Panamédica – Ein ÄrztInnenkollektiv und das Recht auf Gesundheit

von Katja Fritsche, Mexiko-Stadt

(Berlin, 03. November 2010, npl).- Das Ärztekollektiv Panamédica befindet sich in der Villa Panamericana, einer Siedlung im Süden von Mexiko-Stadt, in dem vor allem Arbeiter*innen, Familien mit Kindern und Rentner*innen leben. Wegen der relativ geringen Mieten und der direkten Nähe zur UNAM, der größten Universität Mexikos, wohnen hier auch viele Studierende. Im Herzen der Siedlung befindet sich ein soziales Nachbarschaftszentrum, und hier ist das Kollektiv im ersten Stock untergebracht.

 

Weder staatliche Stelle noch Privatpraxis

Die Gesundheitskooperative hat sich vor drei Jahren aus einer Gruppe von Ärzt*innen der Universität Xochimilco gebildet, die alle aus dem Bereich der Sozialmedizin kommen. Sie suchten damals einen gemeinsamen Arbeitsbereich, weil sie weder im öffentlichen Sektor, wie z.B. in einem staatlichen Krankenhaus, arbeiten wollten, noch eine eigene Privatpraxis eröffnen.

Mittlerweile hat das Kollektiv, in dem alle wichtigen Entscheidungen gemeinsam gefällt werden, 3.000 reguläre Patient*innen. Neben der Allgemeinmedizin zählen zwei Zahnärzte, eine Augenärztin, ein Labor, eine Apotheke, die Anpassung von Orthesen und Prothesen, aber auch alternative Medizin wie Homöopathie und Ozontherapie zu den Angeboten. Spezialfachgebiete werden von mit der Kooperative befreundeten Ärzt*innen bearbeitet; es können ein Psychiater, ein Optiker oder ein Spezialzahnarzt hinzugezogen werden.

„Lernklinik“ und Gesundheitsclub“

In der Panamédica gibt es aber auch interdisziplinäre Angebote, bei denen Ärzt*innen aus unterschiedlichen Fachrichtungen zusammenarbeiten. Die Angebote, Workshops oder Gruppenarbeit, sind auf ganz bestimmte Problemfelder zugeschnitten. Für Kinder mit und ohne Behinderungen, die Verhaltensauffälligkeiten haben oder unter Lernschwierigkeiten leiden wurde die „Lernklinik“ eingerichtet, in der Psycholog*innen und eine Sonderpädagogin zusammen arbeiten. Der „Club Saludable“, der Gesundheitsklub, soll Frauen dabei unterstützen, Übergewicht zu reduzieren und ihnen zu einem gesunden Lebensstil zu verhelfen. Er wird gemeinsam von einer Psychologin, einer Ernährungsberaterin und einer Sportmedizinerin angeboten, um nach Gründen für das Übergewicht zu suchen und einen Ernährungsplan zu entwerfen, bevor es dann in die Bewegungssportgruppe geht.

Eigene Apotheke eröffnent

Neu eröffnet wurde gerade die Apotheke der Kooperative. Dort zahlen alle, die die Apotheke nutzen, einen monatlichen Beitrag ein. Falls jemand Medikamente braucht, werden diese zum großen Teil von dem eingezahlten Geld gekauft. Sollte Geld am Jahresende übrig bleiben, gibt es eine Versammlung aller Beteiligten, auf der beschlossen wird, ob mit dem Geld ein neues Gerät für die Praxis gekauft werden soll oder ob es für das nächste Jahr in der Apothekenkasse bleibt. Das ist also eine Art Versicherung für den Kauf von Medikamenten, die in der Regel selbst bezahlt werden müssen, da sie nicht von den staatlichen Versicherungen getragen werden.

Ganz heraus fällt wohl niemand aus dem mexikanischen Gesundheitssystem, schließlich gibt es die Seguro Popular, also eine Versicherung für die Teile der Bevölkerung, die in keiner anderen Versicherung untergekommen sind. Dann gibt es noch die privaten Versicherungen, mit denen man sich in den teuren privaten Krankenhäusern behandeln lassen kann.

Tödlicher Versorgungsmangel

Während privatversicherte Patient*innen oder bar Zahlende in der Regel eine gute Versorgung bekommen, können die bürokratischen Hürden des staatlichen Gesundheitssystems tödliche Folgen haben.

Exemplarisch ist der Fall des Bruders einer Ärztin der Panamédica, der an Lupus erkrankt war, einer systemischen Autoimmunkrankheit. Obwohl seine Krankenakte im größten staatlichen Krankenhaus, dem Centro Médico, bereits vorlag, wurde dort seine Aufnahme verweigert, weil er kein Mitglied der Seguro Social war. Er musste deshalb in das benachbarte Hospital General gebracht werden, das ebenfalls für über die Seguro Popular Versicherte offen ist. Allerdings gab es in diesem Krankenhaus nicht die medizinischen Möglichkeiten, die es im fachlich spezialisierten Centro Médico gegeben hätte und die für die Rettung des Jungen nötig gewesen wären, so dass er dort starb.

Bürokratische Hürden zu vermeiden und eine gute Gesundheitsversorgung für alle zugänglich zu machen, sind Ziele der Panamédica. Als selbstständig wirtschaftendes Kollektiv sind sie nicht an das staatliche Gesundheitssystem angeschlossen und erhalten keinerlei öffentliche Gelder. Stattdessen sind sie im landesweiten Kooperativenverbund ALCONA (Alianza Cooperativa Nacional) organisiert, in dem 265 mexikanische Kooperativen zusammengeschlossen sind.

Kollektive füllen Lücke in Gesundheitsversorgung

Zwischen einem staatlichen Gesundheitssystem, das zu bürokratisch und sehr oft überlastet ist, und einer privaten Gesundheitsversorgung, die sich nur die wenigsten leisten können, sind es Kooperativen wie die Panamédica, die zumindest innerhalb ihres Einflussbereichs den Menschen helfen können.

Damit tragen sie dazu bei, das Recht auf Gesundheit, das in Artikel vier der mexikanischen Verfassung verankert ist, dort um zu setzen, wo ein Zugang zu den institutionellen Gesundheitssystemen nicht oder nur sehr schwer möglich ist.

(Foto: Katja Fritsche)

 

Vergleiche hierzu auch den Audiobeitrag der Autorin im Rahmen der Kampagne http://www.npla.de/de/onda/serien/menschenrechte/content/1104 kostenlos angehört oder heruntergeladen werden kann.

CC BY-SA 4.0 Panamédica – Ein ÄrztInnenkollektiv und das Recht auf Gesundheit von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

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