Der Streit um das weiße Gold

von Eva Völpel, Santiago de Chile

(Berlin, 13. Juli 2012, taz).- Chiles Regierung hat den Startschuss für eine im Land umstrittene Initiative gegeben: Der private Abbau der reichhaltigen Lithiumvorräte soll ausgeweitet werden. Bis zum 12. September können sich Unternehmen um eine Lizenz zur Förderung des auch „weißes Gold“ genannten Metalls bewerben. Mitglieder der Opposition prüfen, ob sie das Vorhaben noch über das Verfassungsgericht stoppen können.

Lithium wird nicht nur in der Glas- und Keramikproduktion, in Schmierfetten oder in Akkus für Mobiltelefone oder Laptops eingesetzt. Aufgrund seiner guten Speicherfähigkeit ist es auch der Grundstoff für Lithium-Ionen-Batterien von Elektro- und Hybridfahrzeugen.

Und von diesen werden in den nächsten Jahren immer mehr gebraucht. Die Boston Consulting Group schätzt, dass sich der Markt für Lithiumbatterien bis 2020 auf ein Volumen von 25 Milliarden US-Dollar verdreifachen wird. Davon will Chile profitieren. Das Land besitzt nach Daten des US-amerikanischen geologischen Dienstes USGS mit 7,5 Millionen Tonnen die weltweit größten Lithiumreserven und stellt bereits heute knapp über 40 Prozent des Weltmarktexports.

Der Abbau in Chile ist preiswert: Das Metall lagert unter offenem Himmel in den Salzseen der Atacama-Wüste. Bisher durften jedoch nur zwei Firmen unter staatlicher Aufsicht eingeschränkte Mengen des Rohstoffs fördern. Doch nun will Präsident Sebastián Piñera privaten Unternehmen erlauben, in den nächsten 20 Jahren 100.000 zusätzliche Tonnen Lithium abzubauen.

Einmalig 350 Millionen Euro für jeden Vertrag

Für jeden Vertrag will die rechte Regierung einmalig 350 Millionen US-Dollar kassieren. „Wir müssen Innovation fördern und dürfen unsere Marktteilnahme nicht gefährden“, sagt Pablo Wagner, Staatssekretär im Bergbauministerium, mit Blick auf Australien oder China, die ihre Lithiumproduktion ebenfalls erhöhen wollen.

Doch Opposition und Kupfergewerkschaft warnen davor, dass die Fehler wiederholt werden, die bei der Privatisierung von Kupfer gemacht wurden. Der mit Abstand wichtigste Rohstoff Chiles wurde noch bis Anfang 1973 unter Präsident Salvador Allende zu 94 Prozent von staatlichen Unternehmen abgebaut. Heute dominieren private Konzerne zwei Drittel des chilenischen Kupfermarktes.

„Angeblich, um die Weltmarktführung nicht zu gefährden, wurde der Kupferabbau in private Hände gegeben“, sagt die sozialistische Senatorin Isabel Allende. „Mit dem Ergebnis, dass wir für unser Land längst nicht das Geld einnehmen, das wir einnehmen könnten.“

Vor allem kritisiert die Opposition, dass die Regierung das Vorhaben per Dekret am Parlament vorbei organisiert hat. Gemeinsam mit der Kupfergewerkschaft des Landes hat sie Proteste gegen die Privatisierung angekündigt. Ziel der Aktion: Die Förderung des weißen Goldes soll weiterhin bei dem staatliche Kupferkonzern bleiben.

„Der Markt ist nicht unendlich“

Orlando Caputo, Ökonom und emeritierter Universitätsprofessor, warnt zudem davor, zu schnell zu viel Lithium zu produzieren. Zwar ist der Bedarf an Lithium von rund 15.000 Tonnen im Jahr 2005 auf knapp 25.000 Tonnen im Jahr 2010 gestiegen, „aber der Markt ist nicht unendlich. Fördert man zu viel Lithium, verfällt der Preis. Das ist nicht im Interesse Chiles.“

Die privaten Bergbaukonzerne in Chile hätten sich um solche Bedenken schon einmal nicht geschert, sagt Caputo. Sie hätten von 1995 und 1999 die Kupferexporte drastisch erhöht, als es keine staatliche Regulierung gab. In der Folge gab es bis 2003 ein Überangebot, die Weltmarktpreise sanken. „Diese Gefahr sehe ich mit den Lithium-Lizenzen erneut.“

Auch die kanadische TRU-Group, die Rohstoffmärkte analysiert, schätzt, dass es bis 2020 ein Überangebot an Lithium geben wird. Die Nachfrage werde sich bis dahin zwar auf 47.000 Tonnen knapp verdoppeln – das Angebot werde aber dreimal so hoch sein wie heute.

Caputo plädiert deshalb dafür, dass Chile gemeinsam mit Bolivien und Argentinien staatliche regionale Kooperationen zur Lithiumförderung und -verarbeitung vorantreiben soll. Die drei südamerikanischen Länder besitzen 85 Prozent der weltweiten Lithiumvorkommen in Salzseen.

Am Parlament vorbei

Jaime Aleé, der Direktor des Zentrums für Lithium-Innovationen an der Universität von Chile, wirbt dafür, eine eigene Produktion von Lithiumbatterien aufzubauen. „Die Batterie eines Nissan Leaf kostet 20.000 US-Dollar, Chile trägt dazu nur 40 US-Dollar bei. Das ist der Unterschied zwischen Rohstoffexport und eigener Weiterverarbeitung.“

Die Regierung jedoch will weiterhin so schnell wie möglich privatisieren. Als einer der möglichen Nutznießer gilt das Unternehmen SQM. Es gehört Julio Ponce Lerou, Ex-Schwiegersohn des chilenischen Militärdiktators Augusto Pinochet. Just dieser schuf Anfang der 1980er Jahre die gesetzliche Möglichkeit, die Lithiumvorkommen am Parlament vorbei zu privatisieren.

CC BY-SA 4.0 Der Streit um das weiße Gold von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert