Neues Familienrecht – Mehr Rechte für LGBTIQN-Personen

(Berlin, 3. Oktober 2022, npla).- Es war ein seltener Moment von Demokratie und Bürger*innenbeteiligung in Kuba. Beim Referendum über das neue Familienrecht am 25. September 2022 haben gut zwei Drittel der Menschen mit „Ja“ gestimmt. Das Gesetz stärkt allgemein die Rechte von Frauen und älteren Menschen. Es verbietet die immer noch verbreiteteten Kindsehen, in der Praxis vor allem das Verheiraten junger Mädchen an ältere Männer. Der Vater wird nun nicht mehr als alleiniges Familienoberhaupt definiert, auch im Sorgerecht nicht. Für Personen aus der LGBTIQN-Community bringt das Gesetz besonders wichtige Neuerungen mit sich: Es öffnet die Ehe für gleichgeschlechtliche bzw. queere Paare, es reformiert das Adoptionsrecht, es legalisiert Leihmutterschaft und künstliche Befruchtung.

Kubas Präsident und Parteichef Miguel Díaz-Canel hatte sich persönlich für die Reform des Familienrechts eingesetzt und bewertete das Ergebnis der Abstimmung Ende September positiv: „Das war ein Sieg für Kuba. Ein Sieg der Liebe. Es war auch ein Sieg der demokratischen Beteiligung am sozialistischen Aufbau. Von heute an werden wir eine bessere, vollständigere, demokratischere und gerechtere Nation sein.“ Über das neue Gesetz haben wir mit Sam Olazábal geredet, Feministin und LGBTIQN-Aktivistin aus Havanna, die gerade in Berlin ist.

Sam, was bringt das neue kubanische Familiengesetz aus Deiner Sicht?

Also, der erste Schwerpunkt im neuen Familienrecht lag auf der Ehe für alle. Schon 2018 gab es eine Debatte darüber im Entstehungsprozess der neuen Verfassung. Aber der entsprechende Paragraph wurde im Vorfeld des Referendums 2019 wegen des Widerstands konservativer Kreise gestrichen. Damals wurde beschlossen, die Ehe für alle im neuen Familienrecht zu regeln, das hat dann auch für einige Furore gesorgt. Uns Aktivist*innen macht das natürlich glücklich. Aber es fehlt noch einiges!

Nun gab es ja auch diesmal Widerstände. Evangelikale und die Katholische Kirche waren strikt dagegen, viele ältere Revolutionär*innen eben auch. Und der Machismo ist auch in Kuba längst nicht aus der Welt. Selbst einige LGBTIQN-Aktivist*innen haben dazu aufgerufen, mit „Nein“ zu stimmen, als Votum gegen die kommunistische Führung an sich. Wie siehst Du das?

Wir müssen daran denken, dass dieses Gesetz nicht nur eine Errungenschaft der Regierung ist, sondern auch der Bewegung, und aller, die für Verbesserungen gekämpft haben. Ich möchte daran erinnern, dass wir die ersten waren, die auf die Straße gegangen sind, lange vor den Protesten im Juli 2021. Zumindest für diejenigen, die wirklich die Zeit und das Engagement aufgebracht haben, das Gesetz zu lesen und für Verbesserungen zu kämpfen, ist heute glaube ich ein glücklicher Tag.

Im Weltmaßstab habe man nun eine der fortschrittlichsten Gesetzgebungen, sagt die kubanische Regierung. Du hast gerade schon gesagt, es fehlt noch einiges. Was fehlt Dir noch im neuen Gesetz?

Ich glaube, es gibt keine großen Fortschritte in Bezug auf genderspezifische Gewalt. Einer der ersten MeToo-Fälle in Kuba ist der des Sängers Fernando Bécquer. Es gibt mehr als 30 Anzeigen von Frauen, die angeben, von Bécquer vergewaltigt worden zu sein, einige davon sind minderjährig. Béquer steht der Regierung nahe und sagt, alle die ihn beschuldigen, seien Regimegegnerinnen. Bislang ist nichts in den Fällen passiert, Béquer ist immer noch zu Hause. Hier werden wir definitiv weiterkämpfen.

Der zweite große Kritikpunkt betrifft ja die Rechte von trans Personen. Auf Kuba werden die Kosten einer Geschlechtsangleichung sogar vom Staat übernommen. Aber mein Gender konnte ich offiziell bislang nur nach einer solchen Operation anpassen. Hat sich da etwas verbessert?

Es gibt immer noch kein Gesetz über Genderidentität. Trans Personen werden im neuen Familienrecht überhaupt nicht erwähnt. Gerade der beginnende Transititionsprozess wird in Kuba überhaupt nicht anerkannt, das heißt, trans Personen werden im Personalausweis bis zur Geschlechtsangleichung unter ihrem Deadname, also ihrem Geburtsnamen und -geschlecht geführt. Wir leben immer noch in einer transphoben Gesellschaft. Das neue Familiengesetz bringt also Fortschritte, für die wir lange gekämpft haben, aber es fehlt immer noch viel.

Im Juli vor einem Jahr hatte die Regierung Massenkundgebungen für Öffnung und Wandel brutal niedergeschlagen. Nun ist die Ausarbeitung und Annahme des neuen Familienrechts partizipativ und demokratisch gestaltet worden. Widerspricht sich das nicht total?

Wir haben heute mehr als 500 politische Gefangene. Unter diesen Umständen wollte die Regierung zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, nach dem Motto: Wir begleichen unsere historische Schuld mit der Bewegung, zum anderen vermitteln wir eine Idee von Demokratie. Uns als Bewegung blieb da nichts anderes übrig, als das Gesetz zu unterstützen, um wenigstens ein paar Fortschritte im Bereich der Menschenrechte zu erreichen.

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