Poonal Nr. 100

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 100 vom 05.07.1993

Inhalt


GUATEMALA

CONAVIGUA kritisiert gewaltsame Rekrutierungen

GUATEMALA

KUBA

PANAMA

INTERNATIONALE BEZIEHUNGEN

NICARAGUA


GUATEMALA

Katholische Kirche fordert Entmilitarisierung des Landes

(Guatemala, 29. Juni 1993, NG-POONAL).- Die Katholische Kirche hat den Präsidenten Ramiro de Leon Carpio aufgefodert, das Land zu entmilitarisieren, damit die Armut und soziale Ausgrenzung überwunden werden. Sie rief dazu auf, die medizinische Versorgung und das Erziehungssystem zu verbessern sowie Arbeitsplätze und Wohnungen zu schaffen.

Warnung vor „gewalttätiger Explosion“

Das sogenannte „Multisektorale Soziale Forum“, das aus humanitären, ethnischen und gewerkschaftlichen Gruppen besteht, warnte vor einer „stärkeren und gewalttätigeren Explosion“, wenn der neue Präsident nicht die Ursachen des jüngsten Staatsstreichs bereinigt. Ebenso wie die Kirchenhierarchie hat das Forum sich dem Kampf für die Entmilitarisierung angeschlossen und die Streitkräfte aufgefordert, nicht in die Politik einzugreifen, sondern gemäß der Verfassung eine „gehorchende, nicht-kriegerische“ und von der Regierung abhängige Institution zu sein. Beide Organisationen sprachen sich für eine Säuberung der Exekutiven, Legislativen und Judikativen aus. In diesem Rahmen sei es notwendig, den Sicherheitsstab des Präsidenten in eine zivile Institution umzuwandeln, die nicht mehr von den Streitkräften dominiert werde. Diese Forderung hatte auch die UNO- Menschenrechtskommission erhoben. Der Vorsitzende der Nationalen Versöhnungskonferenz, Monseñor Rodolfo Quezada Toruno, der die Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) leitet, hat begonnen, die Wiederaufnahme der direkten Gespräche vorzubereiten. Damit soll eine politische Lösung für den seit drei Jahrzehnzen währenden Bürgerkrieg gefunden werden.

Wiederaufnahme der Friedensgespräche wird vorbereitet

Die Regierung müsse die Friedensverhandlungen zu ihrem wichtigsten Thema erklären, und dürfe sie auf keinen Fall auf das Abstellgleis schieben, forderte Toruno. Der Vermittler gab zu bedenken, daß die URNG die Waffen nicht abgeben werde, falls nicht eine allgemeine Entmilitarisierung beschlossen werde. Die Sicherheitskräfte, so der Nationale Verband der Gewerkschaften der Staatlichen Angestellten (FENASTEG), betreiben weiterhin eine Kampagne der psychologischen Kriegsführung. Führungspersonen der Volksbewegungen seien nach der Machtübernahme des neuen Präsidenten eingeschüchtert und bedroht worden. Die enge Verbindung zwischen Militarisierung und Gewalt gegen die Zivilbevölkerung wurde von der Nobelpreisträgerin Rigoberta Menchu auf der Weltkonferenz für Menschenrechte aufgezeigt. Sie betonte, daß der Respekt gegenüber den bürgerlichen Freiheitsrechten „der Schlüssel zur Erlangung des Friedens“ in ihrem Vaterland sei. In diesem Sinne verstärkte auch die Nationale Koordination der Witwen Guatemalas (CONAVIGUA) ihre Aktionen gegen die gewaltsame Rekrutierung. Diese aus der Kolonialzeit übernommene Praxis werde von der Bevölkerung und auch der internationalen Gemeinschaft abgelehnt. In CONAVIGUA haben sich 12.000 Witwen zusammengeschlossen, die ihre Ehemänner durch die Repression in den 80er Jahren verloren haben. Der Rat für Nationale Vertriebene Guatemalas (CONDEG) forderte die Auflösung der paramilitärischen Zivilpatrouillen, einige militärische Sprecher lehnten diese Forderung heftig ab. Die PAC werden direkt für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht. Kritisiert wird zudem die Zwangsrekrutierung von Bauern für diese Verbände.

CONAVIGUA kritisiert gewaltsame Rekrutierungen

Der neue Präsident Ramiro de Leon Carpio steht vor großen

Herausforderungen. Er muß die paramilitärischen Verbände auflösen;

die Zwangsrekrutierungen stoppen; den Sicherheitsstab des Präsidenten, der bislang die Kontrolle der Streitkräfte über das Staatsoberhaupt sicherte, beseitigen; und vor allem: Er muß die Macht der Streitkräfte, die die zentralen Schaltstellen in dem Staat besetzen, drastisch begrenzen. Zweifellos könnte der Staatschef derzeit mit großer Unterstützung seitens der Bevölkerung rechnen, falls er solch einschneidende Reformen anpackte. Ob er diese Unterstützung in Anspruch nehmen wird, ist indes zweifelhaft.

GUATEMALA

Politische Gewalt nimmt zu

Von Ileana Alamilla

(Guatemala, 28. Juni 1993, Cerigua-POONAL).- Gut einen Monat nach dem Staatssteich am 25. Mai ist das Land erneut Schauplatz von politischen Gewalttaten. Die Situation erweist sich schlimmer als der Amtsantritt des ehemaligen Menschenrechtsbeauftragten und neuen Präsidenten Ramiro de Leòn erwarten ließ.

Der Einzug Ramiro de Leóns in den Präsidentenpalast hatte große Hoffnungen auf einen Wandel in dem mittelamerikanischen Land geweckt. Viele verbanden mit dem neuen Staatsoberhaupt die Aussicht auf soziale Gerechtigkeit und vor allem die Einhaltung der Menschenrechte. In den 29 Monaten Amtszeit seines Vorgängers Jorge Serrano waren die Menschenrechtsverletzungen drastisch angestiegen. Die guatemaltekische Presse registrierte 1735 außergerichtliche Hinrichtungen und 291 Entführungen.

Gewerkschafterinnen entführt und gefoltert

Seit der Machtübernahme durch Ramiro de León am 6. Juni wurden 24 außergerichtliche Hinrichtungen, 1 Massaker, 13 Attentate und 5 Entführungen registriert. Hervorstechend sind die Merkmale des politischen Mordes, in der Mehrzahl der Fälle waren „bewaffnete Männer in fahrenden Autos“ die Täter, die Opfer wiesen eindeutige Folterspuren auf und wurden mit einem Kopfschuß getötet.

Die in politischer Hinsicht gravierendsten Fälle sind die Verschleppungen der Gewerkschaftsfüherinnen Elizabeth Recinos Alvarado und Griselda Ortiz de Salam. Sie wurden von unbekannten Männern entführt und gefoltert und anschließend wieder freigelassen. Beide Gewerkschaftsführerinnen engagieren sich im Multisektoralen Forum, das sich aus Protest gegen den Staatsstreich gebildet hat. Die beiden Aktivistinnen vermuten, daß die Streitkräfte oder die nationale Polizei für die Tat verantwortlich seien. Die Art der Entführung und der Verhöre wiesen auf die staatlichen Sicherheitskräfte als Täter hin.

Auch in Bezug auf die Strafverfolgung scheint sich unter dem neuen Präsidenten wenig zu ändern. Die Täter genießen weiterhin Straffreiheit, sofern sie den staatlichen Sicherheitskräften zuzuordnen sind. Die Ermittlungen beschränken sich darauf, die Gewalttaten in den Polizeiarchiven abzuheften und sie der Liste von über 150.000 ungeklärten Fällen hinzuzufügen.

Ein Monat nach der Amtsübernahme wird zunehmend deutlich: Der neue Präsident kann die hohen Erwartungen, die die Bevölkerung an ihn gestellt hat, nicht erfüllen. Die Hoffnungen auf demokratische Veränderungen und Gerechtigkeit wurden bislang enttäuscht. Und es gibt kaum Anzeichen für eine Besserung. Symptomatisch ist die Wahl des neuen Menschenrechtsbeauftragten: Von der Kandidatenliste strich das Parlament ausgerechnet den ehemaligen stellvertretenden Beauftragten César Alvarez Guadamuz, ein Bewerber, der von zahlreichen Menschenrechtsorganisationen unterstützt wurde.

Präsident kann Hoffnungen auf demokratischen Wandel nicht erfüllen

Ramiro de Leon, der nach der Amtsübernahme angekündigt hatte, die Straffreiheit energisch zu bekämpfen, schweigt zu diesen Ungereimtheiten und zu der anhaltenden Welle der Gewalt. Beobachter urteilen, er habe seine Verbindungen zur Militärspitze verstärkt. Daher sei es unwahrscheinlich, daß die Gewalttaten, in die die Streitkräfte verwickelt sind, aufgeklärt würden. Gerechtigkeit bleibt für die Guatemaltek*innen eine Phrase, die in den Straßen Guatemalas täglich widerlegt wird. Längst herrscht wieder die Gewißheit, daß jeder, der im Verdacht steht, in Opposition zu den Machthabern zu stehen, das nächste Opfer sein kann.

KUBA

Verstärkter Handel mit karibischen Nachbarn

Von Mercedes Ramos

(Mexico City, 29. Juni 1993, Prensa Latina-POONAL).- Kuba will den Handel mit den karibischen Nachbarn verstärken. Einen wichtigen Schritt hin zu mehr Kooperation und Austausch stellte die internationale Ausstellung Expo-Caribe 93 dar, die vom 4.- 10. Juni in Santiago de Cuba stattfand. An der Ausstellung nahmen 126 Aussteller aus neun Ländern teil. Für Kuba stellte die Messe auch eine gute Möglichkeit dar, neue Wirtschaftskontakte aufzubauen, um die derzeitige ökonomische Krise zu überwinden. Kuba benötigt vor allem ausländische Investitionen; zudem muß die Karibikinsel neue Devisenquellen erschließen.

Auch wenn Kuba eine privilegierte Stellung unter den Ökonomien des karibischen Raums einnimmt, – höhere industrielle Kapazitaeten als jedes andere karibische Land -, durchläuft die Insel eine schwierige wirtschaftliche Phase. Die nordamerikanische Handelsblockade, die mittlerweile länger als drei Jahrzehnte andauert, und die Krise der früheren Handelspartnerländer in Osteuropa sind die größten Hindernisse in der wirtschaftlichen Weiterentwicklung. Innerhalb der kubanischen Strategie, diese Situation zu bewältigen, ist eine Öffnung für ausländisches Investitionskapitals und eine Neuordnung des Außenhandels vorgesehen.

Öffnung für ausländisches Kapital

Die Kontakte, die von kubanischen Behörden mit Geschäftsleuten der Karibik während der ersten Hälfte dieses Jahres hergestellt worden sind, sprechen für das Interese Kubas, den Handel mit dem karibischen Nachbarn zu verstärken. So besuchten im vergangenen April mehr als 60 Geschäftsleute aus 14 karibischen Ländern die kubanische Hauptstadt, um die Angebote der Insel in Bezug auf Investitionen und Handel kennenzulernen. Bei diesem Zusammentreffen beider Seiten, wurde außerdem die Möglichkeit in Erwägung gezogen, Gemeinschaftsunternehmen in Bereichen zu bilden, die vom Bergbau und dem Energiesektor über die Eisen-, Zucker-, und Ernährungsindustrie bis hin zum Tourismus gehen. Statt Konkurrenz sollte eher eine gegenseitige Ergänzung in der Wirtschaft und im Tourismus stattfinden. Diesbezügliche Resultate zeigten sich schon 1992, als der kubanisch-karibische Austausch mehr als 600 Mio. Dollar einbrachte. Für Kuba könnte der Handel mit der Karibik Vorteile beim Einkauf von Holz, Gewürzen, chemischen Produkten, Nahrungsmitteln, Ersatzteilen und Stahl erbringen. Im Austausch würden die karibischen Nachbarn mit kubanischen Arzneimitteln, medizinischer Ausrüstung, Produkten der eisenverarbeitenden Industrie und Ersatzteilen für die Agrar- und Zuckerindustrie versorgt. Eine zweite wichtige Veranstaltung war die internationale Ausstellung Expo-Caribe 93 im Juni dieses Jahres. Während der sieben Tage wurden mehr als 120 Kontakte zwischen den kubanische Firmen und den Gästen aus Panama, Venezuela, der Dominikanischen Republik, Jamaica, Holland, Belgien und Spanien hergestellt, die auch zu konkreten Vereinbarungen in verschiedenen Wirtschaftsbereichen geführt haben. Ebenfalls wurden verschiedene Absichtserklärungen unterzeichnet, die den Wunsch Kubas und anderer Karibikländer ausdrücken, die Verhandlungen innerhalb kurzer Zeit fortzuführen, um den Handel voranzubringen. Auf der Ausstellung wurden ebenso 40 mögliche Projekte vorgestellt, die mit ausländischem Kapital durchgeführt werden sollen. So wurden Investitionsprogramme für die Ostregion der Insel in Aussicht gestellt. In dieser Region wird Nickeloxyd gewonnen, dessen Vorkommen auf 37.3 Prozent der Weltreserven geschätzt werden. Erste Schritte zu einem gemeinsamen karibischen Markt wurden somit eingeleitet. Schon im letzten Jahr hat Kuba zusammen mit den Regierungen, die Mitglieder der Wirtschaftsgemeinschaft (Carikom) sind, eine gemeinsame Kommission gegründet, um die gegenseitigen Beziehungen zu stärken. All dies sind Bestrebungen, die das Ziel verfolgen, den Handel zu liberalisieren und den Austausch zwischen den Karibikländern innerhalb kurzer Zeit zu verstärken.

PANAMA

Wirtschaftliche und militärische Reformen kommen nicht voran

Von Marco A.Gandásegui jr.

(Panama, Juli 1993, alai-POONAL).- Nach der US-Invasion 1989 entwickelte die neue Regierung ein Reformprojekt, das sich auf den wirtschaftlichen und militärischen Bereich konzentrierte. Auf der einen Seite sollten staatliche Unternehmen privatisiert werden und in die internationale Wirtschaft integriert werden. Diese Strategie ist jedoch weitgehend gescheitert, da die internationale Integration ausbleibt und die Privatisierungspolitik stagniert.

Schwerer Schlag gegen die Gewerkschaftsbewegung

Die angestrebte Entmilitarisierungspolitik ist ebenfalls kaum erfolgreich. Zwar wurden die alten Streitkräfte FDP (Fuerzas de Defensa Pública) in Fuerzas Públicas (FP) umbenannt, ihre Aufgaben, Strukturen und Ziele haben sich jedoch nicht verändert. Genauso wie die FDP sind die FP für die öffentliche Sicherheit zuständig. In ihrer Struktur sind sogenannte Elitegruppen mit paramilitärischen Funktionen entstanden.

Innerhalb der Sozialpolitik sind keine Fortschritte zu erkennen. Nach eigenem Bekunden sieht sich die Besatzungsregierung überfordert, die Probleme des Landes zu lösen. Es existiert weder eine Gesundheits- noch Bildungspolitik mit klar bestimmten Zielen. Die Arbeitslosenquote verharrt auf hohem Niveau. Hinzu kommt, daß der Oberste Gerichtshof den Paragraphen des Arbeitsrechts von 1972 als verfassungswidrig erklärte, der die Gewerkschaftsabzüge der Arbeiter*innen gesetzlich verankerte. Die Entscheidung wurde als schwerer Schlag gegen die Gewerkschaftsbewegung des Landes bezeichnet. Offiziellen Statistiken zufolge hat sich die Armut in Panama verschlimmert. Während 1980 30 Prozent der Bevölkerung in Armut lebte, erreicht diese Ziffer in der Gegenwart 50 Prozent. Die Arbeitslosenquote, die während der Krise mit den USA Ende der achtziger Jahre 30 Prozent erreichte, ist selten unter 20 Prozent gesunken.

50 Prozent der Bevölkerung lebt in Armut

Die Meinungsumfragen, die von einigen Unternehmen durchgeführt wurden, weisen darauf hin, daß die Bevölkerung die Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Situation als das Hauptproblem des Landes betrachten. An zweiter Stelle steht, der Umfrage zufolge, das Sicherheitsproblem in den Straßen. Das Land befindet sich in einem Zustand der Stagnation. Die nationalistischen Gruppen haben sich noch nicht von der Invasion von 1989 erholt. Die Privatisierung und damit verbundene Entlassungen sorgen weiterhin für Instabilität. Die politische Allianz, die die Invasion unterstützte und danach die Regierung stellte, spaltete sich durch den Ausschluß der Christdemokratischen Partei (PDC) vom Kabinett. Drei politische Gruppierungen mit einem verhältnismäßig klar definierten Profil sind die PDC mit 27 Parlamentssitzen, die Demokratisch-Revolutionäre Partei (PRD) mit 10 Sitzen und die Regierungskoalition: MOLIRENA mit 15 Sitzen, Liberal Auténtico mit 6 Sitzen sowie Arnulfista mit 7 Sitzen. Die Liberale Partei und die PALA, mit jeweils einem Sitz sind Verbündete der PRD. Unter den Parteien mit weniger klarem Profil und ohne parlamentarische Repräsentation treten MINA, Misión, Papá Egoró, Renovación Civilista und Solidaridad hervor. MINA und Renovación Civilista haben Führer*innen mit gemeinsamer Erfahrung in der Cruzada Civilista (1987-1989), die sich der Militärregierung widersetzte. Ihre Kräfte wurden von den traditionellen Parteien absorbiert. MISION ist die panamaische Version einer aus den USA finanzierten evangelischen Sekte. Solidaridad stellt ein interessantes Projekt dar, da es die Führer*innen vereint, die mit General Torrijos zusammengearbeitet hatten und die sich in der späteren Konfrontation zwischen FDP und USA auf die Seite Washingtons gestellt hatten. Die Bewegung sieht sich in gewisser Weise als Erbe Torrijos. Im gegebenen Augenblick könnte sie zur Bildung von Koalitionen dienen.

Rubén Blades Präsidentschaftskandidat 1994?

Papá Egoró ist zweifellos die interessanteste Partei, die in den letzten Jahren im politischen Spektrum aufgetreten ist. Sie wird geführt von dem äußerst beliebten Sänger und Autoren Rubén Blades, dem eine große Anhängerschaft nachgesagt wird. Blades hat sich hinsichtlich der Programmatik der Partei zurückhaltend gezeigt. Bei verschiedenen Gelegnheiten hat er seine Absicht signalisiert, sich 1994 als Präsidentschaftskandidat nominieren zu lassen. In einigen Zirkeln herrscht auch die Meinung vor, daß Blades eine gute Option für 1999 wäre, wenn er heute aufgrund seiner Popularität ein Dutzend Abgeordnete seiner Partei in die Nationalversammlung wählen ließe.

Privatisierung mittels struktureller Anpassung ist das tagespolitische Thema in Panama. Es wird von den Regierungsparteien angeführt, allen voran von den Ideologen der MOLIRENA. Die PDC konnte seit ihrem Kabinettsauschluß 1991 keine neue einheitliche pogrammatische Linie finden und ergeht sich in inneren Parteikämpfen. Eine starke Fraktion innerhalb der PDC schlägt vor, die Privatisierungen zwar zu kontrollieren, aber grundsätzlich zu unterstützen. Ein anderer Teil optiert für eine eher unabhängige Linie. Die PRD ist die Oppositionspartei. In den drei Jahren der Opposition hat sie ihre klare Linie gegen die Privatisierung beibehalten und mit Nachdruck für die Amnestie der politischen Gefangenen gekämpft. Die kleine nationalistische Fraktion der PRD ist der Teil der Partei, der zu politischen Allianzen mit traditionell- nationalistischen Gruppierungen sowie mit historisch politischen Gegnern fähig ist. Die Parteien Solidaridad und Papá Egoró verfügen ebenfalls über Gruppen mit nationalistischer Tradition. In einem Versuch ein akzeptables Regierungsprogramm als Ausgangspunkt für die Wahlen 1994 zu finden, könnten diese drei Gruppierungen mit einer Fraktion der Liberalen Partei eine nationalistische Koalition aufstellen. Auf der Basis eines Zusammenspiels aller politischen Kräfte, die das politische Zentrum wiederherstellt und somit die Stabilität des Landes garantiert, können die drängenden wirtschaftlichen, sozialen und außenpolitischen Fragen schneller gelöst werden.

INTERNATIONALE BEZIEHUNGEN

Neue Weltordnung – Die Eroberung geht weiter

Von Noam Chomsky

(Port-au-Prince, Juni 1993, HIB-POONAL).- Anfang Juni besuchte Noam Chomsky, Linguist und Kritiker des US-Imperialismus sowie der traditionellen Medienordnung, zum ersten Mal Haiti. Chomsky, Autor zahlreicher Bücher und Artikel, erschien in dem Dokumentarfilm HAITI: ASESINANDO EL SUENO und widmete Haiti zwei Kapitel in seinem neuen Buch „Jahr 501 – Die Konquista geht weiter“. Gegenüber Haiti Information Bureau äußerte sich Chomsky über die neue Weltordnung, die Rolle der „Dritten Welt“ in der internationalen kapitalistischen Arbeitsteilung und die Perspektiven der wirtschaftlichen Entwicklung: „Die Grundprinzipien der Weltordnung sind sehr stabil. Im Grunde genommen lassen sich dominierende Themen bereits seit 500 Jahren feststellen. Auf die eine oder andere Weise beobachten wir immer noch verschiedene Formen dessen, was wir als Europäische Eroberung der Welt bezeichnen müssen. Derzeit dirgiert eine alte Kolonie, die USA, den Kreuzzug, doch bleiben dasselbe Problem und dieselben Grundprinzipien bestehen.

Die „Dritte Welt“ als Selbstbedienungsladen

Das Prinzip ist, daß die Mehrheit der sogenannten „Dritten Welt“ ein Dienstleistungsbereich sein soll. Sie ist da, um Mittel bereitzustellen – billige Arbeitskräfte, Rohmaterialen, Märkte, Investitionsmöglichkeiten; seit einiger Zeit versuchen die Industrieländer zudem, ein akutes Problem in die „Dritte Welt“ zu exportieren: die Umweltverschmutzung. Allem liegt jedenfalls das Prinzip zugrunde, daß die armen Länder jene Dienste verrichten, die reichen Länder benötigen. Einfach ausgedrückt bilden die reichen Sektoren – die privilegierten Schichten der reichen Länder in Allianz mit den kleinen Eliten der „Dritten Welt“ – die Grundstruktur der Welt. Sie möchten, daß der Rest der „Dritten Welt“ ihr Dienstleistungsbetrieb ist, deren Personal ihnen keine Probleme verursacht. Das ist die Rohfassung der Weltordnung, so wie sie lange Zeit existierte. Sie veränderte sich im Lauf der Zeit. Sie änderte sich drastisch 1945. 1945 stiegen die USA zur Weltmacht auf, die die Hälfte des Weltreichtums und die größte militärische Stärke besaß; die die Welt nach den skizzierten Grundsätzen organisieren konnte und der „Dritten Welt“ dabei die Aufgabe zuwies, die Industriestaaten mit Dienstleistungen zu versorgen. Die größte Bedrohung ist für die USA folgerichtig, wenn in den Ländern nationalistische Bewegungen entstehen, die sich dem Zugriff der Hegemonialmacht widersetzen und beispielsweise das niedrige Lebensniveau verbessern sowie die Produktion auf die nationalen Bedürfnisse umstellen wollen. Es ist ein bewährtes Prinzip der US-amerikanischen Politik, die nationalistischen Bewegungen, die verantwortlich für ihre eigene Bevölkerung sind und als „wirtschaftlicher Nationalismus“ bezeichnet werden, zu blockieren.

Wirtschaftlicher Nationalismus gegen Internationalisierung

Es reicht, einen Blick auf das Ende der vierziger Jahre zu werfen. Alle lateinamerikanischen Länder hatten sich dem wirtschaftlichen Nationalismus verpflichtet und die USA sagten sich: „Diesen müssen wir in all seinen Ausprägungen vernichten, denn Priorität müssen die Investitionen der USA genießen und nicht die Interessen der Landesbevölkerung.“ Im Fall Haiti empfindet die USA es also als eine große Gefahr, wenn die Lavalas-Bewegung mit ihrem Kandidaten Aristide überraschenderweise die Macht erobert (womit niemand gerechnet hatte). Es handelt sich bei Lavalas um eine nationalistische Bewegung, die die Verantwortung für die Bedürfnisse der Bevölkerung übernimmt; sie will die schlechten Lebensbedingungen verbessern und die Produktion den nationalen Bedürfnissen anpassen. Man muß nur einen Blick auf die Dokumente von vor 40 Jahren werfen, und schon kann man die US-Politik gegenüber Lavalas oder jeder anderen gleichgerichteten Bewegung vorhersagen.

Strategie der USA: Kontrolle über die Streitkräfte, um das Land zukontrollieren

Dafür gibt es heute eine Methode, die auch aus der Mitte der vierziger Jahre stammt, als die USA wirklich die Kontrolle übernahmen. Es etablierte sich die Position, daß die USA die Streitkräfte der „Dritt-Welt-Länder“ kontrollieren müßten, insbesondere in Lateinamerika. Denn wenn sie das Militär kontrollierten, wäre es überflüssig, sich große Gedanken um die Zivilbevölkerung zu machen. Der Kennedy-Stab war stolz darauf, die Kontrolle auf das lateinamerikanische Militär ausgedehnt zu haben, das sich seitdem, wie sie es formulierten, „an den Interessen und Angelegenheiten der USA orientierten…“ und infolgedessen bereit war, die Zivilregierungen zu stürzen, sollten diese den Fehler begehen nachzudenken… Ungefähr 1970 kam es zu einer grundlegenden Veränderung der Weltordnung. Europa und Japan hatten sich von den Kriegschäden erholt und ihre wirtschaftliche Macht stabilisiert. Es wurde offensichtlich, daß die USA nicht in der Lage sein würden, die Weltwirtschaft wie bisher zu bestimmen. Die Nachkriegsvereinbarungen von Bretton Woods Mitte der vierziger Jahre hatten die USA in die Position des Weltbankiers gebracht: der Dollar wurde am Goldpreis festgemacht und alle anderen Währungen in Relation zum Dollar reguliert. 1970 brach dieses Währungssystem mit festen Wechselkursen zusammen, weswegen Nixon 1971 das Bretton-Woods-System abschaffte und ein neues System mit relativ freien Wechselkursen schuf.

Zusammenbruch des Währungssystems von Bretton Woods

Nun drängte umfangreiches Kapital unkontrolliert auf die Märkte. Wenn man die Periode der siebziger Jahre mit der vorherigen vergleicht, stellt man fest, daß der relative Anteil des Kapitals, der in Produktion und Handel geflossen ist, drastisch gesunken ist, während der für Spekulation enorm gestiegen ist. Im allgemeinen ist er von 90 Prozent auf zehn gesunken, was vermutlich der Hauptgrund für den Absturz des weltweiten Wirtschaftswachstums ist. Ein umgehender Effekt war die rasche Internationalisierung der Produktion, die vor allem in Länder mit hoher Repression und niedrigen Löhnen verlagert wurde. Das hatte zahlreiche, nahezu zwangsläufige Konsequenzen. Eine davon ist, daß in den USA viele Menschen ihre Arbeitsplätze verloren, da die Investitor*innen nach Haiti, Mexiko oder Papua Neu-Guinea gingen und dort Arbeiter*innen für einen Bruchteil des Lohnes anstellen konnten. Ein Großteil der Bevölkerung wird überflüssig für die Produktion. Die nationale Wirtschaft kann nur funktionieren, wenn die Bevölkerung auch in der Lage ist, die produzierten Güter zu kaufen. Henry Ford kam zu dem Schluß, daß er seinen Arbeiter*innen einen anständigen Lohn bezahlen müsse, wenn er seine Autos verkaufen wollte. Aber in einer internationalen Wirtschaft ist das weitaus weniger offensichtlich. Jetzt kann man für die Reichen weltweit produzieren, was dazu führt, daß die Mehrheit der nationalen Bevölkerung überflüssig wird – sowohl unter Produktions- wie auch Konsumsbetrachtung – wie beispielsweise die Bewohner*innen der Favelas in Rio de Janeiro oder der Armenviertel in Haiti.

Osteuropas Rückkehr in die „Dritte Welt“

Ursprünglich war Osteuropa die „Dritte Welt“; eins dieser riesigen Gebiete, das versuchte, sich vor diesem System zu retten und einen unabhängigen Weg einzuschlagen und das zermalmt wurde. Grenada konnte an einem Wochenende zerstört werden, allerdings brauchten sie für ein Sechstel der Welt fast 70 Jahre. Was in Osteuropa vor sich geht, ist seine Rückkehr in die „Dritte Welt“ und die Umwandlung in ein weiteres Ressourcen-Gebiet, das von den westlichen Investitor*innen genauso benutzt wird wie Mexiko, als Waffe gegen die eigene Bevölkerung. Die deutschen Unternehmen warnen ihre Arbeiter*innen, daß sie die Produktion nach Polen verlegen, wenn sie anständige Löhne verlangen. Dort können sie Arbeiter*innen für zehn Prozenten des deutschen Lohns unter Vertrag nehmen.

NICARAGUA

Konservative fordern Ausländer*innen raus

(Managua, Juni 1993, APIA-POONAL).- In Nicaraguas InternationalistInnen-Szene herrscht Aufregung. Ende Mai annullierte das Innenministerium die nicaraguanische Staatsbürgerschaft von drei eingebürgerten Basken und schob sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ohne ein gerichtliches Verfahren nach Spanien ab. Seitdem rufen rechtsgerichtete Medien und Politiker*innen immer deutlicher nach einer Untersuchung aller im Land lebenden Ausländer*innen. Vor allem jener, die in der Endphase der sandinistischen Regierung einen nicaraguanischen Paß bekamen.

Mysteriöse Explosion

Alles begann mit einer mysteriösen Explosion am 23. Mai im Bezirk Santa Rosa in Managua. In einer Autowerkstatt detonierte mitten in der Nacht eine Sprengstoffladung, drei Personen wurden buchstäblich in Stücke gerissen, zwanzig Häuser im Umkreis teils schwer beschädigt. Die Polizei entdeckte ein unterirdisches Waffenlager und eine stattliche Anzahl Pässe verschiedener Nationalitäten, vor allem salvadorianische. Innenminister Alfredo Mendieta machte die FPL (Fuerzas Populares de Liberación), eine der Teilorganisationen der ehemaligen salvadorianischen Guerillafront FMLN, verantwortlich. Nach der raffinierten Bauart des Depots vermutete man auch die Verstrickung von Expert*innen der baskischen SeparatistInnen-Organisation ETA. Der Werkstattinhaber – ein eingebürgerter Baske – konnte fliehen. Drei weitere Basken mit nicaraguanischen Pässen, zwei Salvadorianer und der Schweizer Dominique Ruegsegger wurden festgenommen.

Ruegsegger, ein Mitarbeiter des Hilfswerks „Frères sans Frontières“, hatte seinen VW-Käfer zur Reparatur in die Werkstatt gebracht. Vom Käfer, so stellten die Experten fest, soll die erste von drei Explosionen ausgegangen sein. Nach ein paar Tagen mußte die Richterin den Schweizer jedoch entlassen, da sie für das ihm vorgeworfene Totschlagsdelikt keinerlei Anhaltspunkte finden konnte. Das Verfahren wegen terroristischer Vereinigung und Sachbeschädigung kann er auf freiem Fuß abwarten. Für ihn wird die Sache glimpflich ausgehen: „Alle wissen, daß ich nichts damit zu tun habe“, sagte Ruegsegger. Auch der Schweizer Botschafter lud ihn am Dienstag zu einem Empfang ein.

Facundo Guardado und Salvador Samayoa, zwei führende Kader der FPL, die anreisten, um die Sache zu klären, leugneten anfangs jede Verantwortung für das Waffendepot. Doch nach einigen Tagen korrigierte die Organisation ihre Haltung und versprach, alle geheimen Arsenale, die noch in Nicaragua bestünden, preiszugeben.

Waffendepots der FMLN

Nicaragua war während der sandinistischen Epoche das strategische Hinterland der salvadorianischen Rebell*innen gewesen. Nach dem Friedensschluß im Januar 1992 gaben sie die Infrastruktur in Managua und Umgebung weitgehend auf und übergaben die Waffendepots an die Beobachter*innen der Vereinten Nationen. Die FPL bewahrte jedoch ihre Depots mit hunderten Gewehren, Granaten, Luftabwehrraketen und mehreren Tonnen Sprengstoff noch als strategische Reserve mit dem Argument, die salvadorianische Regierung habe ihre Verpflichtungen aus dem Friedensvertrag nicht erfüllt. In den letzten Wochen wurden drei weitere Arsenale ausgehoben. Das Innenministerium richtete eine Nummer für anonyme Hinweise ein; seitdem jagen Polizei und Presse pausenlos falschen Hinweisen nach, die die Hysterie bedenklich anheizen.

Vieles deutet darauf hin, daß die Explosion in Santa Rosa kein Unfall war. Denn schon vorher waren Agenten des spanischen Sicherheitsdienstes in Nicaragua eingetroffen und hatten die Listen der eingebürgerten Spanier*innen geprüft. Über 800 Personen wurden 1990 in den zwei Monaten zwischen dem Wahltag und der Amtsübergabe der Sandinisten am 25. April eingebürgert. Darunter allein 463 Salvadorianer*innen, 88 Spanier*innen, 87 Südamerikaner*innen, sechs Deutsche, zwei Irakis und ein Ire. Die konservative Zeitung „La Prensa“ hatte schon vor drei Jahren die Listen der Salvadorianer*innen veröffentlicht und versucht, daraus einen Skandal zu machen, da auch Mitglieder der FMLN eingebürgert wurden.

Das sandinistische Nicaragua war anfangs ein Mekka für Revolutionäre aus zahlreichen Ländern. Vielen ist der Weg in ihre Heimat bis heute versperrt. Nach der Wahlniederlage der Sandinist*innen beantragten sie die nicaraguanische Staatsbürgerschaft, um dauerhaft in ihrer Exilheimat bleiben zu können. Die drei deportierten Basken, erwarben sie aber, wie sich jetzt herausstellte, auf der Grundlage gefälschter Dokumente. Eine eingehende Untersuchung wurde vom sandinistischen Polizeichef René Vivas mit dem Argument, die Sache sei völlig legal, lange Zeit verhindert. Vivas wurde aber auf druck der USA im September von Fernando Caldera abgelöst.

Daß sowohl Innenminister Mendieta als auch Armeechef Humberto Ortega unmittelbar nach der Explosion in Santa Rosa die FPL verantwortlich machten, läßt die Vermutung zu, daß beide schon vorher von der Existenz des Waffenlagers gewußt hatten. Nicht nur Beobachter*innen aus dem rechten Lager sind daher überzeugt, daß jemand in deren Auftrag den Unfall provozierte, um gleichzeitig die geheimen Depots der Salvadorianer*innen loszuwerden und die Stimmung gegen die heute nicht mehr willkommenen Ausländer*innen zuschüren.

Pointe am Rande: Der Baske Javier Azpiazu wurde kurz nach seiner Ankunft in Spanien wieder auf freien Fuß gesetzt, da sein Strafregister durch eine Amnestie getilgt wurde. Er will nun in seine nicaraguanische Wahlheimat zu seiner Frau und dem gemeinsamen Kind zurückkehren.

Demobilisierungskommission unter Beschuß

(Managua, Juli 1992, APIA-POONAL).- Die „Interamerikanische Verfiziierungskommission“ (CIAV), die zur Überprüfung und Begleitung der Demobilisierung der ehemaligen Contras und deren Eingliederung ins zivile Leben geschaffen wurde, gerät wegen ihrer einseitigen Parteinahme zugunsten der Ex-Contras immer mehr unter Beschuß. Armeechef Ortega warf der CIAV öffentlich vor, zum Aufstand zu stimulieren. Die nicaraguanische Regierung hat mittlerweile bei der OAS eine Korrektur des Mandats der CIAV beantragt.

Die Parteilichkeit der CIAV, die der Organisation Amerikanischer Staaten unterstellt ist, ist bereits in ihrer Gründung angelegt, denn zu ihren Aufgabe zählt auch der Schutz der entwaffneten Contra-Kämpfer. Die wesentlich größere Anzahl entlassener Armeesoldaten fällt nicht unter die Obhut der CIAV, die 1989 im Gefolge des zentralamerikanischen Präsidentengipfels in Tela, Honduras, ins Leben gerufen wurde. Die einseitige Aufgabenzuweisung erregte kein stärkeres Aufsehen, bis vor wenigen Monaten eine Statistik bekannt wurde, nach der von April 1990 bis Ende 1992 345 sandinistische Bauern von Ex-Contras ermordet wurden. Die CIAV rechtfertigte sich mit dem Hinweis, der Schutz anderer Bevölkerungsgruppen falle nicht unter ihr Mandat.

Ortega: CIAV stimuliert den Aufstand

Angesichts der Vorwürfe verschiedener nicaraguanischer Organisationen gegen die CIAV sah sich sogar die Regierung von Präsidentin Chamorro genötigt, die OAS um eine Korrektur des Mandats der Verifizierungskommission zu ersuchen. Armeechef Ortega beschuldigte die CIAV sogar öffentlich, ihr Mandat zu verletzen und zum Aufstand zu stimulieren. Wenige Tage später gab der Oberkommandierende der CIAV, Santiago Murray, in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Ortega zu, daß einige seiner Funktionäre „Mißbrauch“ begangen hätten. Es wurde eine stärkere Koordination zwischen CIAV, Armee und Regierung vereinbart.

Die Geschichte der CIAV fällt mit dem Regierungswechsel in Nicaragua im April 1990 zusammen. Nach dem Amtsantritt der neuen Regierung begann die Demobilisierung der 22 000 Mitglieder der Contra, die zusammen mit etwa 5000 Familienagehörigen in den Schutz der – anfangs unter UNO-Aufsicht stehenden – CIAV-Einheiten gestellt werden.

Seit 1990 verwaltet die CIAV die Mittel zur Betreuung der entwaffneten Contras. Mit den Geldern wurden zunächst der Anbau und die Ernte von Agrargütern, der Bau von Werkstätten und Häusern sowie die medizinische Betreuung von Kriegsinvaliden finanziert. Diese Projekte sind mittlerweile ausgelaufen, die CIAV beschränkt sich heute auf die Verifizierung der Rechte der Demobilisierten und auf die Einhaltung der von der Regierung gemachten Versprechen. Das hat zur Folge, daß die abgerüsteten Contras – und noch mehr jene Gruppen von Re-Contras, die wieder zu den Waffen gegriffen haben – in der CIAV die einzige Organisation anerkennen, die sich um sie kümmert.

Die Entwaffnung der Contras endete formal bereits 1990. Die zugesagten Regierungsprogramme zur Wiedereingliederung der antisandinistischen Kämpfer*innen wurden jedoch kaum verwirklicht. Ende 1990 tauchten die ersten wiederbewaffneten Gruppen auf, die sogenannten Recontras. Entwaffnete Armeesoldaten reagierten ihrerseits mit der Bildung bewaffneter Einheiten, der sogenannten Re-Compas.

Regierung löste Versprechen nicht ein

Im Januar 1992 unterzeichnete die Regierung nach monatelangen Verhandlungen ein Paket von Maßnahmen zur endgültigen Demobilisierung der bewaffneten Gruppen. Unter anderem sollte in den Konfliktzonen eine gemischte Polizei gebildet werden. Die Abgabe der Waffen sollte durch Prämien gefördert werden. Zwei Führer der Re-Contras erhielten jeweils 100 000 US-Dollar unter der Bedingung, daß sie das Land verließen; die chefs kleinerer Einheiten erhielten, je nach Mannschaftsstärke, zwischen 2000 und 4000 US-Dollar; für jedes abgegebene Gewehr wurde 200 US-Dollar gezahlt. Daraufhin wurden 36 000 Gewehre abgegeben und anschließend vernichtet. Die ehemaligen Kämfper*innen beschuldigten indes abermals die Regierung, ihre Zusagen nicht eingehalten zu haben. Erneut bildeten sich bewaffnete Gruppen, die den Krieg wieder aufnahmen.

Der Oberkommandierende der CIAV, Santiago Murray, beschreibt die Re-Contras folgendermaßen: „Zuerst dachte ich, daß sie die ökonomischen Vorteile, die sie in der Vergangenheit besaßen, wiedererlangen wollten. Doch dann überzeugte ich mich, daß dem nicht so war, daß diese Menschen ein politisches Programm haben.“ Die nicaraguanische Regierung widerspricht dieser Einschätzung, ihrem Urteil zufolge handelt es sich bei den Re-Contras um Kriminelle. Sie will den Aufständischen daher nicht mehr mit materiellen Versprechungen entgegentreten sondern mit militärischer Gewalt. Im vergangenen Monat erklärte sie in 15 Gemeinden im Norden des Landes, wo die Re-Contras am stärksten operieren, den teilweisen Ausnahmezustand.

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