Kubaner*innen als Spielball streitender Regierungen

von Markus Plate, La Cruz

(San José/La Cruz, 09. Dezember 2015, voces nuestras).- La Cruz ist ein kleines Städtchen in der costa-ricanischen Provinz Guanacaste. Es liegt an der Panamericana, zwischen der Provinzhauptstadt Liberia und etwa 20 Kilometer vom Grenzübergang Peñas Blancas zu Nicaragua entfernt. Unterhalb liegen, traumhaft schön, der Golf von Santa Elena und die Bucht von Salinas. Die grüne Grenze zu Nicaragua ist sogar in nur drei Kilometer Entfernung in Sichtweite. Im Liceo Bilingue, der zweisprachigen Schule direkt am Ortseingang, wird seit über zwei Wochen nicht mehr unterrichtet.

2.500 kubanische Migrant*innen hängen in Guanacaste fest

In den 15 Klassenräumen, auf den Fluren und in der Aula liegen Hunderte Matratzen und zu Schlafgelegenheiten umfunktionierte Pappkartons. Zwischen Pfosten hängt Kleidung zum Trocknen, Kinder und Jugendliche spielen in den Höfen, in einer Ecke werden Haare geschnitten. Zwei Männer bereiten Arroz Congrí zu, eine Spezialität aus Reis, schwarzen Bohnen, Zwiebeln, Paprika und Knoblauch, ein besonders beliebtes Gericht in Kuba. Das Ganze in einem riesigen Topf und mit einer Schaufel zum Umrühren. Hunderte von kubanischen Einwanderern warten hier, seitdem das Nachbarland Nicaragua die Weiterreise der Kubaner*innen in Richtung USA blockiert.

Auch die örtliche Pfarrei ist überfüllt. Der Hof neben der Kirche dient als Erstaufnahmelager, von hier aus werden die Menschen auf die anderen Einrichtungen verteilt. Wie in allen Aufnahmelagern ist das Rote Kreuz vor Ort. Minor Calvo Pérez, ein ehrenamtlicher Rotkreuzler, spricht von mittlerweile über 2.500 Migrant*innen, die in verschiedenen Orten in Guanacaste untergebracht sind.

Die Versorgung so vieler Menschen stellt das kleine Land Costa Rica vor ziemliche Herausforderungen. Auch Minor ist jetzt, am Nachmittag, schon ziemlich erschöpft: „Wir sind heute morgen um zwei Uhr früh aufgebrochen, sind drei Stunden hierher gefahren, morgen Abend geht es wieder nach Hause. Das ganze Land ist involviert, alle Institutionen, von der Präsidentschaft, über die nationalen Notfall- und Migrationsbehörden bis zum Roten Kreuz. Wir alle kümmern uns um die Verpflegung, um Wasser, um medizinische Versorgung, organisieren Kleiderspenden. Wir versuchen also, ein Mindestmaß an Komfort zu garantieren. Soweit das möglich ist, denn Costa Rica ist kein reiches Land.“

Einheimische bleiben gelassen

Vis-a-Vis von der Pfarrei sitzt eine lokale Familie auf ihrer Veranda und schaut dem Treiben auf dem Pfarreihof zu, wo ein paar Jungs, die Volleyball spielen und Familien unter dem großen Dach bei guten 30 Grad Celsius Siesta halten. Die Einwohner*innen von La Cruz scheinen keine großen Probleme mit der Anwesenheit so vieler Menschen zu haben. Es sei, so Minor Calvo Pérez, immerhin die größte humanitäre Herausforderung für Guanacaste seit dem Contrakrieg in Nicaragua in den 1980er Jahren, der Tausende Menschen zur Flucht nach Costa Rica gezwungen hatte.

In La Cruz hat man, so wie die Großmutter auf der Veranda, Sympathie mit den Kubaner*innen, weiß, dass sie auf langer und gefährlicher Reise sind. Dass sie nun dazu verdammt sind, in La Cruz zu warten, sei ja nicht ihre Schuld. Sie haben halt das Pech, zu Opfern der ewigen Reibereien zwischen den Regierungen Costa Ricas und Nicaraguas geworden zu sein, sagt die betagte Frau. Wut richtet sich allenfalls gegen die beiden Regierungen in den entfernten Hauptstädten Managua und San José. Nationalismus kommt nicht auf, die meisten hier haben eh beide Staatsbürgerschaften.

„Und selbst, was ein Arzt verdient, ist Mist.“

In letzter Zeit ist die Zahl kubanischen Migrant*innen deutlich angestiegen. In den ersten neun Monaten dieses Jahres überquerten fast 20.000 Menschen die Grenze zwischen den USA und Mexiko bei Laredo, etwa 60 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Aber – warum migrieren sie gerade jetzt? Einige Medien spekulieren, dass die Annäherung zwischen Kuba und den USA mit der Praxis Schluss machen könnte, dass Kubaner*innen in den USA unbürokratisch Asyl beantragen und Aufenthaltsrecht gewährt bekommen.

Für die Kubaner*innen hier war das jedoch nicht der Migrationsgrund. Auch nicht für die 50-jährige Maidely Fernández, die am 6. November mit ihrer Tochter ihre Heimatstadt Havanna verlassen hatte: „Es kann noch so viele Verhandlungen zwischen den USA und Kuba geben, aber die kubanische Bevölkerung sieht davon gar nichts. Wir sind fast 5.000 Menschen, die in Costa Rica oder auf dem Weg hierher sind. Wäre es so, dass die Verhandlungen spürbare Verbesserungen gebracht hätten, wären wir doch nicht gegangen. Aber der Wirtschaft geht es sehr schlecht, der Mindestlohn liegt bei gerade mal acht Dollar pro Monat. Ich habe als Altenpflegerin gearbeitet und auch nur zwölf Dollar verdient. Und selbst, was ein Arzt verdient, ist Mist. “

Kubanische Wirtschaftsmigrant*innen?

Es sind Menschen wie Maidely, die bei der so genannten westlichen freien Presse sehr begehrt sind. Wenn Guatemaltek*innen, Honduraner*innen oder Mexikaner*innen zu Hunderttausenden aus ihren Ländern fliehen, ist in den Medien von Wirtschaftsmigrant*innen die Rede, von Menschen, die angeblich eine Bedrohung für die Arbeitsmärkte und Sozialsysteme des globalen Nordens darstellen. Im Fall von Kuba jedoch, sprechen die gleichen Medien von Flüchtlingen und plädieren mehr oder weniger offen für einen „Regimewechsel“ auf Kuba, auch wenn fast alle Kubaner*innen hier in La Cruz ein materiell besseres Leben als Hauptgrund für ihre Reise in die USA nennen.

Von einer Insel wie Kuba wegzukommen, ist naturgemäß nicht einfach. Ecuador war bis vor kurzem das einzige Land in der Region, in dem es für Kubaner*innen keine Visapflicht gab. Ein Flugticket für die Strecke Havanna-Quito oder Guayaquil bekam man recht problemlos. Dies sei der Grund für die steigende Zahl von Kubaner*innen an der US Grenze. Die Menschen hätten einfach Spitz gekriegt, dass Ecuador ein Tor sei. Aber dann folgt der lange Weg von Quito Richtung Norden: Über die Grenze nach Kolumbien und anschließend quer durchs Land Richtung Panama. Weiter geht es im Boot oder Flugzeug nach Panama-Stadt oder Colón. Und schließlich nach Costa Rica.

Schattenseiten einer kostspieligen Reise

Besonders Kolumbien war für viele unangenehm. So für Yadeni, eine 36-jährige Mutter, die seit zwei Wochen unter dem Dach der costaricanischen Grenzstation in Peñas Blancas ausharrt: „Die kolumbianische Polizei ist die Schlimmste! Immer wollten sie Geld, mal hundert, mal 200 Dollar, einem haben sie sogar 2.000 Dollar abgenommen. Andere haben sie geschlagen, richtig verprügelt. Und um Kolumbien mit dem kleinen Boot Richtung Panama verlassen zu dürfen, mussten wir wieder dreihundert Dollar bezahlen.“

Dennoch ist Maidely froh, sich auf dieses Abenteuer eingelassen zu haben: „Ich habe Kuba noch nie verlassen. Ich habe vier Länder und ihre Menschen kennengelernt. Und hier in Costa Rica habe ich zum ersten Mal in meinem Leben mit der Presse gesprochen.“ Aber es ist eben auch eine äußerst kostspielige Reise. Maidely hat, wie fast alle hier, alles verkaufen müssen, was sie in Kuba besaß. Das Haus, die Möbel, Bücher, Werkzeug. So hat sie die 4.000 Dollar zusammenbekommen, um von Havanna über Ecuador bis an der Grenze zu Nicaragua zu kommen. Und nun sind Maidely und die anderen zum Warten verurteilt.

Costa Ricas Regierung hat Visa annulliert

Seit dem 16. November blockiert Nicaragua die Einreise. Nicaraguas Regierung argumentiert, dass das Land irreguläre Migration nicht unterstützen werde und beschuldigte die Regierung von Costa Rica, mit dem tausendfachen Durchwinken von Migrant*innen eine schwere Krise an der Grenze ausgelöst zu haben.

Maidely Fernández ist der Auffassung, dass es die Nähe zwischen Daniel Ortega und Raúl Castro ist, die Nicaragua veranlasst habe, die Grenze zu schließen.

Andere, wie Ñurca Aday Rodríguez, eine Frau von fast 60 Jahren, die mit ihrem Mann unterwegs ist, sieht eine Mitverantwortung bei den Behörden Costa Ricas: „Die costa-ricanische Regierung versucht, das Unmögliche möglich zu machen, um unseren Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Ich weiß das sehr zu schätzen. Aber es ist auch ein bisschen ihre Schuld, dass wir hier sind: Die Migrationsbehörde hat uns, also der ersten großen Welle, die hier ankam, das Visum annulliert und uns als Deportierte Richtung Nicaragua gefahren. Dieses Dokument war für die Behörden in Nicaragua der Anlass, uns zurück nach Costa Rica zu schicken, bei Hunderten von Deportierten haben bei ihnen natürlich die Alarmglocken geläutet. Vorher konnten wir Kubaner*innen für 83 Dollar ein Transitvisum erwerben und so ohne Probleme nach Honduras zu gelangen. Das hätten wir natürlich auch gerne gemacht, aber wegen des Deportationsstempels hat Nicaragua eben die Einreise verweigert.“

Hoffen auf eine Lösung

So bleibt die Lage an der Grenze schwierig. Auch wenn Ecuador seit dem ersten Dezember die Visapflicht für kubanische Staatsbürger*innen eingeführt hat und so in Zukunft sicherlich weniger Menschen über diese Route kommen werden. Aber all diejenigen, die schon in Ecuador, Kolumbien und Panama sind, werden irgendwann Costa Rica erreichen. Costa Rica versucht derweil, die verbliebenen Kubaner*innen von der Grenze weg auf die Notunterkünfte in La Cruz und anderswo zu verteilen. Aber viele, wie Ñurca Aday, Yadeni und Dutzende mehr ziehen es vor, an der Grenze auszuharren.

Diejenigen, die an der Grenze ausharren, sehen sich als die Repräsentanz der kubanischen Migrant*innen und Grenzen. Diejenigen, die Tag für Tag Druck ausüben auf die Regierungen von Costa Rica und Nicaragua, damit diese endlich zu einer Lösung kommen. Sichtbar für Hunderte von internationalen Reisenden, die täglich die Grenze passieren.

So ist die Grenze auch ein Fundraising-Standort. Jedes Mal, wenn einer der internationalen Busse am Eingang der costa-ricanischen Migration Halt macht, werden die Aussteigenden um den einen oder anderen Soli-Dollar gebeten. Die Reisekasse soll wieder aufgefüllt sein, wenn es dann irgendwann weiter gehen kann. Die Mittel werden weiter nördlich, in Honduras, Guatemala oder Mexiko mit Sicherheit benötigt.

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