WikiLeaks: Colom bezeichnet Menchú als „Konstrukt“

von Louisa Reynolds

(Lima, 18. März 2011, noticias aliadas).- Laut einem von Wikileaks veröffentlichten Dokument hat der guatemaltekische Präsident Álvaro Colom die Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú als “ein Konstrukt” der französischen Anthropologin Elizabeth Burgos bezeichnet. Die Organisation Wikileaks, die Schriftstücke von öffentlichem Interesse publiziert, hat das diplomatische Dokument am 16. Januar 2011 veröffentlicht.

Aus dem vom Ex-Botschafter der Vereinigten Staaten in Guatemala, James Derham, unterschriebenen Schriftstück geht hervor, dass Colom diese Aussage während der Verabschiedung Derhams im Juli 2008 gemacht hatte.

Burgos transkribierte eine Reihe von Interviews mit Menchú und verarbeitete sie in der autobiographischen Erzählung „Me llamo Rigoberta Menchú y así me nació la conciencia“ (Ich heiße R.M. und so entstand ein Bewusstsein in mir), die 1983 publiziert wurde.

Colom wird zitiert wie er Menchú beschuldigt, die Maya-Gemeinden der Kiché zu manipulieren, die sich dem Bau eines Zementbetriebs in San Juan Sacatepéquez widersetzen.

Proteste gegen Zementwerk

In den letzten vier Jahren haben indigene Gemeinden ihren Unmut gegenüber der guatemaltekischen Firma Cementos Progreso Ausdruck verliehen. Im Mai 2007 führten sie eine Volksabstimmung durch, in der 8.948 Personen gegen das Projekt stimmten und nur vier dafür.

Der Widerstand gegen das Projekt basiert auf der Tatsache, dass die Zementproduktion große Mengen an Wasser erfordert und die Gemeinden fürchten, dass die örtlichen Grundwasservorkommen austrocknen und sie so dieser lebensnotwendigen Ressource beraubt werden. Zusätzlich erzeugt die Anlage Staub, der Atemwegserkrankungen unter der lokalen Bevölkerung hervorruft.

Spannungen am Siedepunkt

Die Spannungen zwischen der Regierung und der Bevölkerung in San Juan Sacatepéquez erreichten im Juni 2008 den Höhepunkt – einen Monat vor dem Abschiedsempfang von Derham. Wenige Tage nachdem die Polizei 47 Anführer der Gemeinde festgenommen hatte, wurde Francisco Tepeu Pirir, der von der Gemeinde beschuldigt wurde von Cementos Progreso Bestechungsgelder für die Unterstützung des Projekts angenommen zu haben, von einem aufgebrachten Mob in San Antonio Las Trojes gelyncht. Daraufhin schickte die Regierung Truppen nach San Juan Sacatepéquez.

Das Militär wurde in diesem Zusammenhang beschuldigt die Menschenrechte der indigenen Bevölkerung verletzt zu haben, sexuelle Belästigung von Frauen und willkürliche Razzien ohne richterlichen Beschluss mit eingeschlossen. Menchú und andere Intellektuelle der Maya übten während des Konflikts schwere Kritik an der Regierung Coloms. Die Kommentare des Präsidenten an den Diplomaten entstanden wenig später.

Während des Gesprächs mit Derham hat Colom Wikileaks zufolge Menchú beschuldigt, „teilweise verantwortlich“ zu sein für die Gewalt, die in der Gemeinde ausgelöst wurde. Außerdem soll er gesagt haben, dass Menchú von der Maya-Bevölkerung abgelehnt worden sei, als sie sich 2007 für die Präsidentschaft beworben hatte, da sie in ihrem Geburtsbezirk Quiché nur 5.026 Stimmen erhalten hatte.

Die Regierung mit dem “Antlitz der Maya”…

Nachdem die guatemaltekische Presse das diplomatische Dokument Anfang dieses Jahres veröffentlicht hatte, erklärte Menchú: „Es tut mir leid, dass sich ein Präsident in einer solchen Lage befindet. Wenn es wahr ist was er gesagt hat, ist das für mich sowohl ein Mangel an Respekt als auch an Erziehung.“

Am folgenden Tag, während der Vereidigung neuer Mitglieder der präsidialen Kommission gegen Diskriminierung und Rassismus (Comisión Presidencial Contra la Discriminación y el Racismo) sagte Colom, dass er Menchú in einem früheren Telefongespräch wegen des Vorfalls um Entschuldigung gebeten hätte.

“Wir hatten zu Frau Rigoberta Menchú stets eine ausgezeichnete Beziehung und ich habe sie um Entschuldigung gebeten, als es dieses Missverständnis seitens des Ex-Botschafter der Vereinigten Staaten gab. Ich habe ihr meinen Respekt gezollt und es war wie immer ein herzliches Gespräch.“, so Colom.

…entpuppt sich als peinliche Farce

Nichtsdestotrotz war dieser Vorfall peinlich für Colom, der im Jahr 2009 die Präsidentschaft angenommen hatte und dabei versprochen hatte „eine Regierung mit einem Gesicht der Maya“ zu bilden und an einer traditionellen Zeremonie teilgenommen hatte, in der er von spirituellen Anführer*innen der Indigenen vermutlich zum Schamanen gekürt wurde.

Aber in Wirklichkeit hat die Politik seiner Partei, der Nationale Union der Hoffnung UNE (Unión Nacional de la Esperanza) sehr wenig für die Rechte der Indigenen getan und den Gesuchen der Maya-Gemeinden so gut wie keine Aufmerksamkeit geschenkt.

Im Jahr 2007 hatten Bauernverbände eine Gesetzesinitiative eingebracht, welche die landwirtschaftliche Arbeit fördern, die kleinen Landbesitzer*innen und das heimische Saatgut schützen sowie ein Ministerium für ländliche Entwicklung gründen sollte. Doch dieser Gesetzentwurf liegt aufgrund des Widerstandes des Privatsektors im Kongress auf Eis. Der Fehlschlag der Genehmigung des Gesetzes wurde von den Verbänden als Verrat der Regierung Colom betrachtet und hatte zahlreiche Proteste ausgelöst.

Den Volksentscheid betreffend, hat die Regierung kürzlich eine Regelung vorgeschlagen, mit der die Befragung der Bevölkerung ermöglicht werden soll, so wie es im Abkommen 169 über indigene Völker und Stämme von der internationalen Arbeitsorganisation OIT (Organización Internacional del Trabajo) festgelegt wurde.

Guatemala hatte den Abkommen 169 im Jahr 1996 ratifiziert, doch bisher wurde es nicht umgesetzt, da laut Verfassung zuerst eine entsprechende Regelung bewilligt werden muss.

Seitdem haben die Maya-Gemeinden 50 Volksentscheide realisiert, aber keiner ist legal bindend, da diese Regelung eben noch nicht bewilligt wurde.

Allerdings sind die indigenen Organisationen auch mit der nun von der Regierung vorgeschlagenen Regelung unzufrieden. Sie schränke das Recht auf die Befragung ein und widerspreche so der Absicht des Abkommens 169 der OIT. Für die indigenen Gemeinden klingt das Versprechen Coloms, eine Regierung mit “dem Antlitz der Maya” zu bilden daher hohl.

(Rigoberta Menchu. Foto: Wikimedia)

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