Poonal Nr. 030

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 30 vom 10.02.1992

Inhalt


EL SALVADOR

NICARAGUA

HONDURAS

GUATEMALA

MITTELAMERIKA

LATEINAMERIKA


EL SALVADOR

 „Die Lust zu feiern ist jetzt ganz groß“

(San Salvador, 5.Febr.1992, Salpress-POONAL).- „Die Angst nimmt ab“, sagt Jon Cortina. Der Jesuitenpater beobachtet die vielen Männer und Frauen, die in das Zentrum der Hauptstadt gekommen sind, um den Friedensschluß zu feiern. Mit einer Messe wird das Ende des Jahrzehnte währenden Bürgerkrieges eingeläutet. Manche, die jetzt vor der „Basilika des geheiligten Herzens“ warten, wären wenige Tage vorher sofort verhaftet worden. Hier stehen die höchsten Chefs der Aufstandsbewegung, die während des Bürgerkrieges von den Militärs meistgesuchten Männer. Die Begrüßungen mancher Männer und Frauen sind noch verstohlen, immer noch wird hinter jeder Ecke ein Polizeispitzel vermutet. Die Vergangenheit ist noch nah, die Mehrzahl der Salvadorianer*innen kann dem Frieden noch nicht ganz vertrauen. „Die Lust zu feiern ist jetzt ganz groß“, sagt der Pater Jon Cortina.

Zeichen für Lateinamerika

Demonstranten marschieren vorbei, stolz die rot-weiße Flagge der FMLN schwenkend. Manche sehen die Mitglieder der Generalkommandantur der Befreiungsbewegung FMLN das erste Mal. Auch die Guerillaführer*innen nehmen an der Messe teil, zu der die beiden Monsenores Arturo Rivera Damas und Gregorio Rosa Chavas – beide anerkannte Vermittler beim Friedensprozeß – gerufen haben. Die Guerilla-Chefs übergeben dem Erzbischof der katholischen Kirche eine Opfergabe, anschließend begeben sie sich zum Grab von Farabundo Marti. Der Namenspatron der salvadorianischen Guerilla ist auf den Hauptfriedhof der Stadt begraben. Farabundo wurde am 1. Februar 1932 vom Regime Maximilian Hernandez Martinez erschossen. 60 Jahre später, am 1. Februar 1992, endet offiziell der Krieg in El Salvador. „Wenn die Geschichte nicht mit dem Stift geschrieben werden kann, muß sie mit dem Gewehr gemacht werden“, sagte Farabundo Martí. In El Salvador sollen die Gewehre jetzt ruhen. Alvara Arguello Jesuit von der katholischen Universität in Nicaragua sagt, daß der salvadorianische Frieden allerdings nicht nur durch die Waffen errungen wurde. Letztlich habe die Mischung aus bewaffneten Kampf und viel politischer Verhandlung zum Erfolg geführt. „Das ist auch ein Fortschritt“, so der Jesuit, „und eine neue wertvolle Erfahrung für El Salvador, Zentralamerika und Lateinamerika.“

 

NICARAGUA

 Die Region der Miskito-Indianer*innen – Statt autonom von aller Welt vergessen?

(Mexiko, Jan. 92, APIA-POONAL),- Fortsetzung: Autonomie – jahrelang verhieß dieses Wort den Bewohnern der nicaraguanischen Atlantikküste das Ende vieler Probleme. Um ihre Eigenständigkeit zu erringen, hatten die Miskitos die sandinistische Regierung bekämpft. Es ist nicht weit von Puerto Cabezas nach Waspan. Gerade 130 Kilometer liegen die beiden nicaraguanischen Städtchen auseinander. Die Reise von einem Ort zum anderen dauert jedoch viele Stunden. Die Landstraße ist schlecht, oft bleiben die Wagen im Schlamm stecken. Arbeiter füllen jetzt die vielen Schlaglöcher auf, doch die Reperaturarbeiten gehen langsam voran – manche Gemeinden verdienen nämlich nicht schlecht an dem Geschäft, versunkene Fahrzeuge wieder aus dem Schlamm zu ziehen. Aus ähnlichen Gründen war die Brücke von Sisin monatelang kaputt. Das Holz für die Reparatur wurde immer wieder gestohlen. Die Familien von Sisin lebten davon, Reisende zu verpflegen, die den Fluß zu Fuß überquerten, um dann auf der anderen Seite auf eine Transportmöglichkeit zu warten.

Doch wer will schon von Puerto Cabezas nach Waspan? Das Städtchen Waspan, das bis 1982 ein wichtiges indianisches Handelszentrum der Region war, verwandelte sich während des Bürgerkrieges in ein Militärlager. Als die Miskito-Indianer, unterstützt von den USA, begannen, gegen die sandinistische Regierung zu kämpfen, wurden viele Dörfer der Region von den Sandinisten evakuiert. Neue Wege entstanden eher in Richtung Honduras. Um die Sandinisten einzuschüchtern, haben nordamerikanische Marines im vergangenen Jahrzehnt während ihrer häufigen Manöver mit dem honduranischen Heer eine Reihe von Landstraßen und Landepisten in der wenig bewohnten honduranischen Mosquitia, nahe der Grenze, konstruiert. Daher ist es noch heute einfacher von Waspán nach Honduras zu reisen als nach Puerto Cabezas oder Managua. Erste Entspannung Erst 1985 als die ersten Gespräche zwischen Sandinisten und indianischen Rebellen eine gewisse Entspannung an der Grenze ermöglichten, begann die Rückkehr von ziviler Bevölkerung nach Waspan. Viele kehren allerdings erst jetzt nach dem Wahlsieg von Violeta Chamorro zurück. Überall wird gebaut, alte Gebäude werden wieder errichtet. Die wenigen Zementhäuser, die noch stehen, werden notdürftig ausgebessert. Zement muß aus Managua herbeigeschafft werden, diesen Luxus können nur die wenigen Reichen bezahlen. Die Bevölkerung in Waspan ist gemischt. Während in anderen Miskitogemeinden nur der Pastor und der Lehrer Spanisch sprechen können, reden hier Menschen kreolisches Englisch, Miskito oder Spanisch. Nur wenige wollen etwas von einer Versöhnung mit den Sandinisten wissen. „Wir haben gehört, daß die Sandinisten in Managua regieren. Arme Doña Violeta,“ kommentieren sie. Die Menschen in den ländlichen Regionen haben die Sandinisten als Militärs kennengelernt, die sich wenig für die indigene Kultur der Küste interessierten. Berichte über Mißbräuche und Gemetzel vermischten sich mit propagandistischen Lügen, die die Sandinisten Glaubwürdigkeit kostete. Die revolutionäre Regierung konnte das später auch durch großzügige finanzielle Hilfe nicht ausgleichen.

Neue IndianerInnen-Behörde

Violeta Chamorro und die konservative Nationale Union der Opposition (UNO) entdeckten ihr Interesse für die Region an der Atlantikküste im Wahlkampf. Sie versprach völlige Autonomie und beteuerte, für die Rechte der Indianer zu kämpfen. Nach dem Wahlsieg schuf die Präsidentin Violeta Chamorro ein zentrales Institut für die Autonomen Regionen (Indera) und ein neues Ministeramt. Der Sitz der neuen Behörde: Managua. Für die, die Jahre hindurch für die Autonomie gekämpft hatten, war diese Maßnahme wie eine Ohrfeige: Die Schaffung eines Zentralorgans mit Sitz in Managua stand zu deutlich in offenem Widerspruch zu allen Prinzipien der autonomen Verwaltung. „Am Anfang wollten sie sogar unseren Haushalt durch Indera regeln lassen,“ sagt Panting, Gouverneur der Region.

Brooklyn Rivera, der neue Minister, kommt nun jedes Wochenende in die Region, um für sich und sein Amt zu werben. Über Radio Miskut, einem Kurzwellensender, der bis in die entfernteste Gemeinde zu hören ist, spricht er über Probleme der Region. In Wirklichkeit sind an den Problemen seit dem Wahlkampf wenige interessiert, weder die Repräsentanten der autonomen Regierung und noch viel weniger die unbeliebten Sandinisten besuchen die Gemeinden. Nur die Mitglieder der moravischen Kirche kommen bis in den letzten Winkel der Region. Die Moravas, Missionare der Kirche Husita mit Sitz in Herrenhut, Böhmen, begannen 1848, die Atlantikküste zu evangelisieren. Die katholische Kirche war hier zu spät, sie begann ihre Arbeit in diesem Landesteil erst gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts. Die große Mehrheit der Miskitos, vor allem in den Küstenregionen und in den Ebenen von Puerto Cabezas praktizieren die moravische Religion. Viele moravische Priester spielten eine wichtige Rolle, zuerst im ideologischen Kampf gegen den Sandinismus und später als Führer im bewaffneten Kampf. Jetzt helfen die religiösen Organisationen und internationale Delegationen bereisen die Küste mit gebrauchter Kleidung, Zinkplatten und Weizenmehl; manchmal verlangen sie als Ausgleich verschiedene symbolische Arbeiten.

Der Drogenhandel als Lösung

Das Leben in der Küstenregion ist teuer. Viele suchen daher auf illegale Weise Auswege aus der Misere. Diebstahl und Überfälle auf den Straßen der früher friedlichen Dörfer sind üblich. Hochkonjunktur hat auch der Drogenhandel. Bei einigen Dörfern, wie Sandy Bay, treffen sich die Drogenhändler auf hoher See mit kolumbianischen Händlern, um Langusten und Krabben gegen Marihuana und Kokain einzutauschen. In den Regionen der Südküste, wo die Fischer keine hochseetüchtigen Boote haben, kommt die Droge wie Manna: Sie fällt vom Himmel. Nicht selten handelt es sich um Flugzeugfracht, die von Drogenhändlern, die eine Polizeikontrolle erwarten, abgeworfen wird. Die Miskito-Fischer bringen den Stoff nach Puerto Cabezas. Der Weiterverkauf findet dann über Honduras statt. Die polizeiliche Überprüfung auf Landstraßen und Flughäfen ist so oberflächlich, daß nicht einmal Anfänger gefaßt werden. Der Drogenkonsum an der Atlantikküste ist bisher noch gering, doch vor allem Jugendliche sind zunehmend gefährdet. In einigen Dorfgemeinschaften hat der Ältestenrat bereits begonnen, Rauschgift-Konsument*innen zu bestrafen. Den Jugendlichen, die beim Rauchen von Marihuana erwischt werden, wird der Kopf kahlgeschoren.

Die guten alten Zeiten

Der Traum von der Autonomie spielt heute immer weniger eine Rolle. Kaum jemand weiß heute, was Autonomie außer der Entmilitarisierung bedeutet. Für die Miskitos der Dorfgemeinschaften ist sie nur das Synonym für Bewegungsfreiheit. Das prosandinistische Forschungs- und Dokumentationszentrum (CIDCA) hat jetzt eine Konzeption zur Umsetzung erarbeitet. In den Dorfgemeinschaften überwiegt allerdings die Skepsis. Die Forderung nach Autonomie verlor durch die Wahlniederlage der Sandinisten an Bedeutung. Angesicht der miserablen wirtschaftlichen Situation erinnern sich manche Bewohner sogar gerne an jene Zeiten, in denen niemand von Autonomie sprach. Ein Alter der Dorfgemeinschaft Krukira, der sich an die alten Regierungen seit General Moncada erinnert, versichert:“Die beste Zeit war unter Somoza mit den nordamerikanischen Unternehmen.“

 

HONDURAS

 US-Botschafter fordert schnellere Privatisierung

(Tegucigalpa, 3. Feb. 1992, SHN-POONAL).- Die Privatisierung von staatlichen Unternehmen verlaufe zu langsam, kritisierte jetzt öffentlich der Botschafter der Vereinigten Staaten in Honduras, Cresencio Arcos. Der Botschafter machte seine kritischen Anmerkungen nach der Unterzeichnung von Dokumenten über neue Kredite in Höhe von 17 Millionen US-Dollar: „Ich habe eine Stabilität vor allem im Bereich der Währung gesehen. Auf einigen Gebieten wie im Fall des Privatisierungsprozesses waren wir weniger zufrieden.“

 

 Orden für die Verletzung von Menschenrechten?

(Tegucigalpa, 3. Feb. 1992, SHN-POONAL).- In einer feierlichen Zeremonie wurde dem Offizier Juan Blas Salazar jetzt ein Stern verliehen, der ihn zum Oberstleutnant macht. Salazar war nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen im letzten Jahrzehnt an dem Verschwinden von mehr als hundert Menschen beteiligt. Die Beförderung wurde im Nationalkongreß mit den Stimmen von 81 Abgeordneten beschlossen, bei 15 Enthaltungen und 4 Gegenstimmen.

 

GUATEMALA

 Menschenrechte: Endet die Schonfrist für Präsident Serrano?

(Guatemala, 4. Febr. 1992, Cerigua-POONAL).- Am 27. Januar begann in Genf, Schweiz, die 48. Generalversammlung der UNO- Menschenrechtskommission. Wenig schmeichelhaft, so erwarten Beobachter, wird das Urteil sein, daß die Generalversammlung möglicherweise noch im Februar über die guatemaltekische Regierung fällen wird. Ein Jahr nach dem Amtsantritt des konservativen Präsidenten Jorge Serrano sind staatlicher Terror und Repression in Guatemala nach wie vor alltägliche Erscheinungen. Im vergangenen Jahr hatten die Vereinten Nationen der Regierung des mittelamerikanischen Landes noch eine Schonfrist eingeräumt. Der guatemaltekische Präsident Jorge Serrano hatte nach seinem Amtsantritt im Januar 1991 versprochen, für eine konsequente Beachtung der Menschenrechte zu sorgen – und damit eine Verurteilung durch die Vereinten Nationen abgewendet. Doch nun ist die Bewährungszeit für Serrano abgelaufen. Und die Bilanz der Regierung Guatemalas sieht nicht gut aus.

Das Menschenrechtsbüro des guatemaltekischen Erzbischofs veröffentlichte im Januar einen Bericht über das erste Amtsjahr der Regierung, in dem über 1000 Menschenrechtsverletzungen aufgeführt sind. Diese Zahl stimmt mit Angaben überein, die andere humanitäre Organisationen veröffentlicht haben. Das Thema Menschenrechte ist für die Regierung besonders brisant, da es auch in den Verhandlungen mit den Aufständischen der „Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas“ (URNG) über eine Beendigung der bewaffneten Auseinandersetzungen eine zentrale Rolle spielt. In dem von der UNO unterstützten Dialog hatten sich die Bürgerkriegsgegner im April 1991 auf einen elf Punkte umfassenden Verhandlungskatalog geeinigt. Der erste Punkt: Demokratisierung und Menschenrechte. Der zentrale Streitpunkt war bislang die Straffreiheit von Angehörigen der Polizei und Armee. Eine „Mauer der Straffreiheit“, so kritisierte auch der UNO- Menschenrechtsbeauftragte im vergangenen Jahr, verhindere die Aufklärung politisch motivierter Morde.

Eine Verurteilung der guatemaltekischen Regierung wegen der Beteiligung von Armee und Sicherheitskräften an Menschenrechtsverletzungen durch die Vereinten Nationen würde deren Verhandlungsposition erheblich verschlechtern; der Druck auf die Regierung, den Forderungen der Rebellen nach einer rückhaltlosen Aufklärung politischer Straftaten nachzugeben, würde wachsen. Repression und Terror des Staates bezeichnete Rolando Moran, Mitglied der Generalkommandantur der URNG als die wesentlichen Ursachen, die den bwaffneten Konflikt in Guatemala hervorgerufen haben. Die Streitkräfte und die verschiedenen Regierungen seien wiederholt als die hauptsächlichen Verantwortlichen für die Menschenrechtsverletzungen überführt worden. Bislang verhindere die Regierung durch ihre Unnachgiebigkeit eine Übereinkunft mit der URNG. Hochrangige Offiziere der Streitkräfte scheinen eine Verurteilung durch die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen bereits einzukalkulieren. Sie rechtfertigten die Gewalt in dem mittelamerikanischen Land, indem sie sie zu einer Naturerscheinung erhoben, die „zyklischen“ Schwankungen unterworfen sei. Mal nehme sie ab, dann steige sie wieder an, – je nach Jahreszeit.

 

 Verschleppte Bauern als Guerilleros denunziert

(Guatemala, 4. Febr. 1992, NG-POONAL).- Ein angeblicher Guerrillero, den die Streitkräfte Ende Januar der Presse präsentierten, ist offensichtlich ein von der Armee entführter Landarbeiter aus der nördlichen Provinz El Quiche. Dies behaupten die „Volksgemeinschaften im Widerstand“ (CPR), in denen sich vor dem Terror der Armee geflüchtete Dorfgemeinden des guatemaltekischen Hochlandes und des Departamento Ixcan organisiert haben. Die CPR klagten auch die Verschleppung von Antonio Acabal an, der am 17. November des vergangenen Jahres von Soldaten in Quilamun im Ixcan von Soldaten gefangen genommen wurde. Am 15. Januar, so berichten die CPR, seien die Landarbeiter Pedro Garcia Juarez (27) und Eliseo Lopez Alcon (20) von Soldaten des Militärstützpunktes in Amachel, einer Gemeinde in El Quiche, entführt worden, als die beiden im Nachbarort Caba Zuckerrohr verkaufen wollten. Garcia Juarez habe flüchten können, Lopez Alcon sei in das Militärquartier gebracht und zehn Tage später als mutmaßlicher Guerrillero präsentiert worden. Die Streitkräfte hatten Eliseo Lopez Alcon mit fünf anderen angeblichen Kämpfern der Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG) vorgeführt, die sich den Streitkräften übergeben hätten. Zu den sechs Gefangenen gehört auch Veronica Ortiz Hernandez, deren Gefangennahme die URNG Mitte Oktober angeklagt hatte, von den Streitkräften bislang jedoch immer verneint wurde. Die ehemalige Rebellin ist noch nicht einem zivilen Gericht übergeben worden.

Zudem enthüllte die staatliche Menschenrechtskommission, daß zwei der als Guerrilleros präsentierten Personen in Wahrheit Mitglieder der Streitkräfte seien, die seit mindestens zwei Jahren für die Armee arbeiteten. Die Volksgemeinschaften im Widerstand sind Gruppen von einigen Tausend Landarbeiter*innen, die vor zehn Jahren aus ihren Heimatorten von den Streitkräften vertrieben wurden. Sie akzeptierten weder die Integration in die von der Armee aufgebauten und kontrollierten Modelldörfer noch die Eingliederung in die sogenannten Zivilpatrouillen, die die guatemaltekischen Militärs im Norden vom Quiche errichtet haben. Die Volksgemeinschaften im Widerstand klagten die Regierung weiterhin an, die Militarisierung des Landes voranzutreiben. Die Streitkräfte arbeiteten Pläne aus, um einen Stützpunkt im Norden des Landes, in dem Ort Xebelubal, zu errichten. Damit wollten sie ihre Bemühungen verstärken, die Landbevölkerung in die paramilitärischen Verbände zu zwingen. Dies stehe in krassem Widerspruch zu den Verlautbarungen von Präsident Serrano Elias, der „auf internationaler Ebene Propaganda für ein Friedensabkommen macht“. Die Volksgemeinschaften im Widerstand forderten den Präsidenten auf, die Verfolgung der CPR aufzugeben und den falschen Anschuldigungen durch die Streitkräfte ein Ende zu bereiten. Sie baten um Respekt vor dem Leben und der physischen Integrität der Campesinos Eliseo Lopez Alcon und Antonio Acabel. Zudem fordern sie ein Ende der Militarisierung des Landes, „weil diese nur unsere Leiden verstärkt, und ein Friedensabkommen in weite Ferne rückt.“

Morddrohungen gegen Führer*innen der Volksorganisationen

Sechs Führer*innen von Volksorganisationen, drei Journalist*innen und zwei Rechtsanwälte sind von einer Todesschwadron mit dem Namen „Unidad Anticommunista“ mit dem Tode bedroht worden: Nineth Montenegro de Garcia, die Präsidentin der Gruppe für gegenseitige Hilfe (GAM); Amilcar Mendez Urizar, Direktor des Rates der Ethnischen Gemeinschaften Runujel Junam (CERJ); Rosalina Tuyuc, Führerin der Nationalen Koordination der Witwen Guatemalas, (CONAVIGUA), der Gewerkschaftsführer Byron Morales von Unsitragua und Armando Sanchez, Chef der Gewerkschaft der staatlichen Angestellten (Fenasteg). Montenegro de Garcia sagte, die Todesschwadron habe sämtliche Führungspersonen des GAM mit dem Tode bedroht. Die Tageszeitung Prensa Libre informierte, daß drei ihrer Reporter*innen ebenfalls von staatlichen Sicherheitskräften Morddrohungen erhalten haben: Sivino Velazquez Juarez, der über den Mord an der Anthropologin Myrna Mack Chang berichtet hatte; Nestor Hernandez Marroquin und Alyaro Galvez Mis, die vor einigen Monaten einen Streit mit einem Offizier der Streitkräfte hatten. Das US-amerikanische Komitee der Rechtsanwälte für Menschenrechte berichtete, daß die guatemaltekischen Juristen Ernest Rolando Corzantes und Jose Lopez Mendoza, die den Mord an Myrna Mack untersuchen, von Mitglieder des militärischen Geheimdienstes G-2 mit dem Tode bedroht worden sind. Aufgrund der Recherchen der beiden Juristen war Ende des vergangenen Jahres Noel de Jesus Betea Alvarez, ein ehemaliges Mitglied des Geheimdienstes des präsidentiellen Militärstabs, festgenommen und vor Gericht gestellt worden. Bereits vor 5 Monaten war der mit der Untersuchung des Mordes an Myrna Mack beauftragte Kommissar Jose Miguel Merida Escobar ermodet worden. Der Polizeikommissar Merida Escobar wurde emordet, weil er, nach Aussagen des Erzbischofs in Guatemala, Informationen besaß, die die Beteiligung von hohen Offizieren in das Verbrechen bewiesen.

 

MITTELAMERIKA

 Die neue Mode: Abkommen über Abkommen

(Tegucigalpa, 3. Feb. 1992, SHN-POONAL).- Drei Rahmenabkommen zur Integration Zentralamerikas wurden jetzt von den Präsidenten der Region abgeschlossen. Auch Panamas Präsident, Guillermo Endara, und der Premierminister von Belice, George Price, in der Funktion eines speziellen Beobachters, haben unterschrieben. Ziel der Abkommen ist es, eine neue regionalpolitische Struktur entstehen zu lassen. Damit liegen die Länder ganz im Trend, der in Lateinamerika verstärkt regionale Zusammenschlüsse hat in Mode kommen lassen.

Das erste Abkommen, die „Verpflichtung von Tegucigalpa“, unterstreicht die Hinwendung der verschiedenen Regierungen zu „menschlicher Entwicklung aller Zentralamerikaner mit besonderem Schwerpunkt auf Kinder und Jugendliche“. Das zweite, die „Deklaration von Tegucigalpa“, bildet die Grundlage für eine regionale Plattform , die die politische, soziale und ökonomische Integration der sechs Staaten vorbereiten soll. Das dritte, das „Protokoll von Tegucigalpa“, soll die Charta der Organisation der Zentralamerikanischen Staaten wiederbeleben. Die drei Dokumente beinhalten Aspekte wie Demokratie, soziale Entwicklung und Menschenrechte. Kritiker*innen bemängeln allerdings, daß konkrete Probleme wie beispielsweise die Entmilitarisierung von Honduras, außer Acht gelassen wurden.

 

LATEINAMERIKA

 Ökologie und Entwicklung in Lateinamerika

(Ecuador, Febr. 1992, Alai-POONAL).- Die Ökologie ist keine in sich geschlossene Wissenschaft. Sie ist politisch nicht neutral, vielmehr wird sie von Denkrichtungen beeinflußt, die nicht wissenschaftlicher Art sind. Unternehmer*innen und Wissenschaftler*innen, Sozialist*innen und Konservative, Theolog*innen und Philosoph*innen konkurrieren miteinander, den Begriff ‚Ökologie‘ in ihrem Interesse inhaltlich zu besetzen. Worauf ist diese unerwartete Popularität zurückzuführen? Der offensichtlichste Grund scheinen die ökologischen Katastrophen unserer Zeit zu sein. Es ist eine Sensibilität für den Schutz der natürlichen Ressourcen geweckt worden. Diese neue Sensibilität hat mit dem Verruf zu tun, in den die aktuellen Modernisierungstheorien geraten sind. Sicherlich, in einigen Ländern hat sich die Modernisierung in hohen Wachstums- und Konsumraten ausgezahlt; trotzdem scheinen die in den modernisierenden Strategien enthaltenen Risiken in vielen Fällen höher als ihre „Erfolge“ zu sein. Verweise auf die Verseuchung von Luft, Wasser und Boden, die drohende Klimakatastrophe etc. mögen als Stichworte hier ausreichen;

Es wäre plausibel, wenn der Skeptizismus gegenüber der „Fortschrittsideologie“ in den armen Ländern, wie den lateinamerikanischen, sehr viel stärker wäre als in den reichen Industrieländern. Dies trifft jedoch nur bedingt zu. Sicherlich, es gibt eine lange Geschichte des Widerstands der Landarbeiter*innen und Indigenas gegenüber der Modernisierung; Widerstand, der schon mit der Gründung der Republiken im vergangenen Jahrhundert beginnt, Widerstand, der die Erhaltung der natürlichen Grundlagen als jeder Entwicklung innewohnendes Ziel darstellt. Im Gegensatz zu einigen europäischen Ländern halten die ökologischen Themen jedoch erst seit kurzem Einzug in den Sprachgebrauch der offiziellen Politik. Das ist bemerkenswert, denn die Resultate ökologischer Zerstörung sind in Lateinamerika besonders gravierend. Eine schlichte Wechselbeziehung scheint zwischen dem Ausmaß ökologischer Verwüstung und der Marginalisierung ökologischer Fragestellungen zu bestehen: Da die Modernisierung ökologische Schäden impliziert, erklärt ihre Durchsetzung gleichermaßen, daß das Eindringen ökologischer Inhalte in Entwicklungsstrategien lange Zeit verhindert wurde.

Im Resultat: die ökologischen Schäden haben inzwischen ein solches Ausmaß angenommen, daß sie in Rechnung zu stellen bedeutet, das völlige Scheitern der wirtschaftlichen Modernisierung zu konstatieren. In anderen Worten: Die ökologische Thematik in ihrer ganzen Tiefe in Angriff zu nehmen bedeutet, eine neue Ebene sozialer Radikalität zu akzeptieren. Wenige politische Kräfte in den Regierungen oder in der Opposition sind heute dazu fähig, ohne sich in die Gefahr zu begeben, sich selbst zu verneinen oder zumindest ihre eigene Geschichte in Frage zu stellen. Wenn es einen Kontinent gibt, der durch Wirtschaftsexperten und politische Berater in seinen „industriellen und zu entwickelnden Formen“ in eine Art Religion verwandelt wurde, dann ist es Lateinamerika. Niemand soll vergessen, daß im 19. Jahrhundert auf unserem Kontinent im Namen der Zivilisation und des Fortschritts die Urbevölkerung dezimiert wurde, ihr Boden in Eigentum der großen Haciendenbesitzer verwandelt wurde. Diese Hacendados, den Konservativen oder Liberalen helfend, zählten mit dem Vorteil der sogenannten „nationalen“ Staaten.

(Fortsetzung folgt) Fernando Mires

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