Ayotzinapa: Haftbefehle gegen Soldaten und Polizisten

(Mexiko-Stadt, 27. September 2020, taz).- Soldaten, Bundespolizisten, Ermittler – die mexikanische Generalstaatsanwaltschaft hat im Fall der 43 verschwundenen Studenten neue Haftbefehle gegen ehemalige Mitglieder des Sicherheitsapparats ausgestellt. Just zum Jahrestag des Verbrechens vom 26. September 2014 erklärte der Präsident Andrés Manuel López Obrador in Mexiko-Stadt, es werde keine Straflosigkeit geben. „Wer nachweislich beteiligt war, wird verurteilt“, betonte der Staatschef am 27. September auf einer Gedenkveranstaltung mit den Angehörigen der Studenten, die in der südmexikanischen Stadt Iguala von Kriminellen verschleppt wurden und von denen bis heute jede Spur fehlt.

Vor den Müttern, Vätern, Brüdern und Schwestern der Lehramtstudenten informierte der Leiter der staatsanwaltschaftlichen Spezialeinheit für das Verbrechen, Omar Gómez Trejo, über die Maßnahmen, die seine Behörde eingeleitet habe. Demnach wurden 70 Haftbefehle ausgestellt, die sich gegen Soldaten, Bundespolizisten, Mitarbeiter der damaligen Generalstaatsanwaltschaft, lokale Polizeibeamte und Kriminelle richteten. Bereits seit Längerem wird zudem nach dem Polizisten Tomás Zerón gefahndet, der früher die Ermittlungen des Falles leitete. Die Haftbefehle gegen die Soldaten gehen auch auf Informationen zurück, die das Verteidigungsministerium (Sedena) dem Staatssekretär für Menschenrechte, Alejandro Encinas, übergeben hat. Die Sedena habe alle angefragten Dokumente über die in Iguala ansässige Kaserne überreicht, sagte Encinas.

„Authentische Wahrheit“ statt „historische Wahrheit“

López Obrador hatte bei seiner Amtsübernahme 2018 zugesagt, er werde sich für die Aufklärung des Falls einsetzen. Er werde daran festhalten, die „authentische Wahrheit“ herauszufinden, bestätigte er am Samstag mit Blick auf die frühere juristische Verfolgung. Bereits wenige Monate, nachdem Polizisten und Mitglieder der kriminellen Organisation „Guerreros Unidos“ die Studenten angegriffen hatten, erklärte der damalige Generalstaatsanwalt Jesús Murillo Karam den Fall mit Unterstützung des ermittelnden Beamten Zerón für aufgeklärt. Die jungen Männer seien auf einer nahegelegenen Müllhalde verbrannt worden. Das sei die „historische Wahrheit“, sagte er. Eine Verstrickung föderaler Kräfte schloss er aus.

Angehörige sowie Menschenrechtsverteidiger*innen bezweifelten jedoch diese Version vom Tathergang. Auch eine Expert*innengruppe der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (GIEI) kam zu dem Schluss, dass es für diese These keine Beweise gebe. Die Journalistin Anabel Hernandez lieferte Hinweise dafür, dass Militärs, lokale sowie Bundespolizisten und die Guerreros Unidos gemeinsam gegen die Studenten vorgegangen waren, um einen Herointransport zu schützen. Auch die GIEI schloss diesen Tathintergrund nicht aus. Die damalige Regierung des Präsidenten Enrique Peña Nieto verhinderte jedoch, dass diese Spur weiterverfolgt werden konnte. Die Expert*innen durften beispielsweise weder mit Soldaten sprechen noch die Kaserne von Iguala besuchen.

„Es ist sechs Jahre her und wir haben nichts“

López Obrador gründete bereits 2018 eine Wahrheitskommission mit Angehörigen, Menschenrechtsorganisationen und staatlichen Vertreter*innen. Zwar bestätigen alle Beteiligten eine gute Zusammenarbeit, dennoch konnte bis heute lediglich der Tod von zwei Studenten aufgrund von aufgefundenen Knochen bestätigt werden. „Es ist sechs Jahre her und wir haben nichts“, sagte die Angehörigen-Sprecherin María Martínez Zeferino auf der Gedenkveranstaltung. „Wir hatten uns etwas anderes erhofft.“

Wie schon traditionell am 26. jeden Monats gingen die Angehörigen auch am sechsten Jahrestag des Angriffs in Mexiko-Stadt auf die Straße. Gemeinsam mit zahlreichen Mitstreiter*innen forderten sie Aufklärung und riefen: „Lebend habt ihr sie uns genommen, lebend wollen wir sie zurück.“ Man demonstriere trotz der Pandemie, erklärte der Anwalt der Angehörigen, Vidulfo Rosales. „Das Wichtigste ist, dass wir die 43 nicht bei uns haben“, sagte er. Während der Demonstration änderten die Beteiligten die Straßenschilder im Zentrum der mexikanischen Hauptstadt und benannten sie nach den Namen der der verschwundenen Studenten.

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