Poonal Nr. 453

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 453 vom 27. Oktober 2000

Inhalt


 

COSTA RICA

PERU

CHILE

URUGUAY

ARGENTINIEN


 

Sind die Zapatisten Geschichte? – Nicht einmal der Niedergang der ehemaligen Regierungspartei PRI bringt Subcommandante Marcos dazu, sein Schweigen zu brechen Von John Ross

(Mexiko-Stadt, 23. Oktober 2000, na-Poonal).- Vier Monate ohne ein einziges öffentliches Wort der Generalkommandantur des Zapatistischen Befreiungsheeres (EZLN) sind vergangen, obwohl die Ereignisse dieser Zeit alles andere als alltäglich waren. Seit dem letzten Kommunique am 19. Juni, in dem Marcos, Pressesprecher der EZLN, eine andauernde Militärinvasion anprangerte, hat die Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) die Präsidentschaft an die Partei der Nationalen Aktion (PAN) verloren, und der Kandidat der Opposition, Pablo Salazar, die PRI bei den Gouverneurswahlen in Chiapas, überflügelt Nicht einmal diese Ereignisse entlockten der EZLN eine Antwort. Obwohl der gewählte Präsident, Vicente Fox, den Rückzug des Militärs vorgeschlagen hat und dem Kongress die 1996 zwischen Rebellen und der damaligen Regierung von Ernesto Zedillo ausgehandelten Abkommen aushändigte, hüllen sich die Zapatisten weiterhin in Schweigen.

Bei dieser absoluten Funkstille stellt sich die Frage: Sind die Zapatisten Geschichte? Es sind wenige Besucher dieser Tage, die sich auf den gewundenen Weg, der nach La Realidad führt, begeben. La Realidad ist der bekannteste zapatistische Vorposten in den Tiefen des Lakandonischen Urwaldes. Die ausländischen Korrespondenten, die sonst Wochen auf einen Interviewtermin mit Subcomandante Marcos warteten, sind bereits nicht mehr da. Sogar die Tageszeitung La Jornada, einst als „zapatistische Zeitung“ bezeichnet, ist zu Fronten aufgebrochen, an denen mehr los ist.

Aber trotzdem die Comandantes schweigen, gibt es für die autonomen Gemeinden im Urwald und in den Bergen immer noch genug Grund, sich über die Machenschaften der PRI, des Militärs und derjenigen, die sich einmal „Verbündete“ nannten, zu beschweren. Es ist das, was die EZLN den „Krieg gegen das Vergessen“ nennt.

Eine der besorgniseregendsten war in diesem Zusammenhang die Beschwerde gegen die Ländliche Assoziation Kollektiver Interessen (ARIC), ehemalige Verbündete der EZLN, weil diese sich geweigert hatte, der Autonomen Gemeinde Francisco Gómez Land zuzuteilen. Derartige Streitigkeiten zeigen die ernsten Zwistigkeiten innerhalb der rebellischen Basisgemeinden auf. Die Anschuldigugen finden deutlich auf lokaler Ebene statt, ohne die Analyse und die Vision der Kommuniques von Marcos, die das Land fesselten. Dabei ist die jetzige Stille nicht das erste Schweigen, das die EZLN in die Länge zieht. Während der zehn vorangegangenen Jahre seit der Erhebung am 1. Januar 1994, nutzten die Rebellen die Stille, um sich geheim vorbereiten zu können.

Nach dem Scheitern der Verhandlungen mit der Regierung Zedillo im Januar 1997 aufgrund der Entscheidung des Präsidenten zu den Rechten der Indigenas beendeten die Führer der EZLN die Gespräche für 18 Monate. Diese andauernde Stille wurde damals mit einem Feuerwerk von Kommuniques beendet, die der fünften (und letzten) Deklaration aus der Selva Lacandona im Juli 1998 kulminierte. Während der Funkstille sah sich Marcos nur das Massaker an 46 Tzotzil-Indianern, die Mitglieder der EZLN waren und durch Paramilitärs der PRI umgebracht wurden, veranlaßt, seinen Stift zu benutzen. „Das Schweigen ist eine Waffe der Indigenas“, schrieb er damals und bezog sich darauf, dass die eingeborenen Völker von jeher einem Gespräch entzogen, wenn sie sich von den Regierungen bedroht sahen. „Wir haben alles gesagt, was wir sagen mussten“ erklärte Marcos in La Jornada. „Wir haben entschieden, Zedillo reden zu lassen bis alle es müde sind, ihm zuzuhören.“ Der Pressesprecher der Rebellen fügte hinzu, dass das Schweigen den Zapatisten geholfen hätte, sich zuzuhören und zu entscheiden, was zu tun sei. Allerdings gab er auch zu, dass die EZLN den Kontakt zu nationalen und internationalen Unterstützergruppen verloren habe, „als wir uns in unser U-Boot setzten“.

Letztlich konnte die EZLN den durch die Abwesenheit in der Öffentlichkeit verlorenen Boden niemals wieder gut machen. Während des letzten Jahres, in dem die Wahlkampfkampagne zur Wahl des Präsidenten lief, verschwanden die Aufständischen völlig von der Bildfläche der Medien. Das aktuelle Schweigen hat die EZLN zusätzliche Minuspunkte in den Nachrichten eingebracht. Wenn die Verwaltung von Fox die Verhandlungen über die Menschenrechte und andere Themen wieder aufnimmt, sind die Zapatisten dazu gezwungen, die breite Unterstützung, die der Schlüssel zur Durchsetzung von Forderungen war, wieder aufzubauen.

Über Jahre hinweg kritisierte Subkomandante Marcos die Machthabenden und klagte die Ungerechtigkeiten einer Partei, die seit mehr als sieben Jahrzehnten an der Macht war, an. Seine Veröffentlichungen stimulierten die öffentliche Debatte und bedeuteten einen frischen Windstoß des durch die Kontrolle der PRI eingeschränkten politischen Systems. Ohne die genialen Kommentare von Marcos ist das politische Leben Mexikos langweilig.

Fern sind der legendäre Bischof und Befreiungstheologe aus San Cristóbal de Las Casas, Samuel Ruiz und sein Wunschnachfolger Raúl Vera. Ruiz wird vom Vatikan in den Ruhestand geschickt und Vera durch die katholische Kirche ins Exil in eine nördliche mexikanische Wüste verdammt.

Zedillo, unter dessen Präsidentschaft sich der zapatistische Aufstand entwickelte, wird in zwei Monaten von der politischen Bühne abtreten. Ebenso der Gouverneur von Chiapas, Roberto Albores. Mit ihnen wird der Verteidigungsminister, Enrique Cervantes, dessen Truppen einen fortwährenden Konfliktherd in Chiapas darstellten, gehen. Es bleiben nur die indigenen Gemeinden.

Es gibt viele Vermutungen über das Schweigen der Zapatisten. Einige behaupten, dass die Bedingungen, die die EZLN gestellt hat – Rückzug des Militärs und Anerkennung der indigenen Rechte – erst erfüllt sein müssen, damit die Zapatisten ihr Schweigen brechen. Einige Beobachter wie der ehemalige Berater der EZLN, Luis Hernández Navarro, fragen sich, warum die EZLN ihre Energie mit den Versprechungen von Vicente Fox vergeuden sollten, da sich für die Bevölkerung der Selva und des Hochlands von Chiapas nichts geändert hat. Andere vermuten, dass der Geheime Indigene Revolutionsrat ernsthaft darüber gespalten ist, wie mit der neuen Situation nach der Abwahl der PRI umzugehen ist. Es gebe die Meinung, dass die Siege von Fox und Salazar den Krieg der EZLN überflüssig gemacht hätten. Allgemein wird angenommen, dass die Wahlergebnisse die Unterstützung der EZLN, des Revolutionären Volksheeres (EPR) und anderer Guerillagruppen geschmälert haben.

Mit anderen Worten: die EZLN gehört zur Geschichte. Im eigentlichen Sinn hat die EZLN Geschichte geschrieben. Seit der Erhebung 1994 in den ersten Stunden des Inkrafttretens der Freihandelszone mit Nordamerika bis zu den Präsidentschaftswahlen bedeutete die zapatistische Rebellion fundamentale Veränderungen für Mexiko – das Debakel der PRI, die Anerkennung der indigenen Bevölkerung als vollwertige Bürger, die wachsende Kraft der Zivilgesellschaft und der Aufbau einer weltweiten Bewegung gegen den Neoliberalismus.

Das derzeitige Schweigen bedeutet nicht das Ende der Rebellion. In Chiapas verharrt der Aufstand unter der Erdoberfläche bis er genügend Kraft gesammelt hat, wieder hervorzubrechen und das Schweigen zu brechen.

 

COSTA RICA

Gesetzenwurf gegen häusliche Gewalt

(San José, Oktober 2000, fempress-Poonal).-Der letzte Jahresbericht der Bürgerverteidigung (Defensoría de los Habitantes) zeigte, dass diese Zweigstelle im vergangenen Jahr 5,188 Fälle von Gewalt gegen Frauen bearbeitete und über 11,000 Anzeigen per Telefon erhielt. Bei den staatlichen Rechtsorganen gingen in demselben Zeitraum 20,000 Anzeigen wegen häuslicher Gewalt ein. 25 Frauen starben, 12 von ihnen Opfer des, von der Bürgerverteidigung titulierten, angekündigten Todes, d.h. sie waren schon vor ihrer Ermordung Gewalttaten durch ihre Partnern ausgesetzt.

Gemäß den Statistiken, die von der Frauenbeauftragten zwischen Januar 1999 und Mai 2000 erhoben wurden, sind 45,3% der Angriffe gegen Frauen physischer und psychologischer Natur, 32% ist psychologische Gewalt, 15,8% der Gewalt geht von den Eltern aus und 6,1% ist sexuelle Gewalt. Die Täter sind, nach Häufigkeit des Vorkommens geordnet, der Ehemann, der Partner, der Ex-Partner, die Söhne, der Ex-Ehemann, die Brüder, die Eltern, die Schwäger und die Schwiegerväter.

Vor diesem schrecklichen Panorama, haben vier einige Parlamentarier*innen einen Entwurf für ein Strafgesetz gegen Gewalt gegen Frauen erarbeitet, das harte Strafen für physische, psychologische und sexuelle Gewalt, sowie den Mißbrauch durch die Eltern vorsieht. Die dort aufgeführten Straftaten sind Mißhandlung, emotionale Gewalt, Einschränkung der Selbstbestimmung, Nötigung und Angriff gegen Frauen.

Für diese Fälle sind Gefängnisstrafen vorgesehen. Alternativ könnten auch andere Strafformen in Betracht gezogen werden, solange das Opfer, dessen Meinung vor dem Urteilsspruch angehört werden muß, dadurch nicht in Gefahr gebraucht wird. Im Fall von Sexualdelikten gegen Minderjährige oder Vergewaltigung kommt eine Schlichtung allerdings nicht in Frage. Solange sie keine schweren Verletzungen mit sich bringt, soll die Gewalt mit 8 Monaten bis 1 Jahr Gefängnis geahndet werden. Die Beschränkung des Rechts auf Bewegungs – Kommunikationsfreiheit der Frau soll mit 8 Monaten bis 3 Jahren Gefängnis bestraft werden. Im Falle von Verletzung soll es 6 Monate bis drei Jahre und bei Vergewaltigung eine Gefängnisstrafe zwischen 10 und 16 Jahren geben.

Eine neue juristische Form, die in dem Projekt eingeführt wird, ist der Femizid, der Frauenmord. Wer eine Frau umbringt, zu der er ein Verhältnis gehabt hat, soll mit 20 bis 35 Jahren Gefängnis bestraft werden. Dieses Verhältnis kann sowohl ein Macht- als auch ein Vertrauensverhältnis gewesen sein. Das Strafmaß ist dasselbe wie im Fall von Mord.

 

PERU

Schwere Krise wegen Geheimdienstchef – Opposition protestiert gegen Rückkehr Montesinos

Von Alicia Cerdano

(Lima, 23. Oktober 2000, npl-Poonal).-In Peru hat eine Einigung auf einen Wahltermin die innenpolitische Krise vorübergehend gemäßigt. Die Rückkehr von Vladimiro Montesinos, berüchtigte „rechte Hand“ von Perus Staatschef Alberto Fujimori, hatte die Krise auf die Spitze getrieben. Montesinos hatte sich zuvor im Exil in Panama befunden. Dem ehemaligen Chef des peruanischen Geheimdienstes SIN werden massive Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Vor drei Wochen hatte er mit Unterstützung der Organisatione Amerikanischer Staaten (OAS)in Panama Asyl beantragt. Aktueller Auslöser war eineBestechungsaffäre: ein unter ungeklärten Umständen aufgetauchtesVideo zeigt Montesinos bei der Geldübergabe an einenPrlamentsabgeordneten der Opposition, um ihn für dasRegierungslager zu kaufen. Jetzt läßt Fujimori nach Montesinos fahnden.

Der seit 10 Jahren autoritär regierende Fujimori war wegensystematischem Wahlbetrug bei den Präsidentschaftswahlen im Maivor allem seitens der OAS und der USA scharf kritisiert worden.Die Regelverletzungen seien mit kriminellen Methoden maßgeblichvon Motesinos organisiert worden, moniert die peruanische Opposition.

So dubios wie der Korruptionsskandal und Montesinos Flucht nachPanama, so undurchsichtig sind nun seine Gründe für die Rückkehrnach Peru. Aussagen der Behörden in Panama zufolge soll er daszentralamerikanische Land am Sonntag abend mit drei Gefolgsleutenin einem Privatjet Richtung Ecuador verlassen haben. Ein Sprecherder Regierung in Panama gab an, damit verliere Montesinos dasBleiberecht in dem Brückenstaat zwischen Mittel- und Südamerika.

Kurz darauf äußerte sich der Oberbefehlshaber der ecuadorianischenStreitkräfte, General Oswaldo Dominguez, gegenüber der Presse,Montesinos Flugzeug des Typs Aerolac, sei zwar auf dem Flughafender ecuadorianischen Stadt Guayaquil gelandet. Die Passagiere,neben Montesinos, zwei weitere Peruaner und zwei Staatsbürger Panamas, hätten jedoch, aufgrund der fehlenden Landeerlaubnis desPiloten, die Maschine nicht verlassen dürfen. Die Flughafenbehörde in Guayaquil vermeldete am Montag morgen, das Flugzeug sei bereits auf dem Weg nach Lima. Der Innenminister Ecuadors, Juan Manrique, erklärte, dass er die sofortige Ausreisedes umstrittenen Beraters Fujimoris angeordnet hatte undwidersprach Gerüchten, Montesinos habe in Ecuador Asyl beantragt. Manrique stellte klar. dass „die Anwesenheit des Herrn Montesinosin Ecuador unter den derzeitigen Umständen nicht erwünscht“ sei.

Ebenfalls am Montagmorgen verkündete der peraunische Premierminister, Federico Salas, Montesinos könne nach Peru zurückkehren, weil weder ein Strafverfahren noch ein Haftbefehlgegen ihn in Peru vorliege. So fällt die überraschende Rückkehr des ehemaligen SIN-Kopfes mit einer Gesetzesinitiative Fujimoris zusammen. Darin wird vorgeschlagen, Militärs zu amnestieren, die beschuldigt sind, in den Drogenhandel verwickelt zu sein. Neben illegalen Waffengeschäften wird dies auch Montesinos vorgeworfen. Eine strafrechtliche Verfolgung Montesinos fordern hingegen die Fujimori-Gegner, die in dem Top-Agenten den eigentlichen Drahtzieher des korrupten und autoritären politischen Systems Perus sehen. Oppositionsführer Alejandro Toledo erklärte am Montag, dass „das peruanische Volk die Rückkehr Montesinos nicht zulassen werde“.

 

CHILE

Angeklagt wegen Nichtzahlung von Medikamenten

(Santiago, Oktober 2000, fempress-Poonal).- Nach Informationen des Nationalen Frauendienstes (Servicio Nacional de la Mujer), werden jährlich 25 000 Klagen vor Gericht gegen Väter erhoben, die keine Alimente für ihre Kinder zahlen. Um der verbreiteten Zahlungsunwilligkeit entgegen zu arbeiten, wird im Kongreß gerade ein Gesetzentwurf behandelt, der das herkömmliche System, welches auf das Jahr 1940 zurückgeht, reformieren will.

Einer der Veränderungsvorschläge, der für Aufruhr gesorgt hat, ist die vorgeschlagene Veröffentlichung der Namen von Zahlungsunwilligen in dem Bulletin für Wirtschaftsinformationen (Boletín de Informaciones Comerciales). Der Widerstand kommt in erster Linie von den Elternorganisationen, die ihre Arbeitsplätze durch diese Maßnahme bedroht sehen. Der SERNAM dagegen befürwortet diese Maßnahme als einzige Möglichkeit zu wissen wer was schuldet und wieviel. Weiterhin gäbe das reformierte Gesetz dem Richter das Recht, alle Informationsquellen anzuzapfen, um Miete, Wohnung und Guthaben des Angeklagten zu bestimmen. Damit soll eine Falschauskunft verhindert werden, die sich auf den Betrag auswirken würde, der dem Kind zusteht.

 

URUGUAY

Erfolg der Menschenrechtskampagne: Folterer kriegtkeine Stimme im Obersten Gerichtshof

(Montevideo, 23. Oktober 2000, recosur-Poonal).-Die Berufung von Ex-Oberst und Folterer Angel A. Neira in den Obersten Gerichtshof des Landes ist vom Tisch. Der Senat, die zweite Kammer des uruguayischen Parlaments, beschloss vergangenen Freitag den Berufungsvorschlag von der Regierung zu den Akten zu legen. Vertreter*innen von mehreren Menschenrechtsorganisationen äußerten sich zufrieden mit dieser Entscheidung, liessen aber gleichzeitig wissen, dass es mal wieder die Initiativen der Menschenrechtsaktivist*innen waren, die den Fall des Folterers Neira in die Öffentlichkeit trugen. Auch nach der Veröffentlichung von zahlreichen Zeugenaussagen von Opfern des Folteroberst hatte die Regierung an der Nominierung von Angel A. Neira festgehalten. Der Oberst selbst hatte seine Kandidatur zurückgezogen nachdem klar wurde, dass er nicht mit den notwendigen Stimmen im Senat rechnen kann.

 

ARGENTINIEN

Goldener Käfig Argentinien – Tauziehen um argentinischen Foltergeneral

Von Marcos Salgado

(Buenos Aires, 27. Oktober 2000).-Argentinische Menschenrechtsorganisationen äußerten in den vergangenen Tage mehrfach ihre Beunruhigung über die Wiederaufnahme eines juristischen Falls, der die Auslieferung des argentinischen Staatsbürgers Ricardo Miguel Cavallo nach Spanien verhindern könnte. Derzeit untersucht die argentinische Justiz die Verantwortung Cavallos für die widerrechtliche Aneignung des Vermögens eines Unternehmers, der während der Militärdiktatur in Argentinien (1976-1983) „verschwand“.

Der spanische Richter Baltasar Garzon hatte im August die Auslieferung des in Mexiko als erfolgreicher Geschäftsmann gefeierten Cavallo nach Spanien beantragt. Garzon wirft dem ehemaligen Offizier der argentinischen Marine Terrorismus, Völkermord und Folter während der Diktatur vor. Einige Opfer des argentinischen Militärregimes hatten den in Mexiko unter anderem Namen lebenden Cavallo als ihren Folterer identifiziert. Seither sitzt Cavallo in Mexiko in Untersuchungshaft, die mexikanischen Autoritäten prüfen Garzons Auslieferungsantrag.

Das juristische Vorgehen der argentinischen Gerichte wird, Recherchen der mexikanischen Tageszeitung „Reforma“ zufolge, offiziell von der argentinischen Regierung mit Präsident Fernando de la Rua an der Spitze, einer Reihe von Richtern im Ruhestand sowie aktiven Staatsanwälten in Argentinien unterstützt, die über gute Kontakte zu den argentinischen Geheimdienstorganen unterhalten. „Reforma“ und die links-liberale argentinische Tageszeitung „Pagina 12“ zitieren Quellen aus den Reihen der Gerichte in Buenos Aires, die versichern, dass die Strategie der sogenannten Rückholoperation darin besteht, die Auslieferung Cavallos nach Argentinien zu erreichen, um ihn als Schuldverdächtigen im Fall der widerrechtlichen Vermögensaneignung durch Militärs während der Diktatur, zu vernehmen.

„Pagina 12“ und „Reforma“ weisen darauf hin, dass Cavallo, einmal zurück in Argentinien, mit aller Wahrscheinlichkeit aufgrund von Mangel an Beweisen auf freien Fuß gesetzt werden wird. „Das gesamte Land droht, sich in einen goldenen Käfig zu verwandeln“, schreibt der Journalist Verbitzky, „weil die Verbrechen, die Cavallo von der spanischen Justiz vorgeworfen werden, in Argentinien durch zwei Gesetze in den 80er Jahren amnestiert wurden.“

Erwähnter Fall der widerrechtlichen Vermögensaneignung basiert auf einer Klage von Federico Gomez Miranda, dem Sohn des während der Diktatur „verschwundenen“ Unternehmers Conrado Higinio Gomez. Gomez Miranda fordert die Verurteilung der Verantwortlichen sowie die Klärung des Verbleibs des Vermögens seines Vaters, das diesem nach seiner Entführung am 10. Januar 1977 von den Militärs gestohlen wurde. Conrado Gomez war nachweislich in der Mechanikerschule der Marine (ESMA) inhaftiert. Die ESMA zählt zuden größten geheimen Haft- und Folterzentren während der argentinsichen Militärherrschaft. Cavallo gehörte zur berüchtigten Leitungscrew der ESMA.

Der Fall Gomez ist nicht der einzige, der gegen Cavallo in Argentinien vorliegt. Allerdings rechnen sich die Mentoren der „Rückholoperation“ mit der Wiederaufnahme dieses Falls die größten Chancen auf Erfolg bei den mexikanischen Behörden aus. Die eventuelle Entscheidung über einen Auslieferungsantrag nach Argentinien liegt in den Händen von Richter Gustavo Literas, der bereits mehrmals deutlich äußerte, dass er im Fall Cavallo nicht mit seinem spanischen Kollegen Garzon kollaborieren werde.

Literas ist in internationalen Menschenrechtskreise kein Unbekannter. Er hatte vergangenes Jahr einen Auslieferungsantrag von Garzon für 98 ehemalige argentinischen Militärs, die von der spanischen Justiz wegen Völkermord und Folter während der Diktatur per internationalem Haftbefehl gesucht werden, abgewiesen – mit dem Hinweis auf formale Verfahrensfehler. Die Haftbefehle basieren auf einem spanischen Gesetz, das die Verfolgung von als nichtverjährbar definierten Verbrechen auch außerhalb der Landesgrenzen ermöglicht. Politisch verhinderte Literas damit, dass die erst kurz zuvor angetretene Regierung unter De la Rua zu einem überaus delikaten Thema Stellung beziehen musste. Kurz darauf reichte die argentinische „Menschenrechtsliga“ Klage gegen zwei Minister der neuen Regierung wegen Behinderung der spanischen Justiz ein.

Reforma zitiert auch einen Mitarbeiter im Fall Gomez, der angibt, Literas „suche nach irgendeiner Form von Aussagen oder Hinweisen,um die Auslieferung Cavallos nach Argentinien zu beantragen. „Bislang fehlen Lideras und dem zuständigen Staatsanwalt Claudio Navas jedoch Aussagen und Beweise, die eine solide juristische Grundlage für einen Auslieferungsantrag bilden könnten.

Anlässlich eines offiziellen Besuches in Spanien, bestritt De la Rua den Vorwurf, seine Regierung behindere die Arbeit der spanischen Gerichte und setze die Justiz seines Landes unter Druck, um die Auslieferung Cavallos nach Spanien zu verhindern. Allerdings betonte er zum wiederholten Male das „Prinzip der Territoritalität“ für in Argentinien begangene Verbrechen. Einparadoxes Prinzip – denn falls sich die „Rückholoperation“ konkretisiert, wird Cavallo mit Sicherheit Straflosigkeit innerhalb der Grenzen seines Landes genießen, dort wo er seine Verbrechen beging.

 

Armselige General-Entschuldigung der katholischen Kirche

Von Andres Gaudin

(Buenos Aires, 23. Oktober 2000, na-Poonal).- Vier Tage nachdem die katholische Kirche Argentiniens in einem „Reflexionsakt“ nur halbherzig ihre Menschenrechtspolitik während der vergangenen Militärdiktatur (1976-1983) zur Disposition gestellt hat, nutzte sie den landesweit größten „Festakt zum Jahr 2000“, um diejenigen inner- und außerhalb der Kirche zu bremsen, die ein wirkliches Eingeständnis von Schuld und Verantwortung fordern. Am 8. September wurde vor 80.000 Gläubigen ein Dokument namens „Versöhnung der Getauften, Schuldbeichte, Bereuen und Bitte um Verzeihung“ verlesen, das die argentinische Episcopal-Konferenz (CEA) zuvor formuliert hatte.

In dem Dokument wird sich für rundum alles entschuldigt: Für das „nicht ausreichende Zurückweisen des Antisemitismus“, für die „mangelnde Präsenz von aktiven Christen in den Medien“, für „das Nehmen von Drogen, den Missbrauch von Alkohol und Tabak“, für „das mehrfache Zulassen von genetischen Manipulationen“. Weiter für „den konsumistischen Lebensstil“, für Freiheitseinschränkung und Folter“, für „Geldwäsche, Drogenhandel und Bereicherung“, für die „Diskriminierung unserer Brüder Migranten und Indifferenz gegenüber den Ureinwohnern“.

Entgegen den Erwartungen war das „mea culpa“ bezüglich des Völkermords während der Diktatur mit 30.000 Ermordeten und Verschwundenen, darunter auch ein Bischof und 29 Priester, nicht die zentrale Aussage der Erklärung. Zwar enthielten die sechs Seiten einiges darüber, doch werden nirgends die Wörter „Diktatur“ oder „Verschwundene“ erwähnt. Nur kurz wird das Verhalten der Kirche angesichts von „dramatischen und brutalen Tatsachen“ thematisiert.

„Das Dokument ist weder genug noch ehrlich, auch in ihm sind die Verschwundenen verschwunden,“ beklagte der Friedensnobelpreisträger von 1980, Adolfo Pérez Esquivel. Erneut übernimmt die Kirche die Theorie der Täter, wie sie es schon 1996 in einem ähnlichen Dokument tat, indem sie deren Sprachgebrauch verwendet: Statt von Unterdrückern zu sprechen, sagt die Kirche, „das Land litt unter Gewalt, eine Frucht verschiedener Ideologien, (die) in unterschiedlichen politischen Epochen auftrat, insbesondere die Guerillagewalt und die illegitime Repression, die unsere Heimat heimsuchten“.

Viele Priester kritisierten, dass die Entschuldigung nicht im Namen der Institution Kirche formuliert sei, sondern im Namen der Christenheit, so als hätten alle Gläubigen die gleiche Verantwortung hierbei zu tragen. „Die Bischöfe sind in ihrem Dokument derart undeutlich, dass nicht verständlich wird, wer nun Komplize der Mörder war,“ erklärte der katholische Aktivist Sergio Veglio.

„Das Bereuen kommt zu spät,“ sagte Mitre Nora Cortiñas von den „Müttern der Plaza de Mayo“, die seit 22 Jahren auf der Suche nach den Verschwundenen sind. „Die Kirche kommt immer zu spät. Sie brauchte 25 Jahre, um dieses dürftige Dokument zu formulieren. Das ist wenigstens weniger als die 50 Jahre, die der Papst brauchte, um die Komplizenschaft mit den Nazis einzugestehen und die fünf Jahrhunderte, die der Vatikan benötigte, um die Wahrheiten von Galileo anzuerkennen. Aber die Kirche muss einen wichtigen Schritt tun, will sie wirklich die Wahrheit erlangen und Argentinien Gerechtigkeit bescheren: Sie muss ihre Archive aus jenen Terrorjahren öffnen,“ so Nora Cortiñas.

 

Präzendenzfall

(Neuquen, Oktober 2000, fempress-Poonal).-Die Richterin Evelina García aus General Roca in der Provinz Neuquén, hat am 15. September 20 Frauen das Recht zugesprochen, sich sterilisieren zu lassen. Die Frauen hatten gemeinsam Einspruch erhoben, da ihnen, obwohl sie zusammen schon 128 Kinder hatten, im öffentlichen Krankenhaus die Operation nur mit gerichtlicher Zustimmung genehmigt werden sollte. Der Urteilsspruch ist von historischer Bedeutung und dient als Grundlage für zwei Gesetzesentwürfe einer in Neuquén und der andere auf nationaler Ebene – die anstreben, den Frauen das Recht zu geben, diese Operationen ohne Richterspruch durchführen zu können, und so das Recht auf Entscheidung über ihren eigenen Körper uneingeschränkt ausüben zu können.

 

Richter Garzón ermittelt gegen argentinisches Unternehmen wegen Kooperation bei Entführungen von Regimegegnern während der Militärdiktatur

(Buenos Aires, 23. Oktober 2000, recosur-Poonal).-Am Dienstag wird Olga Márquez, Frau des vom Militärregime entführten Arztes Luis Arédes, von Richter Baltasar Garzón in Madrid als Zeugin vernommen. Garzón ermittelt wegen der Entführung von rund 200 Menschen im Jahre 1977 und 1976. 70 Regimegegner sind noch heute auf der Liste der Verschwundenen. Ebenfalls untersucht wird die Rolle der Zuckerfabrik Ledesma , die sich aktiv an den Aktionen der Repressionskräfte beteiligt hatte. Am 24 März 1976 wurde der Mann von Frau Márquez, Luis Arédes – Arzt und Bürgermeister der kleinen Ortschaft San Martin – von Polizisten entführt. Die Entführer kamen in einer der berüchtigten Nächte des Stromausfalls mit einem Firmenwagen der Zuckerfabrik Ledesma. Luis Aredés ist seit diesem Zeitpunkt verschwunden. Der Geschäftsführer der Zuckerfabrik erklärte damals, dass die Firma den Militärs Firmenwagen zur Verfügung stelle, um sie bei ihrer Aufgabe der Säuberung des Landes von unerwünschten Elementen zu unterstützen. Bürgermeister Arédes hatte vor 24 Jahren mehrfach bei der Zuckerfabrik vorgesprochen und die Bezahlung der Gemeindeabgaben eingefordert. Er pochte auch auf Filteranlagen um die Umweltvergiftung durch die Zuckerraffinerie einzudämmen. Fahrzeuge der Firma Ledesma wurden auch noch bei weiteren Nächten des Stomausfalls eingesetzt. Hunderte von Oppositionellen, Studenten, Lehrern, Schüler, Hausfrauen, Arbeiter wurden in diesen Nacht und Nebelaktionen von den Militärs verschleppt. 1979 fuhr Olga Marquez in die Provinz Tucumán um die Entführung ihres Mannes vor der Organisation der Amerikanischen Staaten anzuzeigen. Im Hotel wo die Familienangehörigen ihre Aussagen machen konnten wartete auch ein Vertreter der PR Abteilung der Zuckerfabrik, um die Familien unter Druck zu setzen mit dem drohenden Verlust vom Arbeitsplatz für Familienangehörige, die noch bei Ledesma beschäftigt waren.

 

Argentiniens Präsident auf Staatsbesuch in Spanien Proteste der Familienangehörigen der Tablada Gefangenen vor der argentinischen Botschaft in Madrid

(Buenos Aires, 23. Oktober 2000, recosur-Poonal).-Am Dienstag beginnt der Staatsbesuch des argentinischen Präsidenten De La Rua in Spanien. Familienangehörige der Tablada Gefangenen rufen zu einer Protestaktion vor de argentinischen Botschaft in Madrid auf und fordern die Freilassung der Gefangenen, die seit mittlerweile 47 Tagen im Hungerstreik sind. Der Gesundheitszustand der Hungerstreikenden ist besorgniserregend und viele haben bereits um die 25% ihres Körpergewichts verloren, heisst es in einer Presseerklärung der Familienangehörigen.

 

 

   

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