Wie fair ist „Fair“ gehandelter Kaffee?

von Thomas Guthmann

(Berlin, 26. Mai 2010, npl).- Interview mit Christopher Bacon* zu Fairem Handel und Kleinproduzent*innen von Kaffee

Kaffee ist eines der am häufigsten fair gehandelten Produkte auf der Welt. Nahezu alle Supermarktketten führen inzwischen fair gehandelten Kaffee in ihrem Sortiment. Doch wie fair ist dieser Kaffee? Die Koordinierungsstelle der Kleinproduzent*innen für den Fairen Handel in Lateinamerika und der Karibik CLAC (Coordinadora Latinoamericana y del Caribe de Pequeños Productores) veröffentlichte 2007 eine Studie, die zu dem Schluss kommt, dass die Preise im Fairen Handel seit langem nicht mehr den Kosten entsprechen. Der Faire Handel bezahlt seinen Handelspartner*innen im Süden einen garantierten Mindestpreis von rund 1,30 US-Dollar pro Pfund Kaffee. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass der Preis viel höher liegen müsste. Würde man allein die Inflationsrate berücksichtigen, müsste der Preis bei zwei US-Dollar liegen. Denn seit 1988 wurden die Preise im Fairen Handel kaum erhöht. Die Radioredaktion des Magazins onda-info sprach mit dem Autor der Studie, Christopher Bacon (nachzuhören im onda-info 234).

Wie ist die Situation der Kleinproduzent*innen von Kaffee in Lateinamerika?

Christopher Bacon: Die Bedingungen sind schwierig und haben sich in den vergangenen Jahren eher verschlechtert. Bei Studien zur Situation der Kleinbauern und Kleinbäuerinnen in Mexiko und Zentralamerika, an denen ich beteiligt war, hat sich herausgestellt, dass es in vielen Regionen eine Hungerperiode gibt, die „meses de vacas flacas“, Monate der dürren Kühe, genannt werden. In dieser Zeit haben die Bauern und Bäuerinnen und ihre Familien nicht genug zu essen. Gewöhnlich sind das zwei bis vier Monate im Jahr. Für die Kleinproduzent*innen von Kaffee bedeutet das Weitermachen um zu überleben eine große Anstrengung. Dadurch bewahren sie die kulturelle und soziale Vielfalt in ihrer Region. Viele der Kleinproduzent*innen gehören indigenen Gruppen an, wie z.B. im Süden Mexikos, in Ecuador oder in Guatemala. Und sie sind wichtige Garant*innen der Biodiversität, wie wir feststellen konnten. Bei 34 untersuchten Kleinplantagen in Nicaragua beispielsweise haben wir über hundert verschiedene Baumarten gefunden. Mindestens acht davon waren bedrohte Arten

Wie kann der Faire Handel dazu beitragen, deren Situation zu verbessern?

Christopher Bacon: Das ist eine gute Frage. Fair Trade hat historisch bei der Stärkung von kleinbäuerlichen Organisationen eine sehr wichtige Rolle gespielt, er hat kleinen Kooperativen den Zugang zum Markt ermöglicht und ihnen Werkzeuge in die Hand gegeben, um sich besser zu organisieren. Man könnte sagen, der Faire Handel hat das soziale Kapital der Kleinproduzent*innen erhöht. Dabei war er sehr wichtig. Dennoch gibt es weiterhin Hunger in den Anbaugebieten und eine große Unsicherheit, was die Lebenssituation der Produzent*innen betrifft. Es gibt viel, was der Faire Handel hier tun könnte. Eine Maßnahme wäre, mit den Kooperativen zusammen an der Diversifizierung von deren Einkommen zu arbeiten und die Ernährungssouveränität der Produzent*innen sicherzustellen. Oder den Fair Trade-Mindestpreis erhöhen, der momentan kein Niveau erreicht, bei dem die Existenzgrundlage der Bauern und Bäuerinnen nachhaltig gesichert ist.

Der Faire Handel behauptet aber doch, dass vom Fairen Handel bezahlte Preis den Kaffeeproduzent*innen ein würdiges Auskommen ermöglicht. Wenn das, was Sie sagen stimmt: Warum wird der Preis dann nicht erhöht?

Christopher Bacon: Die Studie, die wir 2007 durchgeführt haben, hat gezeigt, dass sich der Preis im Fairen Handel seit 12 Jahren nicht erhöht hat. Das bedeutet, dass der echte, von der Inflation bereinigte Preis, gesunken ist. Und zwar bedeutend. Während der Preis aus dem Fairen Handel gleich geblieben ist, sind im selben Zeitraum die Mindestlöhne in Lateinamerika um 40 Prozent angestiegen. Fair Trade ist zwar immer noch ein besserer Deal als kein Fairer Handel. Wenn wir aber den Fairen Handel genauer betrachten, müssen wir feststellen, dass er nicht mehr so fair ist, wie er einmal war. Tatsache ist, dass die Preise gesunken sind. Warum da nichts passiert, ist die Frage, die die Zivilgesellschaft, die Konsument*innen und die Bürger*innen, all jenen, denen der Faire Handel etwas bedeutet, den Fair Trade-Unternehmen stellen müssen. In letzter Zeit wurde sogar darüber diskutiert, den Mindestpreis zu senken. Hier muss Druck ausgeübt und gesagt werden, dass der Preis jetzt schon nicht mehr die Lebenshaltungskosten deckt. 2010 soll der Preis neu verhandelt werden. Es ist eine Tatsache, dass die Vorstände des Fairen Handels, die in den Zertifizierungsorganisationen den Preis festlegen, die Möglichkeit haben den Preis zu ändern.

Wenn man Fair Trade-Unternehmen in Deutschland auf eine Preiserhöhung anspricht, weisen diese meistens darauf hin, dass der Preis deswegen nicht erhöht werden kann, weil der konventionelle, nicht fair gehandelte Kaffee in den Supermärkten so billig erhältlich ist. Das Argument des Fairen Handels ist, dass die Konsument*innen nur bis zu einem bestimmten Betrag über den normalen Preis mitgehen und nicht bereit sind jeden Preis zu bezahlen. Deswegen, so die Importeur*innen von Fairem Kaffee, können sie auch keinen höheren Preis bezahlen?

Christopher Bacon: Bei diesem Argument muss man zwei Dinge berücksichtigen. Zunächst wurde der Preis 2007/2008 um ungefähr zehn Prozent angehoben. Trotz des Anstiegs beobachte ich seither einen massiven Anstieg des Handelsvolumens im Fair Trade-Sektor, zumindest was die USA und Großbritannien anbelangt, aber auch in anderen Ländern. Zweitens mag es wahr sein, dass ein bestimmter Preis die Nachfrage dämpfen würde. Das ist aber spekulativ. Denn dazu gibt es bisher keine Untersuchungen. Aber wir müssen uns einer weiteren Frage stellen. Was bedeutet fairer Handel? Geht es darum, die Nachfrage eines bestimmten Marktes zu befriedigen, oder geht es darum, die Marktbeziehungen zu verändern und sie in mehr solidarisch orientierte zwischenmenschliche Beziehungen einzubetten, bei denen Konsument*innen, die auch Bürger*innen und Mensch zugleich sind, ihre Verantwortung gegenüber den Bauern und Bäuerinnen erkennen? Es geht um eine Perspektive, bei der sich der Preis nicht an der New Yorker Kaffeebörse orientiert, sondern an den grundlegenden Bedürfnissen der Produzent*innen. Dazu muss sich der faire Handel bekennen, und ich würde mir da einen tiefer gehenden Dialog wünschen.

Hat der Faire Handel wirklich das Potenzial, die Bedingungen des Handels zu verändern, oder ist es nicht so, dass er gezwungen ist, innerhalb der etablierten Handelsbedingungen zu spielen und auch deswegen keine höheren Preise durchsetzen kann?

Christopher Bacon: Er hat sicherlich mit dem Ziel angefangen, die Handelsbedingungen zu verändern. Mit dem Weg, den er jetzt eingeschlagen hat, bestätigt er aber eher die Bedingungen, die der Faire Handel einst verändern wollte. Das muss er nicht tun. Er hat diese Richtung zwar eingeschlagen, aber Fair Trade darf sich den Bedingungen nicht anpassen, die er eigentlich verändern wollte. Aus meiner Perspektive muss er sich auf das zurückbesinnen, was in der offiziellen Definition des fairen Handels festgehalten ist. Von dieser Definition weicht er nun ab und versucht, sich dem Markt anzupassen, den er eigentlich verändern wollte. Was bedeutet das für die Zukunft des Fairen Handels? Vielleicht sollten wir ein langsameres Wachstum akzeptieren und uns dafür aber um bessere Handelsbeziehungen bemühen, die mehr Auswirkungen auf die Handelspartner*innen haben. Mit der Mainstream-Strategie kann man zwar Wachstum erzielen, aber nur um den Preis, dass die Standards gesenkt werden. Das ist die momentane Situation. Und die Produzent*innen sind direkt davon betroffen.

Was bedeutet das nun in Punkto Preiserhöhung? Sollten die Preise auf zwei US-Dollar erhöht werden? Besteht dann nicht die Gefahr, dass die Fair Trade-Unternehmen auf dem Kaffee sitzen bleiben?

Christopher Bacon: Ich sage nicht, dass der Preis sofort auf zwei US Dollar steigen sollte. Aber die Frage einer tragfähigen Produktion benötigt eine Kalkulation, die die realen Kosten der Produzent*innen berücksichtigt. Wir brauchen eine Angleichung der Preise an die Kosten. Hier ist in den vergangenen zwölf Jahren zu wenig geschehen. Wir benötigen außerdem einen Mechanismus, der die Inflationsrate berücksichtigt. Hier könnte man die Preise automatisch jedes Jahr um zwei Prozent erhöhen. Das müsste nicht immer direkt an die Konsument*innen weitergegeben werden, da man sicher bei der Weiterverarbeitung Kosten senken könnte, also im Norden, bei der Verpackung oder der Röstung. Diese kleine Veränderung sollte eigentlich keiner Diskussion bedürfen. Ein anderer Aspekt, den die Konsument*innen berücksichtigen sollten, ist die Tatsache, dass fair gehandelter Kaffee qualitativ hochwertiger Kaffee ist, für den man als HerstellerIn einen besseren Preis erwarten darf. Es ist schon richtig, dass man kurzfristig nicht den Markt zerstören sollte, in dem man die Preise zu stark erhöht.

Sollen die Konsument*innen also einfach mehr für ihren Kaffee bezahlen?

Christopher Bacon: Was Fairer Handel bedeutet, hängt von allen ab, die daran beteiligt sind. Die Leute hier können als Kaffeetrinker*innen, Teetrinker*innen oder als Schokoladenesser*innen mitwirken. Sie können aber auch als Bürger*innen und als Lobbyist*innen für den fairen Handel auftreten. Was Fairer Handel für die Zukunft bedeutet, ist noch offen. Es kann bedeuten, dass er das Potenzial hat dahingehend zu verändern, dass Handelsbeziehungen in Prinzipien der Solidarität und ökologische Nachhaltigkeit eingebettet sind. Es kann aber auch bedeuten, dass die Handelsbeziehungen sich vorrangig auf den zertifizierten Austausch von Gütern beschränken und oberflächlich bleiben. Bei diesem Szenario wird sich der Faire Handel zunehmend seines sozialen und ökologischen Anspruchs entledigen. Ich möchte die Leute dazu ermutigen, sich in diese Debatte einzumischen.

Autor der Studie: Kostenanalyse und Preisvorschlag zur Unterstützung der Kaffeeproduktion, der Kaffee anbauenden Familien und der von Fairtrade zertifizierten Organisationen in Lateinamerika.

Die Studie ist beim NPLA als PDF-Datei im Internet erhältlich: http://www.npla.de/old/images/news/fair%20trade_studie.pdf

Das Interview mit Christopher Bacon kann im onda-info 234 nachgehört werden: http://npla.de/de/onda/content/1063

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