Poonal Nr. 602

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 9. Dezember 2003

Inhalt


NICARAGUA

GUATEMALA

HONDURAS

COSTA RICA

KOLUMBIEN

VENEZUELA

BRASILIEN

ECUADOR

ARGENTINIEN

LATEINAMERIKA


NICARAGUA

Ex-Präsident Alemán zu 20 Jahren Haft verurteilt

(Managua, 8. Dezember 2003, adital-alc-poonal).- Der ehemalige Präsident Arnoldo Aleman ist wegen Geldwäsche und anderer Vergehen zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Aleman hatte während seiner Amtszeit von 1997 bis zum Januar 2002 mehr als 100 Millionen US-Dollar öffentlicher Gelder für den Wahlkampf seiner Partei veruntreut. Außerdem wurde im die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Unterschlagung und Betrug vorgeworfen. Er muss zudem 10 Millionen Dollar Strafe zahlen.

Alemán saß seit August in Untersuchungshaft, wurde dann aber nach einer entsprechenden Entscheidung der Strafrichterin Juana Méndez Ende November entlassen. Dieser Beschluss war bei vielen Nicaraguaner*innen auf Empörung gestoßen. Bis zur Verurteilung stand Alemán dann unter Hausarrest in seiner Hacienda „Los Chiles“, 30km südlich von Managua. Aufgrund seines angeblich schlechten Gesundheitszustandes muss er nicht wieder ins Gefängnis und wird also auch weiterhin auf seiner Finca leben können. Dennoch kritisierte der Verteidiger des Ex-Präsidenten, Mauricio Martínez, das Urteil und kündigte an, in Berufung zu gehen. „Wir haben eine Schlacht verloren, aber nicht den Krieg“, sagte der Rechtsanwalt.

Nach der Freilassung im November wurde insbesondere unter der Bevölkerung des Ortes, an dem sich das Gefängnis befindet, und von Seiten der evangelischen Kirche Kritik laut. Politische Beobachter, Berufstätige, Frauen und Student*innen machten die Politiker für die in ihren Augen unmögliche Entscheidung verantwortlich. Bislang hatte Alemán von der Richterin sogar die Erlaubnis gehabt, sich frei im ganzen Bezirk bewegen zu können und in die Hauptstadt zu reisen.

Der Pfarrer der evangelistischen „Iglesia de Dios“ William González sagte, dass die Freilassung des Häftlings Alemán ein schwerer Fehler gewesen sei, da die Bürger*innen auf diese Weise ihren Glauben an das Gesetz und die Justiz verlören. Der Häftling Alemán hätte vor dem Gesetz unter denselben Bedingungen behandelt werden müssen wie jeder andere auch. Wenn es sich dagegen zeigen werde, dass die Freilassung Alemáns aus dem Gefängnis auf Grund einer Einigung zwischen der Liberalen Partei, den Sandinisten und dem „Christlichen Weg“ (mit evangelischer Orientierung) zustande gekommen sei, hätte dies gravierende Folgen für Nicaragua, fügte González hinzu. Auf diese Weise würde wieder einmal bestätigt, dass die Justiz mit Geld und Macht erkauft werden kann.

Daniel Ortegas sandinistische FSLN hatte sich in den letzten Wochen kurzzeitig mit Alemáns liberaler Partei verbündet. Der Präsident Enrique Bolaños hatte sich mit der Botschaft an die Nation gerichtet, dass ein wahrer Führer sein Volk nicht verrate. „Aus diesem Grund muss man in Nicaragua genau beobachten, wie sich die Führenden verhalten, ob sie ihre eigenen Interessen verfolgen oder die ihres Volks. Wir alle wissen, wer den Ex-Präsidenten Alemán auf freien Fuß gesetzt hat, wer die nicaraguanische Justiz schädigt. Die ethisch-moralische Krise unseres Landes wird von Führern wie Ortega und Alemán hervorgerufen“, fuhr Bolaños fort.

GUATEMALA

Stichwahl wird zur Schlammschlacht

Von Andreas Behn

(Berlin, 7. Dezember 2003, npl).- Der zweite Wahlgang um die Präsidentschaft in Guatemala verkommt zur Schlammschlacht. Die beiden Kandidaten Oscar Berger und Alvaro Colom, die am 28. Dezember in einer Stichwahl gegeneinander antreten werden, üben sich gleichermaßen in Pöbeleien und diffamierenden Anwürfen gegen den Konkurrenten. Gerne werden auch Familienmitglieder des Gegenüber beschimpft, oder es werden ihnen Verbindungen zu kriminellen Kreisen unterstellt.

Die ständigen Schläge unter die Gürtellinie riefen jetzt Nichtregierungs-Organisationen auf den Plan: Die Plattform „Mirador Electoral 2003“ rief die Kontrahenten zur Mäßigung auf und organisierte eine Kampagne, die die Parteien zur Einhaltung der Normen zwingen soll. Die Kandidaten selbst erklärten unschuldig, sie seien Opfer einer Kampagne „der anderen“.

Der Unternehmer Berger kandidiert für die konservative Partei GANA (Gran Alianza Nacional) und hat den ersten Wahlgang am 9. November mit 34 Prozent der Stimmen gewonnen. Alvaro Colom von der Mitte-Rechts-Partei UNE (Unidad Nacional de la Esperanza) erreichte 26 Prozent. Auch derzeit liegt Berger, der vor allem von Unternehmerseite, den Medien und der reichen Oligarchie des mittelamerikanischen Landes unterstützt wird, in Umfragen wieder klar in Führung. Colom hingegen stützt sich auf Gewerkschaftskreise und Teile der Linken, deren Kandidaten traditionell bei Präsidentschaftswahlen keine nennenswerte Rolle spielen.

Wer auch immer das Rennen macht, es wird keine einfache Regierungsperiode werden. Guatemala ist vollkommen herunter gewirtschaftet, und vier Jahre erzkonservative Regierung unter dem nicht gerade besonders fähigen FRG-Präsidenten Alfonso Portillo haben das Land, das noch unter den Folgen von 30 Jahren internem Krieg leidet, nicht gerade voran gebracht. Die Armut nimmt zu, es gibt Unterernährung auf dem Land, Arbeitslosigkeit und an vielen Orten ein sehr gewalttätiges Klima. Im jüngsten UN-Bericht zur Welternährung rangiert die Entwicklung in Guatemala sogar noch hinter Haiti, dem ärmsten Land Amerikas, wo wenigstens gewisse Anstrengungen zur Besserung der Lage unternommen werden.

Wenn am 14. Januar der neue Präsident vereidigt wird, ändert sich auch für eine weitere prominente Person in Guatemala der Rechtszustand. Efrain Ríos Montt, der von 1982 bis 1983 das Land als Militärdiktator regierte und für den Tod von Tausenden Menschen verantwortlich zeichnet, wird dann erstmals kein offizielles Staatsamt mehr ausüben. Noch unter Portillo war Ríos Montt – der eigentliche starke Mann im Lande – Parlamentspräsident und genoss als solcher Immunität vor Strafverfolgung. Im kommenden Jahr könnte die Justiz erstmals gegen ihn vorgehen, sowohl in Guatemala als auch in Spanien liegen Klagen wegen Völkermord und Kriegsverbrechen gegen den Ex-General vor.

Doch ob es zu einem Verfahren kommen wird, ist höchst zweifelhaft. Auch wenn sowohl Berger wie auch Colom in Zukunft eher dem Bürgertum und Unternehmerkreisen mehr Macht einräumen werden, ist das guatemaltekische Militär, dass unter der FRG-Regierung immer neue Privilegien erhielt, ein kaum zu überwindender Machtblock. Auch die Hoffnung, dass die Verfahren in den bekannten Mordfällen an der US-Anthropologin Myrna Mack und an dem Bischof Gerardi voran kommen, könnte angesichts der erzreaktionären Machteliten in Guatemala schnell enttäuscht werden. Sollte wenigstens das Gewaltklima und die Militarisierung, die im Zuge des Wahlkampfes von Ríos Montt noch zunahm und allein während des Wahlkampfes 30 Menschen das Leben kostete, zurückgehen, wäre dies schon ein positives Signal.

Kongressabgeordnete stimmen für Verdoppelung ihrer Bezüge

(Guatemala-Stadt, 3. Dezember 2003, cerigua-poonal).- Hunderte von Männern und Frauen marschierten zum Kongress der Republik und forderten die „Landesväter“, die sie als „Abgeordnetenschweine“ bezeichneten, dazu auf, die Vereinbarung 44-2003 über die Erhöhung der Abgeordnetengehälter um ungefähr 15.000 Quetzales (ca. 1500 Euro) außer Kraft zu setzen.

Die Demonstranten trugen 113 Plastikschweinchen in mehreren Farben, die die Abgeordneten der verschiedenen Lager im Kongress darstellten. Diese hätten sich für die Protestierenden als „Schweine“ entpuppt, indem sie sich diese „saftige Gehaltserhöhung“ selbst bewilligten.

„Die echten Tiere mögen es uns verzeihen, dass wir sie mit den Abgeordneten vergleichen“, meinte Sandra Morán, Vertreterin des Frauenforums Sector de Mujeres. Sie bezeichnete das Verhalten der 113 Abgeordneten als eine Verhöhnung der Tausenden von Jungen und Mädchen, die wegen mangelnder ärztlicher Betreuung aufgrund des niedrigen Krankenhausbudgets sterben.

Für Morán ist diese Gehaltserhöhung, die sich die Abgeordneten selbst verpassten, eine Beleidigung der Guatemaltekinnen und Guatemalteken. Schließlich sei es die Aufgabe der Abgeordneten, dem Volk zu dienen und sich nicht bei ihm zu bedienen. Außerdem appellierte sie an die Kongressabgeordneten, die im kommenden Jahr ihr Amt neu aufnehmen, nicht in die Fußstapfen derer zu treten, die diesen Kreis nun verließen.

Am 27. November wurde die Vereinbarung auf Erhöhung der Abgeordnetendiäten einstimmig angenommen. Neben der Verdoppelung des Gehalts für die „Landesväter“ spricht es diesen auch das Recht auf eine Entschädigung zu, die alle vier Jahre gewährt wird. Die Entscheidung hat großen Unmut in verschiedenen organisierten Sektoren des Landes hervorgerufen, da sie es als einen Schlag ins Gesicht der Bevölkerung empfinden, dass sich die Abgeordneten eines so armen Landes selbst so hohe Gehälter gewährten.

900 Fälle innerfamiliärer Gewalt in Huehuetenango

(Huehuetenango, 2. Dezember 2003, cerigua-poonal).- Zeila de León, die Bezirkskoordinatorin der Nationalen Frauenbehörde ONAM (Oficina Nacional de la Mujer) berichtete, dass zwischen Januar und Oktober diesen Jahres mehr als 900 Fälle innerfamiliärer Gewalt angezeigt wurden. In den meisten Fällen handelte es sich um Angriffe gegen Frauen.

Die Institution habe neben der Aufnahme der Anzeigen die Aufgabe, die Opfer auf dem Weg zu einem Gerichtsverfahren zu begleiten. Nicht selten seien die Aggressoren die eigenen Ehemänner, meinte de León. In den letzten Jahren habe die Tendenz zu Gewalttaten angehalten. Es sei jedoch augenfällig, dass sich die Opfer häufiger an die Institutionen wendeten, um Anzeige zu erstatten, was früher nicht üblich gewesen sei, fügte sie hinzu.

Erstmals Frau an Wahlen indigener Behörden beteiligt

(Sololá, 2. Dezember 2003, cerigua-poonal).- Am vergangenen Sonntag (7.12.) wurden die neuen indígenen Behörden für die Wahlperiode 2004/ 2005 in Sololá gewählt. Erstmals wurde die patriarchalische Tradition durchbrochen, weil sich eine Frau aus dem Dorf El Tablón für ein Führungsamt zur Wahl gestellt habe, teilte der Bürgermeister Manual Tuy Cosigua mit.

Tuy stellte die historische Tragweite dieses Ereignisses heraus, dass eine Frau an der indígenen Korporation teilnehme. Dies zog auch die Aufmerksamkeit von Frauenorganisationen des Bezirks auf sich.

An der Wahl werden neun Vertreter teilnehmen, die wiederum in ihren jeweiligen Gemeinden demokratisch gewählt wurden. Aus diesen Vorwahlen ist bereits der amtierende Bürgermeister vorgegangen, während die meisten übrigen Mitglieder von vier Kommissionen gewählt werden, so Tuy.

HONDURAS

Journalist ermordet

(Montevideo, 2. Dezember 2003, púlsar-comcosur).- Das Komitee der Angehörigen von Gefangenen und Verschwundenen in Honduras COFADEH (Comité de Familiares de Detenidos – Desaparecidos en Honduras) gab den Mord an dem Journalisten Germán Antonio Rivas bekannt. Rivas war ehemaliger Korrespondent von Radio América und der TV-Nachrichtensendung „Abriendo Brecha“ („Eine Bresche schlagen“) sowie geschäftsführender Miteigentümer der Fernsehgesellschaft Corporación Maya Televisión (Kanal 34) in der Stadt Santa Rosa de Copán. In den Achtzigerjahren war er ehrenamtlicher Mitarbeiter der Menschenrechtsbewegung in der Stadt.

Der Journalist war Leiter der Nachrichtensendung „CMV-Noticias“, die sich durch ihre kritische Berichterstattung über die Ansiedlung eines Bergbauunternehmens im Nationalpark „El Guisayote de Ocotepeque“ auszeichnet. Die Sendung stellte die Aktivitäten des Unternehmens aufgrund der ökologischen Auswirkungen für die Erhaltung der Naturreichtümer in Frage. Auch durch ihre Berichte über den Vieh- und Kaffeeschmuggel in der Grenzregion zu Guatemala war „CMV-Noticias“ aufgefallen.

Am Mittwoch (26.11.) wurde Rivas von Unbekannten durch einen Kopfschuss getötet, als er vor dem Gebäude des Fernsehkanals aus seinem Auto stieg. Im Februar 2003 hatte Germán Rivas einen Attentatsversuch unverletzt überlebt, nachdem er die Bergbaugesellschaft MINOSA (Compañía Minerales de Occidente) wegen der Einleitung von Zyanid in den Fluss Río Lara angezeigt hatte. Der Fluss versorgt die Stadt Santa Rosa de Copán mit Trinkwasser. Infolge dieser Anzeige hatte das honduranische Umweltministerium (Secretaría de Recursos Naturales y Ambiente) dem Unternehmen ein Bußgeld in Höhe von 58.800 Dollar auferlegt.

Der Mord an Rivas ist der erste dieser Art in der Geschichte des honduranischen Journalismus. „Der Mord an Journalisten ist der primitivste Weg, Meinungsfreiheit und das Recht auf Information zu beschneiden“, erklärten Mitglieder des Komitees der Angehörigen von Gefangenen und Verschwundenen in Honduras.

COSTA RICA

Zahl der angezeigten Sexualverbrechen hat sich verdoppelt

(San José, 5. Dezember 2003, sem-poonal).- Nach statistischen Erhebungen durch die Untersuchungs- und Rechtsabteilung der Nichtregierungsorganisation (NGO) „Casa Alianza“ in San José hat sich die Anzahl der Anzeigen wegen Sexualverbrechen im Vergleich zum Jahr 2002 mit 221 Fällen mehr als verdoppelt. Im Vorjahr wurden 96 Anzeigen registriert. Auch die Zahl der mutmaßlichen Täter war noch höher als im Vorjahr. Sie stieg von 110 auf 241 im laufenden Jahr.

Die Mehrheit der in Costa Rica wegen Sexualvergehen angezeigten Personen sind costaricanische Männer. Nach Informationen von „Casa Alianza“ lag die Ziffer im Jahre 2003 bei 58 Prozent aller angezeigten Fälle. Dies zeige, dass die sexuelle Gewalt nur bedingt auf den Sextourismus zurückzuführen sei, erklärte die NGO.

42 Prozent der Anzeigen betreffen Ausländer, unter anderem US-Amerikaner (9,5 Prozent) und Kolumbianer (3,7 Prozent). In 21,1 Prozent der Fälle konnte die Nationalität der ausländischen Täter nicht ermittelt werden.

KOLUMBIEN

120 Frauen in Barrancabermeja in diesem Jahr ermordet

(Bogotá, 1. Dezember 2003, adital).- Die Frauenvolksorganisation OFP (Organización Femenina Popular) hat zahlreiche Frauenmorde in Barrancabermeja angezeigt. In diesem Jahr wurden 120 Tötungsdelikte registriert. In 13 Fällen waren die Opfer Frauen, die in sozialen Bewegungen aktiv waren. So zum Beispiel die Leiterin des Frauenhauses der OFP, Esperanza Amarís Miranda, die am 16. Oktober ermordet wurde. Zeugen berichteten, dass drei bewaffnete Männer – allem Anschein nach Paramilitärs – in das Haus von Amarís eingedrungen seien, sie bedroht und gewaltsam in ein Auto geschleppt hätten. Minuten später sei Amarís in dem Fahrzeug ermordet und ihre Leiche auf die Straße geworfen worden.

Die OFP erklärt, dass es sich bei den 1764 Beschwerden, die bei der regionalen Ombudsstelle angezeigt wurden, bei 675 Fällen – das sind 38 Prozent – um Frauen gehandelt habe. Die illegale soziale Kontrolle durch paramilitärische Gruppen hinterlasse unzählige Frauen, die am Gesicht, an den Genitalien und den Gliedmaßen Schläge und Verletzungen davon tragen. Zahlreiche Frauen seien auch vergewaltigt worden.

Neben Amarís Miranda sei eine weitere Frau, Diana Patricia Pérez, an einem Baum erhängt aufgefunden worden. Eine andere Frau, Zenaida Cuellar Montero, die aus der Region Sur de Bolívar geflüchtet war, wurde gewaltsam aus ihrem Haus geholt und ermordet.

Nach Angaben der Organisation seien mindestens fünf zerstückelte Leichen in dem Fluss Magdalena aufgefunden worden. Offiziell wurden 61 Personen, die allesamt von ihren Müttern, Ehepartnern, Töchtern und Schwestern erfolglos gesucht werden, Opfer gewaltsamer Verschleppungen.

Die 40-jährige Amarís Miranda hatte vor ihrem Tod wiederholt Drohungen von paramilitärischen Gruppen erhalten. Die OFP hat deshalb nun gefordert, dass die von ihrer Organisation eingereichten Anzeigen untersucht werden.

VENEZUELA

Katerstimmung bei der Opposition nach Unterschriftensammlung

Von Irene León

(Caracas, 2. Dezember 2003, alai-poonal).- Die venezolanische Opposition hatte bei der Durchführung einer Volksabstimmung zum Widerruf des Mandates von Präsident Hugo Chávez mit einem überwältigenden Sieg gerechnet. Schon lange bevor sie mit der erneuten Sammlung von Unterschriften zur Forderung eines Referendums begonnen hatte, zeigten sich die Oppositionellen siegessicher und meinten, dass der Präsident und seine bolivarischen Revolutionäre „nach Kuba“ flüchten würden.

Allerdings gaben weniger Menschen als erwartet die Unterschrift ab. An manchen Orten ging fast niemand zur Abstimmung. Aus diesen Gründen entwickelte die Opposition ab dem zweiten Tag zahlreiche neue Strategien, um Leute anzulocken und die Ergebnisse zu verbessern. Bei der Nationalen Wahlkommission (Comisión Nacional Electoral) ging deshalb eine Lawine von Beschwerden über Unregelmäßigkeiten ein.

Den Leuten, die unterschrieben, wurde eine Betreuung von Kranken in bestimmten Hospitälern angeboten. Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes und privater Unternehmen wurden mit dem Verlust ihrer Stellen bedroht, falls sie die oppositionelle Kampagne nicht unterstützen würden. Verpflichtet zur Unterschrift wurden auch Altenheimbewohner und Patienten in psychologischer Betreuung. Des weiteren tauchte ein von einer privaten Agentur hergestellter Nachweis über die Echtheit des Personalausweises auf. Andere Beschwerden hatten die Einrichtung eines Parallelsystems zur Zählung der Stimmen, die Fälschung von Personalausweisen und der Formulare zur Sammlung der Unterschriften zum Thema.

Und es wurden Gerüchte gestreut, welche die Leute zur Unterschrift motivieren sollten: wenn Präsident Chávez weiter an der Macht bleibe, bestehe die Möglichkeit der Flucht des Kapital ins Ausland und einer zunehmenden Knappheit von Lebensmitteln, ein Bürgerkrieg könne sich entwickeln und die nationale Situation werde sich weiter verschlimmern. Die Unregelmäßigkeiten eskalierten weiter, aber der Generalsekretär der Organisation amerikanischer Staaten (OAS), Cesar Gaviria und einige US-amerikanische NGO, die als Beobachter der Unterschriftensammlung vor Ort waren, drückten ein Auge zu. Allerdings dokumentierte der Bericht der unabhängigen internationalen Kommission für die Nationale Wahlkommission mehrere Beispiele der schon erwähnten Unregelmäßigkeiten.

Am Ende der Unterschriftensammlung, die zwischen dem 28. November und dem 1. Dezember stattfand, rechnete die Regierung mit ungefähr zwei Millionen Unterschriften, während die Opposition mehr als dreieinhalb Millionen Stimmen zählte. Die große Differenz zwingt die Nationale Wahlkommission jetzt zu einer genaueren Untersuchung. Optimisten meinen, dass dieser Prozess einen Monat dauern könnte. Andere rechnen mit mehreren Monaten. Die Nationale Wahlkommission bekannte, dass es Unregelmäßigkeiten gab, die untersucht und geklärt werden müssen.

Für den Fall, dass die Opposition die erforderlichen 2,6 Millionen Stimmen bekommen hätte, um das Referendum zur Abstimmung des Widerrufs des Mandates von Chávez veranstalten zu können, wird die weitere zeitliche Planung auch von der Anzahl der Stimmen abhängig sein. Vor März 2004 jedoch wird sich nichts weiteres tun. Die Wahlkommission erklärte, ein möglicher Termin sei August 2004.

BRASILIEN

Schwarze Einwanderer ins Meer geworfen

(Sao Paolo, 2. Dezember 2003, adital-poonal).- Eine Woche vor den Feiern zum Nationaltag des Schwarzen Bewusstseins in Brasilien, dem 20. November, wurden schwarze Einwanderer vom Kapitän des Schiffes, der die Migranten transportierte, ins Meer geworfen. Einige Fischer konnten die Flüchtlinge an der pernambukanischen Küste retten.

Der Kapitän des Schiffes, das unter asiatischer Flagge fährt, befürchtete eine Anklage wegen des Transportes illegaler Einwanderer. Er löste das Problem, indem er sich von seiner menschlichen Fracht befreite. Gegenüber der Presse erklärte er, nichts von den Migranten an Bord gewusst zu haben. Nach der Aussage eines Fischers, der an der Rettung der Schiffbrüchigen beteiligt war, fotografierten einige Mitglieder der Besatzung eines anderen Schiffes unter zyprischer Flagge Szenen des Todeskampfes und der Hysterie. Es habe so geschienen, als würden sie sich amüsieren, sagte der Beobachter.

Demonstrierende Großgrundbesitzer festgenommen

(São Paulo, 3. Dezember 2003, adital-poonal).- Um den Marsch von 500 gegen den Großgrundbesitz protestierenden landlosen Landarbeitern nicht länger zu behindern, räumte die Militärbrigade des Bundesstaates Rio Grande do Sul am Morgen des 3. Dezember die Absperrung der Bundesstraße RS 630, welche die Städte São Gabriel und Dom Pedrito verbindet. Ungefähr 40 Großgrundbesitzer hatten sich auf der Straße verschanzt. Mit von der Partie waren auch der Bürgermeister von São Gabriel, Gabriel Rossano Dotto Gonçalves und der Führer der Landgewerkschaft dieser Stadt, José Francisco Costa. Beide wurden bei der Räumung festgenommen und auf das Polizeirevier von São Gabriel gebracht, wo sie eine Erklärung abgeben sollten.

Der Bürgermeister und der Gewerkschaftsvorsitzende hatten mobilisiert, um Druck gegen die Durchführung der Agrarreform in ihrer Region zu machen. Sie hatten mehrere Male die Straßen und Brücken blockiert, Inspektionen durch die Agrarreformbehörde INCRA (Instituto Nacional de Colonisação e Reforma Agrária) verhindert und bewaffnete Männer zur Bewachung der Camps der Landlosen angeheuert.

Rossano Dotto Gonçalves hatte sogar ein Verbot öffentlicher Zusammenkünfte in São Gabriel erlassen, um vom Gewerkschaftsverband CUT (Central Única de Trabalhadores) und anderen Basisorganisationen organisierte Kundgebungen zur Unterstützung der Landlosen zu verhindern. Bei früheren Operationen der Militärbrigade entwendeten die Soldaten enorme Mengen an Waffen und Munition aus den Händen der Großgrundbesitzer, die die Landlosenbewegung MST überwacht hatten.

Nach der Räumung der Bundesstraße wurde der Marsch der MST fortgesetzt. Bis jetzt sind die Landarbeiter etwa vier Kilometer marschiert und nähern sich dem Anwesens Southall, das durch die Straße in zwei Hälften geteilt wird. Dessen Enteignung gilt als das Kernstück der Umsetzung der Agrarreform in dieser Region. Das Hauptanliegen der marschierenden Bauern ist es, auf die Abzahlung der Schulden in Höhe von 27 Millionen Real zu pochen, die Alfredo Southall im Zusammenhang mit seiner 13.000 Hektar großen unproduktiven Fazenda bei öffentlichen Organen wie der Banco do Brasil, dem Finanzministerium und der Sozialversicherung hat.

Die Schuldenzahlung und die Enteignung durch den Staat wurden bisher durch gewaltsame Aktionen der Großgrundbesitzer zur Verhinderung der Besetzung dieses Landes und durch juristische Manöver der Besitzer verhindert. Diese setzten beispielsweise durch, dass sich eine eng mit dem Eigner der Fazenda verwandte Richterin mit dem Fall befasste.

Die Fortsetzung des Marsches war möglich geworden, nachdem der Regierung des Bundesstaates und dem Kommandeur der Militärbrigade ein Dokument zugekommen war, welches die Überlassung eines an das Anwesen Southall grenzenden Grundstücks für die Einrichtung eines Landlosencamps belegte. Die landlosen Bauern fordern die Beschlagnahmung des Anwesens, um es für die Umsetzung der Agrarreform zu nutzen.

ECUADOR

Präsident Gutiérrez bleibt trotz Skandalen und Protesten

Von Andreas Behn

(Berlin, 6. Dezember 2003, npl).- Allen Skandalen und waghalsigen politischen Manövern zum Trotz sitzt Lucio Gutiérrez fest im Präsidentensessel des kleinen südamerikanischen Landes Ecuador. Noch vergangene Woche hielten viele Beobachter seinen Rücktritt für durchaus wahrscheinlich, nachdem das Gerücht aufkam, der ehemalige Militär sei während seiner Wahlkampagne finanziell von einem kürzlich aufgeflogenem Rauschgifthändlerring unterstützt worden. Brüsk und nicht gerade diplomatisch hatte der junge Präsident alle Vorwürfe von sich gewiesen, darunter auch die oft geäußerte Kritik, statt wie angekündigt die Korruption zu bekämpfen verteile er lukrative Porten unter seinen Familienangehörigen.

Offenbar denken viele Ecuadorianer, dass dem Präsidenten seitens der Opposition und einiger Medien übel mitgespielt wurde. In Meinungsumfragen jedenfalls konnte Gutiérrez am Wochenende deutlich zulegen: Zuletzt war seine Beliebtheit klar unter 20 Prozent gerutscht, jetzt errechneten Meinungsforscher, 22 bis 32 Prozent der Ecuadorianer würden seine Politik gutheißen.

30.000 US-Dollar Wahlkampfspende, so der Vorwurf der Zeitung „Comercio“, soll Lucio Gutiérrez Mitte 2002 von dem bislang angesehenen Unternehmer César Fernandez erhalten haben. Am 23. Oktober fand die Karriere von Fernandez ein jähes Ende. Unter der Anklage, Kopf eines Narco-Kartells zu sein, wurde er festgenommen. Ob allerdings wirklich eine Verbindung von Gutiérrez Partei „Patriotischer Gesellschaft“ zum Drogenhandel bestanden hat, konnte der „Comercio“ bislang nicht belegen.

Gutiérrez, der erst seit Januar 2003 im Amt ist, hatte seine erste große politische Krise bereits im Herbst überlebt. Kurzerhand kehrte er seiner bisherigen politischen Basis, der in Ecuador besonders starken Indígena-Bewegung und anderen linken Basisgruppen den Rücken. Als deren Abgeordnete und Minister aus der Regierungskoalition ausschieden, hatte Gutiérrez bereits einen neuen Partner – die größte und traditionell konservative Sozialchristliche Partei. Die linke Rhetorik aus Wahlkampftagen ist Vergangenheit, statt dessen setzt er auf eine Allianz mit dem Weltwirtschaftsfonds IWF, um die ruinöse Wirtschaft zu sanieren, und auf enge Partnerschaft zu den USA. Der Lateinamerika-Beauftragte von US-Präsident Bush stattete Gutiérrez jüngst einen Besuch ab, um die neue Einigkeit in vielen politischen Fragen auch öffentlich zu demonstrieren.

Die Rechte in Ecuador, die zu Wahlzeiten noch vor einem marxistischen, an Kuba ausgerichteten Präsidenten Gutiérrez warnte, schenkte ihm ihre Unterstützung nicht umsonst. Zuerst musste der unerfahrene Präsident eine IWF-Vereinbarung unterzeichnen und die Einhaltung des Schuldendienstes zusagen. Dann musste er den Energiekonzern Emelec und andere wichtige Industriezweige der Kontrolle von Getreuen der Sozialchristlichen Partei übergeben. Zugleich leitete er ein straffes Sparprogramm ein, das mit Lohneinbußen im öffentlichen Sektor und dem Abbau von Arbeitsrechten einher ging. Durch diesen Kurs hat Gutiérrez nicht nur seine politische Basis verloren. Immer wieder kommt es zu Streiks gegen seine Wirtschaftspolitik, zuletzt traten die Lehrer in den Ausstand. Mehrere linke Partein planen derzeit, ein Referendum einzuberufen, um den Präsidenten vorzeitig abzusetzen.

Lehrer streiken weiter

(Montevideo, 28. November 2003, pulsar).- Der Verband der Lehrer setzt den Streik fort, mit dem er von der Regierung fordert, die im letzten Juni geschlossenen Vereinbarungen einzuhalten. Die Vereinbarung bestand in einer Erhöhung des Basislohns um zehn Dollar ab Oktober und einer weiteren Erhöhung um zehn Dollar ab Januar nächsten Jahres. Weitere Zuschüsse sollten für die Fortbildung und den Ausbau der Infrastruktur gewährt werden.

Die Regierung sagt, sie hätte kein Geld, um zu halten, was sie angeboten habe. Die Lehrer hingegen erwidern, dass sie ihre Proteste nicht beenden werden, bis sie sähen, dass ihre Forderungen erfüllt würden. Die Lehrer schlagen nun vor, mit der Regierung einen öffentlichen Dialog zu führen und hoffen, durch die Anwesenheit der nationalen Presse die entsprechende Unterstützung für die Vereinbarung zu bekommen.

Die Lehrer beantragten beim ecuadorianischen Kongress, dass im Staatshaushalt für das folgende Jahr die Lohnerhöhung und die sonstigen durch die Regierung von Lucio Gutiérrez angebotenen Mittel festgeschrieben werden. Sprecher des Lehrerverbandes meldeten, dass die öffentliche Erziehung Ecuadors vor dem Zusammenbruch stehe, jedoch nicht wegen der Streiks, sondern durch dauerhafte Nichtbeachtung dieses Bereiches durch die Regierung. Zum Beispiel erinnerten sie daran, dass 70 Prozent der ländlichen Schulen weder Wasser noch Licht hätten.

ARGENTINIEN

US-Regierung installiert Basis in Amazonien

(Lima, 1. Dezember 2003, adital-poonal).- Die US-Regierung wird in diesem Monat ein „Kooordinationszentrum gegen Drogen“ (Centro de Coordinación Antinarcóticos) im peruanischen Amazonien einrichten. Die beiden Regierungen klären derzeit die letzten Details für die Einrichtung des Zentrums, das den Drogenhandel in der Region einschränken soll. Dies ließ die peruanische Nachrichtenagentur Andina wissen.

Die Basis soll demnach als Achse für Boden-, Luft-, Meer- und Flusseinsätze im Kampf gegen den Drogenhandel in Peru dienen. Die neue Basis wird es ermöglichen, Flüge vor Jahresende wieder aufzunehmen, die in den letzten 33 Monaten ausgesetzt waren. Wo das Koordinationszentrum genau liegt, wird aus Gründen der Sicherheit nicht verraten, zitierte Andina einen diplomatischen Sprecher der US-Botschaft in Lima, dessen Name auch nicht erwähnt wurde.

Im Laufe der Woche kamen US-amerikanische Militärs in Peru an. Dort sollen sie „militärische Hilfsübungen zum Training im Antidrogenkampf“ abhalten. Diese Übungen solle gemeinsam mit Kräften der militärische Schule „Escuela de Operaciones Ribereñas“ in der Amazonien-Region stattfinden.

Die Operationen werden vier Monate dauern, vom Dezember 2003 bis März 2004. Allerdings wisse man nicht, ob das Training auch Manöver an der Grenze zu Kolumbien beinhalte, wo die Guerillagruppe Fuerzas Armadas Revolucionaria de Colombia (Farc) operieren.

LATEINAMERIKA

Mehr Überweisungen als Investitionen

(Mexiko-Stadt, 3. Dezember 2003, na).- Im letzten Bericht der Interamerikanischen Entwicklungsbank wurde festgestellt, dass Lateinamerika etwa 40 Milliarden Dollar an Überweisungen von Familienangehörigen erhält, die außerhalb Lateinamerikas leben. Das sind 25 Prozent mehr als im Jahr 2002 und 50 Prozent mehr als die ausländischen Direktinvestitionen in der Region ausmachen. 2002 erhielt Lateinamerika mehr als 32 Milliarden Dollar an Rücküberweisungen von vor allem in die USA emigrierten Bürger*innen.

Demgegenüber haben die Investitionen seit 2000 stetig abgenommen. Vergangenes Jahr gingen sie nach den Angaben der lateinamerikanischen Wirtschaftskommission CEPAL um 33 Prozent im Vergleich zu 2001 zurück; von 84 Milliarden Dollar auf 56.7 Milliarden Dollar. Die Ursachen liegen laut CEPAL im Verfall der Aktien der transnationalen Unternehmen und des „merklichen Rückgangs der Privatisierungen und der Erwerbungen durch internationalen Akteure“.

 

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