Gesten statt Gerechtigkeit

Colonia Dignidad
Angehörige von verschwundenen politischen Gefangenen gedenken der Toten mit deren Fotos. Foto: Jorge Soto

(Berlin, 3. Oktober 2019, npl).- Colonia Dignidad – die deutsche Sektensiedlung in Chile war ein Symbol für Folter und Repression während der Pinochet-Diktatur. Doch sie war auch ein Ort der Zwangsarbeit und des tausendfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch den deutschen Chef der Kolonie, Paul Schäfer. Jahrzehntelang hatte die deutsche Botschaft in Chile die Verbrechen gedeckt. Nur sehr langsam hat die Bundesregierung begonnen, sich ihrer Verantwortung zu stellen. Nun wird es zwar Hilfszahlungen für einige Opfer geben – aber keine Gerechtigkeit.

Sklavenartige Arbeitsverhältnisse, sexualisierte Gewalt und zwangsweise Verabreichung von Psychopharmaka gehörten – seit der Gründung durch den deutschen Laienprediger Paul Schäfer 1961 – zum Alltag der etwa 300 Bewohner*innen der Colonia Dignidad. All das war spätestens seit 1966 bekannt, als zwei Sektenangehörigen die Flucht aus der streng abgeriegelten Siedlung gelang und sie der Presse berichteten. Dennoch unterhielt die deutsche Botschaft gute Kontakte zur Sektenführung, verlängerte Pässe von Sektenmitgliedern in deren Abwesenheit per Vorlage von Sammelvollmachten und bot denjenigen, die aus der deutschen Kolonie flohen, keinen Schutz.

Kooperation mit der Diktatur

Anfang der 1970er Jahre organisierten Führungsfiguren der Colonia Dignidad mit der rechtsextremen paramilitärisch organisierten Gruppe „Patria y Libertad“ und chilenischen Militärs Nahkampftrainings, Waffen- und Sprengstoffübungen. Deren Ziel: der Sturz des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Während der Pinochet-Diktatur ab 1973 folterte der chilenische Geheimdienst DINA (Dirección de Inteligencia Nacional) in der deutschen Siedlung unter Mitwirkung von Sektenangehörigen Hunderte Oppositionelle. Nach Aussagen von Bewohner*innen der Siedlung wurden Dutzende ermordet und in Massengräbern verscharrt. Um Spuren zu verwischen, wurden viele Leichen 1978 wieder ausgegraben, verbrannt, ihre Asche im nahen Fluss Perquilauquén verstreut. Bereits 1976 veröffentlichten die Vereinten Nationen und 1977 Amnesty International Berichte von dort Gefolterten. Die deutsche Botschaft jedoch verteidigte die Sektenführung: Bei einem Besuch seien keine Folteranlagen zu sehen gewesen; die dortigen Verhältnisse seien „ordentlich und sauber – bis zu den Schweineställen“.

Seit 1988 nennt sich die Siedlung offiziell Villa Baviera – Bayerisches Dorf – und strukturierte sich in eine Firmenholding aus Aktiengesellschaften um. Zu strafrechtlichen Ermittlungen kam es in Chile erst ab 1996, als chilenische Familien aus der Region Anzeigen wegen sexuellen Missbrauchs ihrer Kinder gegen den Sektenchef Paul Schäfer erstatteten. Der floh nach Argentinien, wo er 2005 verhaftet und nach Chile ausgeliefert wurde. Nach einer Verurteilung wegen Mord, sexuellem Missbrauch, Körperverletzung und Verstoß gegen das Waffengesetz zu 33 Jahren Haft saß er fünf Jahre im Gefängnis in Santiago und starb dort im Jahr 2010.

Colonia Dignidad
Früher Prügelorgien, heute Bayerische Kost – im Zippelsaal, heute Restaurant der Villa Baviera. Foto: Ute Löhning

Erst seit Mitte der 2000er Jahre können die Bewohner*innen die Siedlung verlassen. Über hundert Personen sind nach Deutschland gekommen, etwa fünfzig sind an andere Orte Chiles gezogen. In der Villa Baviera leben heute noch gut hundert Menschen. Die Angehörigen der Verschwundenen fordern, auf dem Gelände eine Gedenkstätte einzurichten und den inzwischen dort etablierten Tourismus im bayerischen Stil mit Bier- und Oktoberfesten zu stoppen.

2016 räumte der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine moralische Mitverantwortung der Bundesregierung ein: deutsche Diplomaten hätten „eindeutig zu wenig für den Schutz ihrer Landsleute in dieser Kolonie getan“. 2017 forderte der Bundestag einstimmig die „Aufarbeitung der Verbrechen in der Colonia Dignidad“. Die Bundesregierung solle strafrechtliche Ermittlungen vorantreiben, historische Aufklärung in die Wege leiten und ein Hilfskonzept für Opfer der Sekte entwickeln. Mit der chilenischen Regierung zusammen solle sie die Errichtung eines Dokumentations- und Gedenkortes angehen und das Vermögen der Sekte untersuchen.

Straflosigkeit in Deutschland

Zu einer juristischen Aufklärung ist es in Deutschland nie gekommen. Seit den 1960er Jahren gab es mehrere Ermittlungsverfahren, die jedoch allesamt eingestellt wurden. Mutmaßliche Täter, die aus Chile nach Deutschland übersiedelten, bleiben hier straflos.

Zentrale Bedeutung hatten zuletzt die Verfahren gegen den ehemaligen Leiter des Sektenkrankenhauses, Hartmut Hopp. Er galt als enger Vertrauter Paul Schäfers und als Verbindungsmann zum Geheimdienst DINA. In Chile ist Hopp rechtskräftig wegen Beihilfe zu Vergewaltigung und Missbrauch zu fünf Jahren Haft verurteilt. 2011 entzog er sich dieser Strafe durch Ausreise nach Deutschland, von wo aus er als deutscher Staatsangehöriger nicht nach Chile ausgeliefert wird. Das Oberlandesgericht Düsseldorf lehnte im Herbst 2018 den Antrag Chiles in letzter Instanz ab, dass Hopp diese Strafe in Deutschland verbüßen muss.

Eigenständige Ermittlungen der deutschen Justiz gegen Hartmut Hopp – wegen Beihilfe zu Mord, Körperverletzung und Beihilfe zu sexuellem Missbrauch – stellte die Staatsanwaltschaft Krefeld im Mai 2019 ein.

Jaime Parra wurde als Kind ab 1995 zwei Jahre lang in der Villa Baviera festgehalten und vergewaltigt. Er sagt, Hopp habe ihm Psychopharmaka verschrieben. „Sie sollten mich gefügig machen, und ich gehorchte ohne jeden Widerstand. Vor dem Einschlafen musste ich immer die Tabletten nehmen. Dann brachte mich jemand zu Schäfer. Ich erinnere mich, dass ich erst viel später in Schäfers Zimmer wieder zu mir kam. Ich hatte Schmerzen am ganzen Körper, wusste aber nicht, was passiert war.“

2018 sagte Parra dazu im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens der Staatsanwaltschaft Krefeld auch vor einem chilenischen Gericht aus. Sein Anwalt Hernán Fernández erklärt : „Hopp hat die Jungen gezielt auf Paul Schäfers Missbrauch vorbereitet. Die Psychopharmaka, die er ihnen persönlich verschrieb und gab, hatten keinen anderen Sinn, als das Bewusstsein der Jungen zu trüben.“

Die Berliner Anwältin Petra Schlagenhauf vertritt Opfer der Sekte. Sie kritisiert, die in der Colonia Dignidad begangenen Straftaten seien nicht ausreichend untersucht, von ihr benannte aussagewillige Betroffene und Zeug*innen nie persönlich vernommen worden. Sie hat Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens eingelegt.

Zur historischen Aufarbeitung beitragen soll ein von der Bundesregierung mit über einer Million Euro finanziertes, digitales Oral History Archiv, das die FU Berlin mit chilenischen Partneruniversitäten umsetzt. Sie wollen 50 Interviews mit Opfern und Tätern aufnehmen und zur pädagogischen Nutzung aufbereiten. Der Anfang ist gemacht: Mercedes Fernández, die 90-jährige Mutter eines in der Colonia Dignidad gefolterten, später verschwundenen Studenten, war glücklich, endlich umfassend Zeugnis über ihre Geschichte abzulegen.

Das Hilfskonzept reicht nicht aus

Im Mai 2019 stellten Bundestagsabgeordnete und Regierungsvertreter*innen ein Hilfskonzept für Opfer der Sekte vor. Folteropfer und Angehörige von Verschwundenen sind dabei nicht eingeschlossen, für die sei der chilenische Staat allein verantwortlich. Die Bundesregierung sehe sich nicht in einer politischen Verantwortung für die Verbrechen, wohl aber in einer moralischen, erklärte Niels Annen (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt. Demzufolge wurden auch keine Entschädigungen beschlossen, sondern „Hilfen“. Als Geste der Anerkennung sollen chilenische und deutsche Opfer von Zwangsarbeit und sexualisierter Gewalt Einmalzahlungen von bis zu 10.000 Euro bekommen. 3,5 Millionen Euro sind dafür insgesamt veranschlagt.

Über einen Fonds „Pflege und Alter“ sollen Bedürftige ohne Zugang zum deutschen Sozialsystem auch dauerhafte Hilfsmaßnahmen erhalten. Dabei geht es um ehemalige Sektenangehörige, die heute an anderen Orten Chiles leben. Sie bekommen keine staatliche Unterstützung und waren bei den bisherigen Förderprogrammen der Bundesregierung leer ausgegangen.

Colonia Dignidad
Harald Lindemann und Astrid Tymm lebten und arbeiteten 40 Jahre in der Colonia Dignidad/Villa Baviera ohne Lohn. Foto: Ute Löhning

Astrid Tymm und Harald Lindemann konnten die Sektensiedlung erst 2006 frei verlassen, sind heute im Rentenalter und müssen immer noch hart arbeiten. „Was nicht eingezahlt wurde, fehlt uns heute. Und da meine ich, muss der deutsche Staat für aufkommen (…), weil sie damals nicht eingegriffen haben“, sagt Harald Lindemann. „Dadurch war es auch möglich, dass wir 30 Jahre gearbeitet haben ohne Lohn und ohne in die Rentenversicherung einzuzahlen.“ Ob das Hilfskonzept ihre existenziellen Bedürfnisse in der Gesundheits- und Altersversorgung lösen wird, bleibt abzuwarten. Die in Deutschland lebenden ehemaligen Sektenangehörigen werden keine regelmäßigen Unterstützungsleistungen erhalten.

Um zu vermeiden, „dass ehemalige Täter oder verantwortliche Führungsfiguren der ehemaligen Colonia am Ende Mittel aus deutschen Steuergeldern beziehen“, solle ein Kriterienkatalog zur Differenzierung zwischen Tätern und Opfern erarbeitet werden, an dem die IOM (International Organisation of Migration), die das Hilfskonzept umsetzen soll, sich orientieren könne, erklärt Staatsminister Annen.

Nicht wirklich vorangekommen ist die „Klärung der Besitzverhältnisse der Villa Baviera“. Dabei geht es um Schwarzgeldkonten, Gewinne aus unbezahlter Arbeit und Waffenhandel, aber auch um undurchsichtige Strukturen der Firmenholding, die heute das Dasein der Villa Baviera lenkt und die für eine strukturelle Ungerechtigkeit in der Besitzverteilung kritisiert wird. Wenigstens ein Teil des Vermögens könnte den Opfern zugutekommen; aber über eine Machbarkeitsstudie, die nur die Abgeordneten einsehen dürfen, sind die Untersuchungen nicht hinausgekommen.

Gedenkstätte, Dokumentations- und Lernort

Colonia Dignidad
Angehörige von verschwundenen politischen Gefangenen gedenken der Toten mit deren Fotos an einem früheren Massengrab auf dem Gelände der Villa Baviera. Foto: Jorge Soto

Beide Regierungen betonen zwar ihren Willen, einen Gedenk-, Dokumentations- und Lernort zu errichten; und tatsächlich finanziert das Auswärtige Amt seit mehreren Jahren Seminare von Expert*innen aus der Gedenkstättenarbeit mit Opfern der Sekte. Doch es geht langsam voran. Auch deshalb demonstrierten Angehörige von Verschwundenen im Juni 2019 vor der deutschen Botschaft und vor dem chilenischen Regierungspalast in Santiago. „Sagt uns, wo sie sind!“, riefen sie und forderten Aufklärung des Schicksals ihrer Liebsten, die mutmaßlich in der Colonia Dignidad gefoltert und ermordet wurden. „Wir hatten die Hoffnung, dass Hartmut Hopp mit seinen Informationen dazu beitragen könnte, sie zu finden. Es hat uns sehr getroffen, dass er in Deutschland straflos bleiben wird“, sagt Myrna Troncoso, die 76-jährige Vorsitzende eines Angehörigenverbandes von verschwundenen politischen Gefangenen, deren Bruder Ricardo damals verschwunden ist. „Wir fordern Wahrheit, Gerechtigkeit und auch Erinnerung. Denn wir haben nichts – nicht einmal die Gewissheit darüber, wer in der Colonia Dignidad umgebracht wurde.“

Die Zeit drängt. Adriana Bórquez, eine der Überlebenden der Folter in der deutschen Siedlung, deren Berichte entscheidend zur Aufdeckung der Verbrechen beigetragen haben, ist im Juli 2019 verstorben.

Der Artikel ist zuerst erschienen im Südlink 189, Ausgabe zu Agrarökologie – Wege in die Landwirtschaft der Zukunft.

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Eine Antwort zu “Gesten statt Gerechtigkeit”

  1. Bin ein Opfer diesaer greulichsten Sekter der ganzen Welt.Wurde täglich mit Gift auf dem Brot und im mEssen behabnndelt und auf nach den Elektoschocks ohne diesen auszuschlafenb n,auf den Bau geschickt worden und sollte den Ringanker vom Freihaus mit Mörtel füllen ,obwohl ich nicht im stande war und ich mich niicht auf dem Gerüst und der leiter sicher war wurde ichn mit Stöcken von 8 cm jedesmal als ich mich wewigerte zusamen geschlagen,und beim Dritten versetzen wurde ich so verprügelt ,das ich Blutüberströmend dalag und mit Füßen noch den letztenb Tritt zum Elektroschock geben ,es sollte ein Arbeitsunfall werdeen ,aber es ist ihnen nicht gelungen ,denn so hatten sie Karl stricker auch behandelt mit Prügel worauf ich den Schläger Herinrich Hempel zurecht angeschrien habe er soll das unterlassen,nur dann kam ich andie Reihe weil ich Karl strticker Geholfen habe und für ihn eintrat.Es wurdxen mehrere nach dem Folterakt und Elektroscchocks so behandelt ,Tantew Eva Wieske und Ihr mann genauso Doris Gert damals, der ich auch viel beistand und Eintritt wenn sie verprügelt wurde,aber ich hatte das nachspiel zuu erdulden.Diese menschen wurden trotz allem Dagegen reden so verprügelt ,obwohl sie dafüer inm keiner weise Schuld waren .Sie mußten das verfluchte Gift ausschlafenb ,aber die Dreckschweine wie Hempel und Ingrid Klunker und Maria strebe ,wie auch Eva Schaak die mich hauptsächlichj ziemlich Bestrafte. Es war kein aushalten ,darum bijnn Ich nach meiner Omas Tod 1969 im November in die Deutsche Botschaftz geflohen in der Nacht,aber in der Botscvhaft gab mir der Scherge Alfred Matthusen noch eine Spriztze im beisein des Botschaftzers ,sodass ioch unfähig war noch zu äußern ich will von hier sofort nach Deutschland,das gegenteil passierte m,wurde in einem Krankenwagwen mit einer Decke über den Kopf und ohne Schuhe in den Sanka getzragen und zum Fundo gwebracht.Da gab dann die Abrechnung und seit dem wurde ich in einem Zimmer von 3m x 2,50 eingesperrt ghleich gitter vor die Fenster montiert sodas ich nichts heraus schmugekln kann.Das Schlimmste war ,ich durfte mir kein Essen noch trinken selber nehmen ,es wurde allers mir seviert und da war nach aussagen einer Älteren Lazarett Schwester Gift im Essen ,und diese Schwester hat mmein Leben mit gerettet denn sie hat mir vieles erzählt ,was man mir angetan und weas man mit mir vorhatte,Denn mein Leben wollten die Mir auslöschen.aber es ist trotz Gift und dreimal die Woche Elektroschjhocks mit spritzen und am Tage 10 Valium und 5 Haldol tabletten behadlung und einioge mehr die mein Leben Vernichten sollten.Aber es ist ihnen nicht gelungen ,da ich gläubig bin und andem festhalte was die >Bibel sagt,und deshalb war diese Evangelist Paul Sxchäfer scchon von mir aufgedeckt ,denn ich sagte ihm ganz klar die Wahrheit ins gesicht.Wenn er in der Küche die Jungens auf seinen Schoß hatte und sie missbrauchte.Du kommst bald hinter Gitter ,aber diesert Kinder schänder Lacchte mich hemisch aus und sschickte mich woanders hin.Die wahrheit hat sich erfüllt ,denn nicht lange danach wurde das Funde von der Polizei untersucht.Und dieser Kinderschänder floh dann nach Argentinen.Es gibt soviel zu berichten ,da sage ich Das meer würede es nicht fassen was diese Verbrewcher an uns Unschuldigen Kinder von 10 Jahren gemacht haben.Aber der Deutsche staat versagt in allem ,er macht nur mit und will seine Greulichen verbrechenb möglichst vergessen. Ja bin wohl nun 73 Jahre ,aber an der Aufarbeitung bin ich sehr aktive denn die Wahrheiut muß ans Licht und die Jugend gewarnt werdern.Denn wenn man einmal in solcher
    Sewkte ist ,kommt man selten mehr heraus.

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