Poonal Nr. 113

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 113 vom 04.10.1993

Inhalt


GUATEMALA

Jennyfer Harbury: Ich werden bis zum Äußersten gehen

KUBA

HAITI

PANPRA

PARADIS

LATEINAMERIKA

PUERTO RICO


GUATEMALA

Die Krise bleibt bestehen

Von Ileana Alamilla

(Mexiko-Stadt, 24. September 1993, cerigua-POONAL).- Als die Verhandlungen zwischen guatemaltekischer Regierung, Streitkräften und der Guerilla im vergangenen Mai stockten, drohte der damalige Vorsitzende der Friedenskommission der Regierung, Manuel Conde, mit der Intensivierung des Krieges als einzigem Mittel, um die Bedingungen des Verhandlungsprozesses verändern zu können.

Diese Ankündigung folgte einer tiefen politischen Krise des guatemaltekischen Staates und seiner Machtfaktoren, die im Staatsstreich vom 25. Mai endete. Dieser brachte unter – in der Geschichte der Staatsstreiche dieses mittelamerikanischen Landes – aussergewöhnlichen Bedingungen den ehemaligen Menschenrechtsprokurator Ramiro De León Carpio auf den Präsidentenstuhl.

De León ist die höchste Trumpfkarte, mit der die Armee und die Oligarchie des Landes versuchen, die Krise zu lösen und einen langfristigen Plan zu entwerfen, anhand dessen die Staatsorgane restrukturiert, die Guerilla neutralisiert und das System aufrecht erhalten werden kann, das diesen Sektoren die Macht garantiert.

Die politische Krise konnte jedoch durch den neuen Regierungschef nicht nur nicht gelöst werden, darüberhinaus führen verschiedene Bereiche der zivilen Gesellschaft ihren Kampf um die Spielräume weiterhin fort, die sie während der Krise mutig öffneten. Sie fordern sie jetzt ein und versuchen sie auszuweiten.

Durch diese neue Lage ist die Teilnahme der zivilen Gesellschaft an der Lösung der Krise und des Krieges unvermeidbar geworden. Diese Tatsache ist für die Armee und die traditionellen Wirtschaftssektoren nicht akzeptabel. Deshalb versuchen sie, diese Bürgerbeteiligung zu hegemonisieren, zu neutralisieren und zu manipulieren.

Die „Nationale Konsensinstanz“ (INC), ein Organ, das während des Staatsstreiches geschaffen wurde, das alle Bereichen der zivilen Gesellschaft zu umfassen sucht, bildete den Rahmen, in dem die mächtigen Sektoren versucht haben, die institutionellen und die die Verfassung betreffenden Veränderungen zu leiten und zu manipulieren, welche die Mehrheit der Sektoren zu Krisenbeginn in Angriff genommen hatten.

Daraus ergibt sich das Auf und Ab der Präsidentenäusserungen hinsichtlich der Säuberungen der Staatsorgane. Von der zuerst angeblich festen Position einer totalen Säuberung wechselte der Präsident zu politischen Machenschaften mit abgestimmten Säuberungen. Es ist keine Rede davon, daß die Säuberungen auf andere Instanzen wie die Streitkräfte angewandt werden könnten. In den ersten Monaten der Regierung von De León Carpio fanden nur Wechsel in der Hierarchie statt, auf die die zivilen Instanzen keinen Einfluss nehmen konnten.

In diesen Zusammenhang reiht sich auch die Verhandlungsrunde ein, bei der die Regierung versucht hat, das Gewicht ihres Gegenspielers, der URNG, zu schmälern, indem sie die Anliegen der zivilen Gesellschaft, die seit geraumer Zeit ihre Teilnahme an den Verhandlungen fordert, vereinnahmte. Der diesen Monat von der Regierung vorgestellte Verhandlungsplan läßt die von beiden Seiten 1990 in Oslo vereinbarten Verhandlungsregeln außen vor. Damit wird auch beabsichtigt, den Vermittler, Moñsenor Rodolfo Quezada Toruño, auszuschalten, die mit der Guerilla unterschriebenen Vereinbarungen nicht anzuerkennen und – so wie die Staatsstreichregierung – die Verhandlungen auf einen einfache Feuerpause zu reduzieren.

Die zivile Gesellschaft selbst hat jedoch dem Regierungschef, der Armee und der Oligarchie zu verstehen gegeben, daß eine Feuerpause nur das Produkt von politischen Vereinbarungen sein kann, die das Fundament für ein neues Vorgehen im Land bilden. Diese Tatsache hat die Streitkräfte dazu veranlaßt, ihre Kriegshandlungen zu intensivieren, indem sie am 18. September eine Militäroffensive im Norden des Landes begannen. Diese greift jedoch nicht die Guerilla an, sondern die Zivilbevölkerung, die seit Jahren in den Urwäldern Widerstand leistet.

Zeitgleich mit der Militäroffensive kündigte die Regierung eine diplomatische Offensive an, die voraussichtlich am 29. September, mit der Präsentation eines neuen Friedensvorschlages in der UNO beginnen sollte. Diese Werbekampagne wurde jedoch in der letzten Septemberwoche durch die öffentliche Präsentation des Friedensplanes von Monseñor Quezado Toruño getrübt (vgl. letzte POONAL-Ausgabe; die Red.). Der Plan wurde den Verhandlungspartnern Anfang September übergeben, die Regierung versuchte jedoch, ihn zu verfälschen.

Der Plan von Quezada ist einfach: Er greift die Anliegen von Regierung, Armee, Guerilla und Zivilgesellschaft auf. Er bietet die Möglichkeit, einen neuen Verhandlungstisch einzurichten, ohne die alten Vereinbarungen zu brechen. Unter Beteiligung der zivilen Sektoren, mit der Möglichkeit der direkten Vermittlung der UNO bei militärischen Themen und mit der Schaffung eines Friedensforums, an dem die ganze Gesellschaft teilnimmt.

Für die traditionellen Machtsektoren hat der Plan jedoch einen kleinen Haken : Das Friedensforum wäre das Instrument, das gemeinsame politische Vereinbarungen erlauben würde, die die Grundlage für die Unterschrift operativer Vereinbarungen wie der Waffenruhe schaffen würden.

Die Guerilla hat bereits positiv auf diesen Vorschlag reagiert und will ihn als Basis für die Wiederaufnahme der Gespräche nehmen. Es muss jedoch noch abgewartet werden, ob Regierung und Militär sowie die kriegstreibende Landwirtschaftsoligarchie in der Lage sind, es auf einen Wechsel ankommen zu lassen.

Jennyfer Harbury: Ich werden bis zum Äußersten gehen

Interview mit der Ehefrau von Efraín Bámaca Velásquez, des

Guerillakommandanten „Everardo“, der in Guatemala „verschwundenen“

ist.

(Mexiko-Stadt, 23. September 1993, NG-POONAL).- Vor einigen Tagen, postierte sich vor der alten politechnischen Hochschule (der Militäroffiziere) in Guatemala eine Nordamerikanerin und begann einen Hungerstreik. Damit forderte sie das Wiederauftauchen ihres Mannes, des Guerillakommandanten Efraín Bámaca Velásquez. Er war bei einem Gefecht zwischen der Guerilla und Armeetruppen am 12. März 1992 in der südlichen Provinz Retalhuleu gefangen genommen worden.

Bei der Frau handelt es sich um Jennyfer Harbury, Anwältin und Autorin des Buches „Bridge of Courage“ (Brücke des Mutes), das kürzlich in den USA erschienen ist und die guatemaltekische Guerilla behandelt. Bei ihren Nachforschungen über den Aufenthaltsort des Kommandanten „Everado“ hat Harbury Widersprüche zwischen Streitkräften, Gerichten und dem damaligen Menschenrechtsprokurator Ramiro De León Carpio ans Licht gebracht. Diese wollen glauben machen, daß Everado sich umbrachte, nachdem er bei dem Zusammenstoß verwundet wurde. Nach einem gründlichen Vergleich zwischen dem exhumierten Leichnam, von dem das Militär behauptet, daß es der von Bámaca ist, und den Merkmalen ihres Ehemannes kam Harbury zu dem Schluß, daß es dabei nicht um diesen um diesen handelt, sondern daß Everado noch lebt und die Armee ihn in einem geheimen Gefängnis gefangenhält.

In einem langen Interview, daß sie „Noticias de Guatemala“ gab, berichtete Harbury über ihre Erfahrungen in Guatemala. Der folgende Artikel faßt dieses Interview zusammen.

Beim Gespräch mit Innenminister Arnoldo Ortiz Moscoso über ihren Mann machten das Schweigen und das Bemühen, die Dinge zu verheimlichen, ihre Ohnmacht deutlich. „Er versprach, dem Präsidenten De León Carpio das Problem darzustellen. Aber er bestand darauf, daß es besser sei, mit dem Verteidigungsminister Mario René Enríquez Morales zu sprechen. … Es ist nicht meine Absicht, Krach zu schlagen oder einen Skandal zu machen, aber es ist wichtig, daß im Militär Veränderungen stattfinden. Ortiz Moscoso schien diese Meinung zu teilen. Ich nehme an, daß er mit dem Präsidenten sprach, kenne jedoch die Ergebnisse nicht.“

Während Harburys Hungerstreik, erklärte De León Carpio die Absicht, mit ihr zu sprechen. „Ich habe ihn jedoch jeden Tag angerufen und immer begegneten sie mir mit Ausflüchten. In Wirklichkeit wollte er nicht mit mir sprechen.“

Ihrer Meinung nach kann sie auf die Unterstützung der US- Botschafterin Marilyn McAfee zählen. Die nordamerikanische Diplomatin legte dem Verteidigungsminister in einem Brief nahe, mit Harbury zu sprechen. „Die Begegnung mit dem Verteidigungsminister war freundlich.(…) Der General drückte sein Bedauern daüber aus, daß es sich bei dem exhumierten Leichnam nicht um den meines Gatten gehamdelt habe. Ich teilte ihm mit, daß mir dies nicht als unschuldiger Zufall erscheint. 1992, im Brief des damaligen Menschenrechtsprokurators (De León Carpio) stand eine detaillierte Merkmalsbeschreibung von Everardo, also keine die mit dem kürzlich exhumierten Leichnam übereinstimmt, der von den Behörden wie jemand x-beliebiges begraben wurde.“

Enríquez sagte zu dem Fall, er habe mit den Verantwortlichen gesprochen und sie wüssten von nichts. Stattdessen wies er darauf hin, daß vielleicht die Guerilla den Leichnam ausgewechselt habe, um die Streitkräfte in Misskredit zu bringen. Ich habe natürlich darauf bestanden, daß ich diese Version nicht glaube. Ich warnte ihn, daß diese Haltung nicht funktionieren wird.“ …

„Enríquez versicherte mir auch, daß die Armee keine geheimen Kerker habe und es keine Kriegsgefangenen gäbe. Alle diese Anklagen seien von den Subversiven erfunden. Und ich überlegte, wie subversiv wohl Diana Ortiz (eine nordamerikanische Nonne, die – offensichtlich von Geheimagenten der Armee – gefoltert wurde) war. Ich schlug ihm vor, die verschwundenen Gürrilleros vor den Gerichtshöfen zu präsentieren. Ich bin sicher, daß die anderen 35 verschwundenen Aufständischen in der Hand der Streitkräfte sind. Mein Kampf gilt der Verteidigung aller. Ich kämpfe nicht nur für meinen Fall. Das wäre nicht ethisch. Mehr noch, nicht einmal Everado würde das akzeptieren.

Aber der Minister wies darauf hin, daß manchmal Leute von der Guerrilla davonliefen und danach einige für das Militär arbeiteten. Andere würden den Gerichten oder der Menschenrechtsprokuratur präsentiert. Das Militär mache davon kein grosses Aufsehen, weil die Leute darum bäten, daß es geheim bleibe. Sie hätten Angst, daß die Guerilla sie als Deserteure töte.“

In Bezug auf De León Carpio meint Harbury: „Der Fall meines Mannes ist einer der unangenehmsten für ihn. Sein Sinneswandel ist offensichtlich. Das Gefährliche für ihn ist, daß er involviert ist, weil er den Brief letztes Jahr unterschrieben hat. Aber jetzt müsste er gegen seine Armee handeln und das wird nicht möglich sein.“

Sanktionen sollten verhängt werden

Bei ihrem Kampf für das Wiederauftauchen ihres Mannes hat die Nordamerikanerin in den nächsten Monaten Besuche bei den Vereinten Nationen sowie dem Senat und dem Repräsentantenhaus der USA geplant. „Ich will wirtschaftliche Sanktionen gegen Guatemala als eine Form des politischen Drucks auf das Militär erbitten. Die guatemaltekischen Militärs können nicht auf der Such nach Geldern durch die ganze Welt reisen und sagen, daß die ein neues Militär seien, wenn sie keinen Schritt zur Veränderung machen. Ich werde daher zur Weltbank, zum Internationalen Währungsfonds und allen internationalen Kreditinstitutionen gehen, damit sie dieser Regierung keine Kredite geben, bis es nicht grundsätzliche Änderungen gibt.“

Laut Harbury war daß Außenministerium, vertreten durch seine Botschaft, sehr vorsichtig, weil dies eine heikle Angelegenheit für sie ist. „Aber sie haben mich in gewisser Weise unterstützt, sie haben Dinge getan, die früher undenkbar waren. Sie stellen mir eine Person zur Seite, die mich bei meinen Reisen in Guatemala begleitet. Jetzt will ich mich dem Außenminister Warren Christopher und anderen Personen des Weißen Hauses nähern. Ich habe den Vorteil, daß viele Professor*innen der Universität, an der ich promovierte, Funktionär*innen der Clinton-Regierung sind. Sie haben ihre Bereitschaft erklärt, mir zu helfen.

Als ich noch nicht so viele Beweise hatte, unterschrieben 32 Kongressabgeordnete eine Unterstützungserklärung für Everardo. Sie sagten, es sei nicht wichtig, um wen es sich handele, auf jeden Fall wäre es ein Mensch. Der ehemalige Präsident Carter hat schriftlich gegenüber dem Kennedy Menschenrechtszentrum seine Besorgnis wegen des Falles ausgedrückt. Auch Reverend Jackson ist laufend über den Fall informiert.“

Während des Hungerstreiks war Harbury nie allein. „Viele Menschen kamen täglich vorbei. Ich kann nicht sagen, daß ich auf die Unterstützung von Menschenrechtsorganisationen als solche zählen konnte, aber das verstehe ich. Die individuelle Unterstützung war jedoch groß. Es kamen Gewerkschafter*innen, Arbeiter*innen und Student*innen. Einige Personen kamen und erzählten mir, daß sie auch verschwundene Familienangehörige hätten. Es war der spanische Botschafter und Diplomaten aus Schweden und Belize da. Natürlich auch Mitglieder meiner Botschaft, die Angst hatten, es würde mir etwas passieren.“ …

„Es ist sehr schwer, die Barriere des Schweigens zu brechen, in einem Land, in dem der Machismo unter den Militärs herrscht, die sich allmächtig glauben. Trotzdem werde ich bis zu den letzten Konsequenzen gehen, bis ich meinen Mann und seine Kameraden gefunden habe. Ich glaube, daß es durch das Vorgehen der Militärs, sie zu foltern und am Leben zu lassen, eine Chance gibt, sie lebend zu retten.“

KUBA

Die USA und der Umgang mit kubanischen EmigrantInnen

Von Ulises Canales

(Havanna, 20. September 1993, Prensa Latina-POONAL).- Die Ankunft des ersten Fluges Miami-Havanna der nordamerikanischen Fluggesellschaft United Airlines mit 120 Kubanern an Bord hat letzte Woche die Grundlagen des Konfliktes wieder aufgedeckt, dessen Manipulierung und Politisierung Resultat der Differenzen zwischen Kuba und den Vereinigten Staaten ist.

Es handelt sich um die umstrittene Auswanderung von Kubaner*innen in Richtung USA seit 1959. Der einzige Fall in der Welt, in dem das Weiße Haus die illegale Einwanderung fördert und begrüßt. Der warmherzige Empfang für die Kubaner*innen, die ohne entsprechende Papiere in Florida ankommen steht der gängigen Praxis der USA an der mexikanisch-nordamerikanischen Grenze entgegen.

Mit vier von der Chartergesellschaft ABC gebuchten und von Havannatour unterstützten Initiative sollen die wöchentlichen Flüge dazu dienen, daß etwa 20.000 Exil-Kubaner*innen in den USA und in der ganzen Welt ihre Landsleute wiedertreffen können.

Emigranten ohne Visa in den USA willkommen

Mit diesen vier erhöhen sich die Flüge auf der Route Miami-Havanna auf 11 (eine als gering eingeschätzte Zahl), da seit einiger Zeit bereits die Gesellschaft Marazul täglich einen Flug durchführt. Doch leiden die Kubaner*innen, die auf der Insel Visa in die USA beantragen, unter der Strenge der nordamerikanischen Gesetze. Auf der anderen Seite genießen sie dagegen den Vorteil, mit allen möglichen Garantien empfangen zu werden, wenn sie auf illegale Weise einmal in das Nachbarland eingereist sind.

Während die Regierung in Havanna sich entscheidet, die Zahl der Reisenden aus und nach den USA zu erweitern und zur Erfüllung der der 1984 mit Washington unterschriebenen Migrationsvereinbarungen aufruft, die eine Quote von 20.000 Visa jährlich für Reisen in dieses Land festsetzt, geschieht in Florida das Gegenteil.

Bei der nordamerikanischen Migrations- und Einbürgerungsbehörde werden die Kubaner*innen paradoxerweise genauso wie beispielsweise Haitianer*innen, Dominikaner*innen und andere Lateinamerikaner*innen diskriminiert, wenn sie legale Wege beschreiten. Ein vom kubanischen Sender Radio Reloj ausgestrahlter Kommentar erklärte, daß das Weiße Haus die illegale Einwanderung in die USA durch Flugzeugentführungen oder per Boot fördert. Hinzu kommen die Fälle der Bürger*innen, die sich selbst zu politisch verfolgten Flüchtlingen erklären.

In Miami angekommen verwandelt sich ein Verwaltungsangestellter in einen hohen Funktionär, ein Polizist wird zum prominenten Militär und ein Zirkusarbeiter wird zukünftig eine große Figur der nationalen Kultur sein, so der Kommentar. Er weist darauf hin, daß nach der Sensationspresse „hier ausschliesslich wichtige Leute leben.“

Die kürzliche Umleitung eines Mig-21 Flugzeuges der Luftwaffe nach Cayo Hueso, USA, durch einen kubanischen Offizier sowie die blitzschnelle Visagenehmigung für acht Schiffbrüchige, die schließlich in Mexiko ankamen, bekräftigen den Zusammenhang von Verdrehung und Ausnutzung des Themas.

Exilkubaner*innen schlagen aus der Emigration politisches Kapital

Gleiches passiert bei der Austellung von unbefristeten Aufenthaltsgenehmigungen, das einer unbestimmten Anzahl Personen gewährt wird, die unter Lebensgefahr die Insel in kleinen Booten oder in entführten Schiffen verlassen. Wenn sich jedoch die Kubaner*innen dagegen wehren, daß aus ihrem Schicksal politisches Kapital geschlagen wird – die Emigration ist hauptsächlich ein ökonomisches Phänomen – so wird es übersehen oder das Betreten der nordamerikanischen Union wird ihnen verweigert.

Kommentator*innen und die Bevölkerung nehmen teilweise unterschiedliche Bewertungen vor. Sie stimmen aber in dem Wesentlichen überein, daß sich Kuba immer für die Familienzusammenführung auf normalem Weg ausgesprochen hat. Dieser Austausch kommt jedoch den rechten Sektoren der kubanischen Auswander*innen nicht gelegen. Sie versuchen die negative Propaganda für die Insel, die die illegalen Emigrant*innen und Entführer*innen hervorrufen, für ihre Sache auszunutzen.

HAITI

Blick auf die politischen Parteien

(Port-au-Prince, September 1993, HIB-POONAL).- In Haiti operieren derzeit verschiedene politische Parteien. Es ist wichtig, ihre Geschichte und Ausrichtung zu verstehen, da das Rückkehrdatum für den Präsidenten Jean-Bertrand Aristide sich nähert. Die Parteien können deutlich und generell danach voneinander unterschieden werden, welche Positionen sie beim Staatsstreich vom 30. September 1991 und in den beiden folgenden Jahren der sehr gewalttätigen De- facto-Regierung einnahmen. Bei den, den Staatsstreich unterstützenden Parteien können zwei große Blöcke unterschieden werden: Die reaktionären Parteien der Ultrarechten als auch die Vereinigung der Nationalen Fortschrittlichen Demokraten (RDNP) auf der einen Seite, sowie die Nationale Fortschrittliche Revolutionäre Haitianische Partei (PANPRA) auf der anderen Seite. Erstere widersetzten sich jeglicher Veränderung, die die Privilegien ihrer Mitglieder (Duvalier-Anhänger und Monopolinhaber) bedroht, während die PANDRA begrenzte Reformen vorgescglagen hatte. Der Staatsstreich und die Regime die ihm folgten, konnten die Kontrolle erlangen und aufrecht erhalten aufgrund einer Allianz zwischen diesen beiden Fraktionen.

ANDP Die Nationale Allianz für die Demokratie und den Fortschritt (ANDP) ist eine Koalition aus drei Parteien: Der Bewegung für die Einführung der Demokratie auf Haiti (MIDH), der Nationalen Patriotischen Bewegung 28. Juli (MNP 28) und der PANPRA. Sie wurde für die Wahlen von 1990 geschaffen und von Marc L. Bazin, auch Präsident der MIDH, angeführt. Die ANDP stellte einen Präsidentschaftskandidaten und weitere Kandidaten für die Regional- und Lokalwahlen. Bazin, der direkt und offen von den USA unterstützt wurde, erhielt 13 Prozent der Stimmen und belegte den zweiten Platz. Aristide ging mit 67 Prozent als Wahlsieger hervor. Kandidaten der ANDP erreichten mehrere Sitze im Senat und der Abgeordnetenkammer. Aber sofort nach den Wahlen verließ die PANPRA die Koalition, näherte sich anderen Parteien an und formte so den angeblichen Sozialistischen Block.

MIDH Gegründet 1986 von Bazin, nachdem dieser nach einigen Jahren aus den USA zurückkehrte. Die Partei steht für eine neoliberale Wirtschaftspolitik. Sie unterstützt offene Grenzen, um Auslandskapital anzuziehen und fordert eine Zurückhaltung des Staates. Bazin hat für die Weltbank gearbeitet und war unter Jean- Claude Duvalier während mehrerer Monate Finanzminister (bekannt als „Herr Saubermann“). 1987 war er Präsidentschaftskandidat. Als er 1992 Premierminister des Putsch-Regimes war, bedeutete seine „Regierung des Konsens und der Volksgesundheit“ den letzten Versuch, den Staatsstreich zu institutionalisieren. Dabei ging er eine Allianz mit den Mitgliedern der ANDP ein. Während seines einjährigen Regimes gab es mehr Korruption als in jeder anderen Epoche des Landes.

MNP 28 Diese Partei wird von Déjean Belizaire angeführt, ein Senator, dessen Mandat letztes Jahr endete. Nach dem Staatsstreich unterstützte Belizaire äußerst aktiv das illegale Regime und vertrat es zusammen mit dem Senator Eddy Dupiton häufig bei Verhandlungen. Belizaire wurde zum Präsidenten des Exekutivkomitees der Pro-Staatsstreich-Fraktion im Senat gewählt und gibt vor, in den illegalen Wahlen vom 18. Januar 1992 wiedergewählt worden zu sein. Ein anderes aktives Mitglied ist Max Pean, Direktor des zur Hälfte Pro-Staatsstreich eingestellten Büros für Rechnungswesen. Er war Mitgründer der Partei zusammen mit Belizaire. Außer einer begrenzten Basis im Artibonitetal repräsentiert die MNP 28 niemanden. Im derzeitigen Parlament hat sie keinen Sitz.

PANPRA

Dies ist eine „sozialdemokratische“ Partei. Mit Unterstützung der

von Präsident Francois Mitterand angeführten Sozialistischen

Partei Frankreichs ist sie Mitglied der Sozialistischen Internationale. PANPRA ist für eine begrenzte Reform – in erster Linie, um sich selbst einen Spielraum zu schaffen. Von Serges Gilles geleitet, hat die PANPRA die größte soziale Basis der beschriebenen Parteien. Hauptsächlich deswegen, weil Gilles ein bedeutendes Mitglied einer Exilkoalition (IFOPADA) während der Duvalierdiktatur war.

Nach dem Staatsstreich trat die PANPRA aus dem Sozialistischen Block aus und formte die Parlamentarische Allianz mit den Parteien der Ultrarechten. Diese Allianz sicherte den Ultrarechten die Kontrolle des Parlamentes und institutionalisierte den Staatsstreich. Ohne diese Unterstuetzung wäre der Putsch nicht möglich gewesen. Auch Gilles sagt, daß er am 18. Januar gewählt wurde.

RDNP Gegründet in den 60ern, wird die RDNP von Leslie Manigat angeführt. Er war 1987 Präsidentschaftskandidat und wurde 1988 in vom Regime des Generals Henry Namphy überwachten gefälschten Wahlen als Präsident installiert. Die RDNP kritisiert zur Zeit stark die Vereinbarung von Governor's Island. Verschiedene alte Anhänger*innen Duvaliers unterstützen die Partei. Williams Regala, ehemaliger General und Verantwortlicher für die tödlichen Angriffe während der Wahlen von 1987, ist ein sehr wichtiges Mitglied.

URN Roger Lafontant, Innenminister und Anführer der Truppen „Freiwillige der Nationalen Sicherheit“ (Tonton Macoute) unter den Duvalier-Regimen gründete die Vereinigung für die Nationale Versöhnung. Lafontant versuchte am 7. Januar 1991 einen Staatstreich gegen die verfassungsmäßige Regierung – einen Monat vor der Amtseinführung von Aristide. Er wurde gefangengenommen und des Angriffes gegen die Sicherheit des Staates für schuldig befunden. In der Nacht des Staatsstreiches wurde er in seiner Zelle getötet – fast sicher von Soldaten. Lafontant hatte immer noch die Kontrolle über einen Teil der Streitkräfte und der alten Tonton Macoutes. Er galt als direkter Gegenspieler von Cedras. Lafontant hatte damit gedroht, die Namen der Offiziere aufzudecken, die seinen versuchten Staatsstreich unterstützt hatten. Indem es Lafontant tötete und Aristide den Schuldigen nannte, wollte das Militär die nationale und internationale Öffentlichkeit gegen den Präsidenten einnehmen. Die URN scheint heute keine große Basis mehr zu haben.

PDCH Die Christdemokratische Haitianische Partei wurde 1973 gegründet und vom Präsidentschaftskandidaten 1990, Pastor Sylvio C. Claude, angeführt. Der Populist Claude erreichte 1 Prozent der Stimmen. Er wurde am Tag des Staatsstreiches, während er Gefangener des Militärs in Cayes war, getötet. Nach seinem Tod verteilten die Streitkräfte ein verändertes Foto, das einen verbrannten Körper zeigte. Sie sagten, daß Claude von Anhängern der Lavalas-Bewegung verbrannt wurde. Die PDCH unterstützte den Staatsstreich und bleibt Kritikerin der Aristide-Verwaltung.

MDN Die Mobilisierung für die Nationale Entwicklung leitet Hubert Deronceray, der Minister für soziale Angelegenheiten unter Jean- Claude Duvalier. Deronceray ist bekannt wegen seiner führenden Rolle bei dem Vertrag, der den dominikanischen Zuckerfabriken haitianische Arbeitskräfte zu Sklavenlöhnen garantierte. Der ultrarechte Politiker war ein Kritiker Aristides und auch gegen Bazin eingestellt.

PAIN Louis Dejoie II, der aktuelle Handelsminister, ist Präsident der Nationalen Industrie – und Landwirtschaftspartei. Als Präsidentschaftskandidat 1990 gewann er 6 Prozent der Stimmen aufgrund der Popularität seines gleichnamigen Vaters. Dieser gewann vermutlich die Wahlen von 1957 gegen Francois Duvalier. Die PAIN unterstützte Joseph Norette und Jean-Jacques Honorat als Premierminister nach dem Putsch.

Von den folgenden Parteien wird als „Partikelchen“ gesprochen weil sie niemanden repräsentieren – außer die Fuehrer*innen und die nächsten Familienangehörigen.

PAN Die Nationale Authentische Partei wird von Serge Beaulieu geleitet. Er ist Eigentümer von Radio Liberté in Port-au-Prince, das häufig Personen attackiert und bedroht. Das Radio wird von ultrarechten Sektoren unterstützt.

PARADIS

Diese Partei leitet Pastor Vladimir Jeanty. Sein Wahlslogan ist

„Jesus“.

PNT An der Spitze der Nationalen Partei der Arbeit ist Thomas Désulme, der größte Plastikfabrikant auf Jamaica. Seine Kampagne hat den Schwerpunkt Arbeitsbeschaffung.

M-PRDH Die Modell-Partei der Demokratischen Haitianischen Revolution betrachtet sich als eine sozialdemokratische Partei. Francois Latortue führt sie an. Er gilt als Unterstützer des Staatsstreichs und war Justizminister unter Namphy.

UCH Der Geschäftsmann Jean Claude Roy steht der Vereinigung der Haitianischen Konstitutionalisten vor. Roy vertritt die Tandy Corporation, betrachtet sich aber auch als Konstitutionalist. Er war einer der ersten „Intellektuellen“, der den Putsch zu rechtfertigen suchte.

MKN Die Bewegung Konbit Nasyonal wird von Volvick R'emy Joseph gefuehrt und ist ein duvalieristische Partei. (Die Parteien, die die Rückkehr der Demokratie unterstützten und dafür arbeiteten, werden voraussichtlich in der nächsten POONAL- Ausgabe vorgestellt.)

LATEINAMERIKA

Die Möglichkeiten der Linken

Von Orlando Pérez Sánchez

Die folgenden Stellungnahmen von drei lateinamerikanischen Oppositionsführern – zwei von ihnen ehemalige Guerilleros -, die sich in ihren jeweiligen Ländern an den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen beteiligen werden, setzen sich mit möglichen Alternativen innerhalb der bürgerlichen Demokratie auseinander. Die Beispiele aus drei Ländern mit unterschiedlichen historischen, sozialen und ökonomischen Bedingungen verdeutlichen, wie sich die Linke als reale Machtoption dem Volk vorstellt.

(August 1993, ALAI-POONAL).- Antonio Navarro Wolf, kolumbianischer Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Allianz M-19, glaubt, daß „wegen einer ganzen Serie wirtschaftlicher und politischer Umstände, in wichtigen Ländern Lateinamerikas demokratische und volksnahe Sektoren reale Möglichkeiten haben, in den nächsten Monaten bedeutsame politische Spielräume zu erlangen.“

In Bezug auf sein Land sagt Navarro Wolf, daß es Chancen und Bedingungen für einen Wettstreit gibt. „Ohne falschen Optimismus können wir bekräftigen, daß es zum ersten Mal in 150 Jahren eine Oppositionspartei gibt, die weder den traditionellen Kräften noch dem Populismus entstammt. Unser Land hat das älteste Zweiparteiensystem der Region und hat alle Wechsel, die sich in diesem Jahrhundert ereignet haben, überlebt. Darum streiten wir politisch um große Möglichkeiten.“

Alternativen zum Neoliberalismus

Der ehemalige Guerillakämpfer weist darauf hin, daß die dringenden aktuellen Themen die lateinamerikanische Integration und die ökonomischen Alternativen zum Neoliberalismus sind, der bereits erste Anzeichen von Erschöpfung zeigt. Er zählt auch die Sozialpolitik dazu. Es gibt eine unbezahlte soziale Schuld, die nach ihm ohne Zweifel zu den Themen der Erneuerungskräfte zählen wird. Schließlich erwähnt er die lokale Demokratie, die Stärkung der Bürgermeister oder lokaler Kräfte allgemein.

Die Existenz bewaffneter Kräfte in Kolumbien begrenzt für den Führer der M-19 „die Transformationsmöglichkeiten unseres Landes, denn es ist unmöglich für die revolutionären Kräfte, den Krieg zu gewinnen, auch wenn sie ihn ebensowenig verlieren können. Unsere Entscheidung – die von M-19, EPL, PRT und der bewaffneten Indígenabewegung Quint'in Lame – war es, die Waffen niederzulegen. Wir sind überzeugt, daß der Rest der kolumbianischen Guerilla an einem ernsthaften Verhandlungsprozeß teilnehmen muß, bei dem gegenseitige Zugeständnisse gemacht werden, um den friedlichen Wechsel zu bestimmen, der im Herzen der Mehrheit unserer Landsleute ist.“

Cuauhtémoc Cárdenas von der Partei der Demokratischen Revolution Mexikos (PRD), ebenfalls Präsidentschaftskandidat, hebt hervor, daß sein Land „keine demokratische Nation ist. Wesentliche Rechte der mexikanischen Bevölkerung werden mit Füßen getreten. Daher ist es unsere Hauptaufgabe, die Geltung eines vollständigen Rechtsstaates widerherzustellen und transparente Wahlen zu erreichen, bei denen die Stimme jedes(r) Bürger(in)s respektiert wird und zählt“ (sogar Mitglieder der regierenden PRI geben inzwischen öffentlich – wenn auch verschlüßelt – zu, daß der „Wahlsieg“ ihrer Partei 1988 massivem Betrug zu verdanken ist; die Red.).

Außerdem unterstreicht Cárdenas, daß „auf verfassungsmäßigen und friedlichem Weg dem Regime der Staatspartei, die sich auf den Autoritarismus, die Korruption und die Postenverteilung stützt, ein Ende bereitet werden soll. Es ist ein Wechsel, den Mexiko schaffen muß, um beim Integrationsprozeß mit den anderen lateinamerikanischen Nationen voranzukommen.“

„In der PRD“, fuegt Cárdenas hinzu, „sind wir entschlossen, daß große Vaterland zu konstruieren. Von der Anstrengung aus, die wir in unserem Land machen, wollen wir die von Bolivar so ersehnte lateinamerikanische Einheit Realität werden lassen.“

Frente Amplio stärkste Kraft in Montevideo

Hugo Cores, Abgeordneter der Partei für den Sieg des Volkes und Mitglied der Breiten Front (Frente Amplio) in Uruguay glaubt, daß es sehr wahrscheinlich ist, daß die Frente Amplio die Regierungswahlen der Provinz Montevideo erneut gewinnt. Die Provinz stellt die Hälfte der Einwohner des Landes. Ihre Regierung hat nach der Verfassung eine gewisse wirtschaftliche Autonomie, aber keine militärische oder polizeiliche Macht. „Eine zweite Frente Amplio Regierung in Montevideo kann das ausführen, was in der ersten Etappe liegengeblieben ist“, fügt Cores hinzu.

Die Möglichkeit, die Macht auf nationaler Ebene zu gewinnen, sieht der Abgeordnete der Frente Amplio als weniger wahrscheinlich an „denn in Uruguay funktioniert eine Wahlgesetzgebung, die sehr scharfsinnig zur Verfälschung des Bürgerwillens führt. Die traditionellen Parteien präsentieren im Gegensatz zur Frente Amplio zwei, drei oder sogar vier Kandidaten auf derselben Liste. Die Stimmen werden am Ende dem Kandidaten der Liste zugeschlagen, der die meisten Stimmen hat. Abhängig davon, inwieweit dieses System aufrechterhalten wird, kann die Frente Amplio zur zweitstärksten politischen Kraft bei den Wahlen im Land wachsen.

Da die wirtschaftliche Krise sehr schwer ist, das Fehlen von Lösungen sehr deutlich und die Frente Amplio ein Programm zur Krisenlösung anbietet, daß auf die Bedürfnisse der Bevölkerung eingeht, kann man es dennoch nicht ganz ausschließen, daß ein großer Teil der Wähler*innen, der zur Zeit noch unentschlossen oder ohne Meinung ist, die Linken wählt.“

In der Zukunft die Regierungsgewalt zu erlangen, bedeutet für die Frente Amplio nach Hugo Cores Ansicht „nicht nur die Wahlen zu gewinnen, sondern die Struktur der Basisorganisationen zu etablieren, die Gewerkschaftsbewegung zu stärken und einen Teil der Bevölkerung, der enttäuscht ist, in das politische System zu integrieren. Durch die Dezentralisierung, die schon in Montevideo umgesetzt wurde, soll die repräsentative Demokratie partizipativer gemacht werden.“

Linke sucht den Dialog

Cores fügt hinzu, daß „das Wählerwachstum der Frente Amplio in der monopolistischen Medienkontrolle und der Vetternwirtschaft, die in Uruguay noch sehr stark ist, seine Begrenzung findet. Aber mit dem quantitativen Wachstum muß es auch eine qualitative Verbesserung in der Haltung der Linken gegenüber der zivilen Gesellschaft, den Intellektuellen, der Arbeiterbewegung und den sozialen Gesprächspartner*innen geben, um ein Programm von volksnahem, antiimperialistischem und demokratischem Zuschnitt zu entwickeln.“

Ohne daß sich das Thema sich erledigt hätte, werden die nächsten Monate zeigen wie es um die Zukunft der linken Kräfte des Kontinents bestellt ist. Da ist es gut, sich als reale Machtoptionen zu behaupten oder die Aufgaben verstärkt in Angriff zu nehmen, die zu diesem Ziel führen.

PUERTO RICO

Unter einer neuen Annektionsregierung

Von Javier Cosme Matías

(September 1993, ALAI-POONAL).- Zu Beginn dieses Jahres übernahm eine neue Partei die Regierung Puerto Ricos. In den Wahlen vom November 1992 wurde Dr. Pedro Roselló mit Mehrheit gewählt. Roselló, von Beruf Arzt, entschied sich vor kaum zehn Jahren, den Operationssaal zu verlassen und die komplizierte Welt der puertorikanischen Politik zu betreten. Der neue Regierungschef ist gleichzeitig Vorsitzender der Neuen Progressiven Partei. Diese treibt den politischen Anschluss an die Vereinigten Staaten voran, der Puerto Rico in den Bundesstaat Nummer 51 verwandeln würde.

Spanisch nicht mehr einzige offizielle Sprache

Eine der ersten Entscheidungen neuen Regierungschefs war die Aufhebung des Gesetzes, das Spanisch zur einzigen offiziellen Landessprache machte. Dieses Gesetz wurde im vergangenen Jahr verabschiedet und erregte im Kontext der „500 Jahre „Entdeckung“ Amerikas“ internationale Aufmerksamkeit. Gleichzeitig wurde ein neues Gesetz angenommen, das Englisch neben dem Spanischen zur offiziellen Sprache Puerto Ricos macht. Dies bedeutet, daß Verträge, Dokumente und offizielle Regierungserklärungen auf Englisch erscheinen können. Die Entscheidung über die Abschaffung des besagten Gesetzes wurde von einem Demonstrationszug von mehr als 100.000 Menschen zum Parlament beantwortet, der als „Marsch der Sprache“ bekannt wurde.

Die Politik der neuen Regierung hat sich bis jetzt hauptsächlich auf drei Bereiche konzentriert: Verbrechenskontrolle, Privatisierung des Staatssektors und Statusdefinition (als Nation; die Red.). Letzteres hat dabei die größte Auswirkung für das politische Leben Puerto Ricos gehabt.

Was die Privatisierung angeht, so sind die Regierungsvorschläge schon spürbar. Das Parlament hat bereits mehrere Gesetze verabschiedet, die die Türen für die Privatisierung fundamentaler Bereiche wie des Erziehungs- und des Gesundheitswesens öffnen. Kürzlich wurde beispielsweise das Gesetz Nummer 18 angenommen, das ein paralleles System zum aktuellen als Gemeinschaftsschule bekanntem Erziehungssystem schafft.

Privatisierung des Erziehungs- und Gesundheitswesens Erzieher*innen, Gewerkschafter*innen und Expert*innen auf diesem Gebiet glauben, daß das Gesetz die Grundlage für eine nachfolgende totale Privatisierung des öffentlichen Erziehungssystems ist. „Dieses Gesetz ist ein schwerer Angriff auf die öffentliche Schule und verletzt die von den Lehrer*innen erreichten Rechte“, sagte Renán Soto, Präsident der LehrerInnenvereinigung von Puerto Rico, bei der öffentlichen Anhörung vor dem Parlament.

Gleichzeitig wird über ein Gesetzesprojekt debattiert, das die Reform der öffentlichen Gesundheitspolitik betrifft. Dadurch werden die der puertorikanischen Bevölkerung angebotenen Dienste von Ärzt*innen und Krankenhäusern geregelt. Zwar wird momentan noch über das Projekt diskutiert, doch die Verabschiedung würde dem Gesundheitsministerium den Verkauf der staatlichen Krankenhäuser an Privatunternehmen erlauben. Beim Privatisierungsprozess würde es keine Arbeitsplatzgarantien für die derzeit in den Krankenhäusern Beschäftigten geben. Auch die medizinischen Dienste für die mittellosen Personen, die kostenlos in diesen Krankenhäusern behandelt werden, wären nicht mehr garantiert.

Im Bereich der Verbrechenskontrolle wurde ein „Plan gegen die Kriminalität“ verabschiedet, der die Überwachungs-, Unterdrückungs- und Verhaftungsmassnahmen des Staates verstärkt. Der Plan setzt ein Wahlversprechen der Neuen Progressiven Partei um, das in der Phrase „Harte Hand gegen das Verbrechen“ zusammengefasst wurde. Der erwähnte Plan weist der Polizei Waffen und Militärausrüstung zu. Die Nationalgarde wird für Einsätze gegen Zivilpersonen aktiviert. In diesem Jahr haben als – Teil dieses Plans – Polizei und Nationalgarde etwa 20 Stadtviertel besetzt, wobei sie seitdem die Bevölkerung belagern und den Zutritt mit Barrikaden und Militärlastwagen beschränken.

Laut Noel Colón Martínez, dem ehemaligen Präsidenten der puertorikanischen Anwaltskammer, ist für die neue Regierung „der Plan gegen die Kriminalität nichts anderes als eine Mobilmachung des Staates, um die zu unterdrücken, die sich ihm entgegenstellen. Sie richtet sich derzeit in erster Linie gegen die Armuts- und Randzonen. Dies bringt eine weitere Art der Unterdrückung mit sich, die sich auf die jeweilige Herkunft, die sozialen Bedingungen und auf das Bildungsniveaus bezieht. Sie erlaubt der Regierung, die Werkzeuge für jedwede Art von Repression in der Hand zu haben.“

Das Volk soll über die Staatsform abstimmen

Bezüglich des politischen Status' will die Regierung im November dieses Jahres eine Volksbefragung durchführen. Die Bevölkerung Puerto Ricos wird die Form auswählen, in der das Land regiert werden soll. Die Formeln, die auf dem Abstimmungszettel erscheinen, sind die von der Unabhängigen Puertorikanischen Partei ausgearbeitete „Unabhängigkeit“, die der „Bundesstaatlichkeit“ von der Neuen Progressiven Partei und die des „verbesserten Freien Assoziierten Staates Puerto Rico“, die von der Demokratischen Volkspartei ausgearbeitet wurde.

Obwohl das puertorikanische Volk im November eine dieser Formeln auswählen wird, hängt der Wechsel des politischen Status nicht einzig von dieser Entscheidung ab. Beim gegenwärtigen Status quo ist es der Kongress der Vereinigten Staaten, dem es laut Gesetz zusteht, über das politische Schicksal des Landes zu entscheiden. „Ich glaube nicht, daß es von den Machtgruppen der USA aus gesehen ein Moment der großen Umbrüche ist. Ich glaube, daß sie zur Zeit für nichts Energien aufwenden, was nicht mit ihrem eigenen wirtschaftlichen Problem zu tun hat. Puerto Rico steht nicht auf der Prioritätenliste der Vereinigten Staaten“, sagte Colón Mart#inez in einem Interview. Er ist einer der angesehensten Analytiker der politischen Lage Puerto Ricos.

Seit 1952 ist das Land mit einer Formel regiert worden, die als Freier Assoziierter Staat Puerto Rico (ELA) bekannt ist. Durch das Gesetz Nummer 600 des nordamerikanischen Kongresses wurde dem puertorikanischen Volk 1952 das Recht zugestanden, eine Verfassung zu entwerfen, eine Regierungsform festzulegen und die Funktionär*innen zu wählen, die mit dieser Struktur arbeiten.

Auf diversen Foren der internationalen Gemeinschaft ist der Status von Puerto Rico untersucht worden. Laut den nach Unabhängigkeit strebenden puertorikanischen Kreisen herrschen im Land eindeutig kolonialistische Merkmale vor. Zur Frage der kolonialen Situation Puerto Ricos hat das Sonderkomitee für Dekolonisierung der UNO mehrere Erklärungen abgegeben. Mehrfach seit 1987 hat das Komitee mehrheitlich eine Resolution angenommen, in der es „das unveräußerliche Recht des puertorikanischen Volkes auf seine freie Entscheidung und Unabhängigkeit“ wiederholt.

Bis jetzt hat die neue Regierung nicht nur mit der Novität eines Arztes, der sein Seziermesser im Stich gelassen hat, sondern auch mit bedeutenden Veränderungen im politischen, wirtschaftlichen und sozialen Leben des Landes aufgewartet.

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