumindest als unangefochtener Mobilisierungspräsident fühlen. Nur vierzehn Tage nach der letzten Großdemonstration gegen den vermuteten Wahlbetrug folgte am vergangenen Sonntag erneut weit mehr als eine Million Menschen aus dem ganzen Land seinem Aufruf. Der Platz der Verfassung im Zentrum von Mexiko-Stadt und die umliegenden Straßenzüge quollen über von Anhängern des sozialdemokratischen Oppositionskandidaten von der Partei der Demokratischen Revolution (PRD).

Bis das Bundeswahlgericht über die Anfechtung des Urnenganges vom 2. Juli und die PRD-Forderung einer erneuten Auszählung „Stimme für Stimme, Wahllokal für Wahllokal“ entscheidet, wird López Obrador in mehreren der 47 Protestcamps übernachten, die direkt nach der Großveranstaltung eingerichtet wurden. Die Camps sollen die 31 mexikanischen Bundesstaaten und die 16 Bezirke der Hauptstadt repräsentieren.

Fast zeitgleich mit der Rede des PRD-Manns trat sein Gegenspieler Felipe Calderón von der regierenden klerikal-konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) zur Audienz beim Bundeswahlgericht an. Die Wahlen würden nicht durch Mobilisierungen auf der Straße entschieden, die Bürger hätten in der „demokratischten Wahl“ der mexikanischen Geschichte ihre Stimmen abgegeben, so Calderón. Das Gericht müsse sie für gültig erklären und den Präsidenten verkünden. Er bestand darauf, alles sei „sauber und transparent“ abgelaufen. Dagegen erklärte sich López Obrador überzeugt: „Wir haben das Präsidentenamt gewonnen“. Er werde niemals anerkennen, dass „diese Wahl sauber, frei und unter gleichen Bedingungen stattfand“. Der frühere Hauptstadt-Bürgermeister versicherte jedoch, das Resultat zu akzeptieren und die Mobilisierungen abzubrechen, sollte sich Calderón mit der kompletten Nachzählung einverstanden zeigen. „Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu fürchten“, wiederholte er einen Seitenhieb, den der Kontrahent mit dem monotonen Verweis auf eine notwendige enge Gesetzesauslegung nicht richtig kontern kann.

Möglicherweise wird zumindest die Art der Wahlüberprüfung anders als von Calderón gewünscht auch von den Mobilisierungen auf der Straße entschieden. Denn die obersten Wahlrichter gelten im Gegensatz zur Wahlbehörde IFE vielen als sensibler und unabhängiger. Sie könnten sich, so hoffen die Obrador-Anhänger, angesichts der anhaltenden Proteste im Sinne des sozialen Friedens zu einer weitreichenden Gesetzesinterpretation entscheiden und der Forderung einer Neuauszählung entgegen kommen. Wichtige Hürden dafür hatte die Koalition aus PRD und zwei kleineren Parteien am Tag vor der Massenveranstaltung genommen. Der Gerichtspräsident ließ ihre Hauptanfechtungsklage zu. Zugleich gelang es den Oppositionsparteien offenbar, Unregelmäßigkeiten und Anomalien in 70.000 der insgesamt gut 130.000 Wahllokale soweit zu belegen, dass sie für eine gerichtliche Begutachtung in Betracht kommen.

GUATEMALA

Regierung erkennt Feminizide im Land an

(Guatemala-Stadt, 24. Juli 2006, cerigua).- Dass dieSicherheits- und Regierungsbehörden anerkennen, dass in Guatemala Frauenmorde weit verbreitet sind, sei ein Schritt hin zur Beseitigung dieser Verbrechen, denen in den letzten fünf Jahren mehr als 2.600 Frauen zum Opfer gefallen sind. Laut Hilda Morales vom Netzwerk gegen Gewalt an Frauen (Red de la No Violencia Contra las Mujeres) war in den vergangenen Jahren die Existenz dieses Feminizids nicht anerkannt worden. Das habe sich jedoch dank der Aufklärungsarbeit der guatemaltekischen Frauenbewegung geändert.

Morales hob hervor, dass der Staat seiner Bevölkerung – und hierbei vor allem den Frauen – Sicherheit bieten müsse. Frauen seien am stärksten von der im Land vorherrschenden Gewalt betroffen. Mehrfach hätten die Behörden behauptet, dass die meisten der ermordeten Frauen Verbindungen zu gewalttätigen Jugendbanden gehabt hätten, was jedoch noch nicht bewiesen sei. Abgesehen davon solle jedes Leben unabhängig von der Situation des Einzelnen respektiert werden.

Morales, die von amnesty international zur Gewissensbotschafterin ernannt wurde, unterstrich, dass es während des Besuchs von Mitgliedern der Interamerikanischen Menschenrechtskommission CIDH (Comisión Interamericana de Derechos Humanos), die in Guatemala vor kurzem ihre 125. Sitzungsperiode absolvierten, ausreichend Gelegenheit gegeben habe, um die Situation der guatemaltekischen Frauen bekannt zu machen. Mehrere Frauengruppen aus Zentralamerika hätten der Kommission einen Bericht über innerfamiliäre Gewalt in den Ländern der Region vorgestellt. Gewalt in den Familien sei einer der Faktoren, die zum Anstieg der Frauenmorde be
itragen würden. In diesem Jahr sind bereits 269 Frauen in Guatemala ermordet worden. Die meisten von ihnen kamen durch Schusswaffen zu Tode, ihre Körper wiesen Zeichen von Folter und sexueller Gewalt auf.

HONDURAS

Politische Gefangene freigelassen

(Lima, 26. Juli 2006, na).- DieMenschenrechtsorganisation amnesty international (ai) zeigte sich zufrieden über die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, der am 23 Juni die indigenen Aktivisten Marcelino und Leonardo Miranda freigesprochen hatte. Sie waren 2001 zu Unrecht des Mordes beschuldigt worden. Am 8. Januar 2003 wurden die Brüder Miranda, Mitglieder des Zivilen Rates Indigener Basisorganisationen COPINH (Consejo Cívico de Organizaciones Indígenas Populares), in der Gemeinde Planes in Montaña Verde im Südosten des Landes festgenommen. Sie wurden beschuldigt, Juan Reyes López im Jahr 2001 überfallen, verletzt und ermordet zu haben.

Die Brüder – von ai als politische Gefangene eingestuft – wurden im Dezember 2003 trotz Beweisen für ihre Unschuld zu 25 Jahren Haft verurteilt. Amnesty zufolge galt dies als eine Repressalie für den Versuch, die offizielle Anerkennung der Eigentumstitel der Ländereinen der Gemeinde zu erwirken.

EL SALVADOR

CIDH soll Fall von verschwundenen Mädchen untersuchen

(Fortaleza, 21. Juli 2006, adital).- MehrereOrganisationen beantragten bei der Interamerikanische Menschenrechtskommission CIDH (Comisión Interamericana de Derechos Humano), den Fall des Verschwindens der Schwestern Ana Julia und Carmelina Mejía Ramírez beim Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte vorzubringen. Der Staat El Salvador sei nicht nur für das Verschwinden der Mädchen verantwortlich, sondern habe es zudem abgelehnt, in dem Fall zu ermitteln und die Verantwortlichen zu bestrafen.

Das Menschenrechtszentrum CEJIL (Centro por la Justicia y el Derecho Internacional) und die Organisation „Pro Búsqueda“, die nach im Land verschwundenen Kindern sucht, beantragten eine Audienz vor der CIDH im Rahmen derer 125. außerordentlichen Sitzungsperiode in Guatemala. Die Mädchen, 15 und sieben Jahre alt, wurden während einer militärischen Operation im Norden des Departments Morazán am 13. Dezember 1981 von Soldaten verschleppt. Die Militärs waren Mitglieder des Bataillon Atlacatl. Die als „Operation Befreiung“ bekannte Operation stand im Zusammenhang mit dem Massaker von Mozote. Der Aufenthalt der Mädchen ist seither unbekannt.

Während der Audienz bestätigten die Klägerorganisationen, dass der Staat sowohl seine Verantwortlichkeit für das Verschwinden der Mädchen leugnete als auch die Existenz von Anordnungen, Jungen und Mädchen während des Bürgerkrieges verschwinden zu lassen.

Die beiden Organisationen argumentierten damit, dass der internationale Menschengerichtshof den salvadorianischen Staat im März 2005 dafür verurteilt hatte, dieser aber keine wirkliche Antwort über das Verschwinden von zwei anderen Mädchen, Ernestina und Erlinda Serrano Cruz, gegeben habe. Dem Gerichtshof würden verschiedene Zeugenaussagen und Gutachten vorliegen, in denen die Verantwortung des Staates bewiesen werde. Der Staat verneine jedoch diese Verantwortung.

Die Organisationen wiesen die Interamerikanische Kommission darauf hin, dass der salvadorianische Staat nicht wirklich etwas unternehme, um den Verbleib von Hunderten verschwundener Jungen und Mädchen aufzuklären, solange er auf seiner Nichtverantwortung beharre. Auch die Rechte der hinterbliebenen Familien würden nicht erfüllt. Deshalb sei es notwendig, dass der Fall vor den Interamerikanischen Gerichtshof gebracht werde.

COSTA RICA

Organischer Landbau soll gestärkt werden

Von Grettel Montero

(San José, 27. Juli 2006, voces nuestras-poonal.).- Vertreter aus Landwirtschaft, aus Gesundheitsbereichen, dem Unternehmertum sowie Akademiker und Regierungsbeamte trafen sich gestern (26. Juli) zu einem von der costaricanischen Bewegung für organische Landwirtschaft MAOCO (Movimiento de Agricultura Orgánica) organisierten „organischen Frühstück“. Dort war man sich darüber einig, dass die Gesetzesinitiative zur Entwicklung, Förderung und Ankurbelung der organischen Landwirtschaft (Ley para el Desarrollo, Promoción y Fomento de la Actividad Agropecuaria Orgánica) möglichst schnell verabschiedet werden soll. Das Wachstum des organischen Anbaus im Land sei zum Stillstand gekommen sei, was große Verluste sowohl für Produzenten als auch für Konsumenten darstelle.

Eva Carazo, Geschäftsführerin von MAOCO, erklärte, dass diese Gesetzesinitiative das Ergebnis eines Prozesses sei, der sich innerhalb der letzten drei Jahre unter Mitwirkung von Dutzenden Personen und indigenen Gruppen, Bauern und für die organische Landwirtschaft arbeitenden technischen Organisationen entwickelt habe. Auch wenn das Gesetzesprojekt schon im Abgeordnetenhaus angelangt sei und darauf warte, in der ersten Diskussionsrunde debattiert zu werden, bat das Produktionsministerium MIPRO (Ministerio de la Producción) MAOCO darum, Gespräche zu führen, um einige Artikel zu ändern.

Die Vertreterin des Ministeriums Gabriela Álvarez erklärte, dass „viele der Gesetzesinitiativen, die sich im Parlament befinden, überprüft werden, um zu garantieren, dass sie mit der neuen Vision des Ministeriums und der Zusatzagenda, die sich im Zusammenhang mit dem Freihandelsvertrag mit den USA entwickle, im Einklang sind“. Nach der Vorstellung der vom Ministerium vorgeschlagenen Änderungen kam es zu Reaktionen, die erkennen ließen, dass grundsätzliche Differenzen zwischen der Originalversion der Initiative und der vom Ministerium vorgeschlagenen Fassung bestehen.

Repräsentanten von Umweltorganisationen und Verbänden, die sich um die alternative Entwicklung in der Landwirtschaft bemühen, wie Red Coproalde, FECON, VECO und UNAG, waren sich darin einig, dass der Vorschlag des Ministeriums vor allem reglementierend wirke, während der ursprüngliche Sinn der Initiative darauf abziele, die organische Landwirtschaft anzukurbeln. Außerdem seien Maßnahmen vorgeschlagen worden, die mit dieser Produktionsweise nicht zu vereinbaren seien. So etwa der der Gebrauch von Chemikalien. Auch wurde in der geänderten Fassung nicht klar, dass sich die Nutzung genmanipulierter Substanzen auf keinen Fall mit organischer Landwirtschaft vertrage.

Abgeordnete und politische Berater der Partei Zivile Aktion (Partido Acción Ciudadana) und der Partei Nationale Befreiung (Partido Liberación Nacional) brachten ihre volle Unterstützung für die Gesetzesinitiative zum Ausdruck sowie ihr Vertrauen darüber, dass die aktuellen Verhandlungen zu guten Ergebnissen führen werden. Luis Sandí von Wal Mart sprach davon, dass es einen großen Markt für Konsumenten organischer Produkte gebe, sich das Angebot aber nicht vergrößere. Die Gesetzesinitiative sei wichtig, um die Produzenten, die bereits in diesem Bereich tätig seien, zu unterstützen und andere Bauern dazu zu bewegen, in die organische Landwirtschaft zu investieren.

PARAGUAY

Tausende Bauern besetzen und fordern Land

(Buenos Aires, 25. Juli 2006, púlsar).- Als Teileiner landesweiten Kampagne für eine umfassende Agrarreform demonstriert die Nationale Koordination von Bauernorganis
ationen (Mesa Coordinadora Nacional de Organizaciones Campesinas) seit nunmehr zwei Wochen mit Straßenbarrikaden, Demonstrationen und Besetzungen in sieben Departments des Landes. Mit der Absicht, Land, Kredite und eine Subvention für die Baumwollproduktion zu erhalten, erwarten die Demonstranten vom Präsidenten Nicanor Duarte Frutos eine unmittelbare Antwort auf die Forderungen der Landarbeiter. Zudem klagen sie einen Stopp der Repression gegenüber den Organisationen ein. “Wenn wir keine positive Antwort bekommen, werden wir unsere Druckmittel verschärfen. Diese Regierung wird uns nicht klein kriegen”, sagte Severiano Ojeda, Leiter der Capjibarri aus der Region San Pedro.

Die Bewegung verlangt ebenso die Reaktivierung der familiären und indigenen Landwirtschaft, wie sie dem Agrarministerium 2004 vorgestellt wurde, und außerdem die Legalisierung der Siedlungen von Bauern und Indígenas. “Unser Land ist militarisiert, in Paraguay gibt es eine semifeudale Herrschaft, in der eine ziemlich mächtige Oligarchie in allen Strukturen der Macht präsent ist”, sagte Belarmino Balbuena, Leiter der Bauernbewegung Paraguays. Darüber hinaus hat Präsident Nicanor Duarte Frutos bis heute das Versprechen nicht umgesetzt, einige Ländereien zurückzugeben, auf denen es gewalttätige Räumungen und Festnahmen gegeben hatte. Einer dieser Fälle ereignete sich in Capjibarri, wo sich 600 Landlose niedergelassen hatten. Ihre Häuser wurden verbrannt, sechs Anführer der Aktivisten wurden schikaniert und festgenommen.

BRASILIEN

Neue Bewegung landloser Bauern verschafft sich Gehör

Von José Pedro Martins

(São Paulo, 12. Juli 2006, na-poonal).- Durch die Verhaftung hunderter Demonstranten der Landlosenbewegung MLST (Movimento de Libertação dos Sem Terra) Anfang Juli, eine Abspaltung der Bewegung landloser Bauern MST (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra), hat die Auseinandersetzung um die Agrarreform in Brasilien einen neuen Höhepunkt erreicht. Am 6. Juni besetzten Hunderte von Aktivisten der MLST das Abgeordnetenhaus in der Hauptstadt Brasilia, um ihren Anliegen in der Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Die Regierung Luiz Inácio Lula da Silvas wurde aufgefordert, die Agrarreform zu beschleunigen sowie weitere Maßnahmen zur Stärkung des Agrarsektors zu ergreifen.

Durch das Eingreifen der Sicherheitskräfte des Nationalkongresses wurden mehrere Personen verletzt. Im Gebäude des Abgeordnetenhauses entstand Sachschaden. Der Präsident des Abgeordnetenhauses Aldo Rebelo, Vertreter der Kommunistischen Partei Brasiliens und Anhänger der Agrarreform, verurteilte das Verhalten der MLST während der Demonstration und veranlasste die Verhaftung der MLST-Mitglieder, die an der Besetzung teilgenommen hatten. Etwa 550 Personen wurden am folgenden Tag ins Gefängnis von Papuda im Bundesdistrikt gebracht. Ein Großteil wurde kurz darauf auf freien Fuß gesetzt, 42 Personen blieben jedoch in Haft: Neun Frauen wurden in einem Frauengefängnis festgehalten; unter den 33 männlichen Gefangenen in Papuda befand sich auch Bruno Maranhão, der als einer der Anführer der MLST gilt. Maranhão, der dem Bundesvorstand der Arbeiterpartei des Präsidenten Lula angehört hatte, wurde aufgrund der Besetzung des Abgeordnetenhauses seines Amtes enthoben. Am 20. Juni erhob die Bundespolizei im Zusammenhang mit der Besetzung Anklage gegen 115 Personen, unter ihnen auch Maranhão.

Die Reaktionen auf die Aktion der MLST ließen nicht lange auf sich warten. In einer am 8. Juni veröffentlichten Stellungnahme der brasilianischen Landpastorale CTP, die in enger Verbindung mit der Nationalen Bischofskonferenz steht, heißt es: „Die CTP stand und steht noch heute auf Seiten der Arbeiter und unterstützt deren Recht, für ihre Anliegen auf die Straße zu gehen. Wir bedauern, dass die Situation in dieser Weise eskaliert ist und sogar öffentliche Sicherheitskräfte zu Schaden kamen.“ Die Landpastorale unterstütze zwar nicht sämtliche von den Arbeitern gewählte Formen zum Ausdruck ihrer Forderungen, verstehe allerdings umso mehr die Entrüstung brasilianischer Landarbeiterinnen und -arbeiter sowie Bürgerinnen und Bürger angesichts eines Kongresses, auf den das Etikett „undemokratisch“ in letzter Zeit weitaus mehr zutreffe als auf die Einzelaktion einiger Arbeiter.

Die CTP bezog sich damit auf die Abstimmung anlässlich des Abschlussberichts der gemischten parlamentarischen Kommission zur Landfrage CPMI, die Empfehlungen der Kommission zurückgewiesen und statt dessen einem Maßnahmenkatalog den Vorzug gegeben hatte, der „neben weiteren Unsäglichkeiten den Vorschlag enthält, die Landbesetzungen als terroristische Verbrechen zu behandeln, und der die Verantwortung für die Gewalt auf dem Land den eigentlichen Opfern, nämlich den Arbeiterinnen und Arbeitern, in die Schuhe schiebt.“

Den Erhebungen der CPT zufolge wurden im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Landverteilung im Jahr 2005 38 Ermordungen registriert, das ist ein Toter weniger als im Vorjahr. Die Besetzung großer Landgüter ist auch weiterhin die wichtigste Kampfmethode der beiden Landlosenbewegungen MLST und MST. Letzterer haben sich mittlerweile 120.000 Familien angeschlossen, die in allen 23 Bundesstaaten in Ansiedlungen leben. Die 1997 von Dissidenten der MST gegründete MLST koordiniert Landbesetzungen und Ansiedlungen in zehn Bundesstaaten und zählt inzwischen etwa 50.000 Anhänger.

Beide Bewegungen kämpfen für eine Agrarreform; mit ihrer zentralisierten Struktur ähnelt die Organisation der MLST allerdings viel stärker der einer Partei. Die MST ist an Vía Campesina, einer internationalen Bewegung für Landreform, Ernährungssicherheit und –souveränität und eine der wichtigsten Organisationen des Weltsozialforums, angeschlossen, die MLST nicht.

Die Besetzung des Kongressgebäudes ist nicht die erste Aktion dieser Art, die von der MLST organisiert wurde. Im April 2005 hatten Anhänger der Bewegung das Finanzministerium in Brasilia besetzt, um die Freigabe von zwei Milliarden Reales (900 Millionen US-Dollar) zu fordern. Das für die Durchführung der Landreform bestimmte Geld war auf Anweisung des damaligen Finanzministers Antônio Palocci eingefroren worden.

Auslöser der Vorfälle, von der Besetzung der Regierungsgebäude durch MLST-Mitglieder bis zur Verhaftung der Demonstrantinnen und Demonstranten, ist die Unzufriedenheit verschiedener Teile der Gesellschaft mit der Entwicklung um die Landreform der Regierung Lula. Nach offiziellen Angaben wurden zwischen 2003 und 2004 244.000 Familien angesiedelt, DATA LUTA, eine Datenbank der Organisation „Kampf um Land“ (Lucha por la Tierra), fand jedoch heraus, dass nur 25 Prozent der Familien in Ländereien angesiedelt wurden, die aufgrund von Enteignungen durch die Regierung freigeworden waren. Der größte Teil wurde in bereits bestehenden Siedlungen untergebracht; aufgrund der inakzeptablen Lebens- und Arbeitsbedingungen auf dem weitgehend für die Beackerung ungeeigneten Land haben die Familien diese jedoch wieder verlassen.

ANDENLÄNDER

Indigene Organisationen schließen sich zusammen

Von Leslie Josephs

(Cusco, 26. Juli 2006, na-poonal).- Mehr als 500 Mitglieder verschiedener indigener Organisationen haben nach einem dreitägigen Kongress in Cuzco die Gründung eines andinen Dachverbande
s der indigenen Organisationen beschlossen. Der Kongress fand vom 15. bis 17. Juli in Cusco, der ehemaligen Hauptstadt der Inkas in den peruanischen Anden, statt. Nach langen Diskussionen der verschiedenen Gremien und hitzigen Debatten begründeten die Entsandten aus Bolivien, Chile, Ecuador, Kolumbien und Peru den ersten überregionalen Zusammenschluss indigener Organisationen.

Ziel des Dachverbandes ist die Verhinderung des Freihandelsabkommens, die Verteidigung der natürlichen Ressourcen und der Schutz der Umwelt in den indigenen Gebieten; Themen die bereits seit fünf Jahren in den Mobilisierungen der indigenen Gruppen in Ecuador und Bolivien präsent sind. „Erst haben sie uns das Gold genommen, jetzt nehmen sie uns das Öl und das Erdgas und dann wollen sie auch noch das Wasser“, sagte Humberto Cholango, Präsident der Vereinigung der Quichua-Völker Ecuadors ECUARUNARI (Confederación de los Pueblos de Nacionalidad Kichua del Ecuador), die zur ecuadorianischen Vereinigung der indigenen Nationalitäten CONAIE (Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador) gehört. Dessen Vorsitzender Luis Macas kandidiert für die Präsidentschaftswahlen am 15. Oktober.

CONAIE hat die massiven Proteste gegen das Freihandelsabkommen (TLC) mit den USA angeführt und bemüht sich intensiv um den Ausschluss des US-amerikanischen Unternehmens Occidental Petroleum OXY. Blanca Chancoso, ebenfalls Vorsitzende von CONAIE, wies auf die Notwendigkeit alternativer Einnahmequellen in der Region hin und betonte, dass die Politik nicht durch internationale Finanzinstitutionen wie die Weltbank oder die Interamerikanische Entwicklungsbank vorgezeichnet werden dürfte.

Zum Abschluss des Kongresses beschlossen die Entsandten die Gründung eines zehnköpfigen Koordinationskomitees aus Vertretern der fünf beteiligten indigenen Organisationen. Die peruanischen Teilnehmenden sprachen sich für den Vorsitz eines peruanischen Mitglieds aus, um so die Mobilisierung der indigenen Gruppen des Landes zu stärken. Trotz des hohen Anteils der indigenen Bevölkerung besteht in Peru im Gegensatz zu Ecuador und Bolivien keine organisierte Politisierung der indigenen Gruppen.

Während der Agrarreform der Militärdiktatur unter General Juan Velasco Alvarado (1968-1975) verlor die indigene Bevölkerung die Bezeichnung Indios, um fortan als Bauern bezeichnet zu werden. Zudem hat die indigene Bevölkerung mehr als jeder andere Sektor der peruanischen Gesellschaft unter dem bewaffneten Konflikt der Regierung mit der radikalen Freiheitsbewegung Leuchtender Pfad (Sendero Luminoso) in den Jahren zwischen 1980 und 2000 gelitten. „Alle wundern sich, warum es in Peru keine vergleichbare Bewegung zu denen in Bolivien und Ecuador gibt“, sagte Rodrigo Montoya, peruanischer Anthropologe und Schriftsteller. „In diesen zwanzig Jahren hatten die ecuadorianischen und bolivianischen Brüder Zeit, um ihre politischen und ethnischen Bewegungen zu organisieren, während in Peru ein grausamer Krieg herrschte“.

In den kommenden zwei Jahren wird nun also Miguel Palacín, Präsident der peruanischen Vereinigung der von Bergbau betroffenen Gemeinden (CONACAMI) dem Koordinationskomitees vorsitzen. „Dieser Kongress des gemeinsamen Aufbaus muss sich die Einheit zum Ziel setzen“, sagte Palacín und fügte hinzu: „Es ist unser Ziel, sichtbar zu werden, in jedem unserer Länder und im gesamten Kontinent“. Die Teilnehmenden anderer Staaten mit geringerem Anteil an indigener Bevölkerung und entsprechender Organisation wie beispielsweise Chile und Kolumbien wollen ihre Aktionen an denen des Dachverbandes ausrichten, um so am Zusammenschluss teilzuhaben.

Herausgeber: Nachrichtenpool Lateinamerika e.V. Köpenicker Straße 187/188, 10997 Berlin, Tel.: 030/789 913 61 e-mail: poonal@npla.de, Internet: http://www.npla.de/

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