Der Aufstand der Vergessenen – Costa Ricas Indigene wehren sich gegen Großgrundbesitzer*innen

Von Markus Plate, San José

(San José, 29. April 2016, voces nuestras-npl).- Fünf Stunden Busfahrt sind es von Costa Ricas Hauptstadt San José bis nach Cabagra. Zunächst die Küstenkordilleren hinauf zum Cerro de la Muerte, dann hinunter auf die Pazifikseite und weiter Richtung Panama. Später, in der kleinen Provinzhauptstadt Buenos Aires, dem Flusslauf folgend die Berge hinauf, zunächst noch auf Asphalt, dann nur noch auf Schotterpisten und Flussquerungen über Hängebrücken. Es ist ein entlegenes, hügeliges, wasserreiches Land. Es ist eines von vier Territorien der Bribri-Indígenas in Costa Rica. In den Dörfern und Gehöften leben die Menschen in mit Palmzweigen gedeckten Holzhäusern. Kinder spielen auf den Wegen. Friedlich, fast idyllisch mutet das an. Doch der Schein trügt.

Brutale Gewalt gegen indigene „Landbesetzer*innen“

Am Rande eines eingezäunten Feldes ragen angesengte Holzpfeiler aus einem Aschemeer empor. Stumme Zeugen eines Angriffs. Noch vor wenigen Tagen standen hier drei einfache, mit schwarzer Plastikfolie überspannte Holzkonstruktionen, in denen zwanzig Menschen lebten. Dann kamen die Schergen des Großgrundbesitzers Mario Espinoza Vargas.

 „Um acht Uhr abends haben sie uns mit Waffen angegriffen. Sie haben meinen Onkel Adilio angeschossen, meinen Onkel Antonio haben sie mit der Machete verletzt. Sie haben unsere Hütten angezündet, unser Essen und unsere Kleidung verbrannt”, erzählt Clarita Quiel Torres. Um acht Uhr abends in der Nacht des 7. April stürmten 30 Nicht-Indígenas das Camp, bewaffnet mit Pistolen, Stöcken, Macheten und Benzin. Zwei Ihrer Onkel wurden schlimm zugerichtet. Adilio Ortíz schlugen sie zusammen, schnitten ihm ins Gesicht, und schossen ihm in Hand und Bein. Den Körper von Antonio Torres Leiva prügelten sie mit Stöcken – bis die Knochen brachen und die Haut aufsprang.

Ignoranz gegenüber Indigenen

Cabagra ist eines von dreißig Camps, mit denen die Indigenen seit ein paar Jahren die Wiederherstellung ihrer Territorien erzwingen wollen. Es ist Land, das sich Nicht-Indigene unter den Nagel gerissen haben. Nachdem Proteste und Anzeigen dagegen jahrelang kein Gehör fanden, haben die Indigenen vor ein paar Jahren damit begonnen, Land, ihr eigenes Land zurück zu besetzten. Die Großgrundbesitzer*innen, die dieses Land in Beschlag genommen hatten, antworten mit gewalttätigen Angriffen, bei denen es seit 2012 immer wieder Verletzte und sogar Morde und Mordversuche gegeben hat. Im letzten Jahr war ein junger indigener Mann sogar mit einem heißen Eisen gebrandmarkt worden.

So hatte Marí Luz Ortíz auch Angst, die vom Großgrundbesitzer eingezäunten Ländereien zu besetzen. Schließlich habe so ein Großgrundbesitzer keine Skrupel, aber Geld genug, um Auftragskiller zu kaufen und die Familie samt der Kinder einfach umbringen zu lassen: „Aber genau für unsere Kinder machen wir das! Einige von uns mögen heute sterben. Aber dann werden unsere Kinder den Kampf um unser Land und unsere Kultur weiterführen.“

Costa Ricas Umgang mit seinen indigenen Gruppen war lange Zeit von Ignoranz geprägt. Den meisten Costa-Ricaner*innen ist überhaupt erst seit wenigen Jahren bewusst, dass in ihrem Land acht indigene Ethnien leben. Und dass es 22 indigene Territorien gibt, die der Staat schon seit den 1950er Jahren ausgewiesen hat. Seit 1977 gibt es ein „Indigenen-Gesetz“, das unter anderem die Unantastbarkeit dieser Territorien garantiert. Eigentlich. Die Großgrundbesitzer*innen in der Nachbarschaft haben sich dennoch Land unter den Nagel gerissen. Und einfache Siedler*innen haben hier und da ein Stück Land gerodet und sich niedergelassen. Einige haben sogar im guten Glauben eine Parzelle gekauft. Dabei ist das Indigenen-Gesetz eindeutig, wie der Anwalt Gustavo Cabrera Vega erläutert. Cabrera arbeitet bereits seit einem Vierteljahrhundert mit indigenen Gemeinden zusammen.

Der Staat duldet illegale Besiedlung indigener Territorien

„Das Indigenen-Gesetz von 1977 schreibt in Artikel 2 fest, dass die indigenen Territorien unabtretbares Eigentum der indigenen Gemeinschaften sind. Sie können nur zwischen Indígenas verkauft und übertragen werden. Nicht-Indigene dürfen dieses Land nicht kaufen, besitzen, übertragen oder darüber verfügen. Jeder Landtitel, den ein Nicht-Indígena durch ein Geschäft mit einem Indígena erwirbt, ist laut Gesetz Null und Nichtig. Anwälten und Notaren ist es verboten, solche Übertragungen von Landtiteln durchzuführen. Da schon in den 1950er Jahren die Grenzen der indigenen Territorien festgelegt wurden, kann sich niemand darauf berufen, keine Kenntnis davon gehabt zu haben, sich illegal auf indigenem Territorium zu befinden.“

Heute sind große Teile der Territorien im Besitz von Sikuas, so nennen die indigenen auf Bribri die Weißen. Ein Teil der ausgewiesenen Territorien war schon vor 1977 von nicht Indigenen besiedelt worden. Mit dem Gesetz verpflichtete sich der Staat, diesen Siedler*innen Entschädigung zu zahlen, was bisher allerdings nicht geschehen ist. Die illegale Besiedlung durch weitere Siedler*innen nach 1977 hat der Staat nicht verhindert. Im Gegenteil: Die Polizei macht meistens gemeinsame Sache mit Großgrundbesitzer*innen. Und die gewaltsamen Angriffe auf indigene Gemeinden sind meistens straflos geblieben.

Die Tatenlosigkeit des costa-ricanischen Staates hat mittlerweile internationale Organisationen auf den Plan gerufen: Im April 2015 hat die interamerikanische Menschenrechtskommission CIDH vom costa-ricanischen Staat gefordert, den Schutz der Indigenen vor den Angriffen illegaler Landbesetzer*innen sicherzustellen. Nach den aktuellen Angriffen reiste Costa Ricas Justizministerin Cecilia Sánchez Romero nach Cabagra und versprach verstärkte Polizeipräsenz und eine Lösung des Konfliktes. Versprechungen, die die indigenen Gemeinden schon des Öfteren gehört haben und die ebenso oft folgenlos geblieben sind.

Protestdemonstration vor dem Präsidentenpalast

Am 19. April, dem Tag der amerikanischen Ureinwohner*innen, protestierten Indígenas und Sympathisant*innen vor dem Präsidentenpalast in San José. Sie erwarten eine Lösung, nicht nur die üblichen Worte, sondern dass auch endlich Taten folgen. Auch Clarita Quiel Torres, deren Onkel in der Nacht auf den 7. April so übel zugerichtet worden waren, ist in die Hauptstadt gekommen. Sie fordert, dass die Regierung von Präsident Solís endlich das Recht durchsetzt und die Ihren vor den Übergriffen der Großgrundbesitzer*innen schützt: „Wir wollen hier nicht in Plastiksäcken fortgetragen werden, so wie es Mario Espinoza Vargas gedroht hat. Und wir haben ja am 7. April gesehen, dass das keine leeren Drohung sind.”

Costa Rica steht möglicherweise vor einer weiteren Eskalation des Konfliktes um seine indigenen Territorien. Eine Eskalation, die der costa-ricanische Staat durch das Ignorieren seiner eigenen Gesetze und seine Komplizenschaft mit dem gewaltsamen Landraub durch weiße Großgrundbesitzer*innen selbst befeuert.

Yanoy Rojas vom Volk der Buruca, vertritt eine neue Generation von Indígenas, die in San José studiert und sich als Vertretung ihrer Ethnie in der Hauptstadt versteht. In der costa-ricanischen Gesellschaft gebe es immer noch den Glauben, die Indigenen seien weit weg, zählten nicht. Aber das ändere sich! „Im Moment protestieren wir nur, so wie heute. Aber wenn die Aggressionen weitergehen und der Staat das nicht endlich unterbindet, dann besteht die Gefahr, dass es zu einem Aufstand der indigenen Gemeinden kommt. Es ist Zeit, dass den Menschen das klar wird.”

Zu diesem Artikel gibt es einen Audiobeitrag bei Radio onda, den ihr hier anhören könnt.

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