Poonal Nr. 143

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 143 vom 17.05.1994

Inhalt


MEXIKO

HAITI

GUATEMALA

ARGENTINIEN

KUBA

VENEZUELA

BOLIVIEN

EL SALVADOR

BRASILIEN


MEXIKO

Keine Neuigkeiten, aber ein historisches Ereignis

– Erste öffentliche Debatte zwischen Präsidentschaftskandidaten

(Mexiko-Stadt, 13. Mai 1994, POONAL).- „Möglich, daß das wichtigste Merkmal der Debatte sein wird, daß sie stattfindet.“ Der Kommentator der mexikanischen Tageszeitung „La Jornada“ traf bereits zwei Tage vor der mit Spannung erwarteten Diskussionsrunde der drei wichtigsten Präsidentschaftskandidaten den Nagel wohl auf den Kopf. Denn als sämtliche Fernseh- und Radiostationen des Landes am Donnerstagabend mexikanischer Zeit live aus einem Saal des Technologiemuseums der staatlichen Stromkommission sendeten, boten Ernesto Zedillo Ponce de León von der Regierungspartei PRI, Cuauthémoc Cárdenas Solórzano von der linken Oppositionspartei PRD und Diego Fernández de Cevallos von der rechten Oppositionspartei PAN nichts sensationell Neues. Aber zum ersten Mal in der Geschichte Mexikos wurde die Regierung öffentlich mit der Opposition konfrontiert.

Jahrzehntelang war die herrschende Partei der Institutionalisierten Revolution dieser Herausforderung mit der Begründung ausgewichen, sie repräsentiere sowieso den Mehrheitswillen. Zum ersten Mal auch mußte sie 90 Minuten lang vor laufenden Fernsehkamaras und Mikrofonen der Opposition die gleiche Sendezeit einräumen wie ihr selbst. Allein diese Tatsache wird allgemein als „historisches Ereignis“ in Mexiko angesehen. Die Debatte selbst war mehr durch Monologe als durch ein wirkliches Streitgespräch gekennzeichnet. Dies verwundert wenig. Die Abgesandten von PRI, PRD und PAN rangen in den letzten Tagen um viele Einzelheiten bei der großen Bühnenshow. Am Ende waren die Spielregeln minutiös festgelegt: Standorte der Kamaras, Farbe des Raumes, Tisch- und Sitzhöhe, Anzahl der Lampen, usw. Die 90 Minuten Redezeit wurden in sieben Runden aufgeteilt. Pro Runde durfte jeder Kandidat sich jeweils zwischen drei und acht Minuten äußern. Eine Unterbrechung durch den politischen Gegner war nicht erlaubt. So beschwor denn Ernesto Zedillo ein ums andere Mal gute wirtschaftliche Aussichten Mexikos unter einer PRI-Regierung. Dazu kam das Versprechen, das Justizwesen einschließlich der Polizei zu reformieren. Cuathémoc Cardenas, abtrünniger Sohn der PRI und vor sechs Jahren durch kaum bezweifelten Wahlbetrug von der Macht ferngehalten, blieb seinem Credo treu: demokratischer Wandel, Wandel und nochmals Wandel. Er sprach Zedillo den Willen zu wirklichen Veränderungen ab. Die eigentliche Überraschung des Abends jedoch war Diego Fernández. Als einziger der drei Kandidaten improvisierte er und ging auf die Vorreden seiner politischen Gegner ein. Rethorisch dürfte er den fast wie einen Prediger auftretenden Zedillo und den phlegmatisch wirkenden Cárdenas an diesem Abend um Längen geschlagen haben. Geschickt war die Aussage, auf jeden Fall eine pluralistische Regierung bilden zu wollen.

Chiapas war kein Thema für die Kandidaten

Wirklich in die Tiefe ging keiner der Kandidaten. Alle drei thematisierten – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – Armut, Korruption, Dezentralisierung und die Wirtschaftsaussichten Mexikos. Genauso versuchten alle drei, den Eindruck zu erwecken, besonders für die Gleichberechtigung der Frauen einzutreten. Der Mord am ehemaligen PRI-Kandidaten Luis Donaldo Colosio spielte in der Diskussion eine untergeordnete Rolle. Allerdings diente er dazu, dem Gegner die Schuld für die politische Gewalt in die Schuhe zu schieben. Auffällig: Für die Kandidaten der drei wichtigsten Parteien schien der Aufstand der Zapatistas in Chiapas an diesem Abend nicht zu existieren. Nur Cárdenas erwähnte den Bundesstaat mit einem kleinen Nebensatz. Minuten nach dem Ende der Debatte zeigte sich im Fernsehen das Problem der Opposition: Die regierungsfreundlichen Sender interpretierten die Diskussion auf ihre Weise. Den positivsten Beitrag lieferte demnach Zedillo. Die Chancengleichheit galt nur 90 Minuten lang. Die Frage ist, wen die Millionen Mexikaner*innen (Schätzungen gehen von bis zu 40 Millionen aus), die das „historische Ereignis“ live verfolgten, als Sieger dieser Debatte sehen. Doch auch ein eindeutiger Sieg in der Debatte bedeutet kein automatisches Mehr an Stimmen bei der Präsidentschaftswahl am 21. August dieses Jahres. Bis dahin vergeht noch viel Zeit. Der Premiere werden wahrscheinlich weitere öffentliche Auseinandersetzungen der Kandidaten folgen. Sowohl Zedillo als auch Cárdenas erklärten explizit ihre Bereitschaft dazu. Beide stellten zudem den Kandidat*innen der kleineren Parteien eine Teilnahme in Aussicht. Diese hatten sich bitter über ihre Nichtbeachtung beklagt. Drei von ihnen diskutierten sogar am Mittwochabend unter sich und fanden ein erstaunlich breites Interesse vor. Vorerst bleibt der Eindruck: Die Partei der Institutionalisierten Revolution kann das vielzitierte Rad der Geschichte nicht zurückdrehen, so viel Macht sie immer noch haben mag. Sie muß sich öffentlich im eigenen Land in Frage stellen lassen. Dies war bis vor kurzem undenkbar. Ob daraus eine Machtablösung wird, ist angesichts der doch enttäuschenden Vorstellung von Cárdenas, dessen PRD als die stärkere Oppositionskraft eingeschätzt wird, keineswegs sicher. Aber in gewisser Weise hat ein kleiner Regiefehler am Ende der Debatte Symbolkraft. Die nervöse Moderatorin wollte die Redezeit Zedillos beim Schlußplädoyer fälschlicherweise um eine Minute kürzen. Die Zeit der alten PRI scheint abgelaufen.

HAITI

Die Situation der Medien

(Port-au-Prince, Mai 1994, Hib-POONAL).- Seit dem Staatsstreich waren die creole-sprachigen Radiostationen, Journalist*innen und sogar Zeitungsjungen wiederholt Zielscheibe einer brutalen Repression durch die Armee und ihre Verbündeten. Um weiterarbeiten zu können haben die Journalist*innen und andere, die für die Demokratie arbeiten, verschiedene Strategien entwickelt. Nach Angaben des in New York ansässigen „Komitees für den Schutz von Journalist*innen“ wurden seit dem Putsch vier Journalist*innen getötet, einer „verschwand“, über 40 verhaftete man illegal und 23 wurden angegriffen. Das Ergebnis: Es können nur sehr wenige fortschrittliche Medien arbeiten. Besonders betrifft dies die Radiosender, die in einer Nation, in der 75 Prozent der Bevölkerung nicht lesen können, entscheidend sind. Zur Zeit wird auf Haiti nur eine Zeitung mehrere Mal in Woche gedruckt. Es ist die konservative „Le Nouvelliste“. Sie druckt hauptsächlich Pressmitteilungen nach und kommentiert gegen den Präsident Jean-Bertrand Aristide und seine Verbündeten. Die Zeitung gilt als Forum der traditionellen Elite. Die Verbreitung ist sehr gering und auf die Hauptstadt beschränkt.

Zeitungen auf Haiti erscheinen nicht in der Landessprache

Drei haitianische Wochenzeitungen – wie Le Nouvelliste überwiegend oder ganz auf französisch – werden alle in den USA herausgegeben. Der „Haiti Observateur“ ist offen gegen Aristide und stellt sich oft auf die Seite der Armee. Die anderen beiden Wochenzeitungen unterstützen die Demokratie und die Volks- und Demokratiebewegung. „Haiti en Marche“ wird in Florida publiziert. Sie ist die moderatere von beiden. „Haiti Progres“ aus New York ist die unmißverständlichste unter den drei genannten. Sie gibt den Organisationen und den Führer*innen der Demokratiebewegung den meisten Raum. Auf Haiti hat „Haiti Progres“ eine Verbreitung von ungefähr 15.000 Exemplaren. Zu lesen ist sie sowohl in der Hauptstad als auch in einigen der größeren Städte im Landesinneren. Eine vierte Wochenzeitung, die „Libete“ erschien bis ein Jahr nach dem Putsch auf Haiti selbst. Die Auflage erreichte ebenfalls etwa 15.000 Exemplare. „Libete“ war immer ausverkauft. Ohne Zweifel war dies auch darauf zurückzuführen, daß die Zeitung vollständig auf Creole erschien. Das Creole wird von allen Haitianer*innen gesprochen, während weniger als fünf Prozent Französisch lesen können. Obwohl die „Libete“ hauptsächlich in den Städten zirkulierte, war es nichts ungewöhnliches, LandarbeiterInnenführer*innen in den Bergen zu sehen, die sie achtsam von Treffen zu Treffen trugen, um auf den Bauernversammlungen Auszüge vorzulesen.

Die Autor*innen gebrauchten Pseudonyme und die Verteiler*innen der Wochenzeitung wurden oft von Soldaten und den „Attaches“ angegriffen. Nach fortwährenden Attacken und Drohungen gaben die Zeitungsmacher*innen vergangenen Oktober auf und stellten die Publikation ein. Die fortschrittlichen Radiostationen, von denen keine landesweit operiert, waren einer ähnlich brutalen Verfolgung ausgesetzt. Der Grund der Verfolgung ist in ihrer Bedeutung für die Bildung und Mobilisierung der Bevölkerung zu suchen. Am Wochenende des Staatsstreiches wurden viele Sender angegriffen und vollständig ausgeplündert. Fünf wichtige Stationen blieben geschlossen. Andere änderten ihr Programmm: der Nachrichtenanteil sank und wurde durch Musik oder Sportberichterstattung ersetzt. In einigen Städten, in denen es wenig oder keine staatliche Elektrizität gibt oder in denen die Besitzer*innen der Sender die Schwarzmarktpreise für das Benzin nicht bezahlen können (um damit den Stromgenerator betreiben zu können; die Red.), existiert überhaupt kein Radio. Die meisten Radiosender in der Hauptstadt sind eindeutig gegen Aristide eingestellt. Nur eine Station „Radio Tropic FM“, unternimmt Anstrengungen, fortschrittliche Nachrichten und Informationen zu verbreiten.

Direkte Regimekritik wird vermieden

Journalist*innen von „Tropic“ oder anderen Medien, die ihre Jobs behalten und nicht im Gefängnis landen wollen, nutzen kreative Methoden der Selbstzensur. Sie verlesen Regimekritik, die in ausländischen Zeitungen erschien oder spielen Auszüge von Anklagen ausländischer Besucher*innen ab. Dabei kann es sich beispielsweise um eine/n SenatorIn oder einen Priester handeln, die ausdrücken, was den Journalist*innen verwehrt bleibt. Nachrichten über Ereignisse im Landesinneren zu erhalten ist sowohl schwierig als auch gefährlich. Telefongespräche werden abgehört. Journalist*innen, die hin- und herreisen, müssen zahlreiche Militärkontrollen passieren. Dort werden ihnen oft ihre Dokumente und Aufnahmegeräte entwendet. Zudem sind die Transportkosten explodiert, was eine Reise ins Landesinnere zum Luxusausflug werden läßt. In Port-au-Prince existiert eine private Fernsehstation, „Tele- Haiti“. Eine Talkshow und eine Nachrichtensendung, die man manchmal als fortschrittlich bezeichnen kann, sind Hauptbestandteile des Programms. Eine zweite Fernsehstation hat gerade ihren Sendebetrieb aufgenommen. Momentan gibt es kein staatliches Radio oder Fernsehen. Sie wurden letzten Herbst vom Informationsminister geschlossen, nachdem bewaffnete Trupps die Einsetzung neuer Direktor*innen durch die verfassungsmässige Regierung verhinderten. Die Unterstützer*innen des illegalen Regimes besetzen gelegentlich die Frequenzen und zeigen Konzerte oder Fußballspiele. Ein Versuch, die Zustimmung der Leute zu gewinnen.

Ein Piratensender hat Hochkonjunktur: Radio „Soley Leve“

Bald nach dem Putsch versuchten verschiedene Organisationen und Journalist*innen, sich mit der neuen repressiven Situation auseinanderszusetzen. Sofort nahmen einige sogenannte „Piratensender“ ihren Sendebetrieb auf, bis sie von Soldaten entdeckt wurden. Im Januar 1993 kam „Radio Soley Leve“ („Radio des Sonnenaufgangs“) in den Äther. Es gab der Demokratie- und Volksbewegung die dringend benötigte Plattform, wenn auch nur in der Hauptstadt. „Den Menschen den Knebel aus dem Mund nehmen, die Feinde der Demokratie brandmarken“, erklärte ein Flugblatt, das für Soley Leve und für das, von der Exil-Regierung über Kurzwelle aus den USA gesendete „Radio 16 Desanmen“ Werbung machte. Anders als die offen operierenden Radiostationen, die auch die Regierung belastende Nachrichten verbreiten, sind die Sendungen von „Soley Leve“ furchtlos und agressiv. Sie klagen die USA an, in den Putsch verwickelt zu sein. Auch werden einzelne Mitglieder der Armee und der paramilitärischen Front für den Haitianischen Fortschritt (FRAPH) als Verantwortliche für die Repression im ganzen Land genannt.

„Soley Leve“ ist der Meinung, daß die Haitianer*innen ein Recht auf Selbstverteidigung haben. So wurde z.B. in einer Sendung eine Anleitung zur Herstellung von Molotowcocktails übertragen. In einer anderen Sendung wurden Namen und Adressen von denen genannt, „die der Zusammenarbeit mit den Militärautoritäten verdächtigt werden“. Ein Journalist und regelmässiger Hörer erklärt: „Ich betrachte ihr Programmm als Erziehung für die Massen. Es hilft, die Leute zu mobilisieren. So fallen sie nicht in eine Gleichgültigkeit oder werden falsch informiert. Ich sehe das mehr als Vorbereitung der Haitianer*innen für kommende Ereignisse als einen Einsteigerkurs für Gewalttechniken.“ Im März starteten Militär und FRAPH eine großangelegte Suchaktion nach dem Sender, der in einem der Hauptstadt-Wohnbezirke sicher untergebracht ist. Das Radio stellte den Sendebetrieb einige Zeit ein. Vor kurzem ging der Sender aber wieder in den Äther, mit den gleichen Programmminhalten, wie beim Beginn vor einem Jahr.

Nachrichtencassetten werden unter der Hand verteilt

Andere Organisationen – unter anderem der Landarbeiter*innen, der Menschenrechtler*innen und Gruppen aus dem Bildungsbereich – haben andere Methoden entwickelt, um Information zu verbreiten. Eine Gruppe produziert alle 15 Tage eine 30minütige Cassette. Sie bringt einen Nachrichtendienst, Information von alternativen und fortschrittlichen Quellen aus anderen Ländern, Ratschläge für die Bodenbearbeitung oder häufige Krankheiten. Genauso berichtet sie über LandarbeiterInnen- und Volksorganisationen. Die Organisationen abonnieren diesen Dienst. Die Cassetten werden im Bereich der Hauptstadt und in einigen ländlichen Gebieten verteilt. Zwei kleine Publikationen auf Creole, die „Vwa Pa Nou“ (unsere Stimme) und die „Rezistans Peyizan“ (LandarbeiterInnenwiderstand) kommen schon seit den Zeiten vor dem Putsch monatlich heraus. Die Auflage beträgt bei beiden bis zu 10.000 Stück. Herausgeberin ist eine LandarbeiterInnenorganisation. Der Inhalt bezieht sich auf Menschenrechtsverletzungen in ländlichen Gebieten. Den Leser*innen wird eine Analyse der aktuellen Lage geboten. Eine andere Monatsschrift auf Creole, die „Pou Yon Lot Kalite Jistis“ (für eine andere Art Gerechtigkeit), befaßt sich mit den gesamten Menschenrechtssituation. Die Schrift enthält Nachrichten über Menschenrechtsverletzungen im Land, einen Leitartikel, Information über gesetzlich verbriefte Rechte und lange Dossiers. Andere Publikationen erscheinen einige Monate lang und verschwinden wieder bzw. werden ersetzt. Die Krise dauert an und die Organisationen der Demokratie- und Volksbewegung erkennen, wie wenig Freunde sie in der „Internationalen Gemeinschaft“ und der lokalen Elite haben, die den Großteil der wichtigsten Medien auf Haiti kontrolliert. Darum werden die „Piratensender“, Journale und Cassetten immer wichtiger für die Haitianer*innen ihre Situation zu verstehen und den Kampf dagegen zu organisieren.

GUATEMALA

URNG verteidigt die „Kriegssteuer“

(Guatemala, 9. Mai 1994, cerigua-POONAL).- Die guatemaltekische Guerilla wies an 9. Mai eine von den Agroexporteuren des Landes bezahlte Anzeige in der Presse zurück. Darin hatten die Exporteure die, von der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) erhobene „Kriegssteuer“ kritisiert. In ihrem Antwortschreiben bezeichnet die Guerilla die Allgemeine Landwirtschaftsvereinigung Guatemalas (AGA) als Gruppierung, „die sich durch das Blut und den Schmerz der Campesinos bereichert hat“. Sie habe sich, so die URNG, mit den repressiven und diktatorischen Regierungen verschworen. Im Rahmen einer politischen Lösung in einem Land im Kriegszustand, setzte die URNG eine Kriegssteuer fest. Sie betrifft nach der Auffassung der Guerilla die wirtschaftlichen Interessen einer der Gruppen, die die größte Verantwortung für den Konflikt tragen. Doch sei die sogenannte „Kriegssteuer“ weder eine Todesdrohung gegenüber den Finqueros noch setze sie das Leben der Campesinos aufs Spiel. Die Agroexporteure würden absichtlich verbergen, daß die Guerilla im Zusammenhang mit der Kriegssteuer eine Verbesserung der elenden Situation der Landarbeiter*innen und einen gerechten Lohn fordere. Die Aufständischen warnten: Solange der bewaffnete Konflikt anhalte, werde sie die Kriegssteuer aufrecht erhalten.

Gewalt nimmt nach Abflug der UNO-Gesandtschaft wieder zu

(Guatemala, 9. Mai 1994, cerigua-POONAL).- Die Gruppe für gegenseitige Hilfe von Familienangehörigen Verhafteter und Verschwundener (GAM) erklärte am 9. Mai, die außergerichtlichen Hinrichtungen und Todesdrohungen hätten nach der Abreise einer UNO-Delegation wieder zugenommen. Während des 15tägigen Aufenthaltes der Gruppe, die die ständige Präsenz einer UNO- Mission zur Überprüfung des Menschenrechtsabkommens vorbereitete, hätte „im Land ein Klima der Ruhe und der Sicherheit geherrscht“, so die GAM. Die Presse informierte noch am selben Tag der Abreise über die Entführung und spätere Ermordung von vier Campesinos aus der nördlichen Provinz Petén sowie den Mord an einem weiteren Campesino in der Provinz Alta Verapaz. Die GAM verlangte den sofortigen Einsatz der Internationalen Überprüfungskommission gemäß dem von Regierung, Streitkräften und Guerilla unterschriebenen Dokument. „Sonst werden weiter viele Guatemaltek*innen ihr Leben verlieren“, sagte die Menschenrechtsorganisation. Erneut verlangte sie von der Armee die sogenannte Wahrheitskommission zu akzeptieren, die Grundrechtsverletzungen während des bewaffneten internen Konfliktes untersuchen soll.

Reisewarnungen von den USA und Deutschland

(Guatemala, 10. Mai 1994, NG-POONAL).- Die US-Botschaft wird die Reisewarnung für Guatemala nicht aufheben, wenn die Regierung die Sicherheit im Landesinnern nicht verbessert. Dies gab die guatemaltekische Tourismuskammer CAMTUR nach einem Gespräch in der Botschaft bekannt. Die Reisewarnung (travel warning) ist eine schärfere Stufe als die sogenannte Reiseempfehlung (travel advisory), bei der den Tourist*innen nur abgeraten wird, in ein bestimmtes Land zu reisen. Der Geschäftsführer von CAMTUR bezog sich auch auf eine Reisewarnung der deutschen Regierung, die in Deutschland an alle Reiseagenturen verteilt worden sein soll. Der deutsche Konsul Norbert Eichler dementierte, daß es sich um eine formelle Reisewarnung für die Tourist*innen gehandelt habe. Es gäbe nur ein Informationsblatt, „aber keine Warnung, das Land zu besuchen“.

Staatsanwaltschaft eröffnet Vorverfahren gegen Gesundheitsminister

(Guatemala, 10. Mai 1994, NG-POONAL).- Die guatemaltekische Staatsanwaltschaft versicherte, sie werde ein Vorverfahren gegen den Gesundheitsminister Gustavo Hernández eröffnen. Er wird für den Verfall von mehr als 5.000 Tonnen Medikamenten und chirugischem Material verantwortlich gemacht. Wie bekannt wurde, befinden sich diese Mengen seit dem März vergangenen Jahres in den Lagern der Hafenstadt Puerto Barrios, Provinz Izabal.

Claudio Porres, Chef der Untersuchungsabteilung der Staatsanwaltschaft, sagte, den Direktor des Nationalen Wiederaufbaukomitees könne das gleiche Verfahren erwarten. „Wenn beiden Behörden Fahrlässigkeit nachgewiesen werden kann, werden diese zwei Funktionäre zur Rechenschaft gezogen“, sagte Porres. Das WelternährungsProgrammm (PMA) ließ unterdessen am 9. Mai durch seine Beraterin Guillermína Usera verkünden, die Regierung Guatemalas sei für Nahrungsmittel in dem Moment verantwortlich, in dem sie in das Land gelangen. Diese Aussage bezog sich auf verdorbene Güter in den Lagerräumen der Hafenstadt Santo Tomás de Castillo. Usera führte aus, die Organisation führe eine Untersuchung darüber durch. Der guatemaltekische Präsident Ramiro De León Carpio hatte am vorhergehenden Wochenende behauptet, die Lebensmittel wären verunreinigt nach Guatemala gelangt. Usera dagegen beharrte darauf, daß sie im tadellosem Zustand nach Guatemala kamen.

ARGENTINIEN

Die Wahl zur Verfassungsversammlung offenbarte Überraschungen

(Buenos Aires, 18. April 1994, Alai-POONAL).- Bei der Wahl der 305 Mitglieder*innen für die Verfassungsversammlung, die ab Mai über die Änderung der seit 1853 gültigen Verfassung beraten soll, sicherten sich Peronisten und Radikale die Mehrheit. Die regierende Gerechtigkeitspartei erreichte den ersten Platz. Doch im Vergleich zu den Parlamentswahlen vom 3. Oktober 1993 sank ihr Prozentanteil von 42,3 auf 37,6 Prozent. Ihr traditioneller Gegenspieler, die Radikale Bürgerunion (UCR) stürzte von 30 auf 19,9 Prozent ab. Das schlechteste Ergebnis der letzten 20 Jahre für die fast ein Jahrhundert bestehende Partei. Ein weiteres Kennzeichen war die trotz Wahlpflicht mit 25 Prozent hohe Enthaltung, während mehr als fünf Prozent ungültige Stimmen abgaben. Die Ergebnisse zeigen, daß so nur 40 Prozent der Wahlberechtigten die Verfassungsreformen unterstützten. Das ist eine kärgliche Zahl für eine Wahl, bei dem die Kandidat*innen besonderen Wert auf einen Konsens legten. Der Vorschlag für die Verfassungsänderungen entstand aus einer Absprache zwischen Präsident Carlos Menem und seinem Vorgänger Raúl Alfonsín, dem Führer der UCR. Ihren Ausdruck fand sie im sogenannten „Pakt von Olivos“. Alles deutet darauf hin, daß der „Denkzettel“ der Wähler*innen für die etablierten Parteien vor allem innerhalb der UCR diskutiert wird. Hier wird nicht nur das schlechte Wahlergebnis diskutiert, sondern auch das autoritäre Auftreten und Verhalten Alfonsins. Gegen den Willen der Mitglieder setzte er die Zustimmung der Partei zum Pakt sowie seine eigenen KandidatInnenlisten durch.

Die „Frente Grande“ wird zur drittstärksten Kraft

Der WählerInnenschwund kam vor allem der Frente Grande zugute. Die „Breite Front“ ist eine Mitte-Links-Koalition, die peronistische Dissidenten, Sozialisten und Ex-Kommunisten vereint. Die Frente erreichte einen wichtigen Sieg im Hauptstadtdistrikt und in der Provinz Neuquen. Dort kandidierte der emeritierte Bischof Jaime De Nevares für sie. In der Provinz Buenos Aires kam die Frente Grande auf den zweiten Platz in der WählerInnengunst. Landesweit wurde sie mit 12,7 Prozent zur drittstärksten Kraft. Die Koalition wird von dem Regisseur Fernando Pino Solanas und dem Abgeordneten Carlos Chacho Alvarez angeführt. Beide haben ihre Wurzeln im Peronismus. Die Frente entstand vor gut zehn Monaten, um bei den Parlamentswahlen vom 3. Oktober anzutreten. Damals erhielt sie 3,6 Prozent der Stimmen. Ihre Kampagne konzentrierte sich auf den Kampf gegen die Korruption in der Regierung von Carlos Menem. Nachdem der „Radikalismus“ mit der Regierung paktierte, präsentierte sich die Frente vielen Wähler*innen als einzige, wahre Oppositionspartei. Die Frente stellt den Pakt zwischen Menem und Alfonsin in Frage. Er diene, so die Frente, einzig den persönlichen Ambitionen der beiden Parteiführer. Der eine wolle wiedergewählt werden, der andere auf die politische Bühne der nationalen Politik zurückkehren.

Einen beachtlichen Stimmenanteil erreichte bei der Wahl zur Verfassungsversammlung noch eine weitere Partei. Die rechte Bewegung für Würde und Unabhängigkeit (MODIN) des Putschoberst Aldo Rico sprang von 5,8 Prozent im Oktober auf 9,1 Prozent und damit auf den vierten Platz. Im Mittelpunkt der Reformen steht die zweite Amtsperiode für Präsident Carlos Menem Im Zentrum der vorgesehenen Reformen stehen die Ambitionen des Präsidenten Carlos Menem auf eine zweite Amtszeit. Sie sind der Grund, der die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung motivierte. Die derzeitige Verfassung verbietet den Präsident*innen die Wiederwahl in zwei aufeinanderfolgenden Perioden. Mit 135 von 305 Versammlungsmitglieder*innen, einschließlich der Unterstützung durch verbündete Provinzparteien, ist der Peronismus in der Lage, den Weg der Verfassungsänderungen zu bestimmen. Die Parameter wurden bereits im „Pakt von Olivos“ definiert, den Menem und Alfonsín am 14. November 1993 unterzeichneten. Später wurden die Abkommen vom Parlament in einem Gesetz gebilligt, auf das sich die Versammlungsmitglieder beschränken müssen. Neben der Wiederwahl müssen sie über die Direktwahl von PräsidentIn und VizepräsidentIn (bisher durch Wahlgremium) und über die Verkürzung der Amtszeit von sechs auf vier Jahre abstimmen. Gleichzeitig wird die Abschaffung des Artikels erwogen, der die Staatsoberhäupter verpflichtete, der römisch-katholischen und apostolischen Religion anzugehören. Die Verfassungsreformen sehen vor, die Figur eines „Ministerpräsidenten“ zu einzuführen, der die präsidentielle Macht beschneiden soll. Der Ministerpräsident soll vom Präsidenten ernannt werden und dem Kongreß regelmäßig Bericht erstatten. Ebenso ist an einen RichterInnenrat gedacht, der die Kandidat*innen für den Richterstuhl vorschlägt. Diese Rolle übernahm bisher der Präsident. Weitere beabsichtigte Regelungen: Die Zahl der Senator*innen wird von zwei auf drei für jede Provinz erhöht. Die dritte Person soll Minderheiten vertreten. Das Stadtoberhaupt von Buenos Aires wird zukünftig direkt gewählt. Bisher ist er vom Präsidenten der Republik ernannt. Die Not- und Dringlichkeitsrechte für den Regierungschef sollen beschnitten werden. Zuguterletzt betreffen die geplanten Verfassungsänderungen eine grössere Provinz- und Gemeindeautonomie.

KUBA

Aktionsprogramm gegen Umweltverschmutzung auf Barbados unterzeichnet

– Von Maria Elena Gil

(Bridgetown, 10. Mai 1994, Prensa Latina-POONAL).- Die Nicht- Regierungsorganisation (NGO's) sind zu einer mächtigen Kraft in der internationalen Politik geworden. Diese Meinung vertrat der cubanische Präsident Fidel Castro auf der „Ersten Globalen Konferenz über eigenständige Entwicklung der kleinen Inselstaaten“ in Bridgetown, der Hauptstadt von Barbados. Bei einem informellen Treffen mit Repräsentant*innen der NGO's aus Inselstaaten der Karibik, des Pazifiks, des Mittelmeeres und des Atlantiks bescheinigte Castro den Organisationen profunde Kenntnisse vor allem in der Umweltpolitik.

Joan French, die Koordinatorin der NGO's aus der Karibik, hob die Unterstützung der Konferenz für Cuba hervor. Die Teilnehmer*innen hatten in einer Erklärung das Recht des cubanischen Volkes auf ein eigenes Modell der alternativen Entwicklung verteidigt. Sie verurteilten die Regierung der USA aufgrund der wirtschaftlichen und finanziellen Blockade. Castro dankte für die Hilfe und Solidarität. Castro sagte, die Unterstützung produziere Enthusiasmus, denn die Cubaner*innen bräuchten nicht nur physische, sondern auch moralische Kraft. Er erntete Applaus, als er erklärte: „Wir fühlen uns zwischen Ihnen wie Freunde, wie Brüder. Darum verlasse ich dieses Land und diese Konferenz glücklich.“

Fideler Fidel

Unter anderem machte sich der cubanische Präsident über Spekulationen über seinen Gesundheitszustand lustig. Sie waren auch in der örtlichen Presse erschienen. Aus Miami kamen sogar Mitarbeiter*innen eines Fernsehsenders angereist, um ihn dazu zu befragen. Die Fernsehleute flogen nach Bridgetown, als sie von der Anwesenheit Castros dort erfuhren. „Ständig werde ich über meinen Gesundheitszustand befragt. Ob ich mich vor und nach meiner Rede vor dem Plenum setze. Tatsächlich kann ich nicht mehr soviele Sachen machen wie zu den Zeiten der Sierra Madre. Aber ich laufe noch ziemlich viel und schwimme mehrere Stunden“, so die Antwort Castros. Am Ende unterstrich er die Wichtigkeit der Konferenz, um eine Aktionsstrategie zu entwickeln, die den Inseln erlaubt, sich gegen die drohenden schweren Probleme wie Verschmutzung, radioaktive Abfälle und Klimaveränderungen zu wehren. Mit 15 anderen Regierungschefs unterzeichnete Castro die „Erklärung von Barbados“ und ein gemeinsames Aktionsprogrammm. Insgesamt nahmen Delegationen aus 21 Ländern teil, die in der „Allianz der kleinen Inseln“ (AOSIS) zusammengeschlossen sind.

VENEZUELA

Putschistenfüher Chávez meldet sich zurück

– Von Andrés Cañizález

(Caracas, 18. April 1994, Alai-POONAL).- Seit dem 26. März befindet sich der Oberst Hugo Chávez wieder auf freiem Fuß. Er war der Anführer des ersten Putschversuches gegen Carlos Andrés Pérez im Februar 1992. Mit dem „liqui liqui“, dem traditionellen Anzug der venezolanischen Tiefebenen, zieht er durch die Lande. Unzählige Personen folgen ihm, „um ihn von nahem zu sehen“. In den letzten Wochen haben seine Presseerklärungen in Caracas das politische Fundament des Landes erschüttert. Chávez, der seine Revolutionäre Bewegung Bolivar (MBR-200) zehn Jahre lang im Innern der venezolanischen Streitkräfte organisierte, warnt vor möglichen sozialen Explosionen, wenn es in der Gesellschaft keine tiefgreifenden Veränderungen gibt. Er fordert sowohl politische als auch wirtschaftliche Transformationen, die mit den Erwartungen der Bevölkerung übereinstimmen. Die charismatische Figur mußte wie die anderen, die wegen der Militärerhebungen vom 4. Februar und 27. November 1992 verurteilt wurden, um seine Entlassung aus den Streitkräften bitten. Zur Zeit widmet er sich nach eigenen Worten hauptsächlich der Aufgabe, der MBR-200 ideologische und organisatorische Kohärenz zu geben. Er hat jedoch ausgeschlossen, daß die Bewegung sich unter den gegebenen rechtlichen Bedingungen in eine politische Partei wandelt, um an Wahlen teilzunehmen.

„Wir sind nicht aus dem Gefängnis gekommen, um auf die Präsidentschaft zu hoffen“, erklärte Chávez. Gleichzeitig warnte er vor der Schwere der Krise: „Präsident Caldera muß die Krise meistern, um bis zu den Präsidentschaftswahlen von 1998 zu kommen.“ Chávez sagte wiederholt, die MBR-200 müsse andere soziale Organisationen zur einer großen nationalen Front zusammenrufen. Das Ziel werde sein, „die Macht zu übernehmen“, um Änderungen zu erwirken. Hierzu fordert der Putschistenführer von der derzeitigen politischen Führung in erster Linie eine tiefgreifende Verfassungsreform, obwohl er weder Waffengewalt, noch die Unterstützung möglichen sozialen Aufruhrs ausschließt.

„Die MBR-200 wurde innerhalb der Streitkräfte geboren und dort ließ sie ihre Saat zurück.“

Seinem Urteil zufolge ist die soziale Basis der MBR-200 noch nicht solide. Nachdem er zwei Jahre lang im Gefängnis gesessen hat, wird sein Weg von tausenden Venezolaner*innen begleitet, die des politischen Systems müde sind und sich der Bewegung anschließen wollen. Auch wenn die Führer der Militärerhebungen nicht mehr der Armee angehören, erläuterte Chávez zu seiner Bewegung: „Die MBR- 200 wurde innerhalb der Streitkräfte geboren und dort ließ sie ihre Saat zurück.“ Er erklärt, in der MBR-200 existieren keine militärischen Kader. Es gebe jedoch ein Nachdenken über die Krise in Venezuela und die Rolle, die sie als Soldaten spielen müßten. Chávez ist der Meinung, die hohe Wahlenthaltung bei den letzten Wahlen beweise lediglich die fehlende Repräsentativität und Legitimität der aktuellen politischen Führung. „Es gibt keine Garantie für saubere Wahlen“, betont er und macht deutlich, er werde einen Volksaufstand unterstützen, wenn es keine tiefen Veränderungen gibt: „Wenn die herrschende Klasse weiter raubt, was vom nationalen Reichtum bleibt, wenn keine Maßnahmen im wirtschaftlichen, sozialen, moralischen und sogar militärischem Bereich ergriffen werden, werden neue zivile und militärische Erhebungen kommen. Wenn ein Aufstand ausbricht, werde ich daran teilnehmen, aber nicht als Caudillo… Wir haben dem Präsidenten Caldera keinen Waffenstillstand gewährt und unterstützen ihn auch nicht. Bis jetzt sind wir nicht damit einverstanden, was im Land passiert. Wenn das System sich nicht ändert, werden wir mit dem Volk dafür sorgen, daß das System nachgibt. In den Streitkräften gibt es Offiziere, die auf der Seite des Volkes stehen und auf Änderungen hoffen. Die Mehrheit wünscht keinen Aufstand, aber alles hängt von der Entwicklung ab, die die Ereignisse in Venezuela nehmen werden.“

Die MBR-200 unterhält Kontakte zu Militärs anderer lateinamerikanischer Länder

Chávez' Meinung ist, Präsident Caldera müsse angesichts der schweren Wirtschaftskrise den nationalen Notstand ausrufen. Konkret schlägt er die Kontrolle des Wechselkurses vor, um „die Kapitalflucht unserer internationalen Reserven“ zu stoppen. Er hat sich für niedrigere Bankzinsen und Produktionsanreize ausgesprochen. Dazu kritisiert er den wichtigsten Regierungsvorschlag als „konjunkturell“. Dabei handelt es sich um den sogenannten „Sosa-Plan“, der eine breite Reform umfaßt und neue Steuergesetze vorsieht. Mit den Einnahmen soll versucht werden, das große Haushaltsdefizit zu verringern. 1993 betrug es mehr drei Milliarden US-Dollar. Die Sichtweise von Chávez verlangt strukturelle Änderungen, die beispielsweise die Armut, die Unterernährung und die Inflation angehen. Letztere lag im vergangenen Jahr in Venezuela bei etwa 50 Prozent. Was die Doktrin angeht, beteuert Chávez, die MBR-200 habe sich niemals für den klassischen Militarismus in Lateinamerika ausgesprochen. Bei dem Versuch Pérez zu stürzen, hätten sie keine rechte Diktatur wie die Augusto Pinochets in Chile einsetzen wollen. Die Geburt und Orientierung seiner Bewegung innerhalb der Streitkräfte rechtfertigend, meint er: „Wir Militärs können angesichts der Situation nicht schweigen, während im Land Korruption und Armut herrschen.“ Laut Chávez hat die MBR-200 Kontakte mit Militärs der anderen lateinamerikanischen Länder aufrecht erhalten. Besonders mit denen der Karibik und denen der Andenländer (einige der Putschisten vom 27. November 1992 bekamen in Peru und Ecuador Asyl). Die Verbindungen hätten sowohl mit aktiven Soldaten als auch Armeemitgliedern im Ruhestand bestanden.

BOLIVIEN

Triumpf der Staatsbeschäftigten

(Bolivien, 8. Mai 1994, POONAL).- Die Regierung des Präsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada und Bolivianische ArbeiterInnenzentrale (COB) unterschrieben am 7. Mai eine Vereinbarung, mit der ein 16tägiger Streik der Staatsangestellten beendet wird. Die Regierung ging auf alle wesentlichen Forderungen der Gewerkschafter*innen ein. Demnach wird der Mindestlohn für diejenigen, die weniger als 217 US-Dollar jährlich verdienen, um 9 Prozent angehoben. Liegt der Verdienst darüber, beträgt die Erhöhung 6 Prozent (der Mindestlohn ist nach Branchen unterschiedlich; die Red.). Im Gesundheits- und Bildungsbereich steigt der Lohn um 12 Prozent. Die Regierung verpflichtete sich, die Benzinpreise nicht zu erhöhen und den Beschäftigungsstand in den Staatsunternehmen zu halten. Außerdem unterschrieb sie eine Verpflichtung, dieses Jahr 85.000 Arbeitsplätze zu schaffen und während ihrer bis August 1997 dauernden Amtszeit 10.000 Wohnungen im sozialen Wohnungsbau zu errichten. Auch der der COB angeschlossene Teil der Landarbeiter*innen erreichte Zugeständnisse. Kleinere Landgrundstücke werden von Steuern befreit. Es wurden Kredite und die Gründung einer Landwirtschaftsbank zugesagt. Der Coca-Anbau soll nicht mehr zwangsweise vernichtet werden. Der Arbeitsminister Reynaldo Peters kommentierte: „Die Regierung hat verschiedenen Forderungen nachgegeben, um ein friedliches Klima zu garantieren, das die Entwicklung Boliviens voranbringt.“

EL SALVADOR

FMLN vor der Spaltung?

(El Salvador, 11. Mai 1994, POONAL).- Die Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) entzog am 10. Mai in einer Entscheidung ihres Nationalrates insgesamt acht ihrer Mitglieder die Vertretungsvollmacht. Betroffen sind sieben Abgeordnete und der ehemalige Kommandant Joaquín Villalobos. Der Nationalrat der Ex-Guerilla befand die jetzt Gestraften für schuldig, sich den Interessen der regierenden Arena-Partei „gefügt“ zu haben, als es um die Wahl der Geschäftsführung des Parlamentes ging. Die Abgeordneten hatten damals entgegen einer Abmachung der FMLN für die Arena-Kandidaten gestimmt und im Gegenzug selber Sitze in dem Gremium erhalten. An der Sitzung des Nationalrates, dem Vertreter*innen der fünf FMLN-Gruppierungen angehören, nahmen die Delegierten des Nationalen Widerstands (RN) und des Erneuerten Ausdrucks des Volkes (ERP) nicht teil. Da die acht Personen alle diesen beiden Gruppen angehören und mit Joaquín Villalobos (ERP) und Eduardo Sancho (RN) auch ihre Führer betroffen sind, ist die Möglichkeit einer Spaltung der FMLN nicht mehr ausgeschlossen.

BRASILIEN

Cardoso jetzt offiziell Präsidentschaftskandidat der PSDB

(Brasilien, 15. Mai 1994).- Die Sozialdemokratische Partei Brasiliens (PSDB) erklärte auf ihrem Parteitag am 14. Mai offiziell den Senator und ehemaligen Finanzminister Fernando Henrique Cardoso zu ihrem Präsidentschaftskandidaten. Innerhalb der Partei gab es jedoch Kritik vom Mitte-Linksflügel. Sie richtete sich vor allem gegen das Vorhaben, daß die PSDB zu den Wahlen vom 3. Oktober in einer Allianz mit zwei konservativen Pateien antreten will. Der Dissidentenflügel drohte offen damit, den Kandidaten der Partei der Arbeiter*innen (PT), Luiz Inacio Lula da Silva, zu unterstützen. In allen Umfragen liegt der Kandidat der Linken bisher deutlich vorn. Der ehemalige Metallarbeiter und Gewerkschafter „Lula“ käme nach letzten Umfragen im ersten Wahlgang auf 41 Prozent der Stimmen, Cardoso auf 17 Prozent.

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