Poonal Nr. 537

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 27. August 2002

Inhalt


HONDURAS

GUATEMALA

PANAMA

URUGUAY

BOLIVIEN

VENEZUELA

PERU

BRASILIEN

CHILE


HONDURAS

Interamerikanische Kommission für Menschenrecht geht Mord nach

(Tegucigalpa, 16. August 2002, sem-poonal).- Die Welle von kaltblütigen Morden an 43 Minderjährigen im vergangenen Monat veranlasste die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte, am 29. August einen Spezialberichterstatter über Kindheitsfragen nach Honduras zu entsenden, um Nachforschungen über diese systematischen Verbrechen zu betreiben.

In einer Pressemitteilung gab die nichtstaatliche Hilfsorganisation für Straßenkinder in Lateinamerika „Casa Alianza“ bekannt, dass sie kürzlich bei der Kommission mit Sitz in Washington einen Antrag auf Besuch der Kommissarin und Spezialberichterstatterin für Kindheitsfragen Susana Villarán gestellt hat, um die große Anzahl an Vermissten seit 1998 aufzuklären.

Nach Statistiken von Casa Alianza wurden im Zeitraum von Januar 1998 bis jetzt 1293 Kinder und Jugendliche unter 23 Jahren ermordet, zumeist von bislang unbekannten Tätern. In einigen Fällen wird von Verbindungen zu Sicherheitskräften und Militär ausgegangen.

Unter den 43 Opfern des letzten Monats befinden sich 37 Kinder, die mehrheitlich durch Schusswaffen, teils auch durch Stichwaffen getötet wurden. In jüngster Zeit lässt sich laut einem Bericht der Organisation ein Wandel in der Art und Weise der Nachforschungen von Tötungsdelikten feststellen, der darauf zurückzuführen sei, dass immer mehr „anerkannte“ Personen unter den Opfern seien.

Casa Alianza beschuldigt die Polizeibehörden von Honduras der Unfähigkeit bei der Aufklärung der meisten Morde. Dieser Zustand rücke die kleine eingeengte Nation ins Zentrum wachsender internationaler Überprüfung.

Inzwischen sammelte Casa Alianza mittels ihres Programms für Gerichtshilfe in Honduras Daten, welche belegen sollen, dass mindestens zwei der Morde von vergangenem Monat Sicherheitsbeamten des Staates zugeschrieben werden, unter ihnen ein Militärangehöriger und ein Polizist.

Trotz allem blieben nach Informationen von Casa Alianza in mehr als der Hälfte (56 Prozent), sprich in 24 Mordfällen, der oder die Mörder unerkannt. 15 Tötungsdelikte gehen auf die Verantwortung von Bandenmitgliedern.

GUATEMALA

Campesinos blockieren das Gebiet Las Verapaces

(Baja Verapaz, 21. August 2002, cerigua-poonal).- Über zehntausend Campesinos der Union der Campesino-Organisationen von Verapaces (UVOC) haben mit friedlichen Demonstrationen und Blockaden einiger der wichtigsten Straßen im Norden Guatemalas begonnen, um so ihren Forderungen nach Land und Arbeit Ausdruck zu verleihen, erklärte Carlos Morales, Koordinator der besagten Organisation, gegenüber cerigua.

Nach Angaben von Morales hängen die Aktionen im Norden des Landes damit zusammen, dass die Regierung keinen politischen Willen zur Lösung des Problems der Landfrage indigener Gemeinden gezeigt hat. Deshalb fordern diese nun eine sofortige Lösung des Problems ein. Er fügte hinzu, dass zu den wesentlichen Forderungen der Kauf von Ländereien, die Zuteilung von Ländereien an Campesino-Gemeinden, die Ausarbeitung sowie Diskussion über eine Agrarreform und eine Strategie für ländliche Entwicklung, das Ende der Vertreibungen sowie die Aufhebung der Haftbefehle für die nationalen, regionalen bzw. lokalen Delegierten gehörten.

José Pedro Cahuec, regionaler Koordinator der UVOC, gab seinerseits bekannt, dass das Büro der Regions- sowie der Gemeinde-Regierung auf Druck von 2000 Campesinos geschlossen wurden. In den von ihnen eingereichten Petitionen kritisieren diese die Überheblichkeit, mit der die derzeitige Staatsanwaltschaft des Ministerio Público, die Gouverneurin und die zivile Landespolizei (PNC) agierten. Die Campesinos der Region fordern, dass Nachforschungen bezüglich Register und Kataster angestellt werden, um die brachliegenden Flächen des Departements zu identifizieren, dass die Vermessungen und Legalisierungen der Grundstücke der 14 Viertel der Gemeinde vorangetrieben werden und ein Runder Tisch für Verhandlungen über die Agrarfrage eingerichtet wird.

Mesa Global gegen Plan Puebla Panama

(Guatemala-Stadt, 21. August 2002, cerigua).- Guatemalteken, die das Megaprojekt Plan Puebla Panama (PPP) ablehnen, sollen es mexikanischen Bauern gleich machen, die den Bau eines neuen Flughafens verhindert haben, durch den sie ihre Länder verloren hätten. So die Meinung des Vertreters der Mesa Global, Jorge Mario Salazar. Salazar erklärte zudem, dass die Regierung damit beschäftigt sei, die vermeintlichen Vorteile des PPP bekannt zu machen. In dieser Propaganda werde jedoch nicht auf die negativen Konsequenzen hingewiesen, wie zum Beispiel Umweltschäden und der Umstand, dass Bauern als billige Arbeitskräfte ausgenützt würden.

Mesa Global ist ein Zusammenschluss von 300 sozialen Organisationen Guatemalas, die sich diesem international angeregten Megaprojekt entgegensetzen. Laut Salazar sind die Organisationen in den ländlichen Gemeinden tätig, wo sie objektive Informationsarbeit betreiben würden, um die dortigen Bewohner über die Probleme, die das Megaprojekt in Guatemala nach sich ziehe, aufzuklären, damit diese Widerstand bildeten.

Salazar betont, dass der PPP die Interessen der Regierung der Vereinigten Staaten vertrete. Er sei nicht nur von der Regierung Guatemalas angeregt, sondern vielmehr eine politische Forderung, die den nationalen Behörden von den internationalen Finanzinstitutionen auferlegt worden seien.

Außerdem werde Mesa Global massive Aktionen in Gang setzen, um der Bevölkerung bewusst zu machen, dass ihnen Maßnahmen aufgezwängt würden, die nur zum Nutzen jener seien, die diese vorantrieben. So wolle man die Bürger dazu bringen, sich gegen diese Praxis aufzulehnen und für ihre Rechte zu kämpfen, die sie im Begriff seien zu verlieren.

Als erfolgreiches Beispiel für einen solchen Kampf nannte Salazar die Bauern von San Salvador Atenco in Mexico, die sich gegen den Bau eines neuen Flughafens aufgelehnt hatten, der die Bewohner dieser Gegend ihrer Länder enteignet und zu großen Umweltschäden geführt hätte.

Dieses Verhalten sei nicht nur auf den Mut der Bürger zurückzuführen, sondern es sei die Folge eines speziellen Organisations- und Informationsprozesses, bei dem alle rechtlichen Mittel ausgeschöpft worden seien. Nachdem man aber dennoch keine Reaktionen erhalten habe, seien schließlich andere Maßnahmen in Gang gesetzt worden, um die Rechte der Bürger einzufordern.

Salazar rät den Guatemalteken dazu, dieselben Schritte zu unternehmen. Als erstes sollten die Bürgern über die wirkliche Bedeutung des PPP aufgeklärt und alle Möglichkeiten in Rahmen des Gesetzes ausgeschöpft werden. Wenn diese Forderungen aber keine Beachtung fänden, müsse man drastische Maßnahmen setzen.

Journalistenvereinigung verurteilt Drohungen an US-Kollegen

(Guatemala-Stadt, 16. August, cerigua).- Die Kommission für Pressefreiheit der Journalistenvereinigung von Guatemala (APG) verurteilt die Morddrohungen, die ein ehemaliger Angehöriger der militärischen Sondereinheit Kaibil im Munizip Rabinal im Department Baja Verapaz an zwei US-Journalisten und eine holländische Anthropologin gerichtet hat. Die drei betroffenen Personen waren zu diesem Zeitpunkt mit Nachforschungen über die Exhumierungen in dieser Region beschäftigt.

Die Journalisten der US-Zeitung New York Times, David González und Wesley Bosed, sowie die Anthropologin der Katholischen Universität von Holland, Victoria Sandfor, seien laut der Kommission für Pressefreiheit am vorvergangenen Wochenende Einschüchterungen von Valentín Chen, einem Angehörigen der Streitkräfte, ausgesetzt gewesen, als sie ihn nach dem Ort gefragt hätten, an dem die Exhumierungen in diesem Municipio durchgeführt werden.

Für die Kommission ist dieser Umstand ein Beweis für die Intoleranz jener Gruppen, die sich Verbrechen an der Menschheit schuldig gemacht hätten, gegenüber Personen, die Nachforschungen und Informationsarbeit über schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen betreiben würden. Diese Verbrechen haben während des bewaffneten Konflikts in Guatemala Tausenden von unschuldigen Menschen das Leben gekostet.

Diese Situation, die nun das Recht auf freie Meinungsäußerung einzuschränken droht, ist nur ein weiterer Punkt auf einer langen Liste von Drohungen, Morden und Einbrüchen. Opfer dieser Verbrechen sind Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Vertreter religiöser Organisationen und Anthropologen, die sich darum bemühen, die Verantwortlichen der Grausamkeiten der Vergangenheit zur Rechenschaft zu ziehen.

Die Betroffenen begleiten Personen zu Exhumierungen, die derzeit von forensischen Anthropologen auf einem versteckten Friedhof auf dem Gelände des Nationalen Instituts für Experimentelle Grundschulausbildung INEBE (Instituto Nacional de Educación Básica Experimental) durchgeführt werden. Man vermutet, dass im Jahr 1981 an diesem Ort 800 Menschen vom Militär oder in dessen Auftrag begraben wurden.

PANAMA

Gesetz schafft mehr Gleichheit und weibliche Beteiligung

(Panama-Stadt, 15. August 2002, sem-poonal).- Der Kongress von Panama verabschiedete ein neues Gleichstellungsgesetz, das die Rechte panamaischer Frauen betrifft. Es sanktioniert die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, garantiert Anspruch auf 50 Prozent der Arbeitsplätze in den Behörden und räumt Frauen das Recht ein, die Reihenfolge ihrer Familiennamen zu ändern, so dass auf Wunsch der Name der Mutter an erster Stelle stehen kann.

Zeitgleich zur Verkündung der weitreichenden Änderungen in männerdominierten Bereichen für mehr als 1,4 Millionen Frauen durch das neue Gesetz forderten mehrere Gruppierungen, dass das neue Instrument „nicht nur auf dem Papier besteht“.

Die neue Gesetzgebung bietet Normen gegen die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und schafft außerdem einen günstigen Rahmen, um praktische Themen wie menschliche und wirtschaftliche Entwicklung, politische Macht und Teilnahme, juristische Gerechtigkeit, Familie, Arbeit, Kampf gegen Gewalt gegen Frauen, Gesundheit, Wohnen, Erziehung, Kultur und Kommunikationsmittel weiter zu entwickeln.

URUGUAY

Banken am Rande des Zusammenbruchs

(Montevideo, 17. August 2002, comcosur-poonal).- Die Vereinigung der Bankangestellten Uruguays (AEBU) hat mit einer grundlegenden Umfrage bei allen politischen Parteien begonnen, um die weitreichenden Folgen für das Land Uruguay zu erklären, die eine Liquidation der Banken Banco Comercial, Banco de Crédito, Banco Montevideo und Caja Obrera (Arbeiterkasse) nach sich ziehen würde, wenn diese ihren Bankrott erklärten. AEBU schätzt, dass im Fall der Liquidation besagter Banken die uruguayische Gesellschaft rund 1,35 Milliarden Dollar verlieren würde.

Die vier vom Bankrott bedrohten Banken repräsentieren 34 Prozent des Finanzapparates Uruguays. Sie stehen der Bank der Republik (BROU) und der Hypothekenbank Uruguays (BHU) mit 40 Prozent und den ausländischen Banken mit 25 Prozent Anteil gegenüber.

Am 30. Juni verwalteten besagte vier Banken 1,6 Milliarden Dollar, 500 Millionen davon sind kurzfristige Anlagen, 1,1 Milliarden Dollar sind Festgelder und 167 Millionen wurden in nationaler Währung angelegt. Diese Institutionen verwalten 183.000 Konten und 289.000 Kreditkarten in Uruguay. Dazu müssen weitere 600.000 gezählt werden, die von fünf Filialen der Banco Comercial im Süden Brasilien verwaltet werden. Auf der anderen Seite veranstalten diese Banken an die 150 ländliche Messen pro Monat und beschäftigen rund 3.000 Angestellte.

Banco Comercial, Banco de Crédito, Banco de Montevideo und Caja Obrera verfügen über 148 Filialen, 76 davon im Inland. Falls sie liquidiert werden sollten, würden Hauptstädte aus 13 Departements ohne Privatbanken bleiben. Mit den besagten Institutionen arbeiten an die 33.000 Firmen zusammen, 50 Prozent davon sind Schuldner bei der BROU. Im Fall der Liquidierung der vier Banken hätten die Firmen 90 Tage Zeit, um ihre Schulden zu begleichen.

Die Regierung hatte in diese Banken 1,41 Milliarden Dollar investiert. So war es auch die große Bedeutung eines möglichen Finanzdebakels, die zu den wiederholten Anstrengungen führte, um mit allen möglichen Mitteln die vier Banken zu retten. Im Fall Banco de Crédito hat es Verhandlungen mit dem Hauptaktionär dieser Bank, der Moon Sekte, gegeben. Sparer*innen sollten demnach die notwendigen Gelder bereitstellen, um das weitere Funktionieren der Bank zu gewährleisten. Für die Banco Comercial sehen Pläne vor, dass ebenfalls die Sparer*innen das notwendige Kapital zur Rettung der Bank aufbringen sollen, während ihre Ersparnisse neu strukturiert werden.

Die Gemeindeverwaltung Montevideos ihrerseits sucht nach Investoren, um die Caja Obrera in eine Gemeindebank nationaler Reichweite zu transformieren. Die Banco Montevideo hingegen scheint endgültig verloren zu sein.

Antenne des Lokalsenders Radio Germinal beschlagnahmt

Dokumentation der Erklärung des Senders Germinal FM

(Montevideo, 17. August 2002, comcosur).- Am Donnerstag den 15. August legten Vertreter der nationalen Vereinigung uruguayischer Broadcaster der Medienkontrollstelle sowie dem Verteidigungs- und dem Innenministerium die Schließung inoffizieller Lokalsender nahe. Abgesehen davon, dass solche Radiosender illegal seien, erfüllten sie gar keinen Auftrag der Gemeinde, wie die spanische Bezeichnung „radio comunitaria“ eigentlich besage, hieß es.

Einmal mehr wurde uns der Vorwurf gemacht, „Verbrecher“ zu sein,“zu Gewalt anzustiften“ und „die öffentliche Ordnung zu gefährden“. Eine andere Lesart wäre zu sagen: indem wir kriminalisiert werden, versucht man, die öffentliche Meinung gegen eine eigenständige Kommunikation im Stadtteil aufzubringen.

Am Freitag den 16. August wurde der Sender Germinal FM platt gemacht… Beamten der Medienkontrollstelle und Polizisten drangen in die ehemaligen Senderäume ein und beschlagnahmten die Radioantenne, das Einzige, was sie dort noch finden konnten, da die gesamte Ausrüstung bereits in Sicherheit gebracht worden war.

Unser Anliegen ist die öffentliche Verurteilung einer solchen Art von Zensur. Auch wenn unsere konkrete Tätigkeit darin besteht, unsere Meinung frei zu äußern, womit keinerlei Delikte einhergehen, trifft diese Zensur mehr als die freie Meinungsäußerung im Stadtteil, denn unsere Aktivitäten an diesem Ort gehen über die Radioarbeit hinaus.

Was die Arbeit in unserem Stadtteilprojekt angeht, unterstützen wir beispielsweise im Rahmen unserer Möglichkeiten die Volksküche des Viertels Lavadero. Die Volksküche versorgt über 150 Kinder dieses Stadtteils mit Nahrung. Zusammen mit dem Volksküchen-Kommittee sind wir dabei, einen Gemeinschaftsgarten zum Anbau von Gemüse für den Stadtteil aufzubauen. Vielleicht sind diese Tätigkeiten verbrecherisch in den Augen der Behörden.

Wir sind der Auffassung, dass es wichtig ist, mit diesen Aktivitäten – mit oder ohne Mikrofon in der Hand – weiterzumachen und die solidarische Haltung unter den Bewohner*innen des Viertels zu kommentieren. Wir sind der Überzeugung, dass Vereinzelung uns schwächt und Solidarität uns stärkt.

Schluss mit den Repressalien gegen freie Lokalsender.

Für die freie Meinungsäußerung.

Das Kollektiv des Radiosenders Germinal FM

BOLIVIEN

Streit über den Export von billigem Erdgas

Von Roberto Roa

(Berlin, 21. August 2002, npl).- Reichhaltige Rohstoffvorkommen sind nicht immer ein Segen. Diese Erfahrung macht gerade Bolivien, wo ein heftiger Streit darüber entbrannt ist, wie die riesigen Erdgasvorräte des Landes genutzt werden sollen. An wen und zu welchem Preis der Energieträger verkauft werden soll, ist ebenso umstritten wie die Frage, welches Transitland der südamerikanische Binnenstaat Bolivien für die Pipelines wählen soll.

Dabei hat die neugewählte Regierung unter Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada, die am 6. August ihr Amt antrat, schon genug Probleme. Das ärmste Land Südamerikas leidet unter chronischer Korruption und den sozialen Folgen von über 20 Jahren neoliberaler Wirtschaftspolitik, die sich durch zügellose Privatisierungen und Kürzungen im Staatshaushalt auszeichnete. Eine Folge der Verarmung war das Entstehen einer neuen schlagkräftigen Basisbewegung, die auch bei der Wahl Ende Juni überraschend erfolgreich war: Evo Morales, Repräsentant der Kokabauern und der MAS (Movimiento al Socialismo – Bewegung für den Sozialismus), kam nur knapp hinter Sánchez de Lozada auf den zweiten Platz. Über ein Fünftel der Abgeordneten und Senatoren des andinen Landes sind jetzt Indígenas.

Damit steht dem konservativen Präsidenten eine ungewohnt starke und zugleich radikale Opposition gegenüber. Insbesondere im Bereich Drogenpolitik, für den aus Washington die Vorgabe kommt, den Kokaanbau vollständig auszurotten, ist abzusehen, dass die MAS nicht klein beigeben wird. Ebenso wie die Kokabauern seit Jahren um den Erhalt des traditionellen Agrarprodukts Boliviens kämpften, nehmen inzwischen die Proteste gegen den Ausverkauf der Bodenschätze zu. Besonders erregt die Gemüter, dass die neue wie schon die alte Regierung plant, Erdgas an die USA zu Billigpreisen zu verkaufen.

Als im Juli Zeitungen berichteten, es gebe ein Geheimabkommen zwischen Bolivien und Chile, demzufolge bolivianisches Erdgas über einen chilenischen Hafen nach Kalifornien geliefert werden solle, kam es in der Hauptstadt La Paz und anderen Städten zu Protestaktionen. Mehrfach rief die „Koordination zur Verteidigung des Erdgas“, der 21 Basisorganisationen angehören, zu Demonstrationen auf. Der Deal mit Chile ist vielen auch deshalb ein Dorn im Auge, weil es das einzige Nachbarland ist, mit dem Bolivien seit 1978 keine diplomatischen Beziehungen unterhält. Damals forderte Bolivien von Chile einen Zugang zum Meer, den das heutige Binnenland im so genannten Pazifikkrieg mit Chile und Peru 1879 verlor.

Auch wenn die Frage, ob Bolivien lieber mit Chile oder mit Peru über die Pipeline verhandeln soll, die Gemüter besonders erregt, steht bei dem Streit im Vordergrund, zu welchen Konditionen das Gas gehandelt werden soll. Bislang plante die Pacific LNG, ein Konsortium aus der spanischen Repsol, British Gas und Panamerican Gas, das die Lizenz zur Vermarktung des bolivianischen Erdgas besitzt, den Rohstoff ausschließlich an die US-amerikanische Sempra Energy zu verkaufen. Als Preis waren 0,25 US-Dollar für zehn Kubikmeter ausgemacht. Dieser Preis entspricht gerade mal der Hälfte des Preises, den Brasilien und Argentinien derzeit für bolivianisches Erdgas zahlen. Die brasilianische Petrobras kündigte bereits an, sie werde die Konditionen neu aushandeln, sollte der Handel zwischen Pacific LNG und Sempra zu diesem Preis zustande kommen.

Auch OPEC-Repräsentant Chakib Khelil erklärte, dass es für Bolivien günstiger wäre, das Erdgas an Brasilien statt an Nordamerika zu verkaufen. Der Nachbarstaat würde einen höheren Preis zahlen und außerdem seien weniger Investitionen notwendig.

Die Regierung in La Paz hat jetzt Mühe, den geplanten Handel mit den USA zu rechtfertigen. „Unsere Reserven an Erdgas sind unerschöpflich, sie nicht schnell zu verkaufen kommt einem Verlust gleich,“ hatte noch der scheidende Präsident Jorge Quiroga argumentiert. 300 Millionen US-Dollar jährlich sollte der Export dem Land einbringen, rechnete die Regierung vor. Die renommierte Expertin Miranda Pacheco hält diese Angaben für unseriös: Das einzige, was Bolivien mit Sicherheit einnehmen könne, sei die Staatsabgabe in Höhe von 18 Prozent, also nicht einmal die Hälfte des Betrags, den die Regierung angibt, so Pacheco. Die vergleichsweise niedrige Staatsabgabe von 18 Prozent kommt hierbei einem Geschenk an die transnationalen Energieunternehmen gleich, in Venezuela beträgt sie beispielsweise 60 Prozent.

Das Abkommen zwischen Pacific LNG und Sempra Energy, den Erdgas-Deal untereinander auszumachen, lief am 6. August aus. Daraufhin erklärte die bolivianische Regierung, innerhalb von 90 Tagen müsse darüber entschieden werden, welcher Käufer den Zuschlag erhält und über welchen Hafen der Export laufen soll. Da das Thema inzwischen in der Öffentlichkeit breit diskutiert wird, ist zu erwarten, dass die Basisbewegungen und die erstarkte Opposition im Parlament gegen einen Ausverkauf des Rohstoffs mobil machen wird. Allerdings kein einfaches Unterfangen, denn hinter Sempra Energy stehen mächtige Interessensgruppen, die über „Gas Atacama“ und die kroatisch-chilenische „Luksic-Abaroa“ bis hin zu „Bilbao-Vizcaya Bank“ und der dem Bush-Clan gehörenden „Barrick Gold“ reichen.

VENEZUELA

Hetzkampagne gegen Basisradios und andere alternative Medien

(Montevideo, 18. August 2002, comcosur).- Es ist bezeichnend, welche Rolle die Basismedien gemeinsam mit den alternativen Radiosendern Radio Fe y Alegría in der Kritik an der Putschstrategie, an der daraus folgenden Unterdrückung und auch in der Volks- und Militärrebellion spielten, die zur schnellen Wiederherstellung des verfassungsmäßigen Ordnung führten.

Während den zwei Tagen der Putschregierung waren verschiedene Basissender Ziel illegaler Hausdurchsuchungen. Nicolás Rivero, Mitarbeiter eines Senders, wurde gefoltert. Es sollte nicht viel Zeit vergehen, bis die gesellschaftlichen Sektoren, die den Putsch der extremen Rechten unterstützt und kontrolliert hatten, Aktionen zur Kriminalisierung der Initiativen alternativer Kommunikation einfädelten. Diese Kampagne hatte zum Ziel, verschiedenen Gruppierungen die Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung abzusprechen, und das auf eine Art und Weise, die nicht mit den demokratischen Freiheiten übereinstimmt. Sie sollte dafür sorgen, die Initiativen stillzuhalten, die bei einem eventuellen neuem Abenteuer den Auftrag der Medien verkomplizieren könnten, die Dissidenz der Bevölkerung zum Schweigen zu bringen.

Der Präsident der venezolanischen Rundfunkkammer, ein Unterzeichner des Aktes zur Installierung der Übergangsregierung von Carmona, eröffnete Anfang Juni das Feuer, in dem er seine Sorge über „den illegalen Charakter“ der Basisradios und der vermeintlichen politischen Natur der Inhalte ihrer Sendungen zum Ausdruck brachte.

Dieser Vorwurf stieß sehr schnell auf Widerhall: Eine der kommerziellen Fernsehanstalten, die das Eskalationsklima begünstigt und den angeblichen Rücktritt von Chávez über Stunden hinweg am Nachmittag des 11. Aprils hartnäckig bekannt gegeben hatten, übertrugen Bilder eines Interviews von Catia Tve (eines der Medien mit großer öffentlicher Ausstrahlung) und bestückte diese mit Kommentaren, die zur Kriminalisierung des alternativen Senders dienen sollten. Diese ersten Aktionen riefen eine bis jetzt andauernde Kriminalisierungskampagne hervor, die die Stimmen zum Schweigen bringen sollten, die sich gegen die Übergangsregierung von Carmona erhoben hatten.

Mitte Juni publizierte eine Gruppe von Oppositionsabgeordneten, angeführt von denjenigen, die bis vor kurzem Teil des Projektes des Wechsels von Chávez waren und sich heute mit Verleumdungen politisch neu positionieren, eine Beschuldigung in Bezug auf ein Treffen von verschiedenen Aktivisten mit dem Präsidenten der Republik. Dort soll angeblich ein Angriff gegen die Gruppe geplant worden sei. Unter den von dieser Anklage betroffenen Personen finden sind auch verschiedene Repräsentanten der Basismedien.

Deshalb und aufgrund ihres kriminellen und unbegründeten Charakters wird die Gruppe in Verbindung gebracht mit der Kampagne gegen die alternativen Medien und gegen die sozialen Sektoren, die den Prozess des Wechsels unterstützen.

Ende Juni erhielten Catia Tve und Radio Perola den Galardón mit spezieller Auszeichnung vom Premios Nacionales de Periodismo (dem nationalen Journalistenpreis), der vom Staat vergeben wird. Der Grund: Sie hatten als Medien mit geringem Sendebereich eine engagierte Arbeit geleistet, um die Gesellschaft zu informieren. Sie hatten mit Ernsthaftigkeit das kollektive Interesse des Zugangs zur Information gewährleistet.

Dieser Preis wurde zum Ziel einer absurden und dummen Kampagne der kommerziellen Medien, die beim Putsch teilgenommen hatten. Diese aber werden niemals ihr Ansehen vor der Bevölkerung säubern können, das sich zur Verteidigung von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit erhoben hatte.

Auch das Hauptstadtbürgermeisteramt unter der Führung des Bürgermeisters Peña begann eine Reihe von Handlungen, die geprägt waren von Ordnungswidrigkeiten und eindeutiger Willkür, die darauf ausgerichtet waren, Catia Tve stillzulegen. Das Radio sendet hauptsächlich aus Räumen eines öffentlichen Krankenhauses in Caracas, die dafür zur Verfügung gestellt wurden.

Angeblich hatten die Angriffe zum Ziel, die Keimfreiheit der Krankenhausinstallationen zu garantieren. Tatsächlich aber war die Absicht, die Antenne zu demontieren, die sich auf dem Dach des obersten Geschosses befindet.

Ende Juni sprach Nicolás Rivero, der bei den Geschehnissen Ende April gefoltert wurde, bei der Policia Técnica Judicial (PTJ) persönlich vor, um mehr über seine Anzeige zu erfahren. Die PTJ, die an den von Rivero erlittenen Misshandlungen beteiligt war, nahmen ihn auf Anweisung jenes Staatsanwaltes fest, der die illegalen Hausdurchsungen während des Putsches vom 12. und 13. April angeführt hatte. Der Strafverfolger ist Anhänger der Partei Acción Democrática (AD, Demokratische Aktion). Die AD ist Mitglied der Sozialistischen Internationalen und befindet sich heute bei der extremen Rechten.

Die Festnahme steht angeblich mit den Zusammenstößen von Puente Llaguno vom 11. April in Verbindung. Die Basismedien kritisierten diese Auseinandersetzung als Teil einer Kampagne gegen die Unterstützer von Chávez. Nicolás befand sich während den Auseinandersetzungen auf der Brücke.

Nach den Anhörungen der Aussagen von Nicolás Rivero behielt der Richter den Freiheitsentzug wegen den angeblichen Straftaten Mord und Widerstand gegen die Staatsgewalt aufrecht. Bis heute ist Rivero mit anderen Gefangenen verhaftet, die auf ihren Prozess warten.

Mitte Juli war das Radio Sendero aus Antimano Ziel einer spektakulären Hausdurchsuchung, die von verschiedenen Einheiten der politischen Polizei durchgeführt wurde. Einige Personen wurden verhaftet. Da aber soziale Gruppierungen überzeugend mobilisiert hatten, wurden sie am selben Tag wieder freigelassen. Die übermäßige und willkürliche Aktion dieser Polizeieinheit wurde begründet mit einer angeblichen Anzeige einer Lehrerin der Schule, aus der das Radio sendet. Sie soll behauptet haben, dass im Sender angeblich Sprengstoff gelagert werde.

Während die kommerziellen Medien von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission eine ausgezeichnete Behandlung genießen, hat sich dieses internationale Organ nicht für die Basisradios eingesetzt. Im Gegensatz hierzu ist die auffallende Willkür, die gegen Rivero angewandt wird, der internationalen Initiative der alternativen Kommunikation Narconews eine engagierte Reaktion wert. Diese betreiben gemeinsam mit den venezolanischen Basismedien eine Solidaritätskampagne.

PERU

Änderung der Gesundheitspläne erhöht das Risiko der Aidsinfizierung

(Lima, 16. August 2002, sem-poonal).- Die Bevölkerung Perus sieht sich einem erhöhten Risiko der Infizierung mit dem Human Immune Deficiency Virus (HIV), dem Aids-Erreger, ausgesetzt. Der Grund: das staatliche Gesundheitsprogramm zur Kontrolle der Übertragung sexueller Krankheiten wurde abgesetzt und nun im Allgemeinen Gesundheitsprogramm angesiedelt, das beispielsweise auch für die Übertragung von Dengue zuständig ist.

Der Sprecher der Nicht-Regierungsorganisation (NGO) „Freier Weg“ Eduardo Blume teilte dem Radiosender Milenia mit, dass das Ansteckungsrisiko für die Peruaner und Peruanerinnen nach der Eingliederung des Programms in das ebenfalls staatliche Gesundheitsprogramm zur Verminderung von Gesundheitsrisiken, in dem bis dato andere Krankheiten behandelt wurden, im selben Maße weiter besteht.

Hinzu kommt, so Blume weiter, dass das Gesundheitsministerium trotz vieler Millionen vorrätiger Kondome die Verteilung der Präservative an die nicht ausgerüsteten Gesundheitszentren eingestellt hat. Zudem beschuldigte er das von Fernando Carbone geleitete Ministerium, die notwendige Reaktionslösung zur Durchführung der Aidstests bei Schwangeren mit möglicher HIV-Infektion, die sich deshalb in den Gesundheitszentren einfinden, nicht gekauft zu haben. Das Wissen um die Erkrankung mindert die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung des Kindes von 30 auf fünf bis acht Prozent.

Weiterhin informierte Blume, dass seit Dezember vergangenen Jahres die präventive Medikamentenvergabe zum Schutz vor der meist tödlichen Lungenentzündung an Aidskranke eingestellt wurde.

Eindeutige Angaben über die Zahl der HIV infizierten Personen gebe es nicht, so Blume. Nach Kriterien der Organisation leben aber rund 100.000 Personen mit dieser Krankheit.

BRASILIEN

Kritik an neoliberaler Wirtschaftsorientierung in Südamerika nimmt zu

Von Jamil Chade und Roberto Roa

(Berlin, 26. August 2002, npl).- Die Schaffung der für das Jahr 2005 geplanten Gesamtamerikanischen Freihandelszone (ALCA) würde der Wirtschaft Brasiliens schaden. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Lateinamerikanischen Vereinigung für Integration ALADI (Asociación Latinoamericana de Integración). Das im uruguayischen Montevideo ansässige Forschungsinstitut erweitert mit dieser Aussage den Kreis der Stimmen, die in Südamerika vor einer Fortsetzung der neoliberalen Wirtschaftspolitik warnen. Im Vorfeld der brasilianischen Präsidentschaftswahl im Oktober, bei der zwei linke Kandidaten die Umfragen anführen, gewinnt die Debatte um regionale Integration und das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten zunehmend an Bedeutung.

Brasilien liefe Gefahr, den Markt für 176 Produkte bzw. zehn Prozent der heimischen Industrie zu verlieren, sollten die 34 Staaten des amerikanischen Kontinents alle Handelsschranken untereinander aufheben, sagt ALADI voraus. Hauptursache hierfür seien die Konkurrenz von Exporten aus den USA und Kanada. Allein in der Automobilbranche seien 70 Prozent der brasilianischen Exporte gefährdet. Aber auch die Märkte für Maschinen, chemische Produkte oder Papier, insbesondere in den Nachbarstaaten Argentinien, Paraguay und Uruguay könnten verloren gehen.

Andererseits hätte Brasilien der ALADI-Studie zufolge auch einige Vorteile innerhalb der Gesamtamerikanischen Freihandelszone. Mindestens 79 Produktgruppen, vor allem Nahrungsmittel wie Kaffee, Zucker oder Früchte, könnten auf dem riesigen nordamerikanischen Markt neue Abnehmer finden. Dies hänge laut den ALADI-Forschern jedoch davon ab, inwiefern die USA bereit seien, auf Sonderzölle und marktverzerrende Subventionen zu verzichten.

Doch auch andere Staaten Lateinamerikas könnte ein böses Erwachen bevorstehen. Beispielsweise würde Argentinien innerhalb eines ALCA mit den USA um Weizenexporte nach Brasilien konkurrieren müssen. Generell müssten alle Handelsgewohnheiten, die sich innerhalb des Regionalbündnisses MERCOSUR gebildet haben, neu bestimmt werden.

Hinzu kommt, dass angesichts der schweren Finanzkrise in der Region der Handel der lateinamerikanischen Länder untereinander im ersten Halbjahr 2002 um 15 Prozent zurückging, so die Zahlen von ALADI. Für Michael Finger, Chef der statistischen Abteilung der Welthandelsorganisation WTO, sind sogar diese Zahlen noch optimistisch. Der WTO zufolge ist der brasilianische Außenhandel in dem Zeitraum um 23 Prozent gefallen, überflügelt nur noch von Argentinien, das einen Einbruch um 55 Prozent zu verzeichnen hatte. „Der fehlende Kapitalzufluss im Rahmen der Finanzkrise zwingt die Ökonomien dazu, weniger zu importieren, wenn die Länder eine halbwegs ausgeglichene Zahlungsbilanz behalten wollen,“ erklärt Michael Finger.

Offensichtlich machen sich inzwischen auch der Weltwährungsfonds IWF und die USA Sorgen um die Wirtschaftskrise in Südamerika, die Ende vergangenen Jahres mit einem Bankencrash und Zahlungsunfähigkeit in Argentinien begann. Mit einem Rekordkredit von 30 Milliarden US-Dollar an Brasilien versuchen die Währungshüter, die neuntgrößte Wirtschaftsmacht zu sanieren. Bislang mit mäßigem Erfolg: Trotz der Finanzspritze ist die Landeswährung Real weiterhin unter Druck und die Kapitalflucht hält an.

„Warum verlässt Brasilien nicht endlich das Krankenbett und beginnt, auf den eigenen Füßen zu stehen? Wozu diese ständige Abhängigkeit vom spekulativen Kapital,“ fragte unlängst der populäre brasilianische Befreiungstheologe Frei Betto in einem Zeitungskommentar. Vehement kritisierte der Aktivist, dass sich Brasilien so eng an den USA und den IWF-Vorgaben orientiere. Er plädierte dafür, die „verantwortungslose“ Privatisierungspolitik zu revidieren und bezeichnete das ALCA als Blankoscheck für Washington, die Wirtschaftspolitik der Länder Lateinamerikas mitzubestimmen.

Doch nicht nur Linke, unter ihnen der in Umfragen führende Präsidentschaftskandidat Inacio Lula da Silva von der Arbeiterpartei PT, stehen in Brasilien den US-Plänen zur Umsetzung des ALCA kritisch gegenüber. Brasiliens scheidender Präsident Fernando Henrique Cardoso, der bis heute als Musterschüler des IWF gilt, ist inzwischen zu einem der lautstärksten Kritiker des nordamerikanischen Protektionismus geworden. Immer wieder bemängelt Cardoso die Subventionen, mit denen die USA ihre Landwirtschaft vor Importen schützen. Streit gab es aber auch beim Thema Aids-Medikamente, die in Brasilien kostenlos verteilt werden sollen, sowie bei kanadischen Versuchen, mit Subventionen die Märkte für Rindfleisch und für Kleinflugzeuge zu beeinflussen.

Es wird davon ausgegangen, dass der ALCA, mit 800 Millionen Einwohnern und einen gesamten Bruttoinlandsprodukt von 11,4 Billionen US-Dollar der größte Handelsblock der Welt, nur zustande kommt, wenn sich Brasilien und die USA einig werden. Doch Washington ist generell nicht sonderlich kompromissbereit und in Brasilien nehmen Misstrauen und Vorbehalte gegen die Politikvorgaben aus dem Norden zu.

CHILE

Transsexuelle schlagen Alarm wegen gewalttätiger Übergriffe

Von Andrea González

Santiago, 15. August 2002, sem-poonal) Gruppierungen sexueller Minderheiten in Chile sind alarmiert durch den Tod von vier Transsexuellen sowie den ständigen Anstieg tätlicher Übergriffe und anderer Formen der Diskriminierung. Sie machen sowohl die konservativen Teile der Gesellschaft als auch die Polizei selbst für diese Vorfälle verantwortlich.

Rodrigo López Barrera, Präsident der Nichtregierungsorganisation Vereinigte Bewegung Sexueller Minderheiten Los Andes zeigte sich sehr besorgt wegen der vier Todesfälle unter Transvestiten in den letzten Monaten. Nach Angaben der NRO „Traves Chile“, die sich auf Anzeigen bei der Polizei oder Berichte ihrer Mitglieder stützen, wird täglich ein Transsexueller durch traditionalistische, homophobe Gruppierungen mit dem Tod bedroht oder verletzt. Dieselbe Quelle belegt, dass von 24 Fällen in Chile ermordeter Transsexueller nur einer aufgeklärt wurde, nämlich der einer berühmten Transsexuellen mit dem Pseudonym Claudia, die in Casablanca von Jägern ermordet wurde.

Silvia Parada, Präsidentin von „Traves Chile“, meint, dass die Morde wegen einer verstärkten Präsenz homophober Gruppen in Chile zugenommen hätten. „Über die Täter kursieren viele Geschichten, aber eines ist sicher: Die Homophobie in Chile ist nach wie vor erschreckend stark“, so Parada gegenüber sem. Zudem seien auch hochrangige Polizeibeamte häufig in Fälle von Misshandlungen an Homosexuellen verwickelt.

Das Klima der Angst, das unter den sexuellen Minderheiten in Chile herrscht, wurde noch geschürt durch den versuchten Mord an der neunzehnjährigen Transsexuellen Wanda, die nach einem Angriff mit einem Baseballschläger im Koma liegt. Drei Monate zuvor war Wladimir Ibañez Carrasco, bekannt unter dem Namen „Pilar“, ermordet worden. Sie wurde das letzte Mal lebend gesehen, als sie in der Avenida Argentina in Los Andes auf das Motorrad eines Kunden stieg. Ihre Leiche fand man eingeklemmt zwischen Baumstämmen in einem Kanal, wo sie nach der Ermordung platziert worden war. Einen Tag später wurde der Vizepräsident der Vereinigten Bewegung Sexueller Minderheiten Los Andes in derselben Straße erstochen.

Auch Präsident López Barrera gibt an, ständig telefonisch Morddrohungen zu erhalten, in denen ihm angekündigt werde, dass er der dritte Tote sein werde. Er macht den Bürgermeister und andere Politiker verantwortlich für die Homphobie.

Kampagne soll Schicksal schwangerer Verschwundener aufklären

Von Andrea González

(Santiago, 13 August 2002, sem-poonal) „Sie entführten sie lebend und entführten das Leben“, heißt eine Kampagne der chilenischen Nichtregierungsorganisation Vereinigung der Familienmitglieder von Verschwundenen (AFDD), die das Schicksal einer Gruppe von Frauen aufklären soll, die zum Zeitpunkt Ihres Verschwindens schwanger waren und von denen man nicht weiß, ob sie ihre Kinder zur Welt gebracht haben.

Was mit den neun Frauen passiert ist, die sich, als sie zwischen 1974 und 1977 unter der Diktatur von General Pinochet (1973-1989) entführt wurden, in verschiedenen Stadien der Schwangerschaft befanden, ist bis heute ungewiss. Ihre Familien treibt seit Jahren die Frage um, wo auf dem chilenischen Territorium sich ihre Kinder und Enkel befinden mögen. Eine der Verschwundenen, Gloria Delard Cabezas, wurde in Argentinien verhaftet.

Die Vereinigung der Familienmitglieder von Verschwundenen nimmt an, das es Michelle Peña Herreros als einziger der während der Militärdiktatur verschwundenen Frauen gelungen ist, ihr Kind zu gebären. Zum Zeitpunkt ihrer Festnahme durch das Militär war sie im achten Monat schwanger. Die AFDD ist im Besitz verschiedener Berichte von anderen Häftlingen, in denen diese sich daran erinnern, mit Herreros im selben Folterzentrum gewesen zu sein. Viviana Diaz, Präsidentin der AFDD, bestätigte, dass laut Zeugenaussagen das Weinen eines Neugeborenen zu hören gewesen sei und das es sich dabei um Herreros´ Kind gehandelt haben könnte.

„Nur die Folterer wissen, ob die Kinder geboren wurden und was aus ihnen geworden ist“, so Diaz. Ihre Schulkameradin Cecilia Bojanic verschwand im Oktober 1974 zusammen mit ihrem Mann, der ein Aktivist der MIR (Bewegung der Revolutionären Linken) war. Sie war im fünften Monat schwanger und zudem Mutter des eineinhalbjährigen Leonardo, der bei seiner Großmutter mütterlicherseits blieb.

Die AFDD fordern vom Militär die Übergabe aller Informationen, die Auskunft über den Verbleib der Kinder geben können oder die Bestätigung, dass sie das selbe Schicksal erleiden mussten wie ihre Mütter.

 

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