Poonal Nr. 054

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 54 vom 27.07.1992

Inhalt


GUATEMALA

San Jorge und Cajolá: Landgemeinden kämpfen um Land

PERU

KUBA

CHILE

ARGENTINIEN

HAITI


GUATEMALA

Flüchtlingsdrama – Eine Rückkehr ohne Zukunft?

(Guatemala, 23. Juli 1992 Cerigua-POONAL).- „Wäre es denn überhaupt Guatemala, wenn die Flüchtlinge keine Probleme mit der Landverteilung, der Wirtschaft, dem Sozialwesen, der Gesundheit, der Gewalt und so weiter vorfänden?“ Mit dieser zynischen Aussage äußerte sich der während der Abwesenheit des guatemaltekischen Präsidenten Serrano regierende Vize-Präsident Gustavo Espina zur Rückkehr der guatemaltekischen Flüchtlinge aus Mexiko. Er gab zu, daß diese auf eine Situation der Gewalt treffen werden. Außerdem teile er die Sorge der katholischen Kirche, daß eigentlich keinerlei Bedingungen für eine Rückkehr gegeben seien. Die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat ist ein großes Problem und eine Herausforderung für die Regierung. Hinter den von Espina angesprochenen Hindernissen steckt mehr: Die Rückkehr bedeutet die Ausbreitung einer hochpolitisierten Bevölkerung, die genügend Erfahrung sammeln konnte, um den Kampf für ihre Rechte führen zu können. Aus diesem Grund sind die 42.000 Menschen, die noch auf mexikanischem Gebiet leben, ein weiteres und starkes Glied in der Kette der Probleme, die den Präsidenten Jorge Serrano mit dem Rücken zur Wand stehen lassen. Notwendige Voraussetzung für die Rückkehr der Flüchtlinge ist, daß ihnen soziale, politische, psychologische und ökonomische Sicherheit zugestanden wird. Dabei kann man nicht darüber hinweggehen, daß die Flüchtlinge die vom Militär 1981 begonnene Politik der „Verbrannten Erde“ in traumatischer Erinnerung ist. Damals „verschwanden“ mehr als 450 Dörfer einfach von derLandkarte. Im März dieses Jahres unterzeichneten die Ständigen Kommissionen (CCPP), das Vertretungsorgan der guatemaltekischen Flüchtlinge in Mexiko, ein Abkommen mit der guatemaltekischen Regierung. Es enthielt zwei Punkte: Die Garantie der freiwilligen und organisierten Rückkehr sowie die Anerkennung des Rechts auf Organisationsfreiheit, sobald sich die Rückkehrer auf guatemaltekischem Boden befinden. Dies sind zwei Punkte eines Forderungskatalogs der Flüchtlinge, der unter anderem auch die Notwendigkeit internationaler Beobachter*innen festschreibt. Damit soll garantiert und kontrolliert werden, daß Abmachungen erfüllt werden.

Armee sabotiert Rückkehr

Die Verwirklichung der Organsiationsfreiheit – obwohl ein verfassungsmäßig verankertes Recht – stößt auf den verfassungswidrigen Widerstand der Regierung und des Miltärs. Diese weigern sich beispielsweise vehement, zu garantien, daß die Teilnahme an den Zivilpatrouillen (PAC) freiwillig ist und daß keine Zwangsrekrutierungen vorgenommen werden können. Für Präsident Serrano ist das Abkommen anscheinend schon Geschichte. Kürzlich erklärte er, die Flüchtlinge sollten Beobachter*innen vorschlagen, und die Regierung werde dann prüfen, ob sie diese akzeptieren werde oder nicht. Das Heer – wichtigster Faktor, wenn es um Enscheidungen geht – versucht mit psychologischer Kriegsführung die Rückkehr zu vereiteln. Am 10. Juli erklärte General Gonyaley Taracena in Mexiko, das Heer erkenne das Recht auf Rückkehr nicht an, da die Flüchtlinge ein Teil der Guerilla seien.

San Jorge und Cajolá: Landgemeinden kämpfen um Land

(Guatemala, 22. Juli 1992, NG-POONAL).-Die brutalen Landräumungen

in Guatemala dauern an. Nachdem im April dieses Jahres zunächst

die Finca Jaibal in der Nähe der Gemeinde San Jorge La Laguna geräumt wurde, traf dieses Schicksal Ende Juni zum dritten Mal in Folge die ca. 1.000 Campesinas/os aus der Gemeinde Cajolá, die seit dem 11. Mai Teile der Finca Coatunco besetzt hielten. Der Rechtsberater der Besetzer*innen, René Argueta Beltrán, äußerte sich zu der aktuellen Konfliktsituation und den Aussichten für einen legalen Kampf, mit dem die Gemeinden ihr Land wiedererlangen wollen. Laut Aussage der an der Bewegung beteiligten Campesinas/os überschrieb die Regierung im Jahre 1910 die Finca Pampas del Horizonte den Anwohner*innen von Cajolá. Da es zu dieser Zeit noch keine Transportmittel gab, wurde die Finca nicht von ihren neuen Besitzer*innen bezogen. Pampas del Horizonte stößt an die Finca Coatunco. Deren damaliger Besitzer, Mariano Bermeja, machte sich zunutze, daß Pampas del Horizonte unbewohnt war und verleibte diese einfach seinem Besitz ein. Der Kampf der Anwohner*innen von Cajolá begann vor drei Jahren. Bevor sie die Ländereien besetzten, konsultierten sie das Institut für Agrartransformation (INTA), um die Besitzverhältnisse für das Land zu klären. Eine Kommission mit Vertretern der INTA, des guatemaltekischen Kongresses, der Kommunalverwaltung und der Anwohner von Cajolá kam zu dem Schluß, die Belege und Landtitel im Besitz der Cajoltek*innen bewiesen, daß die Finca Pampas del Horizonte ihnen gehöre. Gestützt auf dieses Urteil organisierten sich die Bewohner von Cajolá und beschlossen, die Ländereien im Mai 1989 zu besetzen. Angesichts dieser Entscheidung versuchten die Funktionäre den Campesinas/os einzureden, daß sie sich im Gelände geirrt hätten und sich bereits auf dem ursprünglichen Gelände der Finca Coatunco befänden. Rechtsberqater Argueta Beltrán beantragte daraufhin vor Gericht im Namen des Bürgermeisters von Cajolá die Neuvermessung des gesamten Terrains von Coatunco. Der Fall von Cajolá fällt nach Beltráns Auffassung unter die Artikel 66 und 70 der Verfassung, in denen garantiert wird, daß Indígena-Gemeinden mit historischem Landanspruch den Schutz der Regierung erhalten. Etwas anders ist die Situation im Fall der Finca Jaibal. Die Bevölkerung von San Jorge La Laguna versichert, daß sie historischen Anspruch auf über 200 Acres (1 Acre=40,46 qm) des fruchtbaren, am Ufer des Atítlan-See in Sololá gelegenen Tals habe. Das Land sei ihren Vorfahr*innen durch die Betrügereien der Familie Fuentes entrissen worden.

Am 23. März dieses Jahres besetzten die Bewohner*innen von San Jorge La Laguna die Finca Jaibal. Wenige Tage später wurden sie brutal von einem Bataillon der Anti-Aufstandstruppe und Militärs des nahegelegenen Stützpunktes Nr. 14 geräumt. 74 Campesinas/os wurden verhaftet. Nach ihrer Freilassung am 8. April strengten sie einen Gerichtsprozeß an, um das Land wieder zu erlangen. Argueta Beltrán weist darauf hin, daß ein historischer Anspruch auf Land zwar weiterhilft, daß Problem aber darin liege, daß der historische mit dem formalen Besitzanspruch zusammenpralle. Letzerer begründet sich darauf, daß ab 1878 formal der Besitz Jaibal im Namen einiger Fuentes aufgeführt wird, und die Ländereien Jaibal seit diesem Zeitpunkt den Charakter eines Privatbesitzes angenommen haben. Er räumt ein, daß „nicht einmal die Regierung hundert Meter Strand beanspruchen könnte, aber im Kampf zur Wiedererlangung werden wir es unter dem Artikel 40 der Verfassung fassen.“ In diesem Artikel heißt es: „In konkreten Fällen kann der Privatbesitz aus Gründen des Kollektivbedarfs, sozialer Nützlichkeit oder öffentlichem Interesse enteignet werden“. Für Argueta erfüllt die Bevölkerung von San Jorge La Laguna sämtliche Anforderungen dieses Artikels. Der Kampf zur Wiedererlangung des Landes war noch nie so zugespitzt wie in der Gegenwart. Beltran weiß, „daß unsere Forderungen abgelehnt werden können. Wenn nur San Jorge die Enteignung fordern würde, würde ich es auch nicht mit so viel Optimismus betreiben, aber wir wissen, daß San Jorge ein Beispiel für alle weiteren Gemeinden sein wird. Um unser Ziel zu erreichen, werden wir auch unser Leben einsetzen.“

PERU

Fujimori unterschätzt die Guerilla

(Ecuador, Juli 1992, Alai-POONAL).- Aufgrund des internationalen Drucks mußte Perus Präsident Fujimori nach dem von ihm selbst initiierten Staatsstreich in seinen diktatorischen Ambitionen zurückstecken. Dies belegen seine in Richtung „nationaler Dialaog“ eingeleiteten Schritte sowie der Aufruf zu Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung. An diesem Dialog, der am 30. Juni dieses Jahres begonnen hat, nehmen die politischen Parteien der Opposition ebenso teil wie die sozialen Organisationen des Landes. Bislang ist aber nicht die Rede von einer Beteiligung der Guerilla, die nach Meinung des Direktors von Radio Cutivalú – aus dem nördlichen Piura – ein „entscheidender Faktor in der politischen Perspektive des Landes ist, mit dem Fujimori bis jetzt ganz falsch umgegangen ist“. Diese Feststellung wurde in einem Interview mit der ecuadorianischen Agentur Alai zu einem Zeitpunkt getroffen, an dem die politische Krise in Peru schon über zwei Monate andauerte.

Frage: Wie schätzen Sie die aktuelle Situation in Peru ein, besonders seit Fujimoris „Putsch von Oben“?

Ich denke, daß die politische Situation des Landes dem Verlust an Möglichkeiten politischer und demokratischer Partizipation in Peru entspricht. Die letzten zehn Jahre, in denen in Peru eine Art formaler Demokratie herrschte, waren sehr geprägt von politischen Vorherrschaften, die der Demokratie viel Schaden zugefügt haben. Einerseits hat ein sehr markanter Populismus die Regierungsstile in Lateinamerika geprägt. Andererseits sind die wenigen politischen Räume, die von den Volksorganisationen und vor allem den linken Parteien erobert worden waren, dem Spiel des politischen Machtkampfes verfallen, in das die etablierten Parteien sie immer schon einbinden wollten. Sie haben sogar erreicht, daß diese Organisationen, linke Parteien oder von Linken geleitete Instanzen, die Forderungen der Bevölkerung inzwischen ernsthaft vernachlässigt haben; wie auch die breitere organisierte Beteiligung der unteren Schichten an den großen Entscheidungen des Landes. Die Wahlen, die Fujimori an die Regierung brachten, haben vor allem eines wiedergespiegelt: Trotz des Werbefeldzugs der Rechten, und in derselben Logik auch der linken Parteien, hat das Volk einen dritten Weg gewählt, eine dritte Alternative, die weder die großen Interessen der Rechten darstellt, noch die Perspektiven, die die linken Parteien boten. Fujimori erschien vor allem als Vertreter einer Option der Unzufriedenheit und des Unmuts über die traditionelle Demokratie.

Frage: Das sind also die Faktoren, die den Putsch begünstigt haben?

Aber sicher, Fujimori stellte tatsächlich ein neues Element dar. Er hatte große Unterstützung, die sich aber nicht auf einer Überzeugung, auf einer politischen Laufbahn gründete, sondern Ausdruck der Unzufriedenheit war. Die Bevölkerung hat sich gesagt: Wollen wir mal sehen, was der uns bieten kann, der behauptet anders zu sein als die anderen. Und tatsächlich war es offensichtlich, daß eine solche Regierung nicht mit der sofortigen Unterstützung der traditionellen Parteien rechnen konnte. Die Präsidentschaft ist zwar von einer dritten Alternative besetzt worden, aber der Kongreß ist ja derselbe geblieben wie vorher. Von Anfang an wurde deutlich, daß diese Regierung nicht die entsprechende Unterstützung von den anderen politischen Kräften des Landes erhalten würde. Ich denke, dessen war sich selbst Fujimori bewußt, obwohl ihn viele für naiv gehalten hatten. So war also das sofortige Bündnis mit den Streitkräften seine einzige Alternative, weil er wohl kaum – trotz der großen Unterstützung der Bevölkerung – organisierte Kräfte gefunden hätte, die in der Lage gewesen wären, ihn politisch zu unterstützen. Dieser Triumpf von Fujimori verschärft die internen Widersprüche der linken Parteien – und der Bruch wird dadurch noch stärker. Aber es gab auch eine Reihe von politischen Situationen, die die seit April eingesetzten Maßnahmen noch verschärft haben. Eine davon war die sehr deutliche Position, die vom Parlament gegenüber der vorangegangenen Regierung bezogen wurde und die Entscheidung der Justiz in dem politischen Prozeß, den man Alan Garcia machte. Ich denke, daß dies die beiden wichtisten Auslöser waren. Einerseits die APRA-Partei mit Alan Garcia an der Spitze mit ihrer von ihr selbst so benannten „lebendigen Oppositionspolitik gegenüber der neuen Regierung“. Andererseits haben sowohl Justiz wie Parlament dafür gesorgt, daß die Prozesse folgenlos blieben, die man in Gang gesetzt hatte, um ein wenig die öffentliche Verwaltung moralisch infrage zu stellen. Und zu alledem noch ein Krieg ohne Kriegserklärung gegen die Wirtschaftspolitik der Fujimori-Regierung. All dies mußte ganz offensichtlich irgendwo zum Knall führen: entweder das Parlament und die ihnen nahestehenden Kräfte gegen Fujimori oder Fujimori gegen sie.

Frage: Heißt das, daß Fujimori einfach zuerst zugeschlagen hat?

Ja, natürlich. Weil damit einfach niemand gerechnet hat, keiner hat es für wahrscheinlich gehalten, bei diesem demokratischen Image, auf das die Regierung bedacht war, ob wir nun damit einverstanden sind oder nicht. Darauf wären die Kongreßabgeordneten nicht gekommen, im Gegenteil, das Parlament fühlte sich sehr sicher und betrachtete sich als die erste Macht im Staat, als einzige in der Lage, einen Wechsel in der Haltung der Regierung herbeizuführen. Es muß gesehen werden, daß das ein Machtkampf war, an dem das Volk keine größeren Möglichkeiten hatte teilzunehmen.

Frage: Was denken Sie über die internationale Reaktion und die Rolle, die die OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) dabei gespielt hat?

Zweifellos wirft man Fujimori vor, die Bedeutung des internationalen Drucks nicht bedacht zu haben. Aber viele Beobachter sprechen davon, daß Fujimori diesen internationalen Druck sehr wohl berücksichtigt hat, wie auch die Unterstützung der Bevölkerung, die er erfahren hat und auch weiter erfahren kann, und vor allem die Hilfe, die die Streitkräfte für ihn bedeuteten.

USA waren über Putsch-Absichten informiert

Über die Rolle der OAS habe ich eine sehr persönliche Ansicht, die aber von einigen Beobachtern durchaus geteilt wird. Die Naivität von Fujimori war in Wirklichkeit gar keine und er wußte ganz genau, was er tat, und davon waren auch die USA in Kenntnis gesetzt. Erinnern wir uns daran, daß Monate zuvor, überhaupt seit Beginn der Fujimori-Regierung, diese die Wiedereingliederung des Landes in die internationale Finanzwelt versprach, und daß es eine Reihe von Verhandlungen mit der Weltbank gab, mit dem Internatiolen Währungsfonds und speziell mit den europäischen Gläubigern. Und um diese Wiedereingliederung zu garantieren, setzte er eine Reihe von wirtschaftspolitischen Maßnahmen ein, die hauptsächlich dazu dienten, die Beziehungen mit der Finanzwelt wiederherzustellen. An diesem Punkt läßt sich ein grundsätzlicher Unterschied im Vergleich zu Alan Garcia festmachen. Dieser hat sich rundheraus geweigert, die Auslandsschulden zu bezahlen und die externe Finanzpolitik neu zu verhandeln. Dagegen hat Fujimori nicht nur versichert, daß er sich wiedereingliedern wolle, sondern auch dafür gesorgt, daß das geschieht. Und deshalb können wir davon ausgehen, daß er genau wußte, daß die USA mit den am 15. April eingesetzen Maßnahmen einverstanden sein würden, weil diese die Garantie für den Wiedereingliederungsprozeß von Peru in die Weltwirtschaft darstellten.

Geheuchelte Entrüstung

Es ist also äußerst naiv, zu meinen, daß die Führer der OAS sehr überrascht gewesen seien. Dieser Druck ist meiner Meinung nach, genauso wie in Haiti, nichts anderes als eine typische Pose der Regierungen, die mit den Entscheidungen dieser Organisationen befaßt sind. Um ihr Image als Demokraten zu wahren, äußern sie etwas, doch was sie tun, steht auf einem anderen Blatt. In Haiti loben sie einige der Maßnahmen der Militärregierung und der Diktatur, und ich glaube, Peru ist da ein ähnlich gelagerter Fall.

Frage: Was denken Sie über den Umgang von Fujimori mit der bewaffneten Bewegung in Peru?

In bezug auf den Umgang speziell mit Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) glaube ich, daß Fujimori dieser bewaffneten Bewegung nicht ausreichend Bedeutung beigemessen hat. Sendero ist keine Gruppe gewöhnlicher Verbrecher. Es ist eine Gruppe mit größerer Bedeutung als allgemein angenommen, und ihre Aktivitäten haben sich stark in den politischen Konjunkturen von Peru niedergeschlagen. Seit seinen Anfängen hat Sendero eine solide Basis: Studenten, Akademiker, Landschullehrer, Intelektuelle haben die Organisation gegründet, und noch heute ist Sendero im Bildungssystem in gewisser Weise präsent. Jetzt finden sich in seinen Reihen mehr hochqualifizierte Berufe, Gemeindeführer, die nicht eine kurz- sondern eher eine langfristige Arbeit machen, ein eher strategischer Ansatz. Es ist nicht mehr die gleiche dogmatische Bewegung von vor 13 Jahren, heute entfernt sich Sendero von ideologischen Schemata und ich denke, daß sich ihre maoistische Ausrichtung den veränderten nationalen und internationalen Gegebenheiten entsprechend angepaßt hat. Die Fujimori-Regierung hat bis jetzt keine adäquate Anti- Guerrilla-Strategie entwickelt, immer ist sie dem, was Sendero tut, einen Schritt hinterher. Selbst Mitglieder der Streitkräfte haben zugegeben, daß Sendero eine größere und effektivere Geheimdienstarbeit leistet als die Sicherheitsorganisationen des Staates. Außerdem ist Sendero weiterhin ein entscheidendes Phänomen in der politischen Perspektive des Landes und dieser hat man bislang nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Schließlich denke ich auch, daß die Behandlung von Sendero durch Fujimori völlig verfehlt gewesen ist. Bis jetzt zeichnet sich noch überhaupt keine Möglichkeit des Dialogs ab.

KUBA

Ibero-Amerikanischer Gipfel: Werben um neue Partner

(Havanna, Juli 1992, Prena Latina-POONAL).- Im letzten Jahr kam es in der mexikanischen Stadt Guadalajara zum Ersten Lateinamerikanischen Gipfeltreffen. Der dort eingeleitete Prozeß bedeutet für Kuba bis heute besondere Anstrengungen in dem Versuch, seine Wirtschaftsbeziehung zu verbreitern; in einem geographischen Kontext, der historisch und kulturell die natürliche Umgebung Kubas darstellt. Trotz seiner kritischen ökonomischen Situation durch die Verschärfung der US-Blockade und den Zerfall seiner Märkte in Osteuropa behält Kuba seine Politik der Integration bei. Genährt von der Hoffnung auf eine Welt, in der Dialog und Vernunft vorherrschen. Mit derselben Ausrichtung beteiligt sich die Insel aktiv an der Umsetzung der Cartagena-Vereinbarungen und an der Lateinamerikanischen Vereinigung für die Integration (ALADI=Asociación Latinoamericana de Integración). Gleichzeitig wird die Zusammenarbeit mit anderen Foren gesucht, so zum Beispiel mit der Karibischen Gemeinschaft (CARICOM= Comunidad Caribeña). Zum Zeitpunkt des Beginns des Gipfel in Guadalajara hatte Kuba außerdem gerade neue Vereinbarungen für die Koordination der Anti- Drogen-Strategien unterschrieben bzw. vorgeschlagen. In dieser Zeit stach auch die Tätigkeit des Landes als nicht- permanentes Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen hervor. Dort verteidigte es rückhaltlos das Prinzip der Nicht- Intervention und des Respekts vor der Souveränität der Nationalstaaten. Außerdem schlug Kuba eine Diskussion über die US- Blockade gegen die Insel für eine künftige Generalversammlung vor. Gemäß seiner traditionellen Politik hat Kuba anderen Ländern seine Zusammenarbeit angeboten: in Fragen wie dem Kampf gegen die Cholera, der Hilfe für die haitianischen Flüchtlinge und der Steigerung seiner medizinischen Hilfe für Nicaragua.

Soziale Dienste trotz Krise verbessert

Trotz der gegenwärtigen ökonomischen Beschränkungen des Landes hat Kuba seine Gesundheitsversorgung, die Sozialversicherung, die Bildung und die Alten- und Kinderversorgung weiter verbessert. Die Kindersterblichkeit liegt bei nur 10,7 Fällen pro tausend Geburten. Die Einschreibungen an den Grundschulen lagen dieses Jahr bei 99 Prozent der potentiellen Schulkinder. Wichtige Impulse gab es auf dem Gebiet der Selbstversorgung, in den Bereichen der Lebensmittelversorgung, des Tourismus sowie der biotechnologischen und pharmazeutischen Industrie. Was den Bereich der Bildung anbelangt, so hat Cuba den Aufbau der Vereinigung der „educadores“ (Erzieher*innen und Lehrer*innen) in Lateinamerika und der Karibik unterstützt, sowie des Lateinamerikanischen Zentrums für Sondererziehung und das Lateinamerikanisch-Karibische Pädagogische Institut. All dies sind Institutionen, die einen gemeinsamen Markt des Wissens fördern werden. Andere Beispiele aus diesem Sektor sind die 50 wissenschaftlich- technischem Projekte, die Kuba in verschiedenen Ländern durchführt; die 100 ausländischen Spezialisten, die hier kostenlose Postgraduiertenkurse besuchen; die Erhöhung der Zahl von Professoren und Forschern in Austauschprogrammen auf 500 Personen. Im Kulturbereich ist diese Arbeit vielleicht am weitesten fortgeschritten: Im betrachteten Zeitraum beteiligte sich Kuba aktiv an den Bemühungen, die Einheit und Integration Lateinamerikas auf diesem Gebiet herzustellen. Höhepunkt dieser Arbeit war das Treffen, das in Havanna im vergangenen September stattfand: Dort versammelten sich Minister und Verantwortliche für Kulturpolitik aus Ländern des gesamten Kontinents. Gleichermaßen von Bedeutung war aber auch die Vereinbarung über den lateinamerikanischen und karibischen Kunst- und Kulturfonds, der viele der Empfehlungen des ersten Gipfeltreffens in Guadalajara schon aufgenommen hat. Zieht man die speziellen ökonomischen Umstände in Betracht, so erscheint der positive Saldo im kubanischen Beitrag zu den in Guadalajara eingeschlagenen Weg bemerkenswert.

CHILE

Kommunistische Kandidatin für die Präsidentschaft

(Santiago, Juli 1992, Anchi-POONAL).- Die Kommunistische Partei Chiles hat ihre Generalsekretärin, Gladys Marin, als Präsidentschaftskandidatin des Linksbündnisses „Bewegung der Demokratischen Linken Allende“ (MIDA, Movimiento de Izquierda Democrática Allendista) vorgeschlagen. Neben Marin hatte bereits Pedro Vuskovic, ehemaliger Wirtschaftsminister unter dem Präsidenten Salvador Allende, seine Ambitionen angekündigt. Die Basis der MIDA wird in direkten und geheimen Wahlen auf nationaler Ebene darüber entscheiden, welchen der Kandidaten sie sich als ihren Anwärter auf das höchste Amt des Landes wünscht. Marin verkündete vor der Presse, daß „wir uns dafür entschieden haben, eine alternative Macht in Chile zu schaffen, mit linken Inhalten.“ Sie unterstrich, daß die sieben Prozent der Stimmen, die die Linken bei den letzten Kommunalwahlen erhielten, „außerordentlich positiv“ seien, und fügte hinzu, daß „wir die MIDA immer als strategische Option betrachtet haben, als ein Instrument für die Demokratie und die Befreiung, als eine Kraft der Zukunft.“ Die Vorkandidatin erinnerte auch daran, daß noch vor wenigen Monaten niemand an die Stärke der chilenischen Linken geglaubt hätte, aber „wir haben immer gesagt, daß wir eine höhere Stimmenzahl erreichen werden, und das haben wir erreicht.“ Im Interview mit der Zeitschrift „Punto Final“ wies Gladys Marin darauf hin, daß die MIDA nicht nur „einfach eine Summe von Parteien und politischen Bewegungen ist, sondern der Ausdruck einer ganzen sozialen Welt.“ Die MIDA setzt sich aus sieben linken politischen Parteien und aus über 80 sozialen Organisationen des ganzen Landes zusammen. Marin sagte, daß der MIDA in der Wahlkampagne um die Präsidentschaft darum kämpfen werde, vor allem den materiell schlechtgestellten ChilenInen, der Jugend und den Frauen eine Alternative zu bieten, „um diese graue Realität zu verändern.“ Außerdem kritisierte sie die neoliberale Wirtschaftspolitik der gegenwärtigen chilenischen Regierung, die 52 Prozent der Bevölkerung in Armut und 17 Prozent in extremem Elend leben läßt.

Ein „Bündnis neuer Qualität“

Gladys Marin nahm auch bezug auf Versionen, in denen die sieben Prozent der Stimmen für die Linken allein der kommunistischen Partei zugerechnet wurden und man die MIDA nicht erwähnte. Diese Sichtweise verbreiteten vor allem einige ausländische Korrespondenten. Verantwortlich dafür ist die Tatsache, daß die Kommunistische Partei – als einzige linke Partei, die legal registriert ist – der MIDA ihren Namen geliehen hat. Dazu meinte Marin: „Dieser Stimmenanteil war ein Wahlsieg der MIDA, ohne die MIDA hätten wir nicht dieses Ergebnis erzielt, da die Schaffung dieses neuen linken Bündnisses uns eine neue Qualität verliehen hat. Dabei ist die Beteiligung der Kommunistischen Partei sicher fundamental gewesen, vor allem als politische Opiton, die für die Gültigkeit revolutionären Denkens und Handelns steht.“

ARGENTINIEN

Justiz zensiert die Presse

Die Vereinigung der Journalist*innen von Buenos Aires (UTPBA), in der mehr als 8.000 Mitglieder zusammengeschlossen sind, hat die argentinische Justiz der Zensur beschuldigt. Vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte der Organisation amerikanischer Staaten (OEA) eine Petition eingebracht, den argentinischen Staat wegen der Verletzung des Abkommens von San José, Costa Rica, zu verurteilen. Ein argentinisches Gericht hatte den Journalisten Horacio Verbitsky wegen eines Artikels in der Tageszeitung „Pagina 12“ zu einer auf Bewährung ausgesetzten Gefängnisstrafe und zu einer Geldstrafe verurteilt. Verbitsky ist ein angesehener Kolumnist und außerdem Autor des Buches „Raub für die Krone“. Darin werden einige Korruptionsfälle unter der Regierung des Präsidenten Carlos Menem aufgedeckt. In Buenos Aires erreicht das Buch Verkaufsrekorde. Die Anzeige vor dem interamerikanischen Gerichtshof wurde durch die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Americas Watch vorgelegt. Sie soll verhindern, daß Verbitsky als Präzedenzfall dient, einen unabhängigen und engagierten Journalismus zu unterbinden. Jedesmal wenn die argentinische Presse Fälle von Korruption oder Unregelmäßigeiten aufgreift, an denen Staatsbeamte beteiligt sind, werden die Journalist*innen von den höchsten Regierungsstufen aus angegriffen. Das juristische Gerüst, auf das sich die Regierung stützt, sind die Vergehen „Verleumdung“, „Beleidigung“ und vor allem „Beamtenbeleidigung“.

Zur Zeit sind mehr als 20 Verfahren gegen argentinische Journalist*innen anhängig, die ihre Aufgabe wahrgenommen haben, die Öffentlichkeit wahrheitsgemäß und aktuell über alles zu informieren, was für öffentliche Belange von Bedeutung ist. Die juristischen Anklagen sind nur ein Druckmittel. Daneben gibt es die Drohung, Zeitungen die offizielle Werbung zu entziehen; die Streichung von Radioprogrammen; die körperlichen Angriffe auf Journalist*innen und Kameraleute sowie die Nicht-Verlängerung von Ausweisen der Menem-Kritiker*innen. Dazu kommt die offizielle Haltung, die den Zugang zu Quellen und die Verbreitung von Informationen nahezu unmöglich macht. In Argentinien herrscht die eigentümliche Situation, daß die öffentliche Meinung die Presse als „staatstreu“ wahrnimmt, staatstreuer als etwa die Gerichtsbarkeit oder das Parlament (das sich weigert, so wichtige Themen wie die Entsendung von Truppen an den Persischen Golf, die Privatisierung von Staatsbetrieben oder die Reform der Arbeitsrechte zu diskutieren). Die Initiative der UTPBA vor dem internationalen Forum zeigt, daß die argentinischen Journalist*innen jedoch entschlossen sind, für ihr Recht auf Meinungsfreiheit, die freie Verbreitung der Gedanken und das Recht des Volkes auf Information zu kämpfen.

HAITI

Folter an der Tagesordnung

(Port-au-Prince, 21. Juli 1992, Haiti-Info).- Die Repression in Haiti hält an. Sieben Studenten sind am 15. Juli nach einer Demonstration durch Schüsse verletzt worden. 20 Personen in Polizeiuniformen und 30 bewaffnete Zivilisten drangen während einer Vollversammlung in die medizinische Fakultät ein und schossen in die Menge. Unter den Studenten, die zuvor gegen die Regierung Bazin protestioert hatten, brach Panik aus. Nach Informationen der Studentenorganisation FENEH wurden über 20 Studenten verhaftet und ein Student verschleppt. Am 9. Juli wurden in Port-au-Prince drei Arbeiter auf dem Heimweg in der Nähe des Flughafens von bewaffneten Zivilisten aus einem Jeep erschossen. In der Nähe der Gemeinde Solino folterten und ermordeten Soldaten einen jungen Mann. In Citè Soleil mißhandelten Armeeangehörige einen Autofahrer, nachdem sie in dessen Wagen ein Foto des gestürzten Präsidenten Aristide gefunden hatten. Einen Tag zuvor verhafteten und folterten Soldaten Carl Henri Richardson, der unter Aristide städtischer Kanzleibeamter in Jean Rabin war. Richardson ist in Mole St. Nicholas inhaftiert, er wurde so schwer verletzt, daß ihm der Verlust des Gehörs und eines Auges droht.

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