Nicht eine weniger!

Gewalt gegen Frauen & der 25. November

„Las Mariposas“, die Schmetterlinge, werden die drei Schwestern Minerva, María Teresa und Patria Mirabal genannt. Die Dominikanerinnen haben sich vor über 70 Jahren gegen die Diktatur Rafael Trujillos in der dominikanischen Republik gestellt – und wurden am 25. November 1960 ermordet. Doch „Wer die Schmetterlinge tötet, hält den Frühling nicht auf“: Trujillos Diktatur ging nur ein halbes Jahr später zu Ende. Und die Erinnerung an den Tag der Ermordung der Schwestern wird weltweit bis heute am Leben gehalten. Unter anderem auch in Paraguay.

„Indem wir uns treffen, können wir stark sein, und indem wir stark sind, können wir uns gegen die Gewalt wehren, die uns so sehr schadet“, sagt uns eine Teilnehmerin der diesjährigen Demonstration zum 25. November in Paraguays Hauptstadt Asunción.

Vielfältige Gruppen kämpfen für die Rechte der Frauen
Gewalt gegen Frauen ist leider kein Relikt der 1960er-Jahre. Alljährlich wird an diesem Tag – im Gedenken an die Mariposas – der „Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“ zelebriert. Auch in der paraguayischen Hauptstadt. Hunderte Frauen und Verbündete kamen dort auch dieses Jahr zusammen, um durch die Altstadt zu ziehen: Feministische Gruppen, Organisationen bäuerlicher Frauen, Schwulenrechtler und andere. Auf der Plaza Uruguaya herrscht eine fröhliche Stimmung. Musik begleitet die vielen Redebeiträge. Viele Frauen sind in Lila gekleidet, der Farbe der feministischen Bewegung. Auf ihren Schildern fordern Sie ein Ende der Gewalt, bessere Rechte und mehr Sicherheit.

„Gewalt ist immer noch ein sehr wichtiges, sehr ernstes Thema im Leben der Frauen in Paraguay”, sagt Mirta, ein Mitglied des „Consultorio Jurídico Feminista“. Das interdisziplinäre Kollektiv bietet Frauen, die Gewalt erfahren, seit 2017 juristische Unterstützung an. Acht von zehn Frauen in Paraguay haben laut dem nationalen Statistikinstitut bereits Gewalt erlebt – 70% davon sexuelle Gewalt. Auch eine andere Demo-Teilnehmerin betont: „Ich erlebe jeden Tag Gewalt – wie viele paraguayische Frauen. Sei es Machismo, sei es sexuelle Belästigung, sei es sexueller Missbrauch.“

Mit den Lockdowns nahm die Gewalt zu

Wie in vielen Ländern hat auch in Paraguay die Gewalt gegen Frauen in Zeiten der Lockdowns zugenommen. Mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie haben sie bis heute zu kämpfen. „Strukturelle Gewalt, sexuelle Gewalt und psychologische Gewalt waren während der Pandemie viel stärker zu spüren,“ erzählt uns Perla von der Organisation CONAMURI. „Der Zwang zu Hause zu bleiben, war ein Problem. Die Frauen konnten nicht rausgehen, es gab keine Transportmittel. Auch ungewollte Schwangerschaften haben zugenommen, die Zahl von Mädchen, die Mütter wurden, hat sich infolge von sexuellem Missbrauch stark erhöht – auch auf dem Land.”

Die Organisation Conamuri setzt sich für Frauen im ländlichen Raum und für indigene Frauen ein. Indigene Frauen sind von der strukturellen Gewalt besonders betroffen. Und die Belastungen durch die Pandemie lösten die schon vorher existenten Probleme nicht ab – sie kamen nur noch dazu. Die Agrarproduktion lief weiter und mit ihr die Besprühung der Felder mit Pestiziden. Auch Abholzung ist ein Problem im ländlichen Raum. Die Auswirkungen betreffen vor allem die Frauen. Conamuri versucht daher, die Frauen auf dem Land zu vernetzen. Conamuri hat während der Pandemie virtuelle Schule eingerichtet. „Die konnten uns zumindest helfen, den starken Stillstand zu entschärfen“, sagt Perla. „Es hat uns auch geholfen, unsere Sorgen und Erlebnisse zu teilen und den Kummer während der Pandemie zu lindern. Sobald es möglich war, haben wir auch Treffen organisiert, und die Menschen konnten sich nach langer Zeit wieder in die Arme schließen.“

Vernetzung gegen rechte Hetze

Die Vernetzung und der gemeinsame Kampf der Frauen und anderen Mitglieder der LGTBQ-Community ist besonders wichtig, weil auch in Paraguay rechte Gruppierungen zunehmend versuchen die Gesellschaft zu spalten: Auch die rechtskonservative Regierungspartei Asociación Nacional Republicana (ANR) greift im Wahlkampf auf nationalistische und konservative Parolen zurück. Ende April 2023 stehen in Paraguay die nächsten Wahlen an.

„Sie versuchen, mit der Geschlechterfrage zu polarisieren, um nicht über bestimmte Themen der nationalen Realität im Wahlkontext zu sprechen, zum Beispiel über Korruption,” denkt Mirta vom Consultorio Jurídico Feminista. Die kommenden Wahlen, bei welchen ein neues Bündnis linker Parteien die regierende ANR herausfordert, verschärfen die öffentliche Diskussion. Die Juristin spricht von einem Prozess tiefgreifender Polarisierung.Der Hass richtet sich nicht nur gegen Feministinnen und die LGBTI-Bevölkerung, sondern gegen alle, die sich nicht dem Anti-Rechte- und Anti-Gender-Diskurs beugen. „Sie versuchen, alles auszulöschen, was mit irgendeiner Form von Vielfalt zu tun hat, nicht nur mit sexueller Vielfalt, sondern mit allen Formen von Vielfalt.”

Die Frauen zeugen am 25. November ihren Zusammenhalt

Auf der Demonstration in Asunción herrscht jedoch ein Gefühl der Einigkeit. Die Frauen sind hier um ihre Rechte einzufordern, Präsenz zu zeigen – sie zeigen, dass sie sich von Hassdiskursen nicht einschüchtern lassen. „Wir sind heute hier auf diesen Platz zum Demonstrieren gekommen um ein Ende der institutionellen Gewalt zu fordern, ein Ende des unterdrückerischen machistischen Systems und dass wir alle Menschen sind, die Rechte brauchen. Rechte, die der Staat selbst schützen muss – und nicht ausschließen darf“, fordert eine Teilnehmerin.

Der 25. November ist wichtig, um Einigkeit zu demonstrieren, um den Paraguayerinnen zu zeigen: Du bist nicht allein. Dabei ist allen klar: Die Gewalt wird an diesem Tag nicht verschwinden. Jeder Schritt zusammen hilft jedoch, nicht eine weniger zu werden.

Hier gibt es den Audiobeitrag von Radio onda zum Artikel.

 

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