Frauenrollen im Drogenhandel

(Asunción, 07. März 2022, el surti).- Als Graciela López von ihrem ältesten Sohn telefonisch informiert wurde, dass in ihrer Wohnung gerade eine Hausdurchsuchung stattfand, hatte sie noch keine Ahnung, dass ihr Lebensgefährte Carlos Medina mit Drogen handelte. An ihrer Wohnungstür empfing sie ein bewaffneter Agent des Nationalen Sekretariats zur Drogenbekämpfung (Senad). Wie sie von der Staatsanwältin Gilda Villalba erfuhr, hatte es Beschwerden von Nachbar*innen gegeben. Die Beamten beschlagnahmten 8,8 Gramm Crack und eine Waffe. Da Graciela als Hauptmieterin auf die Wohnung eingetragen war, musste sie entscheiden, ob sie oder ihr ältester Sohn verhaftet werden sollte. Sie zögerte nicht einen Moment und ging mit. Ihre Anklage lautete auf Besitz und Handel mit illegalen Drogen. Bei einem Besuch gestand Carlos ihr schließlich, dass er mit Drogen handelte, jedoch angeblich nie zu Hause. „Du hast mich hier reingebracht, jetzt sieh zu, wie du mich wieder rausholst“, so Gracielas Antwort. Er unternahm nichts. Nach einem Jahr und acht Monaten im Gefängnis in der Stadt Coronel Oviedo beantragte Graciela die Verlegung in das Frauengefängnis Buen Pastor in der Hauptstadt, um näher bei ihrer Familie zu sein. Sie wartete vier Jahre lang auf ihr Gerichtsurteil. Zweimal stand sie vor Gericht, während ihre Kinder hungerten und Not litten. Ihr Lebensgefährte hingegen verbrachte nicht einen Tag im Gefängnis.

Frauen stehen am unteren Ende einer streng hierarchischen Struktur

Gracielas Geschichte ist kein Einzelfall. Fast 59 Prozent aller in Paraguay inhaftierten Frauen wurden wegen Kleinstdelikten im Zusammenhang mit Drogenhandel angeklagt. Die Strafen wegen Drogenbesitz liegen zwischen fünf und 15 Jahren Gefängnis. Nach Angaben des Nationalen Mechanismus zur Verhütung von Folter (MNP) wurden im Jahr 2020 nur vier von zehn Frauen rechtskräftig verurteilt. Entgegen der Darstellung des paraguayischen Staats, der von einem frontal geführten Kampf gegen die „dicken Fische“ des Drogenhandels spricht, füllen die heutige strafrechtliche Praxis und Sanktionspolitik die Gefängnisse mit Männern und Frauen, die am unteren Ende der Produktionskette des Drogenhandels stehen. Frauen sind auch hier oft einer patriarchalen Hierarchie untergeordnet. In den von ihnen übernommenen Funktionen tragen sie selten größere Verantwortung, wohl aber ein hohes Risiko, und ihre Aufgaben sind vielfältig. Sie sind die Köchinnen, die mulas, die wie Tiere im Lastentransport ihre Körper als Versteck für den Transport der Drogen benutzen. Bäuerinnen, die auf den Feldern den Rohstoff ernten. Halconas, Falken, die die Aktivitäten der Polizei ausspähen und über ihr Gebiet wachen. Sie sind Kleindealer, die in geringen Mengen Drogen verkaufen. Sie sind Ehefrauen und Mütter. Sie werden als Anwerberinnen in den Vertriebsstrukturen,als  Aushängeschilder und Trophäen eingesetzt. Alle sind Objekte. Sie werden benutzt und weggeworfen.

Unverhältnismäßige Kriminalisierung

Nach Ansicht von Guillermo Garat, Journalist und Autor des Buchs Marihuana y otras yerbas: regulación y uso de drogas en Uruguay ist die Kriminalisierung des Drogenverkaufs oft unverhältnismäßig. „Die Berichte der Anti-Drogen-Behörde zeigen immer wieder Frauen allein mit zwei Mini-Stückchen Marihuana auf einem Tisch, und dann wird so getan, als hätten sie eine subversive Gruppe gefangen, die einen Anschlag auf die Regierung geplant hat“. Auch Gracielas Bild erschien in den Medien, nachdem man ihr Haus durchsucht hatte. In Buen Pastor saß sie zusammen mit anderen Frauen im Gefängnis, die auf ähnliche Weise hinter Gittern gelandet waren. Die 48-jährige Paula ist seit vier Jahren inhaftiert. Mit sanfter, klarer Stimme nennt sie den Grund ihrer Verhaftung: internationaler Drogenhandel. Sie verbüßt eine 12-jährige Haftstrafe. Paula hat einen 13-jährigen Sohn, den sie seit 24 Monaten nicht mehr gesehen hat, da die Besuche wegen der Covid-19-Pandemie ausgesetzt wurden. „Wenn ich rauskomme, geht mein Sohn schon zur Uni“, sagt sie mit Tränen in den Augen. Paula lebte früher in Caaguazú, wo sie Grundstücke und Häuser verpachtete. Im Jahr 2014 wurde eine ihrer Immobilien in Colonia de Katueté, einer Gemeinde im Departement Canindeyú, 353 km von der Hauptstadt entfernt, durchsucht. Man fand 200 Kilo Kokain und verurteilte den Mieter zu 15 Jahren Gefängnis. Als Eigentümerin der Immobilie wurde sie sechs Jahre später wegen Mittäterschaft verurteilt. Paula erklärte, sie habe bis zu dem Tag, an dem das Haus in Katueté durchsucht wurde, nichts von seinen Drogengeschäften gewusst. „Sie haben mich verhaftet mit der Begründung, ich hätte schließlich wissen müssen, was da los ist. Ich habe ihm vertraut, ich hätte nicht gedacht, dass er sowas macht. Ich bin immer fair mit ihm umgegangen, und dann haut er mich so in die Pfanne. Er weiß doch, dass ich alleinerziehende Mutter bin und immer versuche, alles gut zu machen. Aber das ist vorbei, jetzt versuche ich nur noch, mein Leben hinzukriegen. Ich will nur, dass das hier bald aufhört.“

Problematisches Gesetz

Die Bestrafung der Eigentümer*innen von Immobilien, die im Drogengeschäft eine Rolle spielen, ist in Artikel 34 und 35 des Gesetzes zur „Bekämpfung des illegalen Handels mit Betäubungsmitteln und gefährlichen Drogen und anhängiger Straftaten“ vorgesehen. Wird eine Straftat nicht angezeigt, drohen sechs Jahre Haft. Wenn Transportmittel für den Drogenhandel bereitstellt oder Drogen auf dem eigenen Grundstück gelagert werden, sind es 10 bis 20 Jahre Haft. „An diesem Gesetz ist einiges problematisch“, erklärt Leguizamón. „Zunächst einmal, weil es auf Repression basiert, hier wird ein sehr hohes Strafmaß angesetzt, und dann enthält es diese Artikel, die die Strafverfolgung der Eigentümer der Immobilien ermöglicht. Und bei irgendwelchen Frauen in Bañado wird das natürlich durchgezogen, aber sicher nicht, wenn es um die Ranch von Horacio Cartes geht.“ Im Jahr 2003 beschlagnahmte die Polizei im Departement Amambay 16.800 Kilo Marihuana. Zunächst hieß es, die Drogen seien auf dem Grundstück des ehemaligen Präsidenten Horacio Cartes gefunden worden, aber in einer auffälligen zweiten gerichtlich angeordneten Überprüfung stellte die Staatsanwaltschaft fest, dass das Marihuana 450 Meter außerhalb der Grenzen seines Grundstücks auf dem Gebiet einer indigenen Gemeinde gefunden wurde. Der Tabakunternehmer wurde von der Verantwortung freigesprochen. Im Februar dieses Jahres wurde Cartes vom ehemaligen Innenminister Arnaldo Giuzzio öffentlich beschuldigt, an Geldwäsche und des Zigarettenschmuggels beteiligt zu sein, dessen Vertriebswege mit kriminellen Drogenbanden geteilt würden, darunter das Erste Hauptstadtkommando Brasiliens. Erst nachdem die Oppositionsparteien der Generalstaatsanwältin Sandra Quiñónez Untätigkeit vorgeworfen und ihre Entlassung gefordert hatten, eröffnete diese ein Strafverfahren gegen Cartes. Es wird jedoch bezweifelt, dass eine unvoreingenommene Untersuchung stattfindet. Quiñónez steht unter dem Verdacht, ihr Verhalten an den Interessen des Geschäftsmanns und Politikers der Partei Asociación Nacional Republicana auszurichten. Paraguay ist der größte Marihuanaproduzent der Region und die Hochburg des Zigarettenschmuggels in der westlichen Hemisphäre.

Die Narco-Kultur: Macho-Gewalt hoch zehn

Mirta aus der Stadt Pedro Juan Caballero verbüßt seit 2018 eine elfjährige Haftstrafe im Buen Pastor, weil sie versucht hat, drei Kilo Kokain nach Zürich zu transportieren. „Ich habe eine blöde Entscheidung getroffen. Aber ich stand damals ziemlich unter Druck“, sagt Mirta heute. Alles begann damit, dass sie ihren Job verlor. Zur selben Zeit lernte sie einen Mann kennen, vermutlich kein Paraguayer, der ihr ein Geschäft anbot. Seinen Namen will sie lieber nicht nennen. „Erst sah ich darin nur eine Chance, ein bisschen in der Welt rumzukommen. Dann wurde es konkreter, und da er mir viel Geld zahlen wollte, sagte ich zu“, erklärt sie.  Drei Monate lang traf sie sich sporadisch mit ihm und reiste nach Sao Paulo. Alle Kosten wurden übernommen. Eines Tages bot er ihr 70 Millionen Guaraníes (9,5 Millionen Euro) für einen Gelegenheitsjob. „Er kam direkt zu mir und bat mich, Drogen in ein anderes Land zu bringen. Ich musste nur einen Koffer ins Flugzeug tragen, und wie immer sagten sie, es sei alles geregelt“. Doch sie schaffte es nicht einmal bis ins Flugzeug, sondern wurde am Flughafen Silvio Pettirossi verhaftet. Von dort ging es zunächst ins Gefängnis von Pedro Juan Caballero und dann nach Buen Pastor.

Narco-Kultur: die Glorifizierung patriarchaler Gewalt

Bündelweise Geld, protzige Villen, ausschweifende Partys, maßloser Luxus, teure Autos, nagelneue Handys, schöne Frauen und zügelloser Drogen- und Alkoholkonsum gepaart mit Verschwendung, Entgrenzung, Gewalt, staatlicher Korruption, Straffreiheit, Drogen und Waffen. Mit diesen Attributen lockt die Welt des Drogenhandels. Der Aufstieg erfolgt schnell und ohne großen Aufwand. Doch auch hier sind es Männer, die den Kuchen verteilen. Die Mexikanerin Mónica González ist Fotojournalistin und Mitarbeiterin der Initiative A dónde van los desaparecidos. Lateinamerika sei gefangen in der Bewunderung für die Narcokultur, erklärt sie. Der von bekannten Drogenhändlern verbreitete Mythos nährt die Vorstellung, die Zugehörigkeit zum organisierten Verbrechen sei ein Garant für Macht, Geld und ein bequemes, glückliches Leben. „In diesem System gibt es keine Wahlmöglichkeiten. Der Boss dominiert alles, er besetzt die Spitze einer hierarchischen Struktur, der Machtbereich seiner Untergebenen ist gestaffelt, und jeder Mann in dieser Pyramide hat irgendwelche Frauen, die für ihn springen. Einige arbeiten für ihn, einige braucht er für seine Fortpflanzung, und einige verwalten sein Vermögen. In all den Jahren des Kriegs gegen die Drogen, der den Konsum psychoaktiver Substanzen bekämpft und ihre Produktion zu unterbinden versucht und der seit der Regierung von Richard Nixon in den 1970er Jahren von den USA gefördert wurde, haben Frauen diese Rolle erfüllt, während der Krieg gegen die Drogen weit davon entfernt ist, den Drogenhandel einzudämmen. Was er stattdessen erreicht hat, ist, dass die Gewalt auf den Straßen Lateinamerikas zunimmt, die Gefängnisse vollgestopft sind mit marginalisierten und historisch diskriminierten Bevölkerungsgruppen und dass eine Narcokultur entstanden ist, die das Patriarchat mit noch mehr tödliche Waffen, Macht und Geld ausstattet und alle Frauen, die sich ein besseres Leben wünschen, noch weiter unterdrückt.“

Die Beteiligung von Frauen am Drogengeschäft nimmt zu

Nach einem Bericht des gemeinnützigen Journalist*innenverbands InSight Crime hat in Lateinamerika die Verhaftung von Frauen im Kontext des organisierten Verbrechens, insbesondere des Drogenhandels, im letzten Jahrzehnt stark zugenommen. In Paraguay sind es überwiegend Frauen aus prekären wirtschaftlichen Verhältnissen, so der ehemalige MNP-Beauftragte Dante Leguizamón. „Oft arbeitet die Polizei mit Erpressung, verhaften erstmal alle Frauen der Familie und sagen dann: ‚Wir haben deine Mutter und deine Großmutter. Am besten, du sagst uns, woher du die Drogen hast und übernimmst die Verantwortung, selbst wenn dein Novio der Dealer ist und nicht du‘“, erklärt Leguizamón. Aber es gibt auch Frauen, die die geschlechtliche Arbeitsteilung im Drogenhandel hinter sich gelassen haben. Gegen Gianina García Troche und Marta Noguera liegt seit März 2022 ein Haftbefehl vor. Die Namen der zwei Frauen tauchen in einer gemeinsamen Operation der paraguayischen und der US-amerikanischen Drogenbehörde und Europol auf. Dabei geht es um die Zerschlagung eines internationalen Drogenrings, der Kokain nach Europa und Afrika liefert. Es wird vermutet, dass die Frauen für die Buchführung, Geldwäsche und logistische Organisation von Drogenlieferungen verantwortlich sind. Bekannter ist die Mexikanerin Sandra Ávila Beltrán. Die „Königin des Pazifiks“ organisierte Kokaintransporte von Kolumbien nach Mexiko, verwaltete die Finanzen des Sinaloa-Kartells, stellte neue Kontakte her und kümmerte sich um die Geldwäsche. Der InSight Crime-Bericht Mujeres y crimen organizado en Latinoamérica: más que víctimas o victimarias (Frauen und organisierte Kriminalität in Lateinamerika: jenseits der Opfer- oder Täterinnenrolle) kommt zu dem Schluss: Frauen spielen eine zunehmend größere Rolle im organisierten Verbrechen. Die oberen Ränge der Macht bleiben jedoch weiterhin den männlichen Akteuren vorbehalten.

 

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