Gipfelradio wehrt sich gegen Räumung

von Andreas Behn

(Rio de Janeiro, 18. Juni 2012, npl).- Direkt am Eingang zum Peoples‘ Summit werden die Besucher*innen von den Lautsprechern des Gipfelradios empfangen. Es sendet von acht Uhr morgens bis 23 Uhr abends. Die Redaktion besteht aus knapp 20 Gruppen, darunter Freie Radios aus Rio de Janeiro, internationale Netzwerke von Radioaktivist*innen, NGOs und soziale Bewegungen.

Jede Gruppe sendet täglich zur gleichen Zeit entweder 30 oder 50 Minuten, die einen auf Portugiesisch oder Spanisch, andere auf Guaraní oder Quechua.Das Radio ist kollektiv organisiert, und obwohl es manchmal recht hektisch zugeht, wird gemeinsam entschieden, was und wie das Radio sendet. Unentbehrlich sind dabei die Kolleg*innen von Radio Rua, die am Mischpult für die Technik zuständig sind, sowie einige Leute, die den Ablauf und die Logistik koordinieren.

Der Name des Radios ist Programm. Das Rádio Cúpula dos Povos, oder Peoples‘ Summit Radio, will allen Menschen und Organisationen, die für soziale und ökologische Gerechtigkeit eintreten, eine Stimme geben. Jede Sichtweise, jeder Zweifel, jede Meinung soll zu Wort kommen, manchmal wird auch spontan diskutiert, wenn das Publikum angesprochen wird oder selbst um das Mikrofon bittet. Nicht zuletzt geht es darum, die Einbahnstraße vom Sender zum Empfänger zu durchbrechen, und allen den Zugang zu Kommunikationsmitteln zu ermöglichen.

Liveradio im Internet

Das Radio sendet live im Internet, damit überall auf der Welt mitgehört werden kann, je nach Sprache und Zeitverschiebung. Wer eine Sendung verpasst, kann sie später noch von der Radioseite im Internet runterladen – sofern die Redaktion es schafft, die Beiträge zu schneiden und hochzuladen. Und zugleich sendet das Radio mit 25 Watt auf der UKW-Freuqenz 90,7, damit es auch auf dem Peoples‘ Summit und in der Umgebung gehört werden kann. Und das ist das Problem.

Zum Nutzen einer öffentlichen Frequenz muss eine Genehmigung beantragt werden. Für kleine Gemeindesender oder community radios ist dies in Brasilien fast unmöglich, es dauert teilweise bis zu zehn Jahre, und die bürokratischen Hürden werden immer höher. „Das Monopol der kommerziellen Privatmedien verhindert das in der Verfassung festgeschriebene Recht auf Kommunikation,“ sagt Arthur William, Repräsentant des Weltverbands der Freien Radios Amarc in Brasilien. „Radiomacher werden diskriminiert und kriminalisiert. So bleibt nichts anderes übrig, als illegalisiert zu senden, um die Öffentlichkeit auf diese Misslage aufmerksam zu machen,“ so William von Amarc.

Beschlagnahmeversuch durch die Polizei

So erlebte das Peoples‘ Summit Radio am Sonntag Nachmittag, was schon unzähligen community radios in Brasilien passiert ist. Im Auftrag der Regulierungsbehörde für Telekommunikation, Anatel, versuchte die Militärpolizei, in das Radio einzudringen und den Sender zu beschlagnahmen. Blitzschnell stellten sich die Radiomacher*innen, unterstützt von anderen Aktivist*innen, vor den Eingang. Das Programm wurde unterbrochen und per Lautsprecher und Frequenz wurde für das Recht auf Meinungsfreiheit mobilisiert. Nachdem auch ein zweiter Räumungsversuch abgewehrt werden konnte, begannen Verhandlungen, zuerst mit der Polizei, später mit Vertretern des Ministeriums für Kommunikation und der öffentlichen Sendeanstalt EBC. Obwohl zuerst eine gütliche Einigung erzielt wurde, beharrte die Anatel auf der Schließung des Radios, weil der Sender angeblich die Funkfrequenzen des nahegelegenen Flughafen störte – immer wieder wird in den brasilianischen Medien fälschlicherweise behauptet, dass Freie Radios die Flugzeuge zum Absturz bringen.

Als der Konflikt am Abend erneut zu eskalieren drohte, intervenierte der Vize-Kommunikationsminister persönlich. Eine neue Verhandlungsrunde endete mit einem guten Ergebnis. Zwar musste der Sender sofort abgeschaltet werden. Aber am Montag durfte mit einem anderen, neueren Sender wieder gesendet werden, diesmal sogar mit einer spontan erteilten Probelizenz im Namen der Sendeanstalt EBC.

Die Radio-Aktivist*innen hatten allen Grund zu feiern. Nur für kurze Zeit mussten sie den Sender Abschalten, über Internet wurde natürlich weitergesendet. Und durch den zivilen Ungehorsam wurde nicht nur viel Öffentlichkeit erreicht, sondern sogar – sozusagen über Nacht – eine Lizenz erwirkt. Natürlich kam diese Vermittlung auf höchster Ebene nur zustande, weil die Regierung unschöne Szenen auf dem Peoples‘ Summit verhindern wollte. Andere community radios haben keinen solchen Schutz seitens der Zivilgesellschaft, oft endet der Besuch der Anatel für denjenigen, der zufällig im Sender sitzt, im Gefängnis.

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