Chineo – keine „Tradition“, sondern ein Sexualverbrechen an Mädchen

(Chicoana, 27. Mai 2022, Kaosenlared).- Am 25. Mai endete in der Stadt Chicoana in der Provinz Salta (Argentinien) das Dritte Tribunal indigener Frauen* gegen „Chineo“. Die Sexualverbrechen der weißen Täter an indigenen Mädchen bleiben ohne strafrechtliche Folgen. Auf dem Treffen, an dem Frauenorganisationen aus verschiedenen Ländern Mittel- und Südamerikas teilnahmen, wurde eine internationale Protestdemonstration vorbereitet, die am Freitag den 3. Juni unter dem Motto: „Schluss mit der Gewalt! Nie mehr Chineo“ stattfinden soll. Die Veranstalterinnen fordern die argentinische Regierung auf, die systematische Vergewaltigung indigener Frauen und Mädchen zu beenden und die aus der Kolonialzeit stammende Praxis der sexuellen Gewalt als Hassverbrechen einzustufen.

Chineo

„Chineo“ bezeichnet die Vergewaltigung indigener Minderjähriger durch die Nachfahren der europäischen Einwanderer. Diese Art von Verbrechen existiert seit Beginn der Kolonisierung und wird bis heute im Norden Argentiniens und in verschiedenen Teilen Lateinamerikas praktiziert, ohne dass die Täter strafrechtlich belangt werden. Dass der Chineo auch heute noch existiert, ist den Gerichten bekannt; im Jahr 2008 äußerte sich ein argentinischer Richter dazu folgendermaßen: „Beim so genannten ‚Chineo‘ handelt es sich um ein kulturelles Muster, das im Westen unserer Provinz praktiziert wird. Junge Männer europäischer Abstammung machen sich gezielt auf die Suche nach „Chinitas“ (indigenen Mädchen oder Jugendlichen), verfolgen sie und zwingen sie zum Sexualverkehr. Als kulturelles Muster ist dieses Verhalten so verinnerlicht, dass es als Jugendspiel, nicht als kriminelle Handlung und lediglich als erniedrigend für die Opfer betrachtet wird.“ Tatsächlich drückt sich schon in dem Begriff selbst ein rassistisches Weltbild aus: Die Spanier und später ihre Nachfahren nannten die indigenen Frauen wegen ihrer Augenform „Chinas“ oder „Chinitas“. Davon abgeleitet wurde und wird die Jagd auf indigene Mädchen und junge Frauen „Chineo“ genannt.

Das Treffen

Nach Angaben der Organisatorinnen nahmen über 250 Frauen und Non-Binäre aus 21 Nationen und indigenen Völkern, darunter Argentinien, Chile, Bolivien und Mexiko, an dem dreitägigen Treffen teil. Viele von ihnen arbeiten seit mehreren Jahren mit der „Bewegung indigener Frauen für ein gutes Leben“ zusammen, um eine breitere Öffentlichkeit auf die mit der Kolonisierung eingeführten Sexualverbrechen aufmerksam zu machen. Statt als „kulturelles Muster“ sollen sie als Hassverbrechen eingestuft und von der Verjährung ausgenommen werden. Im Rahmen des Treffens wurden Erfahrungen ausgetauscht, Geschichten erzählt, Erlebnisse mit  Polizisten, Richtern und Politikern geteilt, es wurde von internationalen Drogengeschäften und Menschenhandel, Diskriminierung in den Krankenhäusern und Begegnungen mit den Institutionen berichtet und festgestellt, dass diese dem „Rechtsstaat“ keine Ehre machen, wenn man sich anschaut, wie sie Umgang mit den Betroffenen umgehen, denen es gelingt, Anzeige zu erstatten. Schließlich waren auch die Folgen für die Gemeinschaft und die Familie der betroffenen Mädchen ein Thema. Die meisten Teilnehmenden waren selbst als Kinder vergewaltigt worden. Insgesamt waren sich alle darüber einig, dass es wichtig ist, gemeinsam zu handeln und Öffentlichkeit zu schaffen wie zum Beispiel durch die Demonstration am 3. Juni und die Kampagne #BastadeChineo.

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