Korrupter Drogenbekämpfer vor Gericht

(Oaxaca-Stadt, 28. Januar 2023, taz).- Sollte der Ex-Mafiaboss „der Große“ die Wahrheit sagen, könnte es einigen mexikanischen Politiker*innen an den Kragen gehen. „Mit Hilfe der Regierung konnte das Kartell sein Territorium erweitern, den Drogenumsatz erhöhen und seine Gegner kaltstellen“, sagte der Zeuge Sergio Villareal Barragán („der Große“) im Prozess gegen den früheren mexikanischen Polizeichef Genaro García Luna in New York Ende Januar. Der Ex-Mafiaboss, der seinen Spitznamen „El Grande“ seiner Körpergröße verdankt, muss es wissen. Villareal Barragán agierte selbst in der kriminellen Organisation und sitzt heute in den USA im Gefängnis.

„Der Große“ war der erste Zeuge im Prozess gegen den Ex-Chef der mexikanischen Spezialpolizei, García Luna, der am 23. Januar in New York öffentlich begonnen hat. Der Angeklagte, der 2019 in Texas verhaftet wurde, soll mit dem Sinaloa-Kartell und einer von dessen Abspaltungen kooperiert haben. Die US-Staatsanwaltschaft wirft dem 54-jährigen vor, am Schmuggel von Tausenden von Tonnen Kokain und anderen Drogen in die USA beteiligt gewesen zu sein. Als Mitglied einer kriminellen Organisation soll er Zigmillionen US-Dollar kassiert haben. „Neben seiner Arbeit als Sicherheitspolitiker hatte García Luna eine viel schmutzigere, aber profitable Arbeit“, sagte Staatsanwalt Philip Pilmar.

García spielte die wohl wichtigste Rolle im „Krieg gegen die Drogenmafia“ des damaligen Präsidenten Felipe Calderón (2006-2012). Er war Minister für Öffentliche Sicherheit und enger Vertrauter des Staatschefs. Als oberster Sicherheitschef saß er an zentraler Stelle, als es galt, Soldaten und Polizisten gegen die Mafia zu mobilisieren. Zuvor, unter dem Präsidenten Vicente Fox (2000-2006), leitete García Luna die polizeiliche Spezial-Ermittlungseinheit AFI.

Schon damals, so sagte jetzt „El Grande“, habe der Ex-Sicherheitsminister mit den Kriminellen kooperiert. Folgt man den Aussagen des Kronzeugen, hat García Luna als AFI-Chef monatlich ein bis eineinhalb Millionen US-Dollar von der Mafia kassiert. „Die Zahlung stiegen proportional zum Anwachsen des Kartells, ohne diese Hilfe wäre die Ausweitung gar nicht möglich gewesen,“ sagte Villareal. Es habe gemeinsame Operationen gegen andere Kartelle gegeben, in denen Mafiakiller in AFI-Uniformen agiert hätten. García Lunas Spezialeinheit habe dafür gesorgt, Schmuggelrouten über Land, Wasser und Luft für die Organisation freizuhalten und sei zugleich gegen deren Konkurrenz vorgegangen.

750 Millionen US-Dollar an öffentlichen Geldern hinterzogen

Der Verdacht, dass mexikanische Regierungen im Interesse des Sinaloa-Kartells agiert haben, ist nicht neu. Expert*innen signalisierten immer wieder, dass die Organisation in Calderóns „Drogenkrieg“ auffällig selten angegangen worden sei. Die geladenen Zeugen, unter ihnen mehrere inhaftierte Mafiabosse, könnten im New Yorker Verfahren diese Annahme bestätigen und Namen von Politiker*innen, Jurist*innen oder Militärs nennen, die in García Lunas Geschäfte involviert waren. Das könnte auch Calderón treffen. Jedenfalls existieren große Zweifel daran, dass der damalige Präsident nichts über das Tun seines engen Vertrauten und obersten Sicherheitschefs wusste.

Dennoch sind Aussagen wie die Villareals mit Vorsicht zu genießen. Wie zahlreiche andere, die noch in dem Prozess auftreten werden, dürfte den Aussagen des Gefangenen ein Deal mit den US-Behörden zugrunde liegen: Haftminderung gegen Beschuldigung. Als oberster Sicherheitspolitiker hat García Luna aber auch eng mit der US-Antidrogenbehörde DEA zusammen gearbeitet, die selbst immer wieder in illegalen Geschäfte verstrickt ist. Was „der Große“ preisgibt und was nicht, kann also durchaus interessengeleitet sein.

Allerdings hat auch die mexikanische Regierung Informationen veröffentlicht, die eine hohe kriminelle Energie des Ex-Ministers nahe liegen. Nach Angaben des Finanzamts soll García Luna zwischen 2009 und 2018 knapp 750 Millionen US-Dollar an öffentlichen Geldern in Mexiko hinterzogen haben. Der Hintergrund sind offenbar fingierte Verträge mit der Bundespolizei, dem Innenministerium und der Staatsanwaltschaft von Mexiko-Stadt.

Diese Vorwürfe werden nicht vor dem Brooklyner Gericht verhandelt werden. Ob die für García Lunas Mafiatätigkeiten vorgelegten Beweise reichen werden, die Geschworenen zu überzeugen, ist noch nicht ausgemacht. Sein Verteidiger César de Castro jedenfalls behauptet selbstsicher, die Staatsanwaltschaft rede Unsinn. „Sie haben kein einziges Audio, keine Post, kein Video, keine Textnachricht, kein Foto, kein Dokument gefunden, die die Angaben bestätigen.“

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