Erste Studie über Auswirkungen der Dominanz durch Milizen in Rio de Janeiro

(Rio de Janeiro, 29. August 2008, púlsar).- Eine Studie des Soziologen Ignacio Cano präsentiert die erste Radiografie über das Verhalten von Milizen, die sich in Rio de Janeiro mit dem organisierten Drogenhandel einen erbitterten Kampf um Einflussgebiete liefern. Auf Basis einer Vielzahl von Quellen zeichnet die Studie ein dramatisches Bild: Der Alltag in der zumeist armen Gemeinden unter den (paramilitärischen) Milizen ist noch gewalttätiger als zur Zeit, als die Gebiete von Drogenhändlerbanden kontrolliert wurden.

Ein Zahlenbeispiel: zwischen 2006 und 2008 wurden in den von Milizen kontrollierten Gebieten 1.549 Klagen wegen Erpressung und über 500 Klagen wegen Mordes registriert. Die Berichte über Gewaltakte und Missbrauch sind schwerwiegend: Neben der unmittelbaren Gewaltausübung und Erniedrigung verletzen die Milizionäre die Privatsphäre der Bewohner*innen der Gemeinden. Unter anderem wird den Familien verboten, nach bestimmten Uhrzeiten zuhause Musik zu hören, es werden Ausgangssperren verhängt und sogar die Entscheidung, wann und in welchen Kindergarten die Kinder geschickt werden, wird beeinflusst.

Nach Aussage von Rafael Rias von der NRO Justiça Global, Mitautor der Untersuchung, „repräsentiert die Miliz eine militärische Kultur und predigt einen moralisierenden Diskurs. Man soll nicht trinken und nicht bestimmte Musik wie beispielsweise Funk hören.“ Auch die Anti-Drogen-Rhetorik sei auffällig. Dies hindert die Milizen, die großenteils aus aktiven und ehemaligen Polizist*innen und Feuerwehrleuten bestehen und von einer Vielzahl korrupter Politiker*innen unterstützt wird, nicht daran, selbst Drogenhandel zu betreiben.

Die Studie basiert auf 248 Zeitungsartikeln, fast 3.500 Telefonanzeigen bei Behörden und 46 Interviews mit Bewohner*innen der betroffenen Gemeinden. Es wird geschätzt, dass im Bundesstaat Rio de Janeiro heute 150 Milizen existieren, die meisten davon in Favelas innerhalb des Stadtgebiets von Rio de Janeiro.

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