Poonal Nr. 206

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 206 vom 15. August 1995

Inhalt


MEXIKO

BRASILIEN

HAITI

HAITI/DOMINIKANISCHE REPUBLIK

PERU

KUBA

PANAMA

GUATEMALA

GUATEMALA/PANAMA

COSTA RICA

PARAGUAY


MEXIKO

Subcomandante Marcos mobilisierte die Massen

(Mexiko-Stadt, 8. August 1995, POONAL).- Subcomandante Marcos rief per Video von der Leinwand und fast alle kamen. Zwischen 100.000 und 200.000 Menschen füllten den Zocalo, den Platz vor dem Nationalpalast in Mexiko-Stadt. Anlaß war der erste Jahrestag der Nationalen Demokratischen Konvention. Am 8. August 1994 fand sie in San Cristóbal de las Casas und in Aguascalientes, dem von den Rebellen der Zapatistischen Armee für die nationale Befreiung (EZLN) geschaffenen Ort in ihrem Gebiet, statt. Die massive Teilnahme an der „Geburtstagsfeier“ spricht dafür, daß den Zapatisten eine erneute Mobilisierung der zivilen Gesellschaft gelingen kann. Skeptiker meldeten ihre Zweifel an. Grund sind die bisher ergebnislosen Verhandlungen mit der Regierung und eine gewisse Frustrationserscheinung der zivilen Aktivisten.

Beteiligung am Plebiszit entscheidend für EZLN

Das wiedererweckte Interesse dürfte der jüngsten Initiative der EZLN zu verdanken sein. Anfang Juni schlug sie eine landesweite Befragung über die nationale Problematik und ihre eigene Zukunft vor. So will sie unter anderem wissen, ob sie sich in eine „politische, unabhängige und neue Kraft“ wandeln bzw. sich anderen Kräften anschließen soll. Zu den fünf ursprünglichen Fragen kam inzwischen noch eine sechste über die Beteiligung der Frauen in der Gesellschaft hinzu. Nachdem die Vorbereitungen zu Beginn schleppend anliefen – eigentlich sollten die Ergebnisse bereits am 8. August vorliegen – haben sie in den vergangenen Wochen an Dynamik gewonnen. Jetzt werden die sechs Fragen definitiv am 27. August landesweit gestellt. Die Organisation liegt auf Vorschlag der Zapatisten in den Händen der Alianza Cívica (Bürger-Allianz) in Zusammenarbeit mit den Mitgliedern der Nationalen Demokratischen Konvention. Die Alianza Cívica hat sich durch ihre Wahlbeobachtungen einen Namen gemacht. Sie stimmte dem Auftrag der Zapatisten nach erstem Zögern zu.

Marcos wies in dem Video jedoch darauf hin, die Befragung sei kein Schlußpunkt, geschweige denn „die letzte Karte“ vor dem erneuten Krieg mit der Regierung. Er bezeichnete den Dialog „zwischen uns“ wichtiger als den Dialog mit der Regierung. Die Mobilisierung im Rahmen der Befragung an sich sei bereits ein Erfolg. Dies zeigte sich während der Kundgebung, die dem Video vorausging. Während bei anderen Gelegenheiten immer wieder Spannungen zwischen den unterschiedlichen Gruppen der Nationalen Demokratischen Konvention und anderen Organisationen zum Ausdruck kamen, stand diesmal bei allen Rednern das gemeinsame Vorgehen im Vordergrund. Ereignisse wie das Juni-Massaker an Campesinos im Bundesstaat Guerrero oder der ungebeugte, monatelange Kampf der Busfahrergewerkschaft Sutaur in der Hauptstadt gegen die Zerschlagung des städtischen Transportunternehmens „Ruta-100“ mögen dazu beigetragen haben. Je größer die Beteiligung an der Befragung am 27. August sein wird, desto gestärkter wird die EZLN in die sechste Verhandlungsrunde mit der Regierung am 5. September in San Andres Larrinzar gehen. Das Befragungsergebnis ist dafür vorerst zweitrangig.

BRASILIEN

„Demokratie bietet keine Garantie…“

– Interview mit Pierre Sani, Generalsekretär von ai

(Brasilien, Juli 1995, noticias aliadas-POONAL).- Vor kurzem reiste Pierre Sani, Generalsekretär von amnesty international nach Brasilien. Dort sprach er unter anderem mit Präsident Fernando Henrique Cardoso und erkundigte sich über die Regierungspläne, die Menschenrechtssituation zu verbessern. NA-Korrespondent Guihermo Salgado Rocha interviewte Sani.

Frage: Welche Gründe gibt es für den Brasilien-Besuch?

Antwort: Wir sind mit vier Zielen gekommen: Von der Bundesregierung und den Bundesstaatsregierungen zu hören, welche Pläne es zur Verbesserung der Menschenrechte gibt. Auch, um eine ernsthafte Diskussion mit den Nicht-Regierungsorganisationen und Gruppen der Zivilgesellschaft zu führen, ihre Bewertung und die Perspektiven zu hören, die sie für die Menschenrechte in Brasilien sehen. Das dritte Ziel war, die Familien der Opfer von Menschenrechtsverletzungen in der Favela Vigario Geral zu sprechen (dort ermordeten 1993 Polizisten 21 Menschen). Wir wollten wissen, welche Fortschritte es in diesen Fällen gegeben hat, ob sich die Regierung den Menschenrechten verpflichtet fühlt. Das letzte Ziel betrifft die ai-Kampagne, Gesellschaftsgruppen zu erreichen, die dem Kampf für den Respekt der Menschenrechte, für Meinungsfreiheit und Friedensbildung noch skeptisch gegenüber stehen.

Frage: Eine kürzliche Umfrage ergab, daß nur 46 Prozent der brasilianischen Bevölkerung an die Demokratie glaubt. Ist das nicht gefährlich für die Frage der Menschenrechte?

Antwort: Die Demokratie bietet keine Garantie, damit die Menschenrechte nicht verletzt werden. Ich glaube die einzige Garantie besteht in der Wachsamkeit, der Organisation der Zivilgesellschaft.

Frage: Aber ist die erwähnte Einstellung keine Gefahr für die Demokratie selbst?

Antwort: Ai nimmt keine Stellung zum politischen System. Die Demokratie ist das System, das für den Schutz der Menschenrechte gewünscht wird. Aber in jedem politischen System ist es die Wachsamkeit der Organisationen der Zivilgesellschaft, die diesen Schutz garantieren wird.

Frage: Glauben Sie, daß es in Rio de Janeiro einen Bürgerkrieg gibt – mit Toten und der Präsenz der Streitkräfte in den Strassen?

Antwort: Nein. Ich sage, es gibt eine Kriegssprache. Wir haben betroffene Gemeinden besucht und sie sprechen von Invasionen, Helikoptern und Schießereien. Das war das, was wir bei dem Gespräch in Vigario Geral gehört haben.

Frage: ai hat für Brasilien einen landesweiten Aktionsplan vorgeschlagen. Worin besteht dieser Plan?

Antwort: Der Plan schlägt eine Auflistung der Menschenrechtsinitiativen in Brasilien vor, mit der Beteiligung der Zivilgesellschaft. Wir sind für die Reform der Polizeistruktur, die ein Erbe des Militärregimes ist. Außerdem treten wir für eine Justizreform ein, um das Verlangen nach Gerechtigkeit zu befriedigen. Ein weiterer Punkt ist die Entwicklung eines Schutzprogrammes für die Zeugen: es können in einigen Fällen entscheidende Zeugenaussagen für die Justiz verloren gehen, weil die Zeugen Angst haben, auszusagen.

Frage: Was sind die Hauptschwachpunkte, die Sie bei den Menschenrechten in Brasilien sehen?

Antwort: Der erste ist die Kluft zwischen dem Gesetz und seiner Anwendung. Eine andere Kluft besteht zwischen den Sicherheitskräften und dem brasilianischen Volk. Erstere gebärden sich so, als ob sie über Leben und Tod der Personen entscheiden könnten, was z.B. die Toten von Vigario Geral zur Folge hatte. Das Volk fordert Gerechtigkeit, aber sie kommt nicht.

Frage: Im Fall Brasiliens scheint die Demokratie den Respekt der Menschenrechte nicht garantiert zu haben. Wie sehen Sie das?

Antwort: Vorher war das Opfer der politische Gegner. Heute sind die Menschen nicht Opfer aufgrund ihrer Anschauungen, sondern, weil sie arm ist. Der Gewalttäter, vorher durch die Militärdiktatur verkörpert, ist heute die gewählte Demokratie. Die Form der Gewalt ändert sich ebenfalls. Früher gab es politische Gefangene, Gefolterte, Verschwundene. Aber alle hatten einen Namen. Ihre Freunde waren Universitätsprofessoren, viele von ihnen heute in politischen Ämtern. Jetzt sind die Opfer namenlos. Es ist, als ob in Brasilien der Arme überflüssig wäre. Die Gewalttaten sind heute die Morde in der Straße oder in den Gefängnissen. Früher waren die Menschenrechtsverteidiger auch im Untergrund. Jetzt können sie organisiert arbeiten. Das ist eine positive Veränderung. Aber eins hat sich nicht geändert: die Straffreiheit.

Nur Familien der Verschwundenen werden entschädigt

(Mexiko-Stadt, August 1995, POONAL).- Die brasilianische Regierung schließt eine Entschädigung für die Familien der 217 Aktivist*innen der Linken, die unter der Militärdiktatur von 1964 bis 1985 ermordet wurden, aus. Als Begründung gibt die Regierung an, die Toten fielen nicht unter die Kategorie der „Verschwundenen“. Justizminister Jos Gregori, der ein Gesetzesprojekt ausarbeitete, durch das 136 Verschwundene während der Diktatur anerkannt werden, argumentierte: Falls man die gewaltsam Umgekommenen einschließe, würde das Amnestiegesetz für Militärs und Gruppen der Linken von 1979 „in gewisser Weise verletzt“. Auch das Thema der Verschwundenen ist nicht abgeschlossenen. Die Familienangehörigen der Opfer verlangen von Präsident Fernando Henrique Cardoso – Cardoso mußte selber ins Exil – eine Untersuchung über die Todesumstände ihrer nächsten Verwandten. Die Militärspitze des Landes fühlt sich irritiert. Die brasilianischen Streitkräfte präsentierten als Reaktion eine Liste mit 96 Soldaten, die im Anti-Guerillakampf fielen. Sie hoben hervor, keiner ihrer Familienangehörigen bekäme eine Pension, die sich von der anderer Soldaten unterscheide, die bei der Ausübung ihres Berufes umkamen.

Zu dem Gesetzesprojekt über die Verschwundenen haben sich mehrere Menschenrechtsorganisationen geäußert. Die Bewegung „Tortura Nunca M s“ (Nie mehr Folter) fordert Nachforschungen „bis zur letzten Konsequenz“ mit der Öffnung geheimer Archive und dem Verbot für jede Person, die der Folter und des Mordes angeklagt ist, ein öffentliches Amt zu bekleiden. Human Rights Watch-America kritisierte das Vorhaben Cardosos, das Kapitel der Verschwundenen aus politischen Gründen abzuschließen und fügte hinzu: „Die Wiedergutmachung darf sich, damit sie vollständig ist, nicht auf eine reine Entschädigung in Geld beschränken.“

HAITI

80. Jahrestag der ersten US-Invasion

(Port-au-Prince, 28. Juli 1995, hib-POONAL).- Vor 80 Jahren invadierten US-Soldaten Haiti. Es begann eine 29jährige Besatzungszeit. Die erste Invasion entstand aus der Notwendigkeit, den möglichen Aufstieg der Volksbewegung zu blockieren. Diese bedrohten damals gefährlich das Ausbeutungs- und Herrschaftssystem. Den USA ging es ebenfalls darum, die imperialistischen Mitbewerber, besonders Franzosen und Deutsche, im Rennen um die Vorherschaft auszuschalten. Die USA invadierten in Haiti, nachdem sie bereits Haitis Goldreserven beschlagnahmt und in der National City Bank deponiert hatten. Die Landung war Teil einer Politik, innerhalb derer lateinamerikanische Länder wie Nicaragua, die Dominikanische Republik oder Kuba invadiert wurden, bzw. der US-Einfluß dort wieder verstärkt wurde. Auf Haiti töteten die US-Truppen Tausende von „Cacos“ (Wiederstandskämpfer) einschließlich Charlemagne Peralte im Jahr 1919. Sie änderten die Verfassung, um ausländischen Landbesitz zu erlauben, führten die Zwangsarbeit ein, enteigneten Land und begründeten ihre Macht auf dem Kopf von mindestens 20.000 Gefangenen.

Aus Anlaß des 80. Jahrestages der Besatzung hielten Volksorganisationen und andere Gruppen Treffen ab, demonstrierten, veröffentlichten Flugblätter und Broschüren und gaben Pressemitteilungen heraus. In der Rechtsschule von Cap-Haitien trafen sich am 27. Juli hunderte von Personen, um die Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen der ersten und der zweiten Besatzung heute zu diskutieren. Das Kollektiv gegen den IWF organisierte eine Demonstration durch die Straßen von Cap-Haitien, bei der die Besatzungstruppen, Weltbank und Internationaler Währungsfonds Zielscheibe der Kritik waren. Die Demonstration fiel mit einem Besuch von Präsident Jean-Bertrand Aristide zusammen. Während er in einem Gebäude sprach, standen draußen die Demonstrant*innen. Präsident Aristide, der in den vergangenen Jahren die nationale Souveränität verteidigte und für den anti-imperialistischen Kampf gegen die USA eintrat sowie immer an den Jahrestag der Besatzung erinnerte, schwieg diesmal.

HAITI/DOMINIKANISCHE REPUBLIK

Soldaten weisen Haitianer*innen aus

(Port-au-Prince, 26. Juli 1995, hib-POONAL).- Soldaten der Dominikanischen Republik verhafteten Haitianer*innen bzw. Menschen haitianischen Ursprungs schoben sie ab. Der Priester Edwin Paraison berichtet: „Im Süden, entlang der Grenzen, verhaften sie viele und schickten sie zurück. Die Polizei würde sie mit den bloßen Kleidern auf dem Leib abschieben, fügte er hinzu. Oft haben die Verhafteten legale Papiere wie beispielsweise eine Gruppe haitianischer Student*innen mit einem Stipendium. Sie wurden im Juli des Landes verwiesen. „Für die dominikanische Polizei ist die Hautfarbe entscheidend“, sagt Paraison. Der haitianische Botschafter in der Dominikanischen Republik, Guy Alexandre, machte in einem Statement vom 20. Juli die Behörden des Nachbarlandes für die Ausweisung und das anhaltende Kidnapping von Haitianer*innen für die Zuckerrohrernte verantwortlich. Die Ausweisungspolitik wurde bereits in der Vergangenheit benutzt, besonders in den Monaten vor dem Putsch auf Haiti. Diese Politik bereitete den Staatsstreich mit vor, denn er trug zur wachsenden Destabilisierung zu einem Zeitpunkt bei, als die haitianische Regierung einer angespannten, schwierigen und konfusen Situation gegenüberstand. Die Entscheidung von Präsident Balaguer – niemals ein Freund Haitis – kommt paradoxerweise nach einem Besuch dominikanischer Geschäftsleute und Anstrengungen, die Beziehungen zwischen beiden Ländern zu normalisieren.

PERU

Die 'Erfolge' der Privatisierung

– von Zoraida Portillo

(Lima, 31. Juli 1995, sem-POONAL).- „Als sie ankündigten, sie würden das Unternehmen verkaufen, hatten wir die Hoffnung, die Dinge würden endlich besser werden, wir würden bessere Löhne bekommen und ein gutes Arbeitsumfeld haben. Denn für den Staat zu arbeiten, war aufgrund der niedrigen Löhne eine Form verdeckter Arbeitslosigkeit“, erzählt Salvador Ojeda, ehemaliger Arbeiter von „Hierro Peru“ (staatliche Eisenfabrik). Heute ist er desillusioniert: „Es gab weder Lohnerhöhungen noch sonst was. Vielmehr wurden viele von uns direkt nach dem Verkauf des Unternehmens 'eingeladen', zu kündigen und viele andere wurden entlassen“. Juan Aguirre, der zwölf Jahre lang bei der ehemals staatseigenen Telefongesellschaft arbeitete, berichtet: „Hier wurde nichts respektiert, weder die Dauer der Zugehörigkeit zum Betrieb noch irgenwelche Spezialisierung, nichts. Die neuen Eigentümer stellten eine Liste von Leuten auf, die überflüssig waren, riefen uns alle zusammen und adios… Sie schickten uns los, die Abfindungszahlungen einzulösen und ein kleines Extra – so als Entschuldigung, weil sie uns wegwerfen.“ Wenn die Privatisierung staatlicher Unternehmen sich für die peruanische Regierung auch als erstklassiges Geschäft erweist – laut der Kommission zur ausländischen Investition und Technologie erhielt Peru fast 4 Milliarden Dollar für den Verkauf – so können die Arbeiter*innen dieser Betriebe nicht das Gleiche sagen. Seit der Privatisierungsprozeß in Peru vor drei Jahren begann, haben schätzungsweise mehr als eine Million Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verloren. Sie sind gezwungen, sich in Berufen und Aktivitäten zu versuchen, die ihren Einfallsreichtum auf die Probe stellen. Das Land ist an dem Punkt angelangt, sich ins Königreich der informellen Arbeit zu verwandeln: Die Unterbeschäftigungsrate beträgt 77 Prozent.

Informeller Sektor wächst jährlich um sieben Prozent

Seit 1990 erhöht sich die Arbeit im sogenannten informellen Sektor jährlich um sieben Prozent, fast doppelt so schnell wie die Beschäftigung mit fester Arbeit. Die völlige Arbeitslosigkeit der Erwerbsbevölkerung ist mit 9,9 Prozent auch nach offiziellen Angaben schon ziemlich hoch. Um der Arbeitslosigkeit einigermaßen Herr zu werden, müßten einer Studie zufolge mindestens 40 Prozent mehr feste Arbeitsplätze geschaffen werden. So versuchen die Peruaner*innen, mit den ungewöhnlichsten Beschäftigungen zu überleben. Der eine verkleidet sich als überdimensionales Telefon und bietet im Zentrum von Lima, in dem kaum ein funktionierendes öffentliches Telefon zu finden ist, ein Funktelefon an. Andere fabrizieren Plakate auf der Straße, vermieten Schachbretter, singen in den Bussen oder verdingen sich als Wahrsager*innen. Tausende stehen an den Straßenkreuzungen und versuchen, den wartenden Autos bei Rot, Süssigkeiten zu verkaufen. Als eines der lukrativsten Geschäfte stellt sich noch der Verkauf von Brot auf der Straße dar. Viele haben sich mit 3.000 Dollar verschuldet, um in den bevölkerungsreichen Stadtvierteln kleine Bäckereien aufzubauen. Unter dem Strich haben von der Privatisierung jedoch die wenigsten profitiert.

KUBA

Keine Änderung der US-Politik

(Havanna, 10. August 1995, prensa latina-POONAL).- Das kubanische Außenministerium geht davon aus, daß die Vereinigten Staaten ihre Haltung gegenüber der Insel nicht geändert haben. Die negativen Gesten Washingtons würden fortbestehen. Rafael Dausa, Sprecher des Ministeriums, dementierte ein „angebliches nordamerikanisches Interesse an einer Annäherung“. Er sagte gegenüber der nationalen und internationalen Presse, die USA seien mit den allgemeinen Zügen des Helms-Burton-Gesetzentwurfes einverstanden. Dieser Entwurf wird derzeit im US-Kongreß diskutiert und zielt auf ein verstärktes Embargo gegen Kuba ab. Die US-Regierung habe nur eine andere Einschätzung, was die Schwierigkeiten mit Drittländern nach der Verabschiedung des Gesetzes angehe.

Neue LehrerInnengeneration

(Havanna, 11. August 1995, prensa latina-POONAL).- Etwas mehr als 10.000 Lehrer*innen beendeten ihre Ausbildung an den Pädagogischen Hochschulen des Landes. Die Zahl bekräftigt die Vorrangstellung, die Kuba dem Bildungssektor gibt. Der zuständige Minister Luis Ignacio Gomez hob laut der Zeitung „Granma“ die Qualität der Hochschulabgänger in der Pädagogik hervor. Sie könnten zur Bildungstransformation der Einwohner*innen beitragen. Der Minister betonte: „Die erste Bedingung für die Bildungsarbeit ist und bleibt es, Revolutionär*innen zu sein. Ausgehend von dieser Bedingung geht es zur Wissenschaft, zur Pädagogik, zur allgemeinen Kultur, zu all dem, was unsere Arbeit effizienter macht.“

Atomenergie bleibt Option

(Havanna, 9. August 1995, prensa latina-POONAL).- Das nicht fertiggestellte Atomkraftwerk in Juragua war eines der zentralen Themen auf dem dreitägigem „Ersten Seminar über die Bewertung der Sicherheit in der Industrie und die Unfallverhütung“ in Havanna. Der Ingenieur Fedel Ilizastigui vom Nationalen Zentrum für Reaktorsicherheit (CNSN) vertrat die Ansicht, die Bauten in der Provinz Cienfuegos könnten „vor der Inbetriebnahme die international akzeptierten Sicherheitsstandards erreichen“. Die Modifikationsmöglichkeiten während der Arbeiten an dem aus Rußland kommenden Reaktormodell erlaubten es, den aktuellen Anforderungen der Internationalen Atomenergiebehörde nachzukommen. Ilizastigui stellte auf dem Seminar die vorläufigen Ergebnisse einer Studie des CNSN über den Reaktorbau vor.

Der Sicherheitsaspekt in der Atomenergie bekam aufgrund des Unfalls von Tschernobyl im Jahr 1986 eine größere Bedeutung. Derzeit führt das Nationale Zentrum für Reaktorsicherheit eine Untersuchung durch, die den Ausbildungsstand der Institutionen und des kubanischen Personals in der Atomindustrie bewertet. Der in Moskau ausgebildete Ingenieur Ruben Ferro betonte auf dem Seminar die große Abhängigkeit der Sicherheit nicht nur von der Technologie, sondern auch vom „menschlichen Faktor“. Ein weiteres Referat bezog sich auf die Erdbebensicherheit des Reaktorkomplexes von Juragua. Der Bau soll einem Erdbeben in der Stärke 8 auf der Richterskala standhalten. Ursprünglich für den Einsatz von vier Reaktoren vorgesehen, wurden die Arbeiten am Bau in Juragua im September 1992 aufgrund finanzieller Probleme eingestellt. Ähnliche Reaktoren arbeiten in Finnland und Ungarn. Die kubanische Regierung wartet noch die Ergebnisse einer Studie über die technischen und wirtschaftlichen Daten ab, um zumindest den ersten Reaktorblock fertigzustellen. Wenn die Ergebnisse vorliegen, soll es Verhandlungen über eine Gesellschaft geben, die den Reaktor zuende baut und ihn nutzt. Neben Kuba und Rußland sind weitere interessierte Gesellschafter vorgesehen.

PANAMA

Der 'Stier' wetzt die Hörner

(Mexiko-Stadt, 12. August 1995, POONAL).- In Panama spitzte sich der Konflikt zwischen den Gewerkschaften und der Regierung zum Ende der Woche immer mehr zu. Etwa eine Viertelmillion Arbeiter aus weit über hundert Einzelgewerkschaften befinden sich inzwischen im Generalstreik. Die Menschen gingen zu Zehntausenden gegen die Reform des Arbeitsgesetztes auf die Straßen in Panama- Stadt. Nachdem es zu Beginn der Streikbewegung am 3. August während der Zusammenstösse mit der Nationalpolizei vier Tote gab, hat es in den Folgetagen glücklicherweise nur Verletzte gegeben. Das Land ist paralysiert. Seit dem vergangenen Mittwoch haben die Proteste gegen die Regierung eine neue Qualität gewonnen: Zwei der fünf großen Gewerkschaftszentralen, die in den vergangenen Monaten noch in einer Drei-Parteien-Kommission mit Regierung und Unternehmern verhandelt hatten, schloßen sich dem Generalstreik an. Von den anderen drei Zentralen wurde diese Entscheidung für jeden Moment erwartet. Faktisch hält nur noch die Transportgewerkschaft dem Präsidenten Ernesto Pérez Balladares die Stange. Dieser, der den bezeichnenden Spitznamen „El Toro“ (der Stier) trägt, lenkte bisher nur insofern ein, als er in der Nacht auf Freitag ankündigte, das Reformpaket für „leichte Modifikationen“ in eine dritte und entscheidende Debatte am 12. August zu schicken (das Ergebnis dieser Abstimmung war beim POONAL-Redaktionsschluß noch nicht bekannt).

Den breiten Proteststurm der Arbeiter haben einige wenige der insgesamt 90 Arbeitsreformen bewirkt, die die Regierung unter allen Umständen durchsetzen will. So sollen unter anderem die Entschädigungszahlungen für ungerechtfertigt entlassene Arbeiter geringer werden und Lohnkürzungen in Krisenzeiten möglich sein. Den Unternehmern wird die Erlaubnis gegeben, ihre Beschäftigten ohne weiteres auf einen anderen Arbeitsplatz zu versetzen. Die Gewerkschaften sehen gerade in der letzten Reform ein Instrument, lästige Gewerkschaftsführungen loszuwerden. Präsident Balladares, Arbeitsminister Doens und die Arbeitgeber begründen dagegen alle Änderungen mit dem Wohlergehen der Wirtschaft. Die großen Gewerkschaftszentralen des Landes fühlen sich vor allem deswegen vor den Kopf gestoßen, weil die erwähnten Reformen in der Drei- Parteien-Kommission eigentlich schon ad acta gelegt worden waren. Doch die Abgeordneten der Revolutionären Demokratischen Partei (PRD), die im Parlament die Mehrheit besitzen, fügten sie bei der zweiten Abstimmung in letzter Minute ein. Allgemein wird Druck von Balladares und dem Unternehmerverband CONEP vermutet. Der CONEP hatte die zuerst verabschiedeten Reformen als zu „starr“ bezeichnet.

Gewerkschaften fordern Rücknahme des Reformpakets

Nun redet beispielsweise der Vorsitzende der Allgemeinen Arbeiterzentrale, Mariano Mena, verständlicherweise von „einem Verrat an der Arbeiterbewegung“. Die Gewerkschaften wollen unbefristet streiken, bis die Reformen erneut im Parlament diskutiert und endgültig zurückgenommen werden. Druck können die Gewerkschaften ausüben. Das transnationale Bananenunternehmen Chiquita Brands gibt seine Verluste per Streiktag mit 700.000 Dollar an. Die Arbeiter der „Refinería Panamá“, dem einzigen Treibstoff produzierenden Unternehmen des Landes, legten die Arbeit Freitagabend nieder und liefern kein Öl mehr aus.

Als Ernesto Pérez Balladares im September 1994 offiziell sein Amt antrat, war diese Entwicklung nicht vorherzusehen. Sogar von Flitterwochen mit der Arbeiterbewegung war die Rede. Balladares wurde zugetraut, etwas gegen die 14 Prozent Arbeitslosigkeit und die Unterbeschäftigung von geschätzten 30 Prozent tun zu können, ohne Programme auf dem Rücken der Arbeiter auszutragen. Schließlich steht die von dem General Omar Torrijos Anfang der 70er Jahre gegründete PRD traditionell für eine eher fortschrittliche Politik mit sogar sozialistischen Elementen – allerdings auch mit einer stark nationalistischen Komponente, die General Noriega für sich ausnutzte. Balladares war unter Torrijos als 30jähriger Finanzminister. Unter den 1994 zur Wahl angetretenen bedeutenden Parteien konnte nur die PRD zusammen mit der Bewegung Papa Egoró (Mutter Erde) des Salsasängers Rubén Blades zur Linken gerechnet werden. Dies war ein wichtiger Faktor, der Balladares zum Nachfolger der verachteten USA-Marionette Guillermo Endara werden ließ, obwohl sich sein Programm schon damals kaum von dem seiner konservativen Gegner unterschied. Nun sieht es so aus, als ob der Präsident sich innerhalb kürzester Zeit sein Ansehen verspielt hat.

GUATEMALA

Frauenpolitik unter dem Präsidenten

– von Laura E. Asturias

(Guatemala, August 1995, fempress-POONAL).- Die letzten Jahre haben die guatemaltekischen Regierungen den Frauen nur geschadet, nicht geholfen. Jorge Serrano Elías, der einen „autogolpe“ nach peruanischem Vorbild versuchte, führte das Land nicht nur in die politische Instabilität. Er legte 1993 auch sein Veto gegen das Gesetz über Bevölkerung und Entwicklung ein. Dieses hätte Regeln festgelegt, die den Frauen den Zugang zu Information und Dienstleistungen der Reproduktionsgesundheit sichern sollten. Während der Amtszeit der aktuellen Regierung unter Ramiro De León Carpio gab es zwei Weltgipfel, bei denen sich der Präsident die Vertretungsmacht für die Frauen bei den Dingen anmaßte, die die weibliche Bevölkerung direkt angehen. In beiden Fällen agierte er auf eigene Faust und ohne die Frauenorganisationen des Landes zu konsultieren.

Bei der Internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung ignorierte De León Carpio die wiederholt von den Frauen vorgetragenen Bitten um ein Gespräch, die an sein Büro gerichtet und ebenfalls in Zeitungsanzeigen gefordert wurden. Schweigen und eine diktatorische Haltung waren die einzigen Antworten des ehemaligen Menschenrechtsbeauftragten des Landes. Als Vertretung des Regierungschefs bei den Vorbereitungstreffen für die Konferenz und bei dem Ereignis in Kairo selbst gab es eine einzige Gruppe von Aktivist*innen des Opus Dei und anderen Figuren der katholischen Kirche, wo das Land doch eine fähige ExpertInnengruppe benötigt hätte, um die tatsächliche Bevölkerungsproblematik Guatemalas darzustellen.

Während des Weltgipfels über die soziale Entwicklung, die Mechanismen für den Kampf gegen die Armut bestimmen sollte, bewies De León Carpio erneut seine Unkenntnis über die Zusammenhänge zwischen Armut, unzureichenden Einrichtungen und einer erhöhten Anzahl von Kindern. Noch trauriger war jedoch die Anwesenheit der Arbeitsministerin Gladys Morfío auf dem Gipfel. Als offizielle Delegierte nahm Mercedes Arzó? teil. Sie zaudert nicht, jede Person öffentlich anzuschreien, die die Familienplanung unterstützt. Jedesmal, wenn die Ministerin für Guatemala ans Podium trat, klopfte ihr Arzó? ständig auf die Schulter und wies sie darauf hin, was sie zu sagen hatte. Jetzt bot sich De León Carpio die goldene Gelegenheit, die guatemaltekischen Frauen erneut zu diskreditieren. Zu den Vorbereitungstreffen der IV. Weltfrauenkonferenz schickte er wie bei der Kairo-Konferenz eine Gruppe, die den Auftrag des Vatikans mit sich trug, die Diskussionen über die Familienplanung zu behindern. Zu sagen, diese Delegation hätte durch Unwissenheit geglänzt, gäbe ihr zuviel Verdienst. Anscheinend wird die erste Dame der Nation die offizielle Delegation in Peking anführen. Wird sie die geeignetste Vertreterin der Interessen der guatemaltekischen Frau sein?

Cerigua hat Geburtstag

(Guatemala, 8. August 1995, cerigua-POONAL).- Das Auslandszentrum für Informationsberichte über Guatemala (Cerigua) feierte am 8. August seinen 12. Geburtstag. In diesen zwölf Jahren verbreitete die Agentur ohne Unterbrechung Nachrichten in der Absicht, in Guatemala selbst für die Kommunikation Spielräume zu öffnen und die Meinungsfreiheit zu verteidigen. Nach elf Jahren Berichterstattung aus dem Exil konnte Cerigua vor einiger Zeit auch Büros in Guatemala-Stadt eröffnen. Es bleibt Ziel von Cerigua, weiterhin alternative Informationen über Guatemala an die Medien, Journalist*innen, Wissenschaftler*innen, Student*innen, Diplomat*innen und die Öffentlichkeit im allgemeinen weiterzugeben. Zwölf Jahre Präsenz in den verschiedenen Kommunikationsmedien, mit Themen, die traditionellerweise zensiert werden, sind unser Beitrag dazu gewesen, die Informationssperre zu durchbrechen, die während dieser Jahre über Guatemala verhängt wurde.

CACIF glaubt nicht an den Frieden

(Guatemala, 9. August 1995, cerigua-POONAL).- Das Koordinationskomitee der Kammern für Handel, Industrie, Landwirtschaft und Finanzwesen (CACIF) glaubt nach einem Treffen mit dem Präsidenten Ramiro De León Carpio auf kurze Sicht nicht an ein Abkommen zwischen Regierung und Guerilla über das Thema „Sozio-ökonomische Aspekte und Landfrage“. Die Unternehmerspitze stufte entsprechende Eindrücke als „falsch“ ein. CACIF- Vorsitzender Humberto Preti betonte die Übereinstimmung mit Regierungsvorstellungen während er die Vorschläge der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) für eine Steuerreform, die Regulierung des Landbesitzes und Änderungen in Verfassung und Institutionen ablehnte.

GUATEMALA/PANAMA

URNG nimmt an Parteienkonferenz teil

(Guatemala, 10. August 1995, cerigua-POONAL).- An der IV. Konferenz der Politischen Parteien vom 21. bis 23. August in Panama wird auch die Revolutionäre Nationale Einheit Guatemalas (URNG) teilnehmen. Darüber informierte der guatemaltekische Abgeordnete im zentralamerikanischen Parlament, Héctor Kleé Orellana. Das vom Parlament ins Leben geförderte Forum hat laut Kleé unter anderem zum Ziel, die Beteiligung der politischen Parteien bei der Friedenskonsolidierung in der Region zu diskutieren. Die URNG, so Kleé, habe ihre Teilnahme zugesichert. Bei früheren Gelegenheiten nahmen auch ehemalige Guerillabewegungen wie die Nationale Befreiungsfront Farabundi Marti (FMLN) und die Nationale Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) an der Konferenz teil.

COSTA RICA

Lehrer*innen streiken seit fünf Wochen

(Mexiko-Stadt, 12. August 1995, POONAL).- Der Streik der Lehrer*innen in Costa Rica steht vor der fünften Woche. Die Streikenden wenden sich in erster Linie gegen ein neues Pensionssystem, das die Regierung unter José María Figueres eingeführt hat. Ohne dessen Anullierung wollen sie ihren Arbeitskampf unter keinen Umständen abbrechen. Die Regierung spricht von „Starrköpfigkeit“ der Lehrer*innen. Sie nimmt auch eine Beschuldigung zur Hilfe, die von den lateinamerikanischen Regierung derzeit häufig gegen Oppositionsbewegungen genutzt wird. Die Lehrer*innen so heißt es, würden „den Modernisierungsprozeß des Staates aufheben und zurückwerfen“.

PARAGUAY

Bankenkrise zieht weite Kreise

(Mexiko-Stadt, 12. August 1995, POONAL).- Angesichts des Ausmaßes der Bankenkrise in Paraguay wollen Regierung und Opposition die Lage gemeinsam analysieren. Präsident Juan Carlos Wasmosy traf mit der Opposition eine entsprechende Vereinbarung. Seitdem im April bei der Zentralbank Unstimmigkeiten auftauchten, wurde das Ausmaß der Korruption im gesamten Bankenwesen immer deutlicher. Vier Banken und zwei weitere Finanzierungsgesellschaften wurden durchsucht. Mindestens zwölf Bänker sitzen hinter Gittern, weitere flüchteten rechtzeitig vor ihrer geplanten Verhaftung. Geschädigt von der Korruption sind jetzt vor allem etwa 20.000 Sparer*innen, die ihr Geld auf Schwarzkonten bei den intervenierten Banken anlegten. Sie deponierten ihr Geld auf den persönlichen Konten der Bankmanager, um auf diese Weise die Steuergesetze zu umgehen und höhere Zinsen zu bekommen. Sie haben im Gegensatz zu den von der Zentralbank entschädigten legalen Sparer*innen bisher nichts von ihrem Geld gesehen und stellen nun Forderungen an die Regierung. Das Abkommen Wasmosy mit der Opposition sieht vor, zwischen Sparer*innen zu unterscheiden, die „guten Glaubens“ gehandelt haben und denen, die wirklich „schwarz“ handelten.

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