Colonia Dignidad: Landgericht beschließt Haft für Hopp

Von Ute Löhning

Angehörige von Verschwundene fordern Aufklärung, Dez. 2016, CC BY 2.0
Ana Molina und Rosa Merino fordern Aufklärung des Mordes an ihrem Sohn bzw. Bruder, Dezember 2016. Foto: Ute Löhnung

(Berlin, 12. Oktober 2017, npl).- Das Landgericht Krefeld hat beschlossen, dass der Sektenarzt Hartmut Hopp seine chilenische Haftstrafe in einem deutschen Gefängnis absitzen soll. Ex-Bewohner*innen der deutschen Sektensiedlung erheben schwere Vorwürfe gegen Hopp. Ist das der Anfang vom Ende der faktischen Straflosigkeit für Täter*innen der Colonia Dignidad in Deutschland? Denn trotz mehrerer Ermittlungsverfahren ist es in Deutschland nie zur Anklage gegen sie gekommen. Auch in Chile kommt Bewegung in die juristische Aufarbeitung.

Ganz und gar würdelos war das Leben in jener Sektensiedlung, die der deutsche Laienprediger Paul Schäfer 1961 im Süden Chiles mit dem Namen „Colonia Dignidad“ – übersetzt „Kolonie der Würde“ – gegründet hatte: Sexueller Missbrauch, sklavenartige Arbeitsverhältnisse, Misshandlungen gehörten zum Alltag der etwa 300 Bewohnerinnen und Bewohner. Chilenische Kinder wurden zwangsadoptiert. In den 1970er Jahren während der Diktatur folterte und ermordete auch der chilenische Geheimdienst DINA Oppositionelle in dem streng abgeriegelten Gelände. Der Sektenführer Paul Schäfer wurde 2005 verhaftet und ist 2010 in Chile im Gefängnis gestorben. Vieles ist bis heute nicht aufgeklärt. Überlebende der Colonia Dignidad fordern noch immer Gerechtigkeit.

Landgericht beschließt: Sektenarzt Hopp soll in Deutschland in Haft

Bis in die 2000er Jahre war Hartmut Hopp als Arzt der Leiter des sekteneigenen Krankenhauses der Colonia Dignidad. Zahlreiche Menschen waren dort jahrelang mit Psychopharmaka ruhiggestellt und mit Elektroschocks gequält worden. „Hartmut Hopp gehörte zur Führungsriege der Colonia Dignidad, war eine Art rechte Hand von Paul Schäfer, und gehörte meiner Meinung nach zum inneren Machtkreis der Colonia Dignidad.“ so Petra Schlagenhauf, die Opfer der Sektensiedlung als Anwältin vertritt. Ein ehemaliger Mitarbeiter des chilenischen Geheimdienstes DINA hätte ihr bestätigt, „dass Herr Hopp intensiven Kontakt hatte zu Manuel Contreras, das war der Chef der DINA. Er hätte eine Zugangskarte zum Hauptquartier der DINA gehabt mit der höchsten Zugangsstufe.“

In Chile ist Hartmut Hopp wegen Beihilfe zum Kindesmissbrauch durch Sektenführer Paul Schäfer verurteilt worden. Dieser Strafe von fünf Jahren entzog er sich allerdings, indem er sich mit gefälschten Papieren nach Deutschland absetzte. Seit 2011 lebt er unbehelligt in Krefeld. Denn als deutscher Staatsbürger wird er nicht nach Chile ausgeliefert. Nun soll er seine chilenische Strafe aber in einem deutschen Gefängnis absitzen. So hat es das Landgericht Krefeld am 14. August 2017 beschlossen. Denn das chilenische Urteil sei nach rechtsstaatlichen Kriterien zustande gekommen, Hopps Beschuldigtenrechte seien gewahrt worden, so Petra Schlagenhauf.

Die Anwältin warnt: „Es gibt Grund zur Sorge, dass sich Hartmut Hopp möglicherweise diesem Verfahren, genauso wie er es mit dem chilenischen Verfahren gemacht hat, entzieht.“ Deshalb müsse die Staatsanwaltschaft über einen Haftbefehl wegen Fluchtgefahr nachdenken. Hopps Anwalt Helfried Roubicek hat bereits Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts eingereicht, denn er zweifelt die Einhaltung rechtsstaatlicher Kriterien im chilenischen Verfahren an. Jetzt muss das Oberlandesgericht Düsseldorf die Angelegenheit prüfen.

Ermittlungen der deutschen Justiz stecken fest

Kundgebung gegen Straflosigkeit 2013 in Krefeld, Foto: FDCL, CC-BY-ND-3.0
Kundgebung gegen Straflosigkeit 2013 in Krefeld, Foto: FDCL

Auch in Deutschland wurde nach Anzeige gegen Hartmut Hopp 2011 ein eigenes Ermittlungsverfahren eröffnet. Doch diese Ermittlungen der deutschen Justiz stecken seit Jahren fest. Die Zusammenarbeit zwischen der chilenischen und der deutschen Justiz verläuft schleppend.

Für ein Gespräch stand Hopps Anwalt nicht zur Verfügung. Doch in einem Interview mit der Westdeutschen Zeitung hatte Hopp selber Anfang des Jahres erklärt, die Führung der Siedlung sei ein „absoluter ein-Mann-Betrieb“ gewesen. Alles sei bei Sektenführer Paul Schäfer zusammen gelaufen. Er selber habe von sexuellem Missbrauch an Kindern, Mord und Folter an politischen Gefangenen bis in die 2000er Jahre nichts gewusst.

War Hopp an Folterungen von Kindern beteiligt?

Werner Schmidtke war als Junge in der Colonia Dignidad gefoltert worden. Er beschreibt, was ihm und anderen über ein bis zwei Jahre im sogenannten „Neuen Krankenhaus“ der Siedlung angetan wurde: „Das war ein Raum, etwa 15 Betten, in der Mitte war ein großer Scheinwerfer. Kam eine Person, die Augen verdecken mit einem Handtuch, die Ohren wurden zugestopft mit Watte und Wachs und hat uns dann entkleidet. Da wurde mit elektrischen Geräten, Viehtreiber nannte man das, die von Deutschland extra gekauft wurden zu diesem Zweck, auf den Kopf gestochen, dann in den Bauch, dann in die Genitalien mit Vorliebe natürlich. Das hat sich dann Nacht für Nacht wiederholt. Dazu sollte man noch Tabletten schlucken. Und ich war ein Kind ja noch, zehn, elf oder so.“ Weiter erinnert sich Werner Schmidtke: „Hartmut Hopp war an den Wochenenden, wenn er von Santiago zurück kam vom Arztstudium, auch bei dieser Gruppe, die uns gefoltert und gequält haben. Ich kann das persönlich bestätigen. Er hat sich an meinem eigenen Körper auch bedient.“

Auch zu diesen Vorwürfen wollten Hartmut Hopp und sein Anwalt sich nicht äußern.

Späte Aufklärung in Chile

Erst 2005 wurde Sektenchef Paul Schäfer verhaftet. Vieles ist bis heute nicht aufgeklärt. Doch vor allem in Chile kommt die juristische Aufarbeitung derzeit voran. Wegweisend war die rechtskräftige Verurteilung von Führungspersonen der Colonia Dignidad zusammen mit Funktionären des chilenischen Geheimdienstes DINA als kriminelle Vereinigung Ende 2016.

Während der Diktatur unter General Pinochet waren in den 1970er Jahren Hunderte Oppositionelle in der deutschen Siedlung gefoltert worden. Mutmaßlich etwa 100 Chilenen wurden ermordet, auf dem weitläufigen Gelände verscharrt, später wieder ausgegraben und verbrannt. Ihre Leichen wurden bisher nicht gefunden. Sie gelten daher als Verschwundene.

Angehörige von Verschwundenen fordern Aufklärung und Ort des Gedenkens

Kürzlich hat ein ehemaliger Bewohner der deutschen Siedlung ausgesagt, dass er als Baggerfahrer und Mitglied des Sicherheitsapparates der Colonia Dignidad vor etwa 40 Jahren an Grabungsarbeiten zum Verscharren von Ermordeten beteiligt war. Er hat ein Gebiet ausgewiesen, auf dem noch Leichenteile unter der Erde liegen sollen. Angehörige von Verschwundenen fordern, dort nun Grabungen durchzuführen. Denn ohne Gewissheit über den Verbleib ihrer Angehörigen und einen Ort des Gedenkens finden sie keine Ruhe.

„Für uns ist es sehr schmerzhaft, nicht zu wissen, ob sie in Massengräbern verscharrt wurden, ob sie ins Meer geworfen wurden oder wo sie sind. Wir konnten noch nie um sie trauern. Man kann doch nicht das ganze Leben lang mit diesem Schmerz und dieser Ungewissheit leben“, sagt Ana Molina, deren Sohn lebend zuletzt in der Colonia Dignidad gesehen wurde. Sie hofft und fordert noch immer, „dass die Regierungen das aufklären und uns einen Ort geben, an dem wir mit Blumen und Kerzen um sie trauern können.“

Colonia DignidadZu diesem Artikel gibt es einen weiteren Text, der die politischen Konsequenzen in Deutschland näher beleuchtet.

 

 

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