Poonal Nr. 083

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 83 vom 01.03.1993

Inhalt


EL SALVADOR

GUATEMALA

BRASILIEN

HAITI

KUBA


EL SALVADOR

Präsident Cristiani unter Zugzwang

(San Salvador, 19. Februar 1993, Salpress-POONAL).- Die einseitige Zerstörung von 24 Boden-Luftraketen der ehemaligen Guerilla Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional (FMLN) setzt die Regierung Cristiani unter Zugzwang. Präsident Alfredo Cristiani hatte sich vor kurzem noch geweigert, 15 Offiziere, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben sollen, aus der Armee zu entfernen. Die UNO erwägt Maßnahmen, um Druck auf die Regierung auszuüben. „Wir sind bereit, Gesten des guten Willens zu zeigen und gleichzeitig zu warten, welche Maßnahmen der Präsident Alfredo Cristiani ergreifen wird,“ sagte Salvador Samayoa von der ehemaligen Guerilla, als er den Beginn der Zerstörung der Boden- Luftraketen erklärte. Die nun einseitig vollzogene Vernichtung der Raketen war ursprünglich an die Säuberung der Armee gebunden.

FMLN zerstört ihre Raketen

Nach Meinung der Mitglieder der zur politischen Partei gewordenen Frente Farabundo Martí (FMLN) verpflichtet die Zerstörung des Kriegsmaterials den Präsidenten dazu, die Anordnungen der Spezialkommission zu befolgen, die die Absetzung oder Suspendierung der belasteten Militärs forderte. Samayoa erklärte, daß Cristiani sich den Hoffnungen der Bevölkerung und der Internationalen Gemeinschaft widersetze, wenn er die Vereinbarungen nicht erfülle.“Die Amtsführung des Präsidenten zugunsten des Friedens wurde international anerkannt, und ich sehe keinen Grund, weshalb er Ansehen und Glaubwürdigkeit riskieren und sich selbst in eine Situation der internationalen Ablehnung begeben sollte,“ sagte Samayoa. In exklusiven Erklärungen an SALPRESS versicherte der Generalsekretär der linksgerichteten Partei „Demokratische Nationalistische Union“ (UDN), Mario Aguinada Carranza, daß es bislang „keinerlei Sanktionen“ der Vereinten Nationen (UNO) gebe, um die Regierung zur völligen Säuberung der Armee zu zwingen. „Die Regierung ist jedoch moralischem und politischem Druck ausgesetzt. Cristiani würde wie jemand erscheinen, der ein Papier unterschreibt und es nicht erfüllt,“ sagte Aguinada Carranza. Auch wenn Präsident Cristiani von seinen Vorhaben, sieben der 15 umstrittenen Offiziere in den Außendienst zu schicken, abgewichen sei, „bleibt er doch immer noch bei der Idee, acht von ihnen in der Armee, in wichtigen Bereichen des Militärkommandos, zu belassen,“ erklärte der Politiker der Linken. Auf die unvollständige Umsetzung des Abkommens reagierte der Sicherheitsrat der UNO. In einem Kommuniqué, das vor kurzem veröffentlicht wurde, zeigte er sich besorgt „über die Tatsache, daß die besagten Empfehlungen immer noch nicht umgesetzt worden sind, obwohl die Regierung sich zuvor dazu verpflichtet hatte.“

UNO erwägt Sanktionen gegen Regierung

Im Sitz der UNO in New York wird davon gesprochen, Druck auf die Regierung auszuüben, damit der wichtige Punkt des Abkommens mit der Guerilla erfüllt werde. Die Regierung behauptet, eine abrupte Anwendung der von der Ad-Hoc-Kommission empfohlenen administrativen Maßnahmen könne im Inneren des Militärs „ein Autoritätsvakuum“ erzeugen. „Wenn Sie ein Unternehmen umstrukturieren, werden Sie nicht alle Geschäftsführer*innen entlassen,“ sagte der Verkehrsministerminister Ernesto Altshul. Er versuchte, damit einen Vergleich zum halbherzigen Säuberungprozeß der Armee zu ziehen. Die betroffenen Militärs, die bereits ihre Dienstzeit beendet haben, würden die gut besoldeten Sozialleistungen verlieren, die die Armee für Offiziere im Ruhestand vorsieht, wenn die Empfehlungen erfüllt würden, sagte Altshul. Die Regierung sitzt in der Klemme, wenn sie darauf besteht, die 15 möglichen Kriminellen nicht aus der Armee zu entfernen, während gleichzeitig die Gegenseite die Abkommen mit der Wiedereingliederung ihrer Kämpfer*innen in das zivile Leben, der Zerstörung ihrer Waffen und der Transformation ihrer Militärstruktur in eine politische Partei erfüllt hat.

GUATEMALA

Friedensverhandlungen werden wieder aufgenommen

(Mexiko, 22. Februar 1993, Cerigua-POONAL).- In dieser Woche werden in Mexiko die Verhandlungen zwischen der guatemaltekischen Regierung, dem Militär und der Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG) wieder aufgenommen. Die guatemaltekische Regierung hatte sich gegen die internationale Überprüfung und ein umgehend durchzuführendes umfassendes Menschenrechtsabkommen gestellt. Dadurch kamen die Verhandlungen nicht über den ersten von elf zwischen beiden Seiten vereinbarten Punkten zur politischen Lösung des bewaffneten Konfliktes hinweg. Die Regierung hat die sofortige Anwendung eines Menschenrechtsabkommens und dessen internationale Kontrolle an Bedingungen geknüpft. Die URNG muß eine 90-tägige Frist für die Verhandlung der gesamten Tagesordnung akzeptieren. Falls es zu keinen Vereinbarungen kommen würde, sollten die Parteien nach dieser Frist weiter verhandeln. Ein Waffenstillstand soll danach vereinbart werden und die Aufstandsbewegung müßte mit ihrer Demobilisierung beginnen.

Regierung blockiert Menschenrechtsabkommen

Die URNG hat sich am 20. Februar mit der 90-Tage-Frist einverstanden erklärt. Sie verlangt aber, daß die sozialen und politischen Gruppen des Landes in die Verhandlungen miteinbezogen werden. Sie fordert zudem, daß ein umfassendes Menschenrechtsabkommen sofort in Kraft treten und international überwacht werden soll. Die Guerilla hatte außerdem akzeptiert, die Verhandlungen fortzuführen, falls nach 90 Tagen kein Ergebnis vorliegen würde. Ein Waffenstillstand sei allerdings nur beidseitig möglich. Weiterhin würden sie ihre Truppen reduzieren, wenn die Regierungseinheiten um 50 Prozent verringert werden. Weitere Forderungen der URNG sind die Entlassungen der in Menschenrechtsverletzungen verwickelten Militärs und die Zerstörung der paramilitärischen Zivilpatrouillen. Nach Vorschlägen der Aufstandsbewegung sollen die USA, Mexiko, Costa Rica, Norwegen, Spanien und Frankreich an dem Friedensprozeß als internationale Beobachter teilnehmen. Beide Seiten haben also ihre Vorschläge an Bedingungen geknüpft, was den Vermittler des Friedensprozesses, Monseñor Rodolfo Quezada, wie schon bei früheren Gelegenheiten zu der Warnung veranlaßt hat, keine falschen Hoffnungen in die Begegnung zu setzen; allenfalls sei nach seinen Worten die Aufstellung einer Tagesordnung zu erwarten.

Geringe Aussichten auf raschen Verhandlungserfolg

Das zentrale Thema bei den Verhandlungen werden die Menschenrechte sein, was zumindest in den Massenmedien weitgehend verschwiegen wird. Als Beispiel für dieses Phänomen mag die geringe Aufmerksamkeit dienen, die dem Bericht des beratenden Menschenrechtsexperten der UNO für Guatemala, Christian Tomuschat, zuteil wurde. Dieser hatte die Armee als unkontrollierbar bezeichnet, ihre Säuberung und Entmilitarisierung sowie die Auflösung der paramilitärischen Zivilpatrouillen empfohlen. Berichte wie die des US-amerikanischen Außenministeriums, des Menschenrechtsbeauftragten für Guatemala, Ramiro de León, und des Menschenrechtsbüros des guatemaltekischen Erzbischofs bringen die Kritik an der Regierung auf den Punkt. Sie reihen sich zu den Stimmen nationaler und internationaler Organisationen, die bereits seit Jahren die prekäre Menschenrechtssituation Guatemalas vor der UNO angezeigt haben. Die Wiederaufnahme der Verhandlungen hat bei der internationalen Gemeinschaft Erwartungen geweckt; nicht so sehr dagegen in Guatemala selbst, wo die Schwierigkeiten des Prozesses bekannt sind. Die Regierungschefs von Mexiko, Kolumbien und Venezuela hatten bei dem sogenannten „Gipfel der Drei“ ihre Unterstützung für die Verhandlungen zugesagt und sich zu „Freunden des guatemaltekischen Friedensprozesses“ erklärt. Auch eine Rundreise des Guerillakommandanten Pablo Monsanto durch Kanada weist darauf hin, daß es Bestrebungen gibt, noch weitere Länder hinzuzuziehen. Es soll umgehend ein realistischer Zeitplan für die Verhandlungen vereinbart werden. Etwaige Abkommen sollen durch die Nationale Versöhnungskommission (CNR), die Vereinten Nationen, die Gruppe der Freund*innen und die Vertretung der zivilen Sektoren Guatemalas überprüft werden sollen. Ist der Zeitplan beschlossen, soll mit der Verhandlung des Waffenstillstandes, der Entmilitarisierung und den restlichen operativen Punkten der Tagesordnung begonnen werden. Auch diese sollen durch die erwähnten Institutionen überprüft werden. Was die Guatemaltek*innen allerdings angesichts der drängenden Situation des Landes von den Verhandlungen erwarten, ist die Unterzeichnung eines globalen Menschenrechtsabkommens, das umgehend in Kraft tritt und international überprüft wird. Parallel zu der Wiederaufnahme der Gespräche findet in Genf die 49. Versammlung der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen (UNO) statt, auf der erörtert wird, ob die UNO erneut nur eine BeraterIn nach Guatemala schickt oder ob eine Sonderbeauftragte für die Menschenrechtssituation in Guatemala ernannt wird.

Politische Justiz: Offiziere von Mordvorwurf freigesprochen

(Mexiko, 23. Februar 1993, NG-POONAL).- General Edgar Augusto Godoy Gaytán und die Obersten Juan Oliva Carrera und Juan Valencia Osorio sind von dem Verdacht des Mordes an der Anthropologin Myrna Mack Chang freigesprochen worden, obwohl es starke Indizien für die Beteiligung der Militärs an dem Verbrechen gab. Am vergangenen 15. Februar verurteilte die Richterin Carmen Ellgutter den Unteroffizier Noel de Jesús Beteta Alvarez zu insgesamt 30 Jahren Haft. Er war angeklagt, Mack Chang umgebracht und den Jungen Herbert Cifuentes Ramírez überfallen zu haben. Die vorgeladenen Offiziere wurden dagegen aufgrund fehlender Beweise freigesprochen. Im Verlauf der Ermittlungen wurde am 5.August 1991 der Polizeichef José Miguel Mérida Escobar nur 50 Meter vom Zentralsitz der Nationalpolizei entfernt umgebracht. Es ist ein offenes Geheimnis, daß Mérida außergerichtlich hingerichtet wurde, da er einen Agenten der Spionageabteilung des Heeres (G-2) als den eigentlichen Verantwortlichen der Ermordung von Mack Chang bezeichnet hatte. General Godoy Gaytán war in dieser Zeit der Chef des Sicherheitsstabes des Präsidenten und der Vorgesetzte des jetzt verurteilten Betetas. Angesichts der großen Machtfülle der guatemaltekischen Militärs kann davon ausgegangen werden, daß ein Verbrechen diesen Ausmaßes nicht nur von einem Unteroffizier geplant wurde. Darum weist alles darauf hin, daß die Obersten Oliva Carrera und Valencia Osorio sowie der General Godoy Gaytán und Bolaños Chavez, der damalige Verteidigungsminister, die Drahtzieher des Mordes waren.

Mutmaßliche Drahtzieher bleiben ungestraft

Anders ist die Tatasache nicht zu erklären, daß im Verlauf des Prozesses ein Dutzend Richter*innen ernannt wurden, die alle den Fall abgaben und die Ermittlungen nicht vorantrieben, obwohl es eindeutige Indizien für die Beteiligung der ranghohen Militärs an dem Verbrechen gab. Die Verurteilung Betetas und die Freisprechung der Militärchefs sind ein Versuch, die eigentlichen Verantwortlichen des Mordes an der Anthropologin ungestraft zu lassen. Myrna Mack hatte die Armee angeklagt, Menschenrechtsverletzungen an tausenden aus dem westlichen Altiplano des Landes vertriebenen Campesinos und Campesinas begangenen zu haben. Godoy Gaytán wurde vorzeitig in den Ruhestand versetzt, offensichtlich, um ihn der Justiz zu entziehen, da die Untersuchungen daraufhindeuten, daß er die treibende Kraft am Verbrechen an der Anthropologin war. Trotzdem sind die Ankläger*innen, angeführt von Helen Mack, der Schwester des Opfers, nicht bereit, diese Offiziere ungestraft entkommen zu lassen. Mit der Unterstützung großer Teile der Bevölkerung und einiger diplomatischer Vertretungen legte Helen Mack Berufung gegen das Urteil vom 15. Februar ein. „Es fiel der erste Stein der Mauer der Straffreiheit,“ sagte Helen Mack, als sie von der Verurteilung Betetas erfuhr. Die Verurteilung von hohen Militärs wäre ein nie dagewesener Fall in der Geschichte Guatemalas und damit ein wichtiger Schritt um die Allmacht der Militärs zu brechen. Wenn sich die Gerichte allerdings weigern, den Prozeß gegen die Offiziere fortzuführen, würde bestätigt, daß in diesem Land die Demokratie lediglich ein Traum ist. Die Militärs würden weiterhin den Staat für ihre Partikularinteressen nutzen. Das guatemaltekische Rechtssystem muß sich zu einer unabhängigen Gewalt entwickeln, um sich in einen Garanten der Sicherheit für die Bürger*innen zu verwandeln.

BRASILIEN

Amazonas-Bewohner*innen fordern geschützte Gebiete

– Interview mit Mario Menezes, Koordinator des

brasilianischen Umweltinstituts

(Brasilien, Februar 1993, alai-POONAL).- Die ökologische Erhaltung des Amazonasgebietes hat sich in ein Vorhaben universellen Ausmaßes verwandelt. Dennoch sorgt der starke wirtschaftliche Druck, den die in der Region angesiedelten Minenbesitzer*innen, Holzhändler*innen und Großgrundbesitzer*innen ausüben, dafür, daß der Raubbau zum traurigen Alltag geworden ist. Im brasilianischen Amazonasgebiet bilden die „Siringueiros“, die Bewohner des Amazonasgebiets, eine organisierte Gesellschaftschicht, die seit Jahrzehnten einen unermüdlichen Kampf zur Verteidigung des Regenwaldes führt. In den folgenden Zeilen äußert sich Mario Menezes, Koordinator des brasilianischen Umweltinstitutes, über diese Verteidiger*innen des Amazonasgebietes und ihr Leben.

Frage: Vor allem die Ermordung von Chico Mendes hat dazu beigetragen, daß die Siringueiros international bekannt geworden sind; dennoch ist immer noch nicht ganz klar, wer sie genau sind. Könnten Sie uns dabei behilflich sein, diese Unkenntnis zu beseitigen?

Menezes: Die Siringueiros sind eine Bevölkerungsgruppe, die das brasilianische Amazonasgebiet seit Beginn der Kolonialisierung bewohnt. Es handelt sich um weiße Gemeinden, die Ende des 19. Jahrhunderts dorthin gebracht wurden, um Latex aus Kautschuk zu gewinnen. In dieser Zeit wurde der Kautschuk zu einem industriellen Konsumprodukt. Amazonien war in dieser Epoche das einzige Gebiet in der Welt, in dem Kautschuk in großen Mengen angebaut wurde. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begannen süd-ostasiatische Länder große Mengen Kautschuk für den Weltmarkt zu produzieren, und drängten damit praktisch den brasilianischen Kautschuk vom Markt. Brasilien wurde beinahe über Nacht zu einem unbedeutenden Produzenten.

Aufstieg und Niedergang der Kautschukproduktion

Die Bevölkerung, die zur Kautschukgewinnung dort angesiedelt worden war, ging mit der Zeit dazu über, eine Art Subsistenzwirtschaft im Regenwald zu führen. Ende der 70er Jahre, ausgelöst durch die Besorgnis um das brasilianische Amazonasgebiet, drängte die Regierung diese Subsistenzbauern immer mehr ins Innere des Landes. Hier wurden sie gezwungen, kleinere Anbauflächen zu bewirtschaften. Die Siringueiros sahen sich veranlaßt, sich dieser Expansion zu widersetzen, die ihr Überleben gefährdet hat und auch weiterhin gefährdet. Das zentrale Problem ist die Landfrage. Die kapitalintensive Expansion in diese Region, die der Staat mit verlockenden Steuervergünstigungen ermuntert, hat den Weg für eine intensive Bodenspekulation in der Region geebnet. Der Entwicklungsprozeß sieht folgendermaßen aus: der Urwald wird zu Niedrigstpreisen verkauft; sobald der Urwald abgeholzt und in Weideland verwandelt worden ist, steigt sein Wert um ein Vielfaches. Diese neue extensive Wirtschaftsstruktur prallt auf die bestehenden, gewachsenen Strukturen, und zwar in dem Maße, daß diese aufhört, ein Teil des ökologischen Systems der Region zu sein. Eine der Folgeerscheinungen dieser, unter wirtschaftlichem Aspekt betrachteten, rationelleren Beschäftigung, ist die brutale Entvölkerung der Region. Manaus und Belen sind nicht die einzigen Großstädte, die unter der gravierenden Landflucht zu leiden haben.

Frage: Wie lautete die Antwort der Siringueiros auf diese Offensive des Kapitals?

Menezes: Sie begannen Alternativen zu suchen. Ganz zu Beginn war eine davon, Initiativen zu entwickeln, um die fortschreitende Abholzung zu bremsen. Es sammelten sich 20, 30 oder mehr Familien, um auf eigene Kosten und eigenes Risiko in die Abholzungsgebiete zu gehen und die dort arbeitenden Holzfäller davon zu überzeugen, daß sie die Zerstörung des Regenwaldes nicht weiter fortsetzen. Bei den Arbeitern handelte es sich um Migranten aus anderen Gegenden Brasiliens, sehr arme Leute, die davon leben, für niedrigste Löhne auf den Haziendas als Aushilfen zu arbeiten. Also gingen die Siringueiros zu ihnen und sagten: „Wir wissen, daß ihr hier arbeitet, weil ihr sonst keine Alternative habt, aber ihr müßt ebenfalls verstehen, daß ihr unsere Lebensgrundlage zerstört, wenn ihr die Pflanzen abhackt. Denn wir sind vom Urwald abhängig, wir brauchen ihn, um zu überleben.“ Die Regierung begann, die Haziendabesitzer*innen zu unterstützen. Sie versuchte, die Siringueiros einzuschüchtern. Die Haziendabesitzer wandten sich an die Justiz, die die Aktionen mit Hilfe der Polizei bekämpfte. Von den 50 bis 60 Versuchen der Siringueiros, die Abholzungen zu stoppen, waren etwa ein Drittel erfolgreich. Dadurch wurden mindestens 1,5 Millionen Hektar Wald gerettet.

Haziendabesitzer*innen organisieren Killerkommandos gegen Siringueiros

Aber dann fanden die Aktionen der Siringueiros eine gewisse Unterstützung auf nationaler Ebene, und die Haziendabesitzer*innen begannen ihre Positionen zu verhärten. Die Konfrontation wurde brutaler, Führer*innen der Siringueiros wurden ermordet. Chico Mendes war eines der bekanntesten Opfer, aber er war weder der erste noch der letzte, der umgebracht wurde. Die Haziendabesitzer*innen stellten fest, daß die Unterstützung der Polizei nicht mehr ausreichte, sie begannen, private Killerkommandos aufzustellen. Sie verfügen heute über Privatmilizen, die aus Pistoleros bestehen, die nur zum Töten angestellt werden. So sahen sich die Siringueiros mehr als einmal einer schwierigen Situation gegenüber. Angesichts fehlender Zukunftsaussichten entschieden sie sich, eine neue Vorgehensweise zu entwickeln, um ihren Aufenthalt im Regenwald zu sichern. Man entwickelte die Idee von der „Reserva Extractivista“, einem geschützten Gebiet für die Bewohner*innen. Dieser Vorschlag der Siringueiros enstand in Acre, einer Gegend die eine ganz besondere Geschichte hat. Es ist eine Gegend, in der sich die Indígenas organsiert haben, eine Gegend, die früher zu Bolivien gehört hat, eine Gegend, die bereits einmal ein unabhängiger Staat war, d.h. sie verfügt über eine Reihe von Voraussetzungen, die andere (brasilianische) Staaten nicht gehabt haben; deswegen hat sie eine besondere Geschichte und eine ganz eigene Kultur.“

Frage: Worin besteht der Vorschlag der „Reservas Extractivistas“?

Menezes: Dieser Vorschlag sieht in erster Linie ein kommunales Besitzsystem vor, das sämtliche Familien, die das Naturschutzgebiet bewohnen, begünstigt. Zweitens sollen bestimmte Gebiete für die Kautschukgewinnung und landwirtschaftliche Nutzung festgelegt werden; drittens sollen die für diese Arbeit unerläßliche Infrastruktur sowie angemessene Lebens- und Arbeitsbedingungen garantiert werden; und schlußendlich soll dieser Vorschlag als legitimes Mittel im Kampf gegen die Abholzung des Regenwaldes benutzt werden, um den Siringueiros ihren Lebensraum Regenwald zu erhalten. Es existieren derzeit neun Naturschutzgebiete der Extraktivnutzung (reservas extractivistas), vier davon im Amazonasgebiet selbst, weitere vier zwischen dem nordöstlichen und zentralwestlichen Vorgebiet des Amazonas, und eine weitere existiert in Santa Catarina in einer Fischfangregion, eine bisher nicht dagewesene Sache. Die Siringueiros sind sich erst in jüngster Vergangenheit darüber bewußt geworden, daß ihre Lebensform all die Voraussetzungen birgt, die in der Welt heutzutage als Voraussetzungen für eine ideale Lebensform gelten. Aber das grundlegende Problem der Siringueiros liegt darin, daß sie keinen Zugang zu Land haben. Und unter diesen Umständen bedeutet die Reserva Extractivista eine Garantie für Landzuweisungen. Dieser Vorschlag beinhaltet eine Agrarreform, mit der Besonderheit, daß sie sich der Umwelt unterordnet. Denn für die Siringueiros stellt die Erhaltung und das Herstellen eines Gleichgewichts mit der Natur einen selbstverständlichen Teil ihrer Lebensform dar. Aus diesem Grund wird die Reserva Extractivista als Keimzelle für ein Programm zur Erhaltung des Gebietes betrachtet. Die Siringueiros sind nicht so einfältig sich einzubilden, daß dieser Vorschlag im Gesamtgebiet angewendet wird. Die Idee von der Reserva Extractivista kann nur in den Gebieten angewandt werden, in denen die Voraussetzungen stimmen, d.h. dort, wo es Kautschuk und Kastanien gibt, wo es Spezies gibt, die eine Subsistenzwirtschaft ermöglichen.

Frage: Welche Zielrichtung verfolgen die Siringueiros? Wollen sie Hilfe von außen oder geht es nur um den Schutz ihrer Gebiete?

Menezes: Die Siringueiros wollen nicht in Gebieten leben, die erhalten werden, weil es die Weltöffentlichkeit will; sie wollen Technologie, sie verlangen eine grundlegende Infrastruktur für Gesundheit und Erziehung, sie verlangen Alphabetisierung. Ihnen ist klar, daß sie lernen müssen mit der neuen Technologie umzugehen, wenn sie nicht untergehen wollen. Auch ist ihnen klar, daß sie den Raubbau an der Natur stoppen müssen, um zu überleben. Darum fordern sie parallel zur technologischen Unterstützung die Garantie auf die Erhaltung ihres Gebiets, um ihr wirtschaftliches Überleben zu sichern.

Frage: Wie sieht die Beziehung zwischen den Indígenas und Siringueiros aus?

Menezes: Sie wird immer besser. Die Siringueiros kamen auf Veranlassung der Regierung in das Amazonasgebiet; der ganze Prozeß wurde ebenfals von der Regierung, mit Beteiligung der in der damaligen Epoche starken Privatwirtschaft, d.h. vor allem den Kautschukhändlern und Besitzern der Kautschukfabiken, finanziert. Zur gleichen Zeit wurden die Indígenas in das bolivianische Grenzgebiet zurückgedrängt, ganze Dörfer wurden zerstört. Aber heute haben sich die Indígenas organisiert und nach einer langen Periode, hat ein Austausch, ein friedliches Zusammenleben zwischen den Indígenas und den Siringueiros begonnen. Das Bewußtsein, gleichermaßen Instrumente der Regierung und der mit der Kautschukindustrie verknüpften Privatwirtschaft gewesen zu sein, verbindet beide Volksgruppen. Die Siringueiros wurden im Nordosten, einem dürren, unfruchtbaren Gebiet, rekrutiert, um in eine feuchte Region gebracht zu werden; eine Region, die sie nicht kannten, von der sie nicht wußten, daß dort Indígenas lebten. Die Indígenas betrachteten sie als ein wildes, gefährliches Volk, daß dezimiert werden mußte. Und es hat lange Zeit gedauert bis die Siringueiros dazu übergingen, mit den Indígenas zusammenzuleben und zu begreifen, daß sie von den Indígenas viel lernen können. Heute existiert beispielsweise ein Zusammenschluß, der sich „Alianza de los Pueblos de la Floresta“ nennt, an dem sich Indígenas und Siringueiros beteiligen.

HAITI

Massive Repression gegen JournalistInnen

(Port-au-Prince, 12. Februar 1993, HIB-POONAL).- Der Journalist Colson Dorme, der am 1. Februar entführt worden war, ist eine Woche später lebend wieder aufgetaucht. Mit kahlgeschorenem Kopf ist er vor seiner Radiostation, Radio Tropic FM, aufgefunden worden. Der 26jährige Journalist hatte über eine vom Militär unterstüzte Demonstration gegen den Repräsentanten der Vereinten Nationen (UNO) und der Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS), Dante Caputo, berichtet. Er wurde von bewaffneten Männern entführt, nachdem er „Letzte Nachrichten“ über das Radio gesendet hatte. Das Verschwinden Dormes ist nur einer von vielen in letzter Zeit vorgefallenen Angriffen der Putsch-Regierung und des Militärs gegen die Presse. Der Journalist Felix Lamy war am 10. Dezember 1991 verschwunden und wird seitdem vermißt.

Regierung droht unbequemen Medien

Viele schreiben die Freilassung Dormes dem Druck zu, der auf das Regime und das Militär mit Briefen, Petitionen, Protesten und über das Radio verbreiteten Aufrufen ausgeübt wurde. Von Seiten der Putsch-Regierung und des Militärs ist das Wissen um Dormes Verbleib nie zugegeben worden. Nachdem Dorme wieder freigelassen worden war, ließ seine Zeugenaussage jedoch keinen Zweifel daran, daß er von Soldaten festgenommen, verhört und gefoltert worden war. „Die einzige Zeit, in der mir die Augenbinde abgenommen wurde, war während eines Verhörs. Ich saß einer gut durchtrainierten Person gegenüber, und drei Projektorenlichter schienen in meine Augen,“ so Dorme. „Sie sagten: 'Du bist doch jung, warum kommst du nicht und arbeitest für uns?'… Sie stahlen meine 300 Dollar, sie stahlen meine Kamera… Sie nahmen meine ganze Kleidung, meine Schuhe, und sagten, ich hätte so viel Geld von Lavalas (die Bewegung des gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide, d. R.) bekommen, daß ich diese Dinge nicht brauchen würde…“ „Nachdem sie mich geschlagen hatten… zeigten sie mir Fotoalben von Mitgliedern der Lavalas… 'Hier sind deine Brüder und Schwestern,' sagten sie, 'das sind diejenigen, die dieses Land zerstören'. Die Gesichter einiger Personen waren sogar bereits durchgestrichen worden.“ Dormes Geschichte ist kein Einzelfall. Die Regierung, das Militär erhöht den Druck auf Journalist*innen und die Medien. Am 11. Februar gaben die Machthaber ein Kommuniqué heraus, in dem sie die Zeitungen, das Radio und das Fernsehen warnten, keine Nachrichten zu verbreiten, die „die Öffentlichkeit beunruhigen könnten“. Die Journalist*innen wiesen das Kommuniqué als „Bedrohung der Pressefreiheit“ zurück. Unterdessen werden Journalist*innen weiter geschlagen und verhaftet. Am 11. Februar wurde François Guillauteau von Radio Metropole auf einer Universitätsdemonstration festgenommen. Am 4. Februar drohten Unterstützer*innen des Staatsstreichs einem weiteren Mitarbeiter von Radio Metropole, François Rotchild, während einer Demonstration am Flughafen damit, ihn zu lynchen. Renois Clarens wurde von ähnlichen Leuten auf einer anderen Demonstration am 31. Januar, ebenfalls am Flughafen, angegriffen.

Ausländische Journalisten verhaftet und bedroht

Am nächsten Tag wurden Michael Norton von der Nachrichtenagentur „Associated Press“ (AP) und Dominique Levanti von der französischen Nachrichtenagentur „Agence France Press“ (AFP) angegriffen und auf dem Flughafen bedroht. Norton und sein Fotograf wurden später von bewaffneten Zivilisten vor einem Hotel verhaftet. Am vergangenen 22. Januar ist Jean Emile Estimables, ein Korrespondent des geschlossenen „Radio Cacique“, gefangengenommen, mißhandelt und illegal 13 Tage lang im Gefängnis festgehalten worden. Am 14. Januar ist ein Journalist, der als „Manolin“ bekannt ist, verhaftet und fünf Tage lang festgehalten worden. Als man ihn wieder freiließ, floh er. „Jeder, der Informationen über den Kampf der Menschen verbreitet, wird angegriffen,“ sagte ein Mitglied einer örtlichen Pressegruppe. Vier Verkäufer*innen der kreolischen Zeitung „Libete“ wurden ebenfalls vor kurzem verhaftet. „Die Art, in der die Polizei die Situation handhabt, zeigt, daß es einen politischen Willen gibt, die Presse und das Volk zum Schweigen zu bringen,“ sagt Carole Jacob, die Koordinatorin der „Groupe de Reflexion et d' Action pour la Liberté de la Presse“ (GRALIP).

KUBA

Durch Handelsembargo entgehen US-Unternehmen Millionen-Gewinne

(Havanna, 23. Februar 1993, PL-POONAL).- Die Wirtschaftsblockade, mit der US-amerikanische Regierungen das revolutionäre Kuba seit 1961 wirtschaftlich in die Knie zwingen wollen, hat Millionenverluste für die nordamerikanische Wirtschaft zur Folge. Nordamerikanische Unternehmer stellen sich gegen das im vergangenen Jahr von der Regierung Bush erlassene Torricelli- Gesetz. Heute sind sogar die Tochterfirmen nordamerikanischer Unternehmen in Drittländern, denen es seit 1975 erlaubt war, mit Kuba Handel zu treiben, durch das Torricelli-Gesetz betroffen. Wie der argentinischen Presse zu entnehmen ist, müssen zum Beispiel die argentinischen Filialen der Firmen Cargill und Continental den Handel mit Kuba aufgrund des Drucks der nordamerikanischen Botschaft in Buenos Aires gegen ihren Willen aufgeben. Diese hatten den größten Teil des argentinischen Getreideverkaufs an die Karibikinsel unter ihrer Kontrolle, der ein Volumen von 120 Millionen Dollar jährlich umfaßte. Jetzt werden uruguayische Firmen diese Aufgabe übernehmen. In diesem Fall sind nicht nur die Tochterfirmen betroffen, sondern auch die Vereinigten Staaten selber, weil sie nicht mehr das Getreide aus ihrer Überschußproduktion verkaufen können. Am 16. Januar 1961 verbot das US-Außenministerium Reisen nach Kuba, weil sie „der Außenpolitik der Vereinigten Staaten zuwiderlaufen und deshalb gegen die nationalen Interessen verstoßen würden“; und erklärte gleichzeitig US-Pässe für Reisen nach Kuba für ungültig.

Diese Position der US-Regierung sei beispiellos in der Geschichte der Vereinigten Staaten, versicherten die nordamerikanischen Juristen Michael Krinsky und David Golove in einer Geschichtsstudie über dieses Thema. Nie zuvor habe die Regierung eine „Gebietsbeschränkung“ des Reisepasses eingeführt und somit Reisen in das entsprechende Land verboten, hoben sie hervor. Für Kuba bedeuteten diese Reisebeschränkungen Verluste von 3,5 Milliarden Dollar, errechnete der kubanische Wisssenschaftler Leon Cotayo auf der Grundlage der nordamerikanischen Touristen, die vor 1959 nach Kuba reisten. Im Juli 1974 wurden die strikten Reisebeschränkungen gelockert. Journalist*innen und Akademiker*innen wurden „Sondergenehmigungen“ erteilt, die zur Reise auf die Insel berechtigten. Ab März 1977 erlaubte die Regierung James Carter nordamerikanischen Reiseagenturen auf der größten Antilleninsel zu arbeiten. In der Ära Reagan wurden Reisen nach Kuba bis auf Ausnahmegenehmigungen wieder grundsätzlich verboten. Eine Untersuchung der John-Hopkins-Universität in Maryland zeigt, daß der nordamerikanischen Wirtschaft jährlich 750 Millionen Dollar verloren gehen, weil sie keinen Handel mit Kuba treiben können. Die Studie versichert, daß die Firmen der Vereinigten Staaten durch den Verkauf ihrer Produkte zwischen 1,8 und 2 Millionen Dollar Gewinn machen könnten, wenn das Wirtschaftsembargo gegen Kuba aufgehoben würde. Bei Beendigung der feindseligen Politik, könne der Austausch zwischen Unternehmen beider Länder beidseitigen Nutzen von bis zu sechs Milliarden Dollar bringen.

Ausländische Investor*innen wollen 12 Milliarden Dollar investieren

Übereinstimmend mit der englischen Publikation „Latin american newsletter“, haben ausländische Investor*innen der kubanischen Regierung 150 Projekte im Wert von schätzungsweise 12 Milliarden Dollar vorgeschlagen. An diesem Boom haben nordamerikanische Investoren keinen Anteil. „Kein Unternehmen der Vereinigten Staaten ist dagegen, mit Kuba Handel zu treiben oder in die Insel zu investieren“, so der schwedische Ökonom Claes Brundenius nach einer Meinungsumfrage unter nordamerikanischen Geschäftsleuten. Aber sie sehen sich gebremst, weil in Washington immer noch die Politik der „harten Linie“ gegen den kleinen Nachbarn überwiegt, sagte der Wirtschaftswissenschaftler. In diesem Kontext steht das Torricelli-Gesetz, das im vergangenen Oktober durch den Präsidenten Bush verabschiedet wurde. Die damit verbundene Absicht, der Regierung Fidel Castro den „Todesstoß“ zu versetzen, wurde nicht erreicht. Industriellen und Handelstreibenden sind dadurch aber nach wie vor die Hände gebunden und deren Lobby verstärkt in Washington die Anstrengungen, das Embargo zu beseitigen.

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