Wie romantische Liebe sexuelle Gewalt erzeugt

von Dedenhi Hernández Ramírez

(Mexiko-Stadt, 14. Februar 2011, cimac).- Das in der westlichen Kultur gängige Modell der romantischen Liebe ist einer der Faktoren, welcher sexuelle Gewalt in Partnerschaften ermöglicht, fördert und aufrecht erhält.

Das bekräftigt die spanische Psychologin und Sexualforscherin Pilar Sampedro in dem Artikel „Der Mythos der Liebe und seine Konsequenzen für die Beziehung“. Darin erklärt sie, dass Frauen, die auf der Suche nach romantischer Liebe sind, mit höherer Wahrscheinlichkeit Gewalt erleben und dauerhaft erdulden, da ihnen die Beziehung einen Sinn fürs Leben gebe.

Sampedro bezieht sich auf den Schweizer Philosophen Denis de Rougemont, der einige Charakteristika des Liebesmodells in der westlichen Kultur festgestellt hat: der Gefallen am Unglück und an der unmöglichen Liebe, die Überidealisierung der Liebe und der geliebten Person – alles Vorstellungen, die weder das Wissen voneinander, noch den gegenseitigen Respekt fördern.

In einem Interview bemerkt Marta Torres Falcón, Doktorin der Sozialwissenschaften, dass Frauen und Männer mit der Idee brechen sollten, Liebe mit Gewalt zu verbinden; genauso wie Eifersucht, Besitz und Schläge nicht mit Liebe in Zusammenhang gebracht werden sollten. Die Professorin und Forscherin am soziologischen Institut der autonomen Universität UAM Azcapotzalco in Mexiko-Stadt beobachtet: „Wenn Frauen in einer Beziehung bleiben, in der sie misshandelt werden, ist es nicht aus Liebe, sondern weil sie glauben, dass sich irgendwann etwas ändern könnte.“

Sie betont, dass bereits Jugendliche auf gewisse “geschlechtsspezifische Zwänge” reagieren, die festlegen, dass sowohl Erfolg, als auch soziale und familiäre Anerkennung von einer Paarbeziehung abhängen. Diese Vorstellungen bringen Frauen dazu, Dinge zu erdulden, die ihnen missfallen, denn sie denken, “dass ein Leben ohne Partner viel schlimmer sein könnte”. Torres Falcón schlägt daher vor, dass Frauen und Männer sich fragen sollten, welche Art von Bindung sie aufbauen möchten. Beide sollten berücksichtigen, dass Vorstellungen von Liebe mit gleichberechtigten Beziehungen und echtem Respekt für die andere Person einhergehen sollten.

“Lieben ist leiden, gern haben ist genießen“

Laut der landesweiten Umfrage zu Beziehungsdynamiken in Haushalten ENDIREH 2006 (Encuesta Nacional sobre la Dinámica de las Relaciones en los Hogares) geben vier von zehn Frauen mit Beziehungserfahrung an, dass sie schon einmal Situationen emotionaler, wirtschaftlicher, physischer oder sexueller Gewalt in der Beziehung erlebt haben.

Die Statistik zeigt, dass von 100 Frauen ab 15 Jahren, die eine Beziehung haben oder hatten, 38 emotionale Gewalt erlitten haben, 23 wirtschaftliche Gewalt, 19 physische Gewalt und neun sexuelle Gewalt. Das nationale Institut für Statistik und Geographie Mexikos INEGI stellte fest, dass 65 Prozent der Frauen, die physische oder sexuelle Gewalt erlitten haben, dies nicht angezeigt haben. Zwölf Prozent der Frauen wenden sich demnach nicht an die Behörden, weil sie kein Vertrauen in das Sicherheits- und Rechtssystem haben.

Mythen und Aberglauben

Die Studie “Vom Mythos der romantischen Liebe zur Gewalt gegen Frauen in der Partnerschaft“, die von der Forscherin Bosch Fiol der Universität der Balearen geleitet wurde, verweist ebenfalls darauf, dass das Modell der romantischen Liebe zu den Faktoren zählt die dazu beitragen, dass sexuelle Gewalt in einer Beziehung ermöglicht und aufrecht erhalten wird.

Diese Art von Gewalt wird demnach seitens der Männer gegen die Frauen angewendet, um die Macht über die Beziehung zu erlangen und zu kontrollieren. Aus der Untersuchung geht hervor, dass das kulturell verankerte Liebesmodell für die Frauen eine Selbstaufgabe bedeutet. Sich selbst zu vergessen und sich total dem anderen hinzugeben führt zu Verhaltensweisen der Abhängigkeit und der Unterordnung gegenüber den Männern.

Die wahre Liebe

Die an der Studie beteiligten Expertinnen verstehen den Mythos als einen Glauben, der als absolute Wahrheit dargestellt wird. Die Mythen sind hochgradig emotional aufgeladen und tragen dazu bei, die Ideologie einer Gruppe zu erfinden und aufrechtzuerhalten. Deswegen sind sie gewöhnlich sehr resistent gegenüber Veränderungen und rationalem Denken.

Die Forscherinnen unterstreichen, dass im Fall der Frauen die auf die Liebe bezogenen Mythen und Glaubensweisen einen Teil ihrer Sozialisation bilden und sich dadurch zur „Stütze und vorrangigem Lebensprojekt“ entwickeln. Es handelt sich um Glaubensweisen über die „vermeintlich wahrhaftige Natur der Liebe“, die von der Gesellschaft geteilt werden. So existiere beispielsweise der Glaube, dass Eifersucht ein Liebesbeweis sei und sogar ein unentbehrliches Erfordernis für die „wahre Liebe“.

Gewalt in der Beziehung

Nach Ansicht der Psychologin Claudia Ivonne Guerrero Salinas werden Partnerbeziehungen von Frauen und Männern auf unterschiedliche Weise erlebt. Während Frauen eher auf den anderen eingehen und für ihn sorgen, bevorzugen Männer ihre Individualität. Im Interview mit Cimacnoticias stellt Guerrero Salinas fest, dass Frauen Gewalt nicht als solche erkennen – und wenn sie es doch tun, dann rechtfertigen sie die Gewalt. Daher sei ein Ausweg aus dieser Situation viel schwieriger. Außerdem bestehe eine soziale Legitimität für Gewalt in der Partnerschaft, bemerkt die Psychologin.

Die Liebe sollte mit „viel Genuss“ erlebt werden – man solle lernen herauszufinden, „was uns von diesem Genuss abhält; was uns verletzt, was uns unangenehm ist, was uns an der beruflichen, akademischen und persönlichen Weiterentwicklung hindert“, bekräftigt Guerrero Salinas.

In ihrer Forschungsarbeit über die in einer Beziehung erlebten Gewalt, die Studentinnen der Autonomen Universität Mexikos UNAM (Universidad Nacional Autónoma de México) erlebt haben, fand die Psychologin heraus, dass einige der Studentinnen bereits Gewalt von ihrem Partner erfahren haben, seit sie 12 Jahre sind. In den meisten der Fälle werden damit emotionale Schäden beabsichtigt.

Die Studie wurde mit 183 Studentinnen zwischen 17 und 27 Jahren durchgeführt. 60 Prozent von ihnen studieren Psychologie, 40 Prozent Ingenieurwissenschaften; auch diese berichteten, selbst Fälle von wirtschaftlicher, sexueller und physischer Gewalt erlebt zu haben.

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