Viertgefährlichstes Land der Welt für JournalistInnen

von José Manuel Rambla

(Berlin, 23. Februar 2013, Otramérica).- Todesdrohungen an und Ermordungen von Journalist*innen lassen in Brasilien die Alarmglocken schrillen. Laut der Daten des amerikanischen Schutzkomitees für Journalist*innen CPJ (Comittee to Protect Journalists) war der aufstrebende Riese aus Lateinamerika für Reporter*innen 2012 das viertgefährlichste Land der Welt.

Als gefährlicher werden nur noch Syrien, Somalia und Pakistan eingestuft. In den Jahren 2011 und 2012 wurden in Brasilien mindestens zehn Journalist*innen umgebracht, seit dem Jahre 1992 sind es schon 24. 70 Prozent der Verbrechen gegen Journalist*innen, die seit 1992 geschehen sind, warten noch immer auf Aufklärung.

Arbeitsgruppe zur Verbesserung der Situation

Um diese Situation zu analysieren und ihr entgegenzuwirken, traf sich im Februar in Brasilia die Arbeitsgruppe zum Schutz der Menschenrechte von Journalist*innen, eine Organisation, die im vergangenen Jahr gegründet wurde. Sie ist angebunden an den Rat zum Schutz der Menschenrechte CDPH (Consejo de Defensa de los Derechos de las Personas Humanas). Das Ziel der 13 Mitglieder ist es, die Situation zu diagnostizieren und die nötigen Gegenmaßnahmen in die Wege zu leiten. Um dies zu erreichen haben sie sechs Monate Arbeit vor sich, in denen sie etwa 50 Dossiers analysieren müssen, die meisten davon bezüglich Todessdrohungen gegen Journalist*innen, die in mutmaßlichen Fällen von Korruption recherchierten.

Untersuchungen zu zwei Mordanschlägen des Jahres 2012

Unter den von der Arbeitsgruppe untersuchten Fällen finden sich auch die Mordanschläge auf Mario Randolfo Marcos Lopes sowie Décio Sá, zwei der im Jahr 2012 Ermordeten. Beide teilten die gleiche Art der Verletzlichkeit, die den meisten registrierten Opfern gemein ist: Sie alle übten den Beruf des Journalismus in vergleichbar kleinen Ortschaften aus und arbeiteten größtenteils via unabhängiger Internetblogs, ohne im Schutz der großen Medien zu stehen.

Randolfo arbeitete in der kleinen Gemeinde Vassouras im Bundesstaat Rio de Janeiro. Dort hatte er das Webportal Vassouras Na Net gegründet, über welches er mehrfach das Vorgehen diverser korrupter Beamter denunzierte. Eine seiner bemerkenswertesten Recherchen betraf die Existenz eines mutmaßlichen Netzwerks von Auftragsmördern mit Verbindungen zu einem ehemaligen hohen Beamten der Polizei.

Der erste Anschlag auf den Journalisten Randolfo wurde im Juli 2011 verübt, als ein Bewaffneter die Redaktion betrat, in der er arbeitete und ihm in den Kopf schoss. Randolfo überlebte das Attentat nach drei Tagen im Koma; bisher ist dafür noch niemand zur Rechenschaft gezogen worden. Sobald er sich von seinen Verletzungen erholt hatte, entschied sich der Journalist, in das von Vassouras etwa 25 Kilometer entfernte Barra do Piraí umzuziehen. Von dort aus führte er seine Reihe von öffentlichen Anklagen fort, bis er in der Nacht des achten Februars 2012 mit seiner Partnerin María Aparecida Guimarães von Auftragskillern verschleppt wurde. Am nächsten Morgen tauchten ihre Leichen an einer Autobahn auf. Bis heute haben die polizeilichen Ermittlungen noch keine Ergebnisse gebracht. Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass 70 Prozent derartiger Straftaten, die seit 1992 verübt wurden, unaufgeklärt bleiben. Tatsächlich steht Brasilien laut CJP an elfter Stelle der Länder der Welt, was die Straffreiheit in solchen Fällen betrifft.

Die Täter im Fall von Decío Sá dagegen wurden festgenommen. Die Tatsache, dass Sá unter anderem für eine weithin bekannte Zeitung aus dem Bundesstaat Maranhão arbeitete, führte zu einer größeren medialen Berichterstattung über seinen Tod. Allerdings war es nicht seine Arbeit bei ebenjener Zeitung O Estado do Maranhão, welche der allmächtigen Familie des Senatspräsidenten José Sarney gehört, die seine Ermordung provozierte. Die heiklen Recherchen, die er durchführte, veröffentlichte er auf seinem 2006 erstellten, unabhängigen Blog de Décio. Es waren wohl seine exklusiven Berichte über den Mord an einem lokalen Unternehmer durch ein Netzwerk von Geldleihern, die in enger Beziehung mit der Lokalregierung sowie der Polizei standen, die ihn in den Fokus des Interesses zogen.

Sá wurde in der Nacht des 23. April vergangenen Jahres auf der Terrasse einer Bar, der Estrela do Mar de São Luis, niedergeschossen. Im Juni 2012 wurden José Alencar sowie dessen Sohn Glaucio, Anführer ebenjener Geldleiher, auf die die Recherchen sich bezogen, als Täter festgenommen. Außerdem wurden fünf weitere Personen verhaftet, unter ihnen einen Polizeihauptmann, der vermutlich die Tatwaffe bereitgestellt hatte.

Exil oder Untergrund als Alternative

Andere Reporter*innen hatten im vergangenen Jahr mehr Glück. Mauri König und André Caramante konnten zum Beispiel im Februar vor den dreizehn Mitgliedern der Arbeitsgruppe zum Schutz der Menschenrechte von Journalist*innen aussagen. Sie konnten weiteren Todesdrohungen entgehen, indem sie ins Exil gegangen beziehungsweise untergetaucht sind. König übte seinen Beruf in der Zeitung Gazeta do Povo im Bundesstaat Pará aus. Auf deren Seiten begann er, eine Serie von Reportagen über verschiedene Fälle von Korruption zu veröffentlichen, die die Zivilpolizei betrafen. Nach kurzer Zeit erhielt er anonyme Briefe und Morddrohungen. Unter diesem Druck beschloss der Journalist, gemeinsam mit seiner Familie an einen sicheren Ort unterzutauchen.

André Camarante seinerseits schreibt für die einflussreiche Tageszeitung Folha de São Paulo. Dort erstellte er einen Bericht über die Internetaktivitäten des ehemaligen Kommandanten der umstrittenen Elitegruppe der Militärpolizei von São Paulo, Paulo Telhada. Der vor kurzem zum Ratsmitglied gewählte Telhada nutzte seinen Facebook-Account um zur Gewalt aufzurufen. Kurz nach der Publikation erhielt Camarante die ersten telefonischen Drohungen. Im Angesicht dessen entschied die Tageszeitung, den Journalisten von außerhalb weiterarbeiten zu lassen.

Unterschwellige Zensur gefährdet Meinungsfreiheit

Aber Drohungen sind nicht die einzigen Probleme, mit denen sich die brasilianischen Journalist*innen konfrontiert sehen. Tatsächlich, so sagt die Organisation Reporter ohne Grenzen, ist Brasilien auf ihrer Rangliste der Meinungsfreiheit um 41 Positionen nach unten gerutscht. Das Land steht nun auf dem 108. Platz einer Liste von insgesamt 179 Ländern. Zusätzlich zu Gewalttaten existiert eine subtile Form der „gerichtlichen Zensur“, die durch gegen Journalist*innen erhobene Anzeigen wegen angeblicher Verletzung der Privatsphäre geschieht. In Wirklichkeit stellen diese Anzeigen nichts anderes als Stolpersteine auf dem Weg des professionellen Journalismus dar. Nach Schätzungen des CPJ ordneten brasilianische Gerichte im Jahr 2012 in 191 Fällen an, bereits veröffentlichte Inhalte zu löschen. Dadurch erzeugten sie nach Auffassung vieler Reporter*innen eine tatsächliche „Rechtsunsicherheit“.

Dringende Maßnahmen erforderlich

Während die Arbeitsgruppe für die Menschenrechte von Journalist*innen am Abschlußbericht arbeitet, sind es nicht wenige, die konkretere und dringendere Maßnahmen fordern. Eine davon wäre die endgültige Verabschiedung des Gesetzes PL 1078/2011. Würde dieses Gesetz in Kraft treten, müssten die Verbrechen gegen Journalist*innen, die nicht nach 90 Tagen aufgeklärt werden, an ein Bundesgericht übergeben werden. Die Bearbeitung des Vorschlags im Abgeordnetenhaus schreitet allerdings bisher nicht voran. Daher bestehen Vertreter*innen des landesweiten Verbandes der Journalist*innen FENAJ (Federação Nacional dos Jornalistas) sowie der Gewerkschaftsvereinigung der Arbeiter*innen in der Radio- und Fernsehkommunikation auf der Notwendigkeit, konkrete Maßnahmen in Gang zu bringen, die es erlauben die Situation zu verbessern.

Stellungnahme der Regierung

Einstweilen besteht die Regierung darauf, dem Problem auf ihre Art zu begegnen. Das betonte die brasilianische Menschenrechtsministerin Maria do Rosário, die die Weiterverfolgung der speziellen Fälle, an der die erwähnte Arbeitsgruppe arbeitet, besonders hervorhob. Die Ministerin räumte ein, dass in vielen dieser Vorfälle Teile des Staatsapparates verwickelt seien und betonte die Notwendigkeit, die involvierten Beamten aus ihren Funktionen zu entfernen. Außerdem wies do Rosário darauf hin, dass die verantwortlichen Polizisten Anweisungen erhalten würden, die Aufklärung der besagten Fälle mit besonderer Priorität zu behandeln.

Bis sich auf konkrete Maßnahmen geeinigt wird, müssen unterdessen nicht wenige unabhängige Journalist*innen verloren in den kleinen Ortschaften Brasiliens unter dem Druck von Morddrohungen weiter arbeiten.

 

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