Freiwild: Mittelamerikanische Migrant*innen als Entführungsopfer in Mexiko

von Gerold Schmidt, Mexiko

(Berlin, 27. Juni 2009, npl).- Für die mexikanischen Migrant*innen ohne gültige Papiere beginnt die wirkliche Tortur oft erst an der Grenze mit den USA. Dagegen trifft es die Mittelamerikaner*innen schon 2.000 Kilometer weiter südlich. Dies legt ein Bericht der staatlichen Nationalen Menschenrechtskommission CNDH (Comisión Nacional de Derechos Humanos) Mexikos ein weiteres Mal offen. Danach werden immer mehr Migrant*innen aus Honduras, El Salvador, Guatemala und den anderen Nationen des zentralamerikanischen Isthmus Opfer von Entführung und Erpressung, wenn sie versuchen, das Aztekenland zu durchqueren.

Auch aus Habenichtsen lässt sich mit genug Skrupellosigkeit noch eine Menge Geld heraus quetschen. Fast 10.000 entführte Migrant*innen registrierte die CNDH allein im Zeitraum September 2008 bis Februar 2009. Geschätzte Einnahmequelle für die Täter bei diesen offiziell registrierten Fällen: 25 Millionen US–Dollar. Meistens werden MigrantInnengruppen geschlossen entführt, das ist lohnender. Die menschenunwürdige “Unterbringung” findet in sogenannten Sicherheitshäusern, Lagerschuppen oder sogar als Hotels getarnten Unterkünften statt. Sehr häufig sind es die Polleros, die von den Gruppen bezahlten Schleuser, die die Menschen den organisierten Banden buchstäblich ans Messer liefern.

Manchmal sind es nur Stunden, manchmal Monate, die das zentralamerikanische Freiwild festgehalten wird. Wer weder ausreichend Geld bei sich hat noch zurück gebliebene Familienangehörige angeben kann, die die geforderte Summe aufbringen können, hat schlechte Karten. Schläge, Folter, Vergewaltigung – von Männern und Frauen – und Mord sind die fast logische Konsequenz. So sind nach Angaben der salvadorianischen Organisation Komitee der Familienangehörigen von vermissten und getöten Migrant*innen aus El Salvador, Cofamide (Comité de Familiares de Migrantes Fallecidos y Desaparecidos El Salvador), in den vergangenen zwei Jahren knapp 300 salvadorianische Migrant*innen in Mexiko umgekommen oder verschwunden. Aus Honduras reiste im Oktober 2008 eine Karawane von 14 Müttern durch Mexiko, um nach fast 600 Landsleuten zu forschen, die auf ihrem Weg in die USA in den letzten Jahren verschwanden.

Im ganzen Ausmaß sind die Attacken gegen die mittelamerikanischen Migrant*innen nur möglich durch das Wegsehen oder die direkte Beteiligung staatlicher Autoritäten. Die in der Regel nicht besonders kritische CNDH sieht eine Verwicklung aller drei Regierungsebenen in das Entführungsgeschäft. Konkrete Namen nennt sie allerdings nicht. Immer wieder erscheinen in der Presse kleinere Meldungen, in denen über die Zusammenarbeit von örtlichen Polizisten mit den organisierten Banden bei der Ausplünderung von Migrant*innen berichtet wird. Für viele mittelamerikanische Migrant*innen endet der Weg in die USA schon in den südlichen und südöstlichen mexikanischen Bundesstaaten Chiapas, Oaxaca, Veracruz und Tabasco. Die Region ist unter ihnen auch als der “tödliche Trichter” bekannt.

In den von der CNDH erfassten Fällen kamen 67 Prozent der Migrant*innen aus Honduras, 18 Prozent aus El Salvador und 13 Prozent aus Guatemala. Insgesamt dürften es jedes Jahr weit über 200.000 Personen aus Mittelamerika sein, die versuchen, über Mexiko in die USA zu kommen. Nur ein kleiner Teil von ihnen ist dabei erfolgreich. Die mexikanische Menschenrechtskommission fordert von den verschiedenen staatlichen Autoritäten “sofortige Antworten” auf das Entführungsphänomen. Eine kam postwendend vom chiapanekischen Gouverneur Juan Sabines. In einer bezahlten Zeitungsanzeige lässt er sich von einem guatemaltekischen Konsul bestätigen, dass unter seiner Regierung der Respekt der Menschenrechte der Migrant*innen Vorrang hat.

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